Wahlmodus EU Kommissionspräsident

Servus,

im Zusammenhang mit von der Leyens Wahl zur neuen Präsidentin der EU Kommission wurde (auch hier im Forum) immer wieder Kritik am Wahlmodus laut. Dieser schaut aktuell so aus:

Der Präsident der Europäischen Kommission wird jeweils nach der Europawahl vom Europäischen Rat mit qualifizierter Mehrheit vorgeschlagen und anschließend vom Europäischen Parlament mit absoluter Mehrheit der Mitglieder gewählt. Nach Art. 17 Abs. 7 EU-Vertrag muss der Europäische Rat hierbei das Ergebnis der Europawahl berücksichtigen. Sofern der nominierte Kandidat nicht die notwendige Mehrheit im Parlament erreicht, muss der Europäische Rat innerhalb eines Monats einen neuen Kandidaten vorschlagen, für den dasselbe Verfahren angewendet wird.

Neben all der Kritik wurde afaik bisher noch keine Lösung für einen besseren Modus präsentiert. Es gab zwar die Idee, dass der Kandidat vom Parlament vorgeschlagen werden soll. Für mich ergeben sich da aber eher mehr Probleme und die Behauptung, dass dies in der Mehrheit der demokratischen Systeme so gehandhabt werde, entspricht imho nicht den Tatsachen.

Was wäre denn ein besserer Modus, um diesen Posten zu besetzen?

LG

Hallo Penegrin,

Probleme hin oder her: Nicht der europäische Rat, das Parlament müsste Kandidatinnen und Kandidaten vorschlagen, aus deren Mitte dann der Präsident/die Präsidentin zu wählen wäre.

Wie dieses procedere auszugestalten wäre, um Probleme zu minimieren, überlasse ich dem Geschick der Politiker.

Gruß, Hans-Jürgen Schneider

Dann soll also die Legislative das Recht haben, die Spitze der Exekutive sowohl vorzuschlagen als auch zu wählen? Kennst du vielleicht ein Beispiel, wo das auch so gehandhabt wird?

Und wie würde sich das in der Praxis vom jetzigen Spitzenkandidatensystem unterscheiden? Die Spitzenkandidaten sind doch quasi auch Vorschläge des Parlaments bzw. der Fraktionen.

Direktwahl durch die Bürger.
Die wichtigsten politischen Ämter (im Staat, in der EU, …) sollten nicht von Parteien oder Parteibündnissen bestimmt, sondern grundsätzlich von „neutralen parteilosen unabhängigen“ Bewerbern besetzt werden.
Sie wären das Korrektiv zu den inner- und zwischenparteilichen Mauscheleien im Postengeschachere.

awM

Dazu müssen aber erst mal die Kandidaten feststellen. Wer soll die vorschlagen dürfen? Und reicht eine einfache Mehrheit aus?

Ausschreibung sollte genügen.

Ja, Mehrheit würde genügen.

Ich denke gerade an: Qualifizierte Mehrheit bei Wahlen des Volkes im wörtlichen Sinn…hihihi. Könnte man mal ausgiebig diskutieren.

awM

Was meinst du mit ‚Ausschreibung‘?

Da es ziemlich sicher keinen Kandidaten mit einer einfachen Mehrheit im ersten Durchgang gibt, müsste man also wenigstens zwei Mal 380 Millionen Menschen zu den Urnen rufen. Das ist ein gewaltiger Aufwand.
Außerdem stellt Deutschland mit ca. 65 Millionen Wahlberechtigten über 17% dieser Stimmen. Denkst du nicht, dass die kleineren Länder sich hier im Nachteil wähnen würden?

Nachdem die SPD gerade eindrucksvoll unter Beweis gestellt hat, dass deutsche Kandidaten im kleinkarierten innerdeutschen Parteiengezänk zerrieben werden, dürfte das wohl die kleinste Sorge sein. Sie haben sogar ein Diskreditierungspamphlet in Umlauf gebracht. Leider waren die Nichtdeutschen uneinsichtig und haben trotzdem die deutsche Kandidatin gewählt.

Nur stand bei dieser Wahl halt ganz klar die Parteizugehörigkeit im Vordergrund. Von der Leyen war die konservative Kandidatin, nicht die deutsche.

