Warum alte Stuecke modern?

Hallo Leute

Ich hoffe meine Frage war nicht schon hundert Mal hier Thema. Ich
weiss aber auch nicht, wie ich danach im Archiv suchen sollte.
Also neulich kam „Der Freischuetz“ im Fernsehen, ein Oper fast 200
Jahre alt. Aber die Figuren auf der Buehne trugen lange dunkle
Maentel und Huete, beides erinnerte an Mafiosi aus den 20iger Jahren.
Angewidert schaltete ich sofort aus.
Nun weiss ich, dass auf den Theater- und Operbuehnen so etwas oft
vorkommt, naemlich, dass das Stueck in eine andere Zeit versetzt
wird. Meiner Meinung ist das IMMER eine Verschlechterung. Ich kenne
niemanden, der so etwas gut faende. Ich glaube, wenn die Leute sich
ein altes, oft beruehmtes, Stueck ansehen wollen, dann wollen sie
entfuehrt werden in eine andere Welt und zwar in die, die der Zeit
entspricht, die der Autor im Sinn hatte. Die Leute wollen praechtige
Kostueme und eine schoene, angemessene Kulissen sehen.
Ich habe keine Idee, warum die Herren Theaterregisseure so oft alles
neu machen muessen, und dabei fast immer den Geschmack des Publikums
verfehlen. Sicherlich gibt es irgendwelche Kunsttheorien, die den
Kuenstlern sehr gefallen, aber nur ihnen, und die verantwortlich sind
fuer die Darstellungen, die den Nichteingeweihten so beleidigen in
seinen Vorstellungen davon, wie die Oper zu sein habe.
Koennen es sich die Kuenstler-Regisseure ueberhaupt leisten, ihre
wirren Theorien auszuleben und damit den Geschmack des Volkes zu
missachten, wenn die Spielhaeuser kaum Geld haben?
Sehr gerne moechte ich wissen, warum die Regisseure (vielleicht
beschuldige ich damit versehentlich die falschen) so oft die Stuecke
in Umgebungen legen muessen, die nicht zu ihnen passen?

Danke fuer Antworten, Tychi

Hally Tychi,

Weil Theater lebendig ist. Weil jede neue Auffuehrung
eine Neu-Schoepfung ist und nicht ein Widerkaeuen.
Weil man sonst einmal einen Film machen koennte,
und das waer’s dann. Weil ein Theaterstueck/Oper/etc.
fuer ein bestimmtest Publikum in einer bestimmten
Zeit geschrieben wurde, und weil es gilt dieses Stueck
dem heutigen Publikum nahe zu bringen. Weil Theater
zwar durchaus Erbauung sein kann (die man durch ewig
gleiches Widerkaeuen vielleicht erreichen koennte), sondern
immer neue Auseinandersetzung mit einem Thema und einem
Stoff. Wenn ich z.B. Faust in historischen Kostuemen und
mit historischem (was ist das? woher weiss ich, wie das
zu Goethes Zeiten aussah?) Buehnenbild sehe, schaue ich mir
eine (langweiliges?) Geschichte an, wenn die Auffuehrung es
schafft, mir die Themen so nahe zu bringen, dass ich sie
fuer mein Leben als relevant empfinde - dann ist die Auffuehrung
gelungen.

Gruesse
Elke

Moin,

Ich hoffe meine Frage war nicht schon hundert Mal hier Thema.

Doch, mindestens.

Ich
weiss aber auch nicht, wie ich danach im Archiv suchen sollte.
Also neulich kam „Der Freischuetz“ im Fernsehen, ein Oper fast
200
Jahre alt. Aber die Figuren auf der Buehne trugen lange dunkle
Maentel und Huete, beides erinnerte an Mafiosi aus den 20iger
Jahren.
Angewidert schaltete ich sofort aus.

Du meinst sicherlich die Züricher Aufführung von Mitte der 90er, die auf 3sat (?) lief. Diese Aufführung gilt insbesondere wegen der schauspielerischen Passivität und auch der orchestralen Zurückhaltung als besonders wertvoll (soweit zumindest der überwiegende Teil der Kritik). Gerade beim „Freischütz“ ist eine solche metamorphose besonders eindrucksvoll, da diese „deutsche Nationaloper“ traditionell aufgeführt nur so vor Kitsch strotzt und man davon ausgehen kann, daß die allermeisten Besucher dieser Opernvorstellung bereits mindestens eine solche traditionelle Aufführung dieses Repertoirestückes gesehen haben, das jedes beliebeige Wald- und Wiesenopernhaus spätestens alle fünf Jahre im Programm hat.

Nun weiss ich, dass auf den Theater- und Operbuehnen so etwas
oft
vorkommt, naemlich, dass das Stueck in eine andere Zeit
versetzt
wird. Meiner Meinung ist das IMMER eine Verschlechterung. Ich
kenne
niemanden, der so etwas gut faende.

