Warum frustier ich mich selbst?

Guten Abend alle miteinander,

heute habe ich mal eine Frage zu meinem emotionalen Empfinden.

Dazu ist es vielleicht erstmal wichtig zu wissen, dass ich:

  • mitte 30 bin
  • einen guten Job habe
  • z.Zt. Single bin
  • Freunde, Bekannte und Hobbies in ausreichender Menge habe

Bis auf die Tatsache, dass mich das Alleinsein doch etwas stört, es beruflich im Moment etwas stagniert und ich mit meinen Pfunden kämpfe, kann ich mich beklagen:

Es geht mir einfach gut.

Dennoch ist da etwas was mich an mir stört und ich nicht verstehe. Hin und wieder spiele ich mit mir selbst im Geiste „was-wäre-wenn“. Ich stelle mir also vor, dass mir etwas passiert. Meist versetze ich mich in die Opferrolle: Z.B. ich werde fälschlicherweise eines Verbrechens bezichtigt und verurteilt, von jemanden mit Absicht verletzt, obwohl ich nur helfen wollte oder Opfer einer Krankheit / Katastrophe.

Nun finde ich das Spiel nicht grundsätzlich schlimm, sondern eher interessant, da ich ja überlege wie ich mich in der ausgedachten Situation verhalten würde und gleichzeitig vergleiche wie ich mich in ähnlichen Situationen schon mal wirklich verhalten habe.

Was mich nur stört, ist die Tatsache, dass ich mich bei diesem Gedankenspiel regelmäßig selbst emotional runterziehe und dann für einige Stunden oder eine Nacht dann richtig depressiv bin. Wenn ich dann drüber geschlafen habe oder irgendwie anderweitig abgelenkt wurde, geht es mir dann immer gut.

Kann mir hier einer von Euch erklären warum ich mir das selbst antue?

Danke für Eure Antworten.

Euer
Ebenezer

Fundiert bestimmt nicht. Mir geht es allerdings so, wenn etwas nicht so ist, wie ich es erwarte.
Beispiel: Mein Mann sagt normalerweise immer Bescheid, wo er ist oder wenn es im Job länger dauert. Wenn er es mal vergisst, läuft immer sofort der worstcase in meinem Kopf ab. Polizei, Unfall, tot. Oder schwer verletzt. Was wird mit dem Haus? Kann ich noch arbeiten gehen? Oder Pflege?
Total bescheuert, aber ich kann mich nicht dagegen wehren.
Schlimmer war es, als unser Sohn noch zuhause gewohnt hat. Da gab es fast jeden Tag worstcase-Szenarien in meinem Kopf.
Um mich selber mache ich mir komischerweise überhaupt keine Sorgen.
Wir hatten vor Jahren mal die Mafia zu Besuch, sie hatten sich in der Tür geirrt. Ich bin ganz cool geblieben und habe sie eine Tür weiter geschