Wahlrecht (und noch ein paar Zeichen)

Hallo zusammen,
da erzählt mich doch die Susi kürzlich so zwei Geschichten, die mir zu glauben schwer fallen.

  1. Sie ging da kürzlich mal zu ner Bundestagswahl und war erstaunt, dass die Wahlhelfer ihren Ausweis nicht kontrolliert haben. Daraufhin erzählte sie dem Wahlhelfer lautstark, dass sie in Wirklichkeit gar nicht die Susi sei, sondern die Schackeline. Dennoch wollte der Wahlhelfer ihren Ausweis nicht prüfen, das sei zu viel Aufwand.

Sie fragte, ob sie denn dann später mit nem anderem Wahlschein wiederkommen dürfe, dies wurde bejaht. Von einer alten, bettlägerigen Nachbarin hat sie dann tatsächlich einen Wahlschein bekommen, ging nochmal ins gleiche Wahllokal, teilte wieder (diesmal auch wahrheitsgemäß) mit, dass sie nicht die Person auf dem Wahlschein sei. Auch diesmal wollte der Wahlhelfer ihren Ausweis nicht sehen (angeblich war das auch der gleiche, den sie freudig mit den Worten „so, da bin ich wieder!“ begrüßt habe).

Sie hat dann (sagt sie!) im Sinne der alten Nachbarin gewählt. Passiert sei ihr weiter nix, außer dass man sie gebeten habe, sich ruhig zu verhalten, um nicht wegen Ruhestörung von der dann herbeizurufenden Polizei mitgenommen zu werden. Kann das sein oder spinnt Susi da Seefrausgarn? Ich selber kann wenig beitragen, ich hab lange nicht in Deutschland gelebt, aber bei meiner ersten Wahl hier wollten sie meinen Ausweis sehen, bei der zweiten nicht.

  1. Nun wollte die Susi bei der kommenden Europa- und Kommunalwahl lieber Briefwählen. Bekam den Benachrichtigungsschein, beantragte Briefwahl und bekam die Unterlagen für beide Wahlen. In der Zwischenzeit kamen jedoch für die Kommnualwahl auch gleich noch die Wahlunterlagen. Den Benachrichtigungsschein hat sie auch noch. Könnte sie also rein theoretisch nun mit den Wahlunterlagen samt Benachrichtigungsschein (und ehrlichem Ausweis g) nochmal wählen gehen?

Ist jemand von Euch Wahlhelfer oder sonstwie Wahlrechtskundiger und kann mir weiterhelfen?

Disclaimer: ich bin nicht Susi, ich kenne keine Susi und ich habe auch nicht vor Wahl zu betrügen! Das sind einfach ausgedachte Fälle, die ggf. auch auf urbanen Legenden beruhen, die mich mal interessieren täten…

Hallo!

ja, ich bin Wahlvorsteher, auch jetzt bei der EU-Wahl.

Das mit dem Ausweis ist so OK, wird bei den Wahlschulungen (bei uns) nicht verlangt.
Nur wenn es Zweifel gäbe, etwa wenn eine Wahlbenachrichtigung gezeigt wird die für eine Frau ist und es steht ein Mann da (Typ. Ehepaar gemeinsam, Karten verwechselt). Oder das Geburtsdatum ist stark optisch abweichend (das steht ja in der Wählerliste drin !)
Ausweispflicht besteht, wenn man keine Wahlbenachrichtigungskarte hat !

Wer Briefwahl bestellt hat wird im Wählerverzeichnis gesperrt ! Das Verzeichnis wird am Freitag vor der Wahl erstellt. Alle Briefwahlbestellungen vor dem Freitagnachmittag werden erfasst.

Die Listen der Wähler im Wahllokal enthalten dann in der Abstimmungsspalte ein „W“ = Wahlschein. Die dürfen nicht wählen.

Ausnahme, sie haben ihre Briefwahlunterlagen dabei (aber nur eigene, nicht von Familienmitgliedern), dann muss er auspacken, den Wahlschein vorzeigen, der wird eingesammelt und er bekommt auf Wunsch auch einen neuen Stimmzettel wenn der den Stimmzettelumschlag der Briefwahl sichtbar zerreißt.

Ein ganz seltener Fall (nie erlebt) wäre denkbar. Man kann bei plötzlicher Erkrankung noch am Wahlsonntag bis 15 Uhr Briefwahlunterlagen im Rathaus holen oder abholen lassen. Da wäre es zu spät für eine Sperrung in der Wählerlliste.
Wenn nun ein Wahlbetrüger vorher ins Lokal geht und wählt und anschließend ins Rathaus geht (oder ein Bevollmächtigter) dann könnte er Briefwahlunterlagen erschleichen und es fällt (erst einmal) nicht auf.
Betrug und strafbar ist es allemal.
Da die Stimmabgabe und Briefwahl dokumentiert ist könnte man das bei Verdacht nachforschen lassen. Aber ohne Verdacht wird es m.E. nach nicht auffallen.

Im Wahllokal sind immer mind. 3 Wahlhelfer( Vorsteher, Schriftführer, Beisitzer) anwesend, deshalb sind Mauscheleinen oder grob vorschriftswidriges Verhalten nicht sehr wahrscheinlich.

Deinen Fall 1) halte ich nicht für glaubhaft.

MfG
duck313

Sehr gut erklärt!

Volker

1 Like

Hallo,
ich bin seit nunmehr 28 Jahren bei jeder Wahl Helfer, mittlerweile „Wahlvorsteher“.

Auch ich darf dir sagen:

  1. Ausweise werden bei begründetem Verdacht kontrolliert. (Die „2001 geborene Susi“ hat Glatze, graue Haare und eine tiefe Stimme?).
  2. Die Wahlbenachrichtigung reicht ansonsten stets aus. Falls die nicht vorhanden ist, wird ein amtlicher Lichtbildausweis verlangt. Immer.
  3. Einen offenkundigen Wahlbetrug wird niemand tolerieren. NIEMALS.
  4. Wer einen Wahlschein bekam (entweder, um in irgendeinem beliebigen Stimmlokal desselben Wahlkreises eine Stimme abzugeben oder um die Briefwahl durchzuführen) bekommt den Sperrvermerk „W“ im Wählerverzeichnis und darf ohne Abgabe des Wahlscheins nicht wählen.

Ich habe etwas Sorgen wegen der EU-Wahl. Es ist zu befürchten, dass die Wahlbeteiligung weiter sinkt, dann wird es langweilig.
Gleichzeitig hat es bei der letzten Wahl gehäuft Probleme mit „Reichsbürgern“ gegeben, auf so einen Scheiß habe ich keinen Bock.
Wir haben ein „Skript“:

„Möchten Sie hier wählen?“
Ja: Wahlberechtigung prüfen, wählen lassen.
Nein: Dann neue Frage: „Möchten Sie von Ihrem Recht gebrauch machen, als stiller Zuschauer die Wahlhandlung zu beobachten?“

Ja: Bei der der ersten Störung des Wahllokals verweisen, zur Durchsetzung bei Nichtbefolgen sofort die Polizei rufen.
Nein: „Sie müssen dann das Wahllokal verlassen.“ (und ggf. Verweis und Polizeiruf im Anschluss)

Danke an dich uns X_Strom, wieder was gerlernt :smile:

VG
J ~

Ich war mehr als 20 Jahre Wahlleiter in einem Wahllokal, bis ich erklärte, keine Lust mehr zu haben. Einen Grund, die Personalien der Mithelfer zu prüfen, gab es nie, Hätte es einen Grund gegeben, hätte ich es getan,

Wähler müssen sich ausweisen, dazu gibt es keine Ausnahme. Ausgenommen, man kennt ihn persönlich, was bei mir oft der Falll war, weil ich im eigenen Wahllokal eingesetzt wurde

Als man mich einmal in einem mir fremden Wahllokal einsetzen wollte, habe ich protestiert und erklärt, dass ich die Arbeiti in meinem Wahllokal gerne mache, weil ich auf diese Weise Leute aus der Nachbarschaft wiedertreffe, die ich lange nicht gesehen habe. Außerdem solche die ich bisher nur dem Namen nach kannte. Und von anderen habe ich z. B. erfahren, dass sie Adesltitel tragen, die sie aber im Alltag nicht benutzen

Grüße Carsten

Vielen Dank für die umfangreichen, tollen Antworten, besonders an @duck313 und @X_Strom. Ihr werdet verstehen, dass ich in diesem Fall keine „beste Antwort“ vergeben kann - denn die fand ich beide gleich „best“ :slight_smile:

Hallo,

warum sollte es zu spät sein? Gibt es bei euch kein Telefon? :wink:

MfG
Pontius