Warum brannte Moskau 1812?

Hallo,
vielleicht gibt es ja einen Zeitzeugen, der alles genau gesehen hat und mir erklären kann!
Napoleon besetzt 1812 Moskau. Die russische Armee ist so weit geschwächt, dass sie die Hauptstadt nicht verteidigen kann. Dann brechen Brände aus, die große Teile Moskaus zerstören. Haben die Russen es wirklich übers Herz gebracht, ihr „heiliges Moskau“, ihre eigene Hauptstadt anzuzünden (angeblich wurden freigelssene Strafgefange damit beauftragt)? Oder sind die Brände, wie Leo Tolstoi plausibel anführt, einfach ausgebrochen, wie es vor 200 Jahren regelmäßig in Städten passierte, und durch die zusammengebrochene Ordnung, die kein organisiertes Löschen ermöglichte entstand der großé Brand? Taktik oder unvorhergesehenes Geschehen?
Gruß!
Christian

Hallo Christian,

vielleicht gibt es ja einen Zeitzeugen, der alles genau
gesehen hat und mir erklären kann!

Bis der sich hier meldet antworte ich mal :wink:

Hier erstmal eine gute Zusammenfassung:
http://www.zdf.de/ZDFde/inhalt/12/0,1872,2027596,00…

Napoleon besetzt 1812 Moskau. Die russische Armee ist so weit
geschwächt, dass sie die Hauptstadt nicht verteidigen kann.

Das sehe ich etwas anders. Russland hatte damals 2 Hauptstädte
und Kiew als quasi 3 Hauptstadt. Napoleon konnte nicht alle 3
einnehmen und entschied sich für Moskau. Selbst wenn er es über
den Winter gehalten hätte wäre dies noch kein Sieg gewesen!

Wie Zeitzeugen im Jahr 1812 die Pracht der Paläste in St. Peters-
burg mit den relativ armseligen Bauten in Moskau verglichen haben
kann man an dem Zitat „der Brand trug in vieler Hinsicht zu seiner Verzierung bei“ ermessen.
http://www.russische-botschaft.de/Information/moskau…

Dazu kommt das sich die russische Armee nach der Schlacht von
Borodino am 7. September relativ intakt zurückzog und sie zwar
Moskau nicht verteidigen konnte - aber Napoleon auch nicht in
der Lage war sie zu stellen und zu schlagen.

Selbst wenn er dies gepackt hätte, so wären doch die 2 anderen
intakten russischen Armeen in der Lage gewesen ihm in die total
überdehnten Flanken zu fallen. Sein Rückzug aus Moskau wurde
letztlich zu einem Wettrennen um zu verhindern das die starke
Armee von St. Petersburg (unter Wittgenstein mit großer Waffen-
hilfe aus England!) oder die Moldauarmee (unter Tschitschagow)
ihm den Rückzug abschneiden. An der Beresina fasste ihn dann
Wittgenstein doch noch und ohne das Versagen Tschitschagows
wären dort keine 100.000 Mann der ‚Grand Armee‘ entkommen.

Dann brechen Brände aus, die große Teile Moskaus zerstören.
Haben die Russen es wirklich übers Herz gebracht, ihr
„heiliges Moskau“, ihre eigene Hauptstadt anzuzünden
(angeblich wurden freigelssene Strafgefange damit beauftragt)?

Ich gehe davon aus, daß das Abbrennen der großteils evakuierten
Stadt von der russischen Armeeleitung angeordnet wurde, denn
dies war während des ganzen Krieges (z.B. Smolensk) ihre Taktik
gewesen.

Es war die geniale Taktik von des Kriegsministers Barclay de Tolly
Russlands ‚3 Hauptstädte‘ mit 3 beweglichen Armeen zu verteidigen,
die sich jeder Schlacht entziehen und Napoleon so immer tiefer ins
Land locken sollten bis er von allen eingeschlossen werden kann
oder bis ihm der Nachschub ausgeht. Dies konnte nur gelingen wenn
man verhinderte das das französische Heer sich ‚aus dem Land‘
ernähren konnte.

Oder sind die Brände, wie Leo Tolstoi plausibel anführt,
einfach ausgebrochen, wie es vor 200 Jahren regelmäßig in
Städten passierte, und durch die zusammengebrochene Ordnung,
die kein organisiertes Löschen ermöglichte entstand der großé
Brand? Taktik oder unvorhergesehenes Geschehen?

Das halte ich für Propaganda zur Verklärung der Taktik der
eigenen Seite. Zufallsbrände hätten die französischen Truppen
sicherlich unter Kontrolle gebracht, da zu dieser Zeit Wissen
und Ausrüstung allgemein vorhanden waren.

Letztendlich war der Krieg durch den Rückzug der intakten rus-
sischen Armee bei Borodino für Napoleon verloren.

