War Existenzialismus Anfang der 1960er 'schick'?

Hallo und Guten Tag,

stimmt es, dass die Philosophie des Existenzialismus (verkörpert v.a. durch die französischen Philosophen Jean-Paul Sartre und Albert Camus) Anfang der 1960er Jahre unter jungen Leuten als „schick“ galt, und man sich durch das Kleiden mit schwarzen Rollkragenpullis und das Rauchen filterloser Zigaretten als „Existenzialist“ zu erkennen gab?

Vielen Dank im Voraus für Antworten,

Jasper.

Hallo Jasper,

jepp, dem war so. Allerdings schon seit Mitte/ende der 50er.
Das hab ich zwar selber nicht miterlebt, aber ältere Verwandte und Freunde/Bekannte haben davon erzählt.

Gandalf

Hallo, Jasper,
ich habe Freunde und eine Schwester, die zwischen '35 und '40 geboren sind, und der Strömung zuneigten. Wie Gandalf schreibt, war das in den 50ern. Spätestens '54 ging meine Schwester in schwarzen Hosen mit dezentem Karo und Aufschlägen und Vater verdrosch sie, weil er keine Existenzialisten im Haus haben wollte. Vater war Richter. Da siehst Du, daß es nicht alle schick fanden. Ich denke, es war ein Ausdruck der Auflehnung gegen das Establishment. In den Augen arbeitender Bürger waren das Schwätzer und Faulenzer, da sie offensichtlich nicht zur Wertschöpfung beitrugen, die breite Masse interessierte sich wohl nicht dafür. Man hatte damals andere Sorgen in Deutschland.
Inwieweit dahinter die namensgebende Philosophie stand, habe ich nie ganz klären können, weil die Leute 15 oder 30 Jahre später ihre Jugend natürlich mit feuchten Augen betrachten. Man muß dabei immer an die Zeiten denken - der Krieg war vorbei und alte Strukturen waren aufgebrochen. M.E. ist daraus aber die Studenten-Bewegung der 60er hervorgegangen, es gibt da Berührungspunkte in den 60ern. Sicher gibt es kluge Bücher darüber, aber mir ist noch kein konkretes in die Hände gefallen, es sei denn, man zählt die Amis dazu, wie Kerouac und Borroughs. Aber während die eher übersättigt/gelangweilt waren, herrschte in Deutschland und Frankreich Aufbruchstimmung. Anfang der 60er habe ich sowas kaum noch bemerkt. Die Kriegsgefahr war so groß, das Wettrüsten fing an und mit der Aufbruchstimmung war Ende.
Also hättest Du die Frage vielleicht besser so stellen sollen: Für wen galten Existentialisten in den 50ern als schick. Vielleicht meldet sich noch ein echter Teilnehmer. Bin auch gespannt.
LG - Mona

Hallo Jasper,

stimmt es, dass die Philosophie des Existenzialismus
(verkörpert v.a. durch die französischen Philosophen Jean-Paul
Sartre und Albert Camus) Anfang der 1960er Jahre unter jungen
Leuten als „schick“ galt, und man sich durch das Kleiden mit
schwarzen Rollkragenpullis und das Rauchen filterloser
Zigaretten als „Existenzialist“ zu erkennen gab?

Ja, so ist es. Aber, wie schon gesagt wurde, wohl eher in den 50-er Jahren und Schwerpunkt natürlich in Frankreich, aber natürlich nicht nur dort. Daß es mächtig „in“ war, sieht man auch daran, daß es in etlichen amerikanischen Serien (Krimis) und Filmen karikiert wurde, so vor kurzem im Fernsehen der Film „Ein süßer Fratz“
http://de.wikipedia.org/wiki/Ein_s%C3%BC%C3%9Fer_Fratz
wo der Existentialismus zwar anders benannt wurde, aber unverkennbar gemeint war.
Ansonsten gibt es hier einen interessanten Aufsatz darüber, der sich allerdings nur mit der französischen Jugend beschäftigt:
http://epub.ub.uni-muenchen.de/664/1/Steiner_Benjami…

Viele Grüße
Marvin

Ja, das war er. Schwarze Haare, schwarze Kleidung, elegant und nicht übertrieben wie heute die ‚Goth‘.
Treffen in bestimmten, meist Kellerlokalen, Musik Juliette Greco, Fahrzeug Vespa, wer es sich leisten konnte.
Von den Eltern nicht unbedingt angegriffen,meist toleriert.

Karen

Hallo Karen,

heisst das, dass sich damals manche extra sogar die Haare schwarz gefärbt hatten?

Gruß Jasper.

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Hallo, Jasper,
Anfang der 60er war es mit dem Existenzialismus als „Mode“ schon wieder vorbei.

Camus und Sartre hatten ihre Gedanken dazu in den frühen 40ern niedergeschrieben. Nach Ende des Krieges gaben diese Thesen das Lebensgefühl vieler junger Menschen wieder - kein Wunder bei dem Zustand, in dem die Welt sich in dieser Zeit befand.
Dem „gemeinen Volk“ wurden diese Gedanken auch nicht zuletzt durch den „Film noir“ nahegebracht, der in den späten 40er und frühen 50er Jahren besonders en vogue war.
Gruß
Eckard

Hallo Eckhard,

aber als Sartre 1964 den Literaturnobelpreis zugesprochen bekam (den er ja bekanntlich ablehnte), und 1967 Camus’ Buch „Der Fremde“ verfilmt wurde, gab das denn nicht dem Existenzialismus einen neuen „Schub“? Oder war das jeweils nur noch ein „Nachhall“ einer eigentlich schon vergangenen Epoche?

Stichwort „Film Noir“: Spielte auch der Übergang von Schwarzweiss zu Farbfilmen sowie das Aufkommen des Fernsehens eine Rolle? Vermutlich schon, oder?

Gruß Jasper

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Moin, Jasper,

Sartre 1964 den Literaturnobelpreis
1967 Camus’ Buch „Der Fremde“ verfilmt

Naja, ein Nobelpreis ist ja fast schon so etwas wie ein „post mortem“ :smile:
Und auch eine Verfilmung findet ja i.d.R. weit nach der Veröffentlichung statt.
Insofern: Ja, das war eher ein Nachhall als ein Neuanstoß. Zudem gab es ja in dieser Zeit bereits neuere und drängendere Themen. Unbestritten aber, dass auch die 68er nicht unwesentliche Anregungen aus dem Existenzialismus bezogen.

Stichwort „Film Noir“: Spielte auch der Übergang von
Schwarzweiss zu Farbfilmen sowie das Aufkommen des Fernsehens
eine Rolle? Vermutlich schon, oder?

Eher weniger. Es ist die Thematik dieser Filme, der „düstere Blick auf die Geschichte“, der eher pessimistische Ausblick auf die Zukunft, der diesem Genre seinen Namen gab. Ich verweise der Einfachheit halber mal auf den Wikipedia-Artikel zu diesem Thema.

Gruß
Eckard

Homo faber
HAllo, bei der Beschreibung musste ich gleich an Sabeth im Homo Faber von Max Frisch denken (laut Wiki von 1957).
Schick ist da wohl auch übertrieben, aber eben „anders“. Wie das bei Teenies eben so ist. Und gerade wenn man so tun kann als würde man eigene möglichst tiefgründige Gedanken wälzen fühlt man sich zumindest selbst cool oder damals wohl eher knorke.
Ist heute bei manchen schwarzen Subkulturen nicht anders.
Gruß Susanne