Moin,
Ich hoffe meine Frage war nicht schon hundert Mal hier Thema.
Doch, mindestens.
Ich
weiss aber auch nicht, wie ich danach im Archiv suchen sollte.
Also neulich kam „Der Freischuetz“ im Fernsehen, ein Oper fast
200
Jahre alt. Aber die Figuren auf der Buehne trugen lange dunkle
Maentel und Huete, beides erinnerte an Mafiosi aus den 20iger
Jahren.
Angewidert schaltete ich sofort aus.
Du meinst sicherlich die Züricher Aufführung von Mitte der 90er, die auf 3sat (?) lief. Diese Aufführung gilt insbesondere wegen der schauspielerischen Passivität und auch der orchestralen Zurückhaltung als besonders wertvoll (soweit zumindest der überwiegende Teil der Kritik). Gerade beim „Freischütz“ ist eine solche metamorphose besonders eindrucksvoll, da diese „deutsche Nationaloper“ traditionell aufgeführt nur so vor Kitsch strotzt und man davon ausgehen kann, daß die allermeisten Besucher dieser Opernvorstellung bereits mindestens eine solche traditionelle Aufführung dieses Repertoirestückes gesehen haben, das jedes beliebeige Wald- und Wiesenopernhaus spätestens alle fünf Jahre im Programm hat.
Nun weiss ich, dass auf den Theater- und Operbuehnen so etwas
oft
vorkommt, naemlich, dass das Stueck in eine andere Zeit
versetzt
wird. Meiner Meinung ist das IMMER eine Verschlechterung. Ich
kenne
niemanden, der so etwas gut faende.
Ich schon, auch wenn ich die Meinung dieser Leute nicht immer Teile. Das Problem ist meiner Meinung nach, daß sich heute viele Regisseure als eigentliche Primärkünstler ansehen, für die die Musik nur ein Mittel ist, ihre eigene Botschaft (sofern sie so etwas überhaupt haben) rüberzubringen. Dabei sollte es eigentlich anders herum sein, was natürlich nicht heißt, das die Regie nicht auch ein Stück weit interpretieren und die Interpretation umsetzen soll.
Ich glaube, wenn die Leute
sich
ein altes, oft beruehmtes, Stueck ansehen wollen, dann wollen
sie
entfuehrt werden in eine andere Welt und zwar in die, die der
Zeit
entspricht, die der Autor im Sinn hatte.
Die Zeit, die Kind im Sinn hatte, hat es ja nie gegeben! Die Romantik ist ja eine pure Verklärung (im Freischütz insbesondere auch des Volkstümlichen, siehe die vielen „Volkslieder“ bzw. volkstümlich gewordenen Melodien [„Wir winden dir den Jungfernkranz“, „Was gleicht wohl auf Erden“…]. Wenn gerade dieses Streben, das einem heute vielleicht ein wenig lächerlich vorkommen mag („Schwach war ich, wenn auch kein Bösewicht…“) szenisch konterkariert wird, so ist auch das künstlerisch zu rechtfertigen. Ein einfaches Versetzen in eine „andere“ Zeit im Sinne von Manageranzügen und Sonnenbrille (was ja lange Zeit bevorzugt mit den Ring-Opern gemacht wurde) ist dabei wenig hilfreich und liegt in diesem speziellen Fall auch nicht vor, zumal die Handlung des Freischütz auch nicht einer speziellen Zeit zuzuordnen ist.
Die Leute wollen
praechtige
Kostueme und eine schoene, angemessene Kulissen sehen.
Stimmt, die große Ausstattungsoper! Aber all der Pomp und die Pracht, die durchaus auch ihre Daseinsberechtigung haben, können doch nicht der ganze Inhalt des modernen Kunstbetriebes sein. Und um Kunst geht es doch letztlich. Ich selbst habe mich auch schon in der Oper über die Darbietung geärgert. Dabei aber weniger um fehlenden Pomp, beispielsweise letztes jahr bei der „Tosca“ in Frankfurt, sondern über die inkonsequente Umsetzung (zwei Akte recht traditionell, dann totaler Stilbruch).
Ich habe keine Idee, warum die Herren Theaterregisseure so oft
alles
neu machen muessen, und dabei fast immer den Geschmack des
Publikums
verfehlen.
Das glaube ich nicht, daß fast immer der Geschmack „des Publkums“ verfehlt wird. Ich habe auch innovative Vorstellungen mit großem Applaus erlebt (z.B. letztens Ariodante, wieder Franfurt).
Mit nur historisierenden kitschigen Inszenierungen glaube ich, würde man sich auch einen erheblichen Teil des Publikums verspielen, zumal heute ja der größte Teil insbesondere des Opernpublikums ja auch künstlerich interessiert ist und die Oper ihren Rang als Hauptvergnügen der Mittelschicht längst an das Kino abgegeben hat (Ich denke nicht, daß man hier eine Huhn-Ei-Diskussion führen muß.).
Koennen es sich die Kuenstler-Regisseure ueberhaupt leisten,
ihre
wirren Theorien auszuleben und damit den Geschmack des Volkes
zu
missachten, wenn die Spielhaeuser kaum Geld haben?
Bei manchen Aufführungen ist diese Frage mehr als gerechtfertigt, nur denke ich nicht, daß man deswegen direkt eine Radikalopposition gegenüber innovativen Inszenierungen bilden muß, zumal eine traditionelle Aufführung nicht zwangsläufig gut sein muß (Und wie haben germanische Götter eigentlich auszusehen…?).
Gruß
L.