Viele Grüße

Jake

Hallo,

im Winter 1941/42 (und da gibt es noch ein paar Zeitzeugen) machte die deutsche Armee vor Moskau die Erfahrung, daß es in Rußland verdammt ungemütlich wird, wenn man im Winter den Arsch nicht in der warmen Stube hat. Und es ist kein Wunder wenn dort (und ein Jahr später nochmal vor Stalingrad) die russische Armee ihre kriegsentscheidenden Siege im Winter hatte. (Die gestiftete Auszeichnung Hitlers für die Teilnahme an der Winterschalcht vor Moskau trug im Volsmund nicht umsonst den Spitznamen „Gefrierfleischorden“.)

Tja - und das war zu Napoleons Zeiten genau schon so - Napoleon brauchte für seine Armee ein efstes Winterquartier und das sollte Moskau sein. Das war so offensichtlich, das wußten natürlich auch die Russen.
Die hatten gerade in diesem Krieg das System der verbrannten erde eingeführt - da, wo Napoleopon durchzog, waren in der regel alle Einwohner geflohen und da war alles zerstört. Damit funktionierte der Spruch aus dem 30jährigen Krieg, daß der Krieg den Krieg ernähren muß, erstmals nicht mehr - die Armee konnte nicht aus den eroberten Vorräten versorgt werden. Und weil die Russen in diesem Kriege auch erstmals (es war der ertse vaterländische krieg - die nannten den echt so) die Bevölkerung als Partisanen mobilisierte, klappte auch der Nachschub nicht - die überfielen jede Kolonne.
Moskau war, da sind sich die zeitgenössischen Chronisten eigentlich einig, beim Einzug Napoleons fast menschenleer. Das ist aber bei einer so großen Stadt fast undenkbar bei einer spontanen Flucht - viele hätten ja gar nicht gewußt, wo sie hin sollten. Es kann sich also nur um eine befohlene Räumung gehandelt haben.
Und unter all diesen Aspekten erscheint mir eine absichtliche Brandstiftung mehr als wahrscheinlich. Napoleopn hatte schließlich eine Armee von mehreren 100.000 Leuten in der Stadt - da sollte man doch annehmen, daß die einen geregelten Wach- und Löschdienst organisieren konnten. es klappte aber nicht, weil die Russen mit Absicht zündelten - und deshlab mußte Napoleopon anschließend mit seiner Armee mitten durch den russischen Winter zurück - der rest ist bekannt.

Gernot Geyer

Hallo,
vielleicht gibt es ja einen Zeitzeugen, der alles genau
gesehen hat und mir erklären kann!

Die Zeitzeugen kannst du auf dem Friedhof besuchen …- denn ich glaube kaum das jemand 220 Jahre alt werden kann.

Napoleon besetzt 1812 Moskau. Die russische Armee ist so weit
geschwächt, dass sie die Hauptstadt nicht verteidigen kann.
Dann brechen Brände aus, die große Teile Moskaus zerstören.
Haben die Russen es wirklich übers Herz gebracht, ihr
„heiliges Moskau“, ihre eigene Hauptstadt anzuzünden
(angeblich wurden freigelssene Strafgefange damit beauftragt)?

Der Befehl kam angeblich von ganz oben, vom Zaren. Die Stadt wurde von speziellen Saboteuren, ein Himmelfahrtskommando, angezündet. Es soll sehr viel Schwarzpulver verbrannt worden sein.

Oder sind die Brände, wie Leo Tolstoi plausibel anführt,
einfach ausgebrochen, wie es vor 200 Jahren regelmäßig in
Städten passierte, und durch die zusammengebrochene Ordnung,
die kein organisiertes Löschen ermöglichte entstand der großé
Brand? Taktik oder unvorhergesehenes Geschehen?

Wegen der damaligen Mobilität war ein Krieg ein logistisches Problem. Deswegen wurde er vorrangig von Beute genährt, denke da an Futter für Pferde - heutzutage kann man dafür BEnzin unbegrenzt lagern. Man versuchte mit einer Überraschungsangriff sehr viel Beute zu machen. Anderseits versuchte man bei einer Defensive die Angreifer durch Zermürbung zu schwächen, z.B. schnitt man den Angreifern den Nachschub ab.
Es gab mehrere Gründe warum der Zar die Stadt räumen und dann anzünden ließ. Ein Angreifer, der meherer Tage im Sattel saß und dann keine Beute machen konnte war demoralisiert. Und durch den Hunger und die Kälte war er desillusioniert. Was Napolion nach 6 Wochen dann bewog diese gute Stellung (man kann eine Stadt schnell und effizient zu einer Festung ausbauen - denk da an Breslau) aufzugeben und den Rückzug anzutreten. Was ursprünglich gedacht war beim Zaren Truppen zu sammeln und im Frühjahr, wenn das Land sich in eine Sumpflandschaft verwandelte, dann anzugreifen (Kanonon konnten nicht in Stellung gebracht werden) bzw. solange sich immer mehr zurückzuziehen wurde von Napoleon durchkreuzt.
Anderseits war das DEsaster für Napoleon noch schlimmer, es gab auf dem Rückzug kaum noch Pferde (wurden aufgespeist), um die Reiterarmeen des Zaren und der Kosaken entgegenzutreten.