Die Begründungen klangen durchweg anders. Man hörte viel über das Spitzenkandidatenprinzip und zusätzlich einige Bemerkungen über die persönliche Eignung, aber kaum etwas über die Parteizugehörigkeit.

Bei den Parlamentariern der anderen Länder wurde zudem durchaus quer zur Parteizugehörigkeit gewählt. Sogar Sozialdemokaten haben Frau von der Leyen gewählt, außer den deutschen Soziademokraten natürlich. Die deutschen SPDler sind schließlich prinzipienfest. :slight_smile:

Immerhin haben wir im Sommerinterview lernen können, dass auch Frau Merkel bösartig sein kann. Die genüsslichen und nur leicht verklausulierten Spitzen gegen die SPD haben sicher geschmerzt.

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Zeitfenster von a bis b, wer möchte, sendet eine Bewerbung um den Posten der EU-Kommissars, des Bundestagspräsidenten usw.

Mehrheit im Sinne der größten Anzahl erhaltener Stimmen. Ob das nun 20 oder 378 Bewerber sind. Einmaliger Wahlgang.

Aktuell ist meine Stimme als EU-Bürger weniger wert als die - der Klassiker - eines Malteser oder Zyprioten.

WARUM? WEIL ICH DEUTSCHER BIN? MINDERWERTIG? EIN IDIOT? EIN ASOZIALER? KEIN EU-BÜRGER?

Ehrlich gesagt, es interessiert mich nicht, was der Malteser oder Zypriote wählt. Ob er Mehrheit erzielt oder nicht. Entweder er ist gleichberechtigter Teil eines Systems, einer Gemeinschaft, einer Gesellschaft, so wie du, oder ich, oder wir stricken das Ganze selbst peu á peu dahin. Oder wir lassen das alles sein.

Ich will dir ansatzweise erklären, weshalb ich ein Kritiker dieser EU bin.

EU in der derzeitigen Konstellation war und ist vom Ansatz her ein politischer und ökonomischer Elitengedanke. Der Bürger dieser EU spielt im Grunde genommen als Mensch, als sozialer Faktor keine Rolle. Er ist ein rein ökonomischer Faktor, und zwecks Sicherung (nicht sozialer Zusammenhalt!) dieser Konstellation verspricht man „gleiches Recht und gleiche Beteiligung“, obgleich man den einzelnen Bürgern dieser EU unterschiedliche und ungleiche Rechte zuspricht. Sie werden auch nicht einbezogen in grundsätzliche Entscheidungen (ok, eine Umfrage zur Zeitumstellung gab es dann doch). Der politische Einfluss der Bürger liegt bei Null, egal ob er wählt oder nicht.

Wenn man ein wenig „anders“ auf diese Konstellation schaut, dann stellt man fest, dass anstelle der Absicht einer EU als Gemeinschaft die nationalen Gepflogenheiten gehütet und beschützt werden. Es stehen sehr starke nationalistische Gedanken in dieser EU dahinter. Staaten wie Deutschland, Frankreich, Italien, Spanien usw. als solche werden ihre regionalen/nationalen Ansprüche auf absehbare Zeit nicht aufgeben. Lobbyisten pur. Schengen reicht da einfach nicht, das ist nicht mehr als eine persönliche Reisefreiheit - Beruhigungszäpfchen - innerhalb der EU.

Eine starke EU muss wie alles andere von innen heraus kommen, von den Bürgern, vom gemeinsamen Interesse. Mir scheint dagegen, dass es Absicht ist, diese nationalistischen Gedanken bewusst aufrecht zu erhalten, weil Bewegungen wie die französischen Gelbwesten EU-weit betrachtet, auf die EU bezogen, eine Gefahr für diese EU wären.

Sicherlich gibt es auch positive Aspekte dieser EU. Mir fallen leider keine nennenswerten gerade ein. Einigkeit in zentralen Fragen wie Grenzen, Migration, Außen- und Sicherheitspolitik, Zölle, EZB usw.

awM

Ich hoffe, ich habe nirgendwo von Europa oder europäisch geschrieben. Diese Abgrenzung ist mir sehr wichtig.

Zum Beispiel?

Wie genau willst du das Spitzenkandidatenprinzip von der Parteizugehörigkeit trennen??