Ich schon, auch wenn ich die Meinung dieser Leute nicht immer Teile. Das Problem ist meiner Meinung nach, daß sich heute viele Regisseure als eigentliche Primärkünstler ansehen, für die die Musik nur ein Mittel ist, ihre eigene Botschaft (sofern sie so etwas überhaupt haben) rüberzubringen. Dabei sollte es eigentlich anders herum sein, was natürlich nicht heißt, das die Regie nicht auch ein Stück weit interpretieren und die Interpretation umsetzen soll.

Ich glaube, wenn die Leute
sich
ein altes, oft beruehmtes, Stueck ansehen wollen, dann wollen
sie
entfuehrt werden in eine andere Welt und zwar in die, die der
Zeit
entspricht, die der Autor im Sinn hatte.

Die Zeit, die Kind im Sinn hatte, hat es ja nie gegeben! Die Romantik ist ja eine pure Verklärung (im Freischütz insbesondere auch des Volkstümlichen, siehe die vielen „Volkslieder“ bzw. volkstümlich gewordenen Melodien [„Wir winden dir den Jungfernkranz“, „Was gleicht wohl auf Erden“…]. Wenn gerade dieses Streben, das einem heute vielleicht ein wenig lächerlich vorkommen mag („Schwach war ich, wenn auch kein Bösewicht…“) szenisch konterkariert wird, so ist auch das künstlerisch zu rechtfertigen. Ein einfaches Versetzen in eine „andere“ Zeit im Sinne von Manageranzügen und Sonnenbrille (was ja lange Zeit bevorzugt mit den Ring-Opern gemacht wurde) ist dabei wenig hilfreich und liegt in diesem speziellen Fall auch nicht vor, zumal die Handlung des Freischütz auch nicht einer speziellen Zeit zuzuordnen ist.

Die Leute wollen
praechtige
Kostueme und eine schoene, angemessene Kulissen sehen.

Stimmt, die große Ausstattungsoper! Aber all der Pomp und die Pracht, die durchaus auch ihre Daseinsberechtigung haben, können doch nicht der ganze Inhalt des modernen Kunstbetriebes sein. Und um Kunst geht es doch letztlich. Ich selbst habe mich auch schon in der Oper über die Darbietung geärgert. Dabei aber weniger um fehlenden Pomp, beispielsweise letztes jahr bei der „Tosca“ in Frankfurt, sondern über die inkonsequente Umsetzung (zwei Akte recht traditionell, dann totaler Stilbruch).

Ich habe keine Idee, warum die Herren Theaterregisseure so oft
alles
neu machen muessen, und dabei fast immer den Geschmack des
Publikums
verfehlen.

Das glaube ich nicht, daß fast immer der Geschmack „des Publkums“ verfehlt wird. Ich habe auch innovative Vorstellungen mit großem Applaus erlebt (z.B. letztens Ariodante, wieder Franfurt).
Mit nur historisierenden kitschigen Inszenierungen glaube ich, würde man sich auch einen erheblichen Teil des Publikums verspielen, zumal heute ja der größte Teil insbesondere des Opernpublikums ja auch künstlerich interessiert ist und die Oper ihren Rang als Hauptvergnügen der Mittelschicht längst an das Kino abgegeben hat (Ich denke nicht, daß man hier eine Huhn-Ei-Diskussion führen muß.).

Koennen es sich die Kuenstler-Regisseure ueberhaupt leisten,
ihre
wirren Theorien auszuleben und damit den Geschmack des Volkes
zu
missachten, wenn die Spielhaeuser kaum Geld haben?

Bei manchen Aufführungen ist diese Frage mehr als gerechtfertigt, nur denke ich nicht, daß man deswegen direkt eine Radikalopposition gegenüber innovativen Inszenierungen bilden muß, zumal eine traditionelle Aufführung nicht zwangsläufig gut sein muß (Und wie haben germanische Götter eigentlich auszusehen…?).

Gruß
L.

Hallo

Weil Theater lebendig ist. Weil jede neue Auffuehrung
eine Neu-Schoepfung ist und nicht ein Widerkaeuen.
Weil man sonst einmal einen Film machen koennte,
und das waer’s dann.

Filme werden auch oft neu gedreht, gerade historische Filme. Das Neue
ist aber nicht etwa, dass Caesar neuerdings Bandenfuehrer irgendwo in
Frankfurt am Main ist, sondern, dass man sich bemueht, den alten Film
in Ausstattung, Dramaturgie, schauspielerischer Leistung u.s.w. zu
uebertreffen. Einen neuen Rahmen zu erfinden - darauf kommen die
wenigsten. Ausnahmen: Romeo und Julia oder Hamlet in amerikanischen
Grossstaedten mit alten Dialogen (Di Caprio, Ethan Hawk). Finde ich
aber nur laecherlich.
Kurz: Neuauffuehrungen brauchen keinen neuen Rahmen, um Bewegung und
Neuerungen zu ermoeglichen.

Weil ein Theaterstueck/Oper/etc.
fuer ein bestimmtest Publikum in einer bestimmten
Zeit geschrieben wurde, und weil es gilt dieses Stueck
dem heutigen Publikum nahe zu bringen.

