Hallo Stefan,
es gibt in der Bibel in der Tat immer wieder Schilderungen, die – isoliert betrachtet – widersprüchlich klingen oder so gar nicht zu dem zu passen scheinen, was man über Gott und die Bibel so allgemein weiß.
Es ist zunächst einmal nichts Verwunderliches und Außergewöhnliches bei einem Schriftstück (egal welcher Art), dass eine einzelne Passage oder Textstelle erst klar verständlich wird, wenn man sie im Kontext (Zusammenhang) des Gesamtwerkes betrachtet. Beruflich habe ich zum Beispiel immer wieder mit der Erstellung aufwändiger Angebote zu tun und auch hier ist es gang und gäbe, dass Aussagen und Beschreibungen nur verständlich und eindeutig sind, wenn man das in Betracht zieht, was vorher und hinter gesagt wird.
Nur bei Gottes Wort der Bibel tappen wir allzu oft in die Falle, eine Textstelle oder auch eine größere Passage oder Schilderung herauszunehmen und uns dann verwundert zu fragen, warum dies so widersprüchlich oder unwahrscheinlich klingt. Naja … die Antwort liegt auf der Hand: weil die Wenigsten – was man bei einem Angebot natürlich immer tun wird – alles von Anfang bis Ende lesen und versuchen, es miteinander in Beziehung zu bringen.
Und so muss auch mit der von Dir geschilderten Frage umgegangen werden:
War der Verrat von Judas Iskạriot etwa von Jesus gewollt?
Dein Unverständnis über diese Auffassung und Dein Argument, dass Jesus doch Gott darum bat, dass dieser Kelch an ihm vorübergehen möge, kann ich gut verstehen.
Aber … wie kommt man überhaupt zu der Auffassung, der Verrat von Judas sei vorherbestimmt oder gewollt? Nun da gibt es gleich mehrere Gründe:
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Der Verrat sowie einige Einzelheiten des Verrats waren bereits viele Jahrhunderte im Voraus vorhergesagt worden:
(Psalm 41 Vers 9) Auch der Mann, der in Frieden mit mir [war], auf den ich vertraute, Der mein Brot aß, hat [seine] Ferse groß gemacht gegen mich.
(Psalm 55 Vers 12+13) Denn es war nicht ein Feind, der daranging, mich zu schmähen; Sonst hätte ich es ertragen können. Es war nicht ein mich aufs tiefste Hassender, der großtat gegen mich; Sonst könnte ich mich vor ihm verbergen. Sondern du warst es, ein sterblicher Mensch, der meinesgleichen war, Ein mir Vertrauter und mein Bekannter.
(Psalm 109 Vers 8) Seine Tage mögen sich als wenige erweisen; Sein Aufsichtsamt übernehme ein anderer.
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In Johannes 13 Vers 11 wird gesagt, dass Jesus denjenigen kannte, der ihn verriet:
„Jesus sprach zu ihm: „Wer gebadet ist, braucht weiter nichts mehr, als sich die Füße zu waschen, sondern ist ganz rein. Und ihr seid rein, aber nicht alle.“ Er kannte ja den Menschen, der ihn verriet. Darum sagte er: „Nicht alle von euch sind rein.““
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In Johannes 6 Vers 64 wird sogar zum Ausdruck gebracht, dass Jesus von Anfang an wusste, wer ihn verraten würde. Dort heißt es: „Aber es gibt einige unter euch, die nicht glauben.“ Jesus wusste nämlich von Anfang an, wer die waren, die nicht glaubten, und wer der war, der ihn verraten würde.“
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In Johannes 6 Vers 70+71 heißt es weiter: „Jesus antwortete ihnen: „Habe ich nicht euch Zwölf auserwählt? Einer von euch jedoch ist ein Verleumder.“ Er redete aber von Judas, [dem Sohn] des Sịmon Iskạriot; denn dieser stand im Begriff, ihn zu verraten, obwohl er einer von den Zwölfen war.“
Wenn man sich das so anschaut, lässt sich leicht nachvollziehen, wieso Deine Bekannte zu der Auffassung gekommen ist, dass der Verrat von Jesus gewollt und geplant war. Ja … man könnte sogar noch weiter gehen und daraus schließen, dass sogar Jesu Vater – dessen Name Jehova oder Jahwe ist – den Verrat des Judas von langer Hand geplant und daher in Jahrhunderte zurückliegenden Prophezeiungen bereits hat festhalten lassen.
Ist diese Auffassung aber richtig? Stimmt sie mit dem überein, was die Bibel als Ganzes zu dem Schöpfer, Jesu himmlischem Vater Jehova, zu Jesus und zu den Begleitumständen sagt?