Stimmt, aber es haben sich ja auch die Fraktionschefs der Konservativen, Sozialdemokraten und Liberalen öffentlich für sie ausgesprochen haben (ganz im Sinne des Spitzenkandidatenprinzips). Van der Leyen wäre ganz sicher nie als Kandidatin nominiert worden, wenn sie nicht der CDU angehören würde. Und auch wenn die Abstimmung geheim war, kann man davon ausgehen, dass sie von der EVP den mit Abstand größten Anteil der Abgeordneten für sich gewinnen konnte.

Aha, na das klingt ja überhaupt nicht weltfremd. Das kann ja jeder Kaninchenzüchterverein besser…

Und wenn dann einer mit 15% der abgegebenen Stimmen gewinnt, ist das natürlich ein wahnsinnig starkes Mandat. Sorry, aber da kommen wir nicht zusammen.

Trotzdem danke, dass du im Gegensatz zu anderen wenigstens eine Idee vorgeschlagen hast.

Vielleicht solltest du dich mal mit dem Begriff Ausschreibung auseinandersetzen. Stelle für eine Professur oder KiTa-Leiterin, Bauvorhaben, Bleistifte für den Finanzbeamten, …
Gibt es auch (verpflichtend) EU-weit.

Mag an meinen Basics liegen :wink:

awM

Und wie viele politische Spitzenposten werden auf diese Weise vergeben?

In der Realität erkennbar Deutschland. Auch wenn Du Dich in Deiner haarspalterischen Art sicher auf die Formalie Artikel 63 GG kaprizieren wirst. In der Vergangenheit war aber kein Bundespräsident derart dumm, dass er die Mehrheitsverhältnisse im BT und den erkennbaren/vorab verkündeten Willen (der/die ist unser Kandidat) nicht berücksichtigt hätte.

Wieso eine Direktwahl? Wozu hat man denn zuvor Parteien als Organisationen genutzt, um politische Willensbildung zu bündeln? Woher kommt es wohl, dass i.d.R. keine Parteilosen als Repräsentanten in die Legislative gewählt werden? Weil es ihnen an eben dieser Organisationskraft der Bündelung mangelt.

Und wie bitte soll das mit der Wahl funktionieren, wenn mal ein/e Minister(in) als Lügenmaul (Plagiator[in]) überführt und gefeuert werden muss/sollte? Soll man dann monatelange Wahlkämpfe und Vorstellungsrunden exerzieren, bevor die Direktwahl durchgeführt werden kann? Du würdest Beteiligungen erreichen, die ca. den aktuellen Umfragewerten von CDU oder Grünen entsprechen. Und nur ein Viertel davon könnte wahrscheinlich mehr als zwei Sätze über den/die jeweilige Kanidatin sagen.

Wobei ich gerne einräume, dass die Parteiendemokratie über Jahrzehnte einige negative Entwicklungen durchgemacht hat, die sie weit von der früheren, leicht idealisierten Vorstellung wie es laufen sollte, entfernt hat.

Ebenso wie frisch nominierte Verlegenheits- und Entsorgungskanidatinnen von der CDU. Die halten fest zu den früher vertretenen Prinzipien und versprechen „nicht“ etwa im Vorfeld fast allen gegnerischen Fraktionen das Blaue vom Himmel, für das sie zuhause von jedem Parteitag davongejagt werden würden. Das wäre ja sowas wie politische Prostitution, um wenigstens auf 50%+1 zu kommen. Doch nicht eine von der „grundsoliden“ CDU.

Man hätte wohl einen Herrn Weber unterstützt, eine Frau von der Leyen jedoch nicht, so klang das Herumgeeiere der SPD jedenfalls. Glaubt zwar keiner, aber egal.

Ich weiß zwar nicht, was an einem Verweis auf gültiges Recht ‚haarspalterisch‘ sein soll, aber ja: Ich würde dich an dieser Stelle an die Realitäten gemäß Artikel 63 GG hinweisen, die deiner Behauptung widersprechen. Du hast ja von einer „Mehrheit der demokratischen Systeme“ gesprochen und bisher ist mir noch kein einziger derartiger Fall untergekommen. Daher würde ich dich erneut bitten, einfach ein paar Beispiele zu nennen.

Und wie genau unterscheidet sich das vom jetzigen Wahlmodus des Kommissionspräsidenten?