Aber dazu ist doch ein neuer Rahmen nicht noetig! Wir sind doch nicht
so doof, dass wir den Inhalt und die Botschaften nicht vom Rahmen
abstrahieren koennten. Wenn du „Faust“ liest, dann brauchst du doch
auch keine Uebersetzung in moderne Sprache. Wenn das Publikum mit dem
alten Rahmen nichts anfangen koennte, dann wuerde es ihn sich doch
nicht wuenschen. Das ist ja gerade der Punkt: Die Versuche, ein
Stueck dem heutigen Publikum nahezubringen, indem man einen modernen
Rahmen schafft, scheitern alle klaeglich und treiben die Leute raus
aus dem Theater. (Uebrigens sind die 20er Jahre, in die der
Freischuetz verfrachtet wurde, auch nicht modern und dem heutigen
Publikum angemessen, nach deinem Verstaendnis.)

Weil Theater
zwar durchaus Erbauung sein kann (die man durch ewig
gleiches Widerkaeuen vielleicht erreichen koennte), sondern
immer neue Auseinandersetzung mit einem Thema und einem
Stoff. Wenn ich z.B. Faust in historischen Kostuemen und
mit historischem (was ist das? woher weiss ich, wie das
zu Goethes Zeiten aussah?)

Das Buehnenbild ist doch meistens zumindest grob beschrieben.

Buehnenbild sehe, schaue ich mir
eine (langweiliges?) Geschichte an, wenn die Auffuehrung es
schafft, mir die Themen so nahe zu bringen, dass ich sie
fuer mein Leben als relevant empfinde - dann ist die
Auffuehrung
gelungen.

Richtig. Aber wie gesagt: Um die Analogien zur heutigen Zeit zu
sehen, ist ein Transfer in die Gegenwart ueberhaupt nicht noetig,
denn auf die Inhalte kommt es an.

Gruss, Tychi

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Hallo Lohengrin

Ich habe dir ein Sternchen gegeben, weil ich den Eindruck gewann,
dass du in diesen Dingen recht bewandert bist und mich gefreut habe,
dass die Antwort auf meine Frage recht trivial zu sein scheint:
o Die Regisseure wollen einfach mal etwas Neues machen. Manchmal
gelingt der Versuch und manchmal nicht.
o Das Publikum ist nicht homogen, sondern es gibt einen Teil, der
Innovation gutheisst und einen, der sie ablehnt.
o Bei manchen Stuecken gibt es abgesehen von der allgemeinen
Innovationslust noch spezielle Begruendungen fuer die Kostueme oder
Kulissen.

Das scheint schon alles zu sein. Oder?

Gruss, Tychi

Glückwunsch! Ich habe nach den richtigen Worten gesucht aber so wunderbar und perfekt zutreffend hätt ich es wohl nicht geschafft zu formulieren!!
Was wäre es langweilig, wenn alles immer gleich inszeniert werden würde. Es gibt eben nur Unterschiede, ob der Regisseur es gut umgesetzt hat oder ob er sich übernommen hat.
Am besten Gefallen mir die Inszenierungen, die relativ zeitlos sind. Wo man im Prinzip keine bestimmt Zeit erkennen kann oder es etwas verschwimmt. Aber das ist natürlich Geschmackssache.
Ich bin allerdings der Meinung, dass man sich als Zuschauer auch auf sowas einlassen muss. Ich kann die Zuschauer, die sich dann persönlich beleidigt fühlen, weil sie zum zehnten Mal ein Stück sehen und es dieses mal nicht so vorwinden wir sie es gewohnt sind, absolut nicht leiden! Ich arbeite im Theater (einmal in der Gatsronomie, da krieg ich mit wenn Leute früher rausgehen und einmal spiele ich auch selber (nciht Statistierie, ich krieg auch wirklich mit, wenn Leute scheiße reagieren)) und sehe oft Leute, die so absolut alt im Kopf sind und sich nicht auf sowas einlassen können und sich auch mal (nicht selten) absolut respektlos gegenüber den Schauspielern und den anderen Zuschauern verhalten (ihr würdets gar nicht alles glauben, wenn ichs aufschreiben würde was die so alles bringen), dass ich kotzen könnte, ganz ehrlich!
Naja, wenn ich noch weiterschreibe reg ich mich nur auf, also solls das erstmal gewesen sein…

[Bei dieser Antwort wurde das Vollzitat nachträglich automatisiert entfernt]

Ich habe keine Idee, warum die Herren Theaterregisseure so oft
alles
neu machen muessen, und dabei fast immer den Geschmack des
Publikums
verfehlen.

Das ist wie bei den Architekten, Tychi. Was ich da alles schon erlebt habe! Die wollen als „KÜnstler“ jeden Anbau auch „neu erfunden“ und total igher „Inspiration“ freien Lauf lassen, selbst wenn es zum alten Gebäude gar nicht passt und nachher Scgheiße aussieht. Was hilfts - den Narzissmus kann man schwer kurieren!
Es grüßt Dich
Branden