Gemäß den Prophezeiungen sollte Jesus von einem seiner Vertrauten verraten werden, es wurde aber nicht ausdrücklich gesagt, welcher von ihnen der Verräter sein würde. Biblische Grundsätze schließen es aus, dass Gott Judas’ Handlungen vorherbestimmt hatte. Der göttliche Maßstab, den der Apostel Paulus anführte, lautet: „Lege niemals deine Hände jemandem voreilig auf; auch habe nicht teil an den Sünden anderer; bewahre dich selbst keusch“ (Titus 5 Vers 22)
Jesu Sorge, bei der Auswahl seiner 12 Apostel weise und richtig vorzugehen, zeigt sich unter anderem darin, dass er die ganze Nacht zu seinem Vater betete, bevor er seine Entscheidung bekanntgab (Lukas 6 Verse 12-16). Wäre Judas von Gott bereits als Verräter vorherbestimmt worden, würde dies auf Widersprüche in Gottes Führung und Leitung hinweisen, und er würde gemäß der Regel an den Sünden, die jemand begeht, teilhaben. Als Judas zum Apostel gewählt wurde, wies sein Herz anscheinend noch keine eindeutigen Anzeichen für die Einstellung eines Verräters auf.
Aber er ließ zu, dass sich sein Herz zum Bösen hin veränderte und dass er sich nicht mehr von Gott leiten ließ, sondern vom Teufel, und so zum Dieb und Verräter wurde (siehe auch Johannes 13 Vers 2). Als diese Entwicklung einen bestimmten Punkt erreicht hatte, konnte Jesus selbst sehen, was in Judas’ Herz vorging, und vorhersagen, wer ihn verraten werde (Johannes 13 Verse 10+11).
Was ist zu Johannes 6 Vers 64 zu sagen, wo davon berichtet wird, dass einige Jünger an gewissen Lehren Jesu Anstoß nahmen, und es heißt: „Jesus wusste . . . von Anfang (griechisch: archḗ) an [oder: von Beginn an], wer die waren, die nicht glaubten, und wer der war, der ihn verraten würde.“
In 2. Petrus 3 Vers 4 wird das Wort „Anfang“ (griechisch: archḗ) zwar auf den Beginn der Schöpfung angewandt, es kann sich aber ebenso gut auf andere Zeiten beziehen. Als z.B. der Apostel Petrus erzählte, dass der Heilige Geist auf Nichtjuden gefallen sei, „wie er zu Anfang (griechisch: archḗ) auch auf uns gefallen war“, bezog er sich nicht auf den Anfang seiner Jüngerschaft oder seines Apostelamtes, sondern auf den „Anfang“ der Ausgießung des Heiligen Geistes, auf den Pfingsttag des Jahres 33 u. Z. (Apostelgeschichte 11 Vers 15; 2 Verse 1-4)
Das Theologisch-homiletische Bibelwerk von J. P. Lange enthält zu Johannes 6 Vers 64 folgenden interessanten Kommentar: „[‚Von Anfang an‘] heißt nicht: metaphysisch vom Uranfang an . . ., noch vom Anfang der jedesmaligen Bekanntschaft an . . ., noch vom Anfang, da er [Jesus] Schüler um sich sammelte, oder vom Beginn seiner messianischen Wirksamkeit an . . ., sondern von dem ersten geheimen Keimen des Unglaubens [das einige Jünger zum Straucheln veranlasste] an. So kannte er auch seinen Verräther vom Anfang an“ (Das Evangelium nach Johannes, 1868, S. 155).
Zu der Zeit, als Judas als Apostel eingesetzt wurde, war er Gott und Jesus treu. Mit dem Ausdruck „von Anfang an“ muss also der Zeitpunkt gemeint sein, zu dem Jesus bemerkte, dass Judas anfing, böse zu werden und unvollkommenen, sündigen Neigungen nachzugeben.
Christus wusste aus den Prophezeiungen der Hebräischen Schriften, dass er von einem engen Gefährten verraten werden würde. Gott hatte von seinem Vorherwissen Gebrauch gemacht und daher auch vorausgesehen, dass ein enger Gefährte Jesu ein Verräter werden würde. Das bedeutet aber nicht, dass Judas dazu vorherbestimmt worden wäre, ein Versager zu sein, denn das ließe sich nicht mit den Eigenschaften Gottes und seiner Handlungsweise in der Vergangenheit vereinbaren.Gottes Wort die Bibel macht deutlich, dass der Schöpfer, Jehova, von seiner Fähigkeit des Vorherwissens in ganz bestimmten Fällen Gebrauch macht, insbesondere dann, wenn es um seine Vorsätze und seinen erklärten Willen geht. Von dieser göttlichen Fähigkeit des Vorherwissens Gebrauch zu machen, bedeutet aber nicht unbedingt, Ereignisse vorherzubestimmen oder zu manipulieren.