Diese Taktiken gingen nur zur damaliger Zeit, weil die damaligen Strategen rechneten niemals ein Krieg länger als 9 Monate zu führen. Genau die Zeit, die die Hauptstreitmacht brauchte von den Kasernen bis zur Grenze und wieder zurück - eben wegen diesen Versorgungsschwierigkeiten bei den Jahreszeiten. Deshalb zerfielen u.a. sehr große Reiche oder ein Land konnte ab einer bestimmten Größe nicht mehr stabil sein.

Neben den Grund Beute zu machen ein Land, Vasalen usw. zu anektieren wollte man England indirekt schaden (durch Verlust des Handelspartners, des Nachschub an Rohstoffen usw).

also, ich habe noch zu diesem Thema ein Buch gefunden. Genau was deinen Wünschen entsprechen wird - selber habe ich es nur überflogen. Es ist chronologisch beschrieben in Ursachen, Beweggründe, Tagesbefehle - also Tagebuchcharackter von Beteiligten (beider Seiten), wie Offiziere.

Kleßmann, Eckart
„Napoleons Rußlandfeldzug in Augenzeugenberichten“
Karl Rauch Verlag

Mußt du dir über Fernleihe beziehen, weil es von 1964 ist - daher keine ISBN.

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Powerpoint dazu
Hallo Gernot,

danke für die sehr ausführliche Antwort.

Hier

http://www.edwardtufte.com/tufte/posters

gibt es eine Folie, in welcher Weg und Mannschaftsstärke der Grande Armée über die Zeit dargestellt wird.

Zur Ergänzung deines

der rest ist bekannt.

für den geneigten Leser, dem es noch nicht bekannt war.

So long

MainBrain

off topic - Anekdote

die russische Armee ihre kriegsentscheidenden Siege im Winter
hatte.

Warum hat Ägypten den 6-Tage-Krieg gegen Israel verloren ?

Die russischen Militärberater hatten gesagt : „Macht es wie wir im 2. Weltkrieg. Zurückziehen - den Feind tief ins Landesinnere vordringen lassen …und dann auf den Wintereinbruch warten!“

:wink:
Klaus

1 Like

Das klingt logisch. Also hat den Ägyptern quasi die Geduld gefehlt - sie hätten halt bis zm Winter durchhalten müssen…

Gernot Geyer

also, ich habe ein DTV Taschenbuch „Russlandfeldzeug in Augenzeugendokumenten“. es handelt sich um Auszüge aus Briefen und Büchern von Teilnehmern des Feldzugs.

Wenn ich mich recht daran erinnere, wollen die Franzosen Brandkommandos festgenommen bzw. erschossen haben. Allerdings zeigen die Berichte deutlich, dass die Disziplin in der Armee schon außerordentlich gelitten hatte. Die Soldaten riessen einfach Türen raus, deckten Dächer ab, um Brennholz zu gewinnen. Zudem wurde ordentlich „gesoffen“. Es kann daher nicht ausgeschlossen werden, dass das Feuer versehentlich ausgebrochen ist und man das Ganze dann den Russen in die Schuhe schob.

Im übrigen zeigen die Berichte deutlich, dass die Armee aufgrund von Versorgungsmängeln schon nach den ersten Wochen des Feldzugs zusammenschmolz. Die meisten Verluste hat die Grand Armee vor Moskau erlitten ! Ursache der Verluste waren Krankheiten, insbesonder Ruhr. das ist auch nicht überraschend, da bis zum 1. WK in einem Krieg die meisten Verluste nicht durch Kampfeinwirkung, sondern durch Krankheiten verursacht wurden.

Es ist auch nicht richtig, dass bewußt geplant war aus dem Land zu leben, wie das so schön genannt wurde. Man war aber einfach nicht in der Lage mit den verfügbaren Pferde- und Ochsengespannen den Nachschub rechtzeitig nach vorne zu bringen. Die Versorgung einer so großen Masse überforderte die damalige Nachschuborganisation. Die Soldaten sind dann natürlich mit Billigung der Führung zur Plünderung übergegangen. Brandschäden waren auch dort weniger die Ursache einer bewußten Entscheidung als vielmehr Nebenfolge des Plünderns bei denen verrohte Soldaten keinerlei Rücksicht walten liessen.

Die Russen gingen dann mit französischen Gefangenen auch nicht zimperlich um… . Es werden da schon ziemlich brutale Szenen geschildert

Danke für die Informationen!
Sie decken sich weitgehend mit dem, was Tolstoi in seinem Monumentalroman „Krieg und Frieden“ schreibt!
Gruß!
Christian

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