Waldorf-Salat

Hallo,
was mich wirklich interessiert ist die Klassenstärke in Waldorf-Schulen. Bei geringer Klassenstärke kann man m.E. jedes Konzept zu Grunde legen und es lässt sich gar nicht verhindern, dass junge Menschen etwas lernen (wenn sie wollen).
Überspitzt, aber diskussionswürdig.
Aragorn.

Hallo aragorn.
Als ich 1994 meinen Sohn zur ersten Klasse Waldorfschule anmelden wollte, lag die Klassenstärke in Kassel bei 40. Daraufhin haben wir davon Abstand genommen. Diese Größe war für mich indiskutabel.
Grüße
R

Hallo Aragorn,

wir waren ebenfalls 40 Kinder in der Klasse. Ab 9./10. Kl. ca 35. (Jede Klasse an unserer Schule hatte diese „Stärke“). In der Abi-Klasse (13.) waren wir dann für ein Jahr ca. 16 Schüler.

Gruß
Bettina

Hi,

was mich wirklich interessiert ist die Klassenstärke in
Waldorf-Schulen.

In Frankfurt ist die Sollstärke bei 34-35 Kindern. Dazu gibt es zwei Züge, d.h. je ein Jahrgang hat etwa 70 Schüler.

Es gibt aber auch Ausnahmen: Schüler, die aus verschiedenen Gründen abgehen, mindern die Schülerzahl, was an sich nicht schlimm wäre. Es gibt aber auch Zuzüge von Kindern aus anderen Waldorfschulen, die erhöhen diese. 40 Schüler gibt es aber momentan, soweit mir bekannt, in keiner Klasse.

Daß die Schüleranzahl in den oberen Klassen abnimmt, ist ein bekanntes Phänomen. Das hängt zum einen damit zusammen, daß Schüler das Klassensoll nicht schaffen, zum anderen aber auch, daß viele Eltern die Waldorfschule als Schule für die unteren Klassen betrachten. Ab der 5. Klasse schicken sie dann ihre Kinder in staatliche Schulen (Gymnasium oder Gesamtschule).

Bei geringer Klassenstärke kann man m.E.
jedes Konzept zu Grunde legen und es lässt sich gar nicht
verhindern, dass junge Menschen etwas lernen (wenn sie
wollen).

So ist es :smile:

Ich bewundere die Klassenlehrer meiner Kinder. Aus einem undisziplinierten Haufen machen sie innerhalb kürzester Zeit einen Klassenverband, der sie respektiert und auf sie hört. Das ist in meinen Augen eine immense Leistung, vor allem wenn man bedenkt, daß das ohne Geschrei und Drill passiert, sondern mit den typischen leisen Tönen („Gute Nacht, liebe Kinder“ :smile:

Überspitzt, aber diskussionswürdig.

Ersteres finde ich gar nicht, letzterem könnte ich beipflichten, wenn ich eine andere Meinung hätte - für mich gibt es aber nichts zu diskutieren.

Gruß

J.

Hallo Aragorn!

Der Faktor „Klassenstärke“ wird, was seinen Einfluß auf die Lernleistung angeht, stark überschätzt.

So fanden Smith und Glass in einer Meta-Analyse, d.h. einer Studie, in der die Ergebnisse vieler Studien zu einem Thema zusammenfassend analysiert werden, daß zwar die emotionale Befindlichkeit bei sehr kleinen Klassen (unter 10 Schüler) besser und bei sehr großen Klassen (mehr als 37 Schülern) schlechter ist als bei allen Klassengrößen dazwischen, es aber keinen Einfluß auf die Lernleistung gibt. Es existiert allerdings ein Einfluß auf die Schulnoten, der jedoch durch die unterschiedliche BEWERTUNG der Schulleistung durch die Lehrpersonen zustande kommt.

Dieses Ergebnis wird durch die Meta-Analyse von Fraser und Kollegen gestützt, die bei Betrachtung von 372 Studien im Durchschnitt keinen Zusammenhang zwischen Schulleistung und Klassenorganisation (wozu die Klassengröße zählt) fanden.

Freundliche Grüße,

Oliver Walter

Hallo,
ich bin mir jetzt leider nicht ganz im Klaren darüber, in welcher Reihenfolge ich mich äußern soll, aber ich versuche es einfach mal.

  1. Emotionale Befindlichkeit: So wiet mir bekannt ist, haben Lernpsychologen (z.B. Vester) herausgefunden, dass eben diese Befindlichkeit z.B. einen Einfluss auf die Lernmotivation hat. Und dass eine gute Motivation einen höheren Lernzuwachs ermöglicht, scheint unbestritten.
  2. Fördermöglichkeiten bei kleinen Klassen: Rein rechnerisch ermöglicht mir eine kleine Lerngruppe doch eine größere Möglichkeit individueller Hilfestellungen als eine große Lerngruppe. 45 min - 45 Schüler = 1 min / Schüler, 45 min - 10 Schüler = 4,5 min / Schüler. Und der Lernerfolg soll gleich bleiben? Glaube ich nicht.
  3. Störanfälligkeit und Zeitverlust: Größere Klassen haben ganz offensichtlich mehr Störungspotenzial in sich. (Muss ich wohl nicht weiter ausführen?!)
  4. Leistungstest und die Schlussfolgerungen:
    a) Bildungsexperten folgern aus der PISA-Studie (auch), dass das skandinavische Gesamtschulprinzip die Rettung bedeute. Leider wird aber selten erwähnt, dass dort eine viel bessere pro-Kopf-Betreuung besteht (kleine Klassen, zusätzliche Hilfskraft im Unterricht, Schulpsychologe etc.).
    b) Mir ist immer noch nicht völlig klar, unter welchen Voraussetzungen die Studie in Deutschland durchgeführt wurde. Den Schülern schien (auch) die Motivation gefehlt zu haben. Ich habe Aufgaben aus der PISA Studie in der Realschule als benoteten (habe ich vorher gesagt, aber nicht gemacht) Test durchgeführt und die Ergebnisse waren ganz hervorragend…
  5. PISA und IGLU
    Es scheint hier, als wolle man Äpfel mit Birnen vergleichen. Die Beispielaufgaben aus der IGLU-Studie lassen für mich nur folgenden Schluss zu: Deutsche Grundschüler sind schlecht, aber nicht so schlecht wie viele andere (sehr überspitzt formuliert).

So, reicht.
Gruß,
Aragorn.

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Hallo!

Zu Deinen Punkten möchte ich im einzelnen antworten:

  1. Emotionale Befindlichkeit: So wiet mir bekannt ist, haben
    Lernpsychologen (z.B. Vester) herausgefunden, dass eben diese
    Befindlichkeit z.B. einen Einfluss auf die Lernmotivation hat.
    Und dass eine gute Motivation einen höheren Lernzuwachs
    ermöglicht, scheint unbestritten.

Es gibt seit langem die Annahme, daß Emotion und Motivation mit Schul- / Lernleistung zusammenhängen. Allerdings sind die Befunde zu diesem angenommenen Zusammenhang nicht so eindeutig und hypothesenkonform, wie es aufgrund der Plausibilität der Annahmen zu erwarten wäre.
Außerdem solltest Du folgendes bedenken: Erst bei Klassengrößen 37 gab es einen Effekt auf die emotionale Befindlichkeit. Da diese Klassengrößen Extrema sind, widerspricht das Ergebnis der Meta-Analysen nicht dem Befund, daß sich diese extremen Klassengrößen auf die emotionale Befindlichkeit und vermittelt darüber auf die Schulleistung auswirken.

  1. Fördermöglichkeiten bei kleinen Klassen: Rein rechnerisch
    ermöglicht mir eine kleine Lerngruppe doch eine größere
    Möglichkeit individueller Hilfestellungen als eine große
    Lerngruppe. 45 min - 45 Schüler = 1 min / Schüler, 45 min - 10
    Schüler = 4,5 min / Schüler. Und der Lernerfolg soll gleich
    bleiben? Glaube ich nicht.

Hier stehen sich 2 Dinge entgegen: Zum einen beruht Deine Annahme auf der einfachen und durchaus plausiblen „Theorie“, daß die durchschnittliche Zeit, die die Lehrperson mit einem Schüler verbringt, eine wichtige oder die wichtigste Determinante des Lernerfolgs ist. Obwohl Deine „Theorie“ plausibel ist, ist sie zu einfach: Schon bei Carroll (1963) finden sich Überlegungen über Determinanten des Lernerfolges in Abhängigkeit von der Zeit. Diese Theorie ist aber wesentlich komplexer und enthält mehrere Faktoren, die auf die von Carroll betrachteten Zeitdeterminanten des Lernerfolgs wirken.
Zum anderen ist die EMPIRIE dasjenige, woran sich jede Theorie messen lassen muß. Da es empirische Befunde sind, die ich zitierte, sind theoretische Einwände kein Argument. Wenn die Empirie etwas anderes sagt als die Theorie, muß mit der Theorie etwas nicht stimmen.

  1. Störanfälligkeit und Zeitverlust: Größere Klassen haben
    ganz offensichtlich mehr Störungspotenzial in sich. (Muss ich
    wohl nicht weiter ausführen?!)

Stimmt auch. Allerdings besagen empirischen Untersuchungen, daß affektiv-emotionale Bedingungen nur 25% der Varianz der Schulleistungen aufklären.

  1. Leistungstest und die Schlussfolgerungen:
    a) Bildungsexperten folgern aus der PISA-Studie (auch), dass
    das skandinavische Gesamtschulprinzip die Rettung bedeute.
    Leider wird aber selten erwähnt, dass dort eine viel bessere
    pro-Kopf-Betreuung besteht (kleine Klassen, zusätzliche
    Hilfskraft im Unterricht, Schulpsychologe etc.).

„Bessere Pro-Kopf-Betreuung“ ist nicht dasselbe wie „kleine Klassen“. „Kleine Klassengrößen“ ist identisch mit einem kleinen Schüler pro Lehrer-Verhältnis. Ein kleines Schüler pro Lehrer-Verhältnis ist aber keine hinreichende Bedingung für „bessere Pro-Kopf-Betreuung“, wahrscheinlich noch nicht einmal eine notwendige.

Empirische Studie dazu: Shepson und Kollegen untersuchten in einer quasiexperimentellen Studie (sehr selten, daß ein solches Untersuchungsdesign mit einer so großen potentiellen Aussagekraft im Bildungswesen durchgeführt werden kann) den Effekt von Klassengröße, Lehrerverhalten und Lernerfolg in 62 Klassen der 4. Jahrgangsstufe. Die Klassengrößen betrugen ca. 16, 23, 30 und 37 Schüler. Die Lehrer wurden zufällig auf die Klassen verteilt, konnten allerdings die Lehrmethode selbst wählen. Untersucht wurden die Lehrer-Schüler-Interaktion, die Schülerpartizipation, die Instruktionsqualität, die Lehrstofforientierung, die Einstellung der Schüler zum Lehrstoff und zum Unterricht, der Lernerfolg (gemessen durch Leistungstests) und die Schülerzufriedenheit.

Ergebnisse: Die Lehrer gaben vor und nach der Durchführung der Untersuchung an, daß sie Bedenken haben in großen Klassen zu unterrichten. ABER: Weder in Unterrichtsbeobachtungen noch in Tests zeigten sich Hinweise darauf, daß die Lehrer sich in den Klassen unterschiedlicher Größe anders verhalten - außer bei der Frage der geäußerten Zufriedenheit. Wohlgemerkt: Nur in der Äußerung von Zufriedenheit gab es Unterschiede, nicht im Lehrverhalten. Anscheinend hatte das Zufriedenserleben keine Auswirkung auf das Lehrverhalten.

b) Mir ist immer noch nicht völlig klar, unter welchen
Voraussetzungen die Studie in Deutschland durchgeführt wurde.
Den Schülern schien (auch) die Motivation gefehlt zu haben.

Unter der Leitung des Nationalen Projekt Managers von PISA 2000 in Deutschland, Prof. Baumert vom Max-Planck-Institut für Bildungsforschung in Berlin, fand eine Untersuchung zum Einfluß von Motivation auf die Leistung bei PISA-Aufgaben statt. Unter allen variierten Bedingungen (u.a. Bedingungen wie bei Klassenarbeit, PISA-Bedingungen) fanden sich in etwa die gleichen Leistungsergebnisse.

Ich habe Aufgaben aus der PISA Studie in der Realschule als
benoteten (habe ich vorher gesagt, aber nicht gemacht) Test
durchgeführt und die Ergebnisse waren ganz hervorragend…

Dies ist aus testtheoretischen Gründen nicht mit der PISA-Studie vergleichbar.

  1. Die Ergebnisse von PISA beruhen auf einer umfassenden, repräsentativen Stichprobe mehrerer Tausend Schülerinnen und Schüler. Daß es in einer Realschule irgendwo in Deutschland Schüler gibt, die gute Leistungen in PISA-Aufgaben zeigen, ist wahrscheinlich.
  2. PISA verwendet ein spezielles Untersuchungsdesign, bei dem speziell ausgewählte und testtheoretisch optimierte Aufgaben an unterschiedliche Gruppen von Schülerinnen und Schülern gegeben werden. Wenn Du die veröffentlichten PISA-Aufgaben (eine selektive Stichprobe von PISA-Items) Deinen Schülerinnen und Schülern vorgelegt hast, so ist dies nicht mit einer Untersuchung in PISA vergleichbar. Daß die Ergebnisse dann anders ausfallen, ist zu erwarten.
  1. PISA und IGLU
    Es scheint hier, als wolle man Äpfel mit Birnen vergleichen.
    Die Beispielaufgaben aus der IGLU-Studie lassen für mich nur
    folgenden Schluss zu: Deutsche Grundschüler sind schlecht,
    aber nicht so schlecht wie viele andere (sehr überspitzt
    formuliert).

Eine Projektmitarbeiterin von IGLU bei uns am Institut äußerte ähnliches.

Mit freundlichen Grüßen

Oliver Walter, Dipl.-Psych.
Projektmitarbeiter OECD/PISA 2003 - Naturwissenschaften
Leibniz-Institut für die Pädagogik der Naturwissenschaften
Abteilung für Pädagogisch-Psychologische Methodenlehre

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