Ein einfacher Vergleich macht das deutlich: wenn man plant, Raketen zur ISS ins All zu schicken, wissen die Raketenwissenschaftler sekundengenau im Voraus, wann sich die Kosmonauten wo befinden werden … und das teilweise Tage zuvor. Ein geübter Meteorologe kann das Wetter mit einiger Wahrscheinlichkeit 1 oder 2 Tage vorhersagen. In beiden Fällen gibt es Indizien bzw. Gesetzmäßigkeiten, die es einem unvollkommenen Menschen möglich machen, Ereignisse vorauszusagen. Und in der Geschichte gibt es sogar einige Beispiele dafür, dass „schlaue Köpfe“ gewisse Ereignisse bereits Monate oder Jahre im Voraus vorhersagten, einfach weil bestimmte Entwicklungen auf diese Ereignisse schließen ließen.
Warum sollte es dem Schöpfer des Menschen nicht möglich sein, der im Gegensatz zum Menschen über ganz andere Fähigkeiten verfügt, Ereignisse vorherzusehen und auf diese bereits Jahrhunderte im Voraus hinzuweisen ohne diese dabei aber zu manipulieren?
Beachtet man Psalm 41 Vers 9, fällt auf, dass die Prophezeiung nicht besagt, welcher enge Mitverbundene Jesu es sein würde, der ihn verraten würde. Jehova wusste, dass der Teufel in alter Zeit Davids Ratgeber Ahithophel benutzt hatte, David zu verraten, und Jehova ließ den Bericht aufzeichnen, weil er zeigt, wie der Teufel vorging und was er in der Zukunft tun würde. Wie Johannes 13 Vers 2 zeigt, war es der Widersacher Gottes, Satan der Teufel, und nicht Gott, der Judas zu seinem verräterischen Lauf anstachelte. Dort heißt es: „Im Verlauf des Abendmahls nun, als der Teufel es Judas Iskạriot, dem Sohn Simons, bereits ins Herz gegeben hatte, ihn zu verraten,…“.
Judas wird in den Evangelien zum ersten Mal einige Zeit nach dem Passah des Jahres 31 u. Z., etwa anderthalb Jahre nachdem Jesus seinen Dienst begonnen hatte, in der Aufführung der Namen der Apostel erwähnt (siehe Markus 3 Vers 19; Lukas 6 Vers 16). Es kann logischerweise angenommen werden, dass Judas schon ein Jünger war, bevor Jesus ihn zu einem Apostel machte. Viele Schreiber zeichnen ein völlig negatives Bild von Judas, aber offensichtlich war er eine Zeitlang ein Jünger gewesen, der Gunst bei Gott und bei Jesus fand; allein schon seine Erwählung zum Apostel spricht dafür. Des Weiteren wurde ihm die Verwaltung der gemeinsamen Finanzen Jesu und der 12 Apostel anvertraut. Das deutet auf seine einstige Zuverlässigkeit und Eignung hin, denn obwohl Matthäus als ehemaliger Steuereinnehmer Erfahrung im Umgang mit Geld und Zahlen besaß, erhielt Judas diese Zuteilung und nicht Matthäus. (siehe Johannes 12 Vers 6, Matthäus 10 Vers 3).
Die Tatsache, dass Judas von Jesus als einer der 12 Apostel ausgewählt wurde, nachdem er eine ganze Nacht zu seinem himmlischen Vater um Weisheit und seinen Segen gebeten hat, zeigt, dass er zu diesem Zeitpunkt offensichtlich ein treuer Jünger gewesen sein muss.
Fazit:
All diese biblischen Fakten über unseren Schöpfer Jehova, seinen Sohn Jesus und Judas sowie der ganze Zusammenhang in der Bibel und die göttlichen Grundsätze zeigen somit deutlich, dass Jehova von seinem Vorherwissen Gebrauch machte und niederschreiben ließ, dass ein enger Vertrauter Jesu ihn verraten würde. Judas war zunächst ein treuer Jünger und konnte daher zu Recht einer der 12 Apostel Jesus werden. Erst später erkannte Jesus, der von seinem Vater die Gabe erhalten hatte, ins Herz eines Menschen zu schauen, dass Judas seinen Lauf zum Bösen veränderte. Da er aus der biblischen Prophezeiung in den Psalmen wusste, dass ein enger Vertrauter ihn verraten würde, war ihm mit Blick auf den veränderten Herzenszustand Judas‘ klar, dass er es sein würde, der ihn verraten würden.
Wenn Du noch weitere Fragen diesbezüglich hast, melde Dich einfach.
Liebe Grüße
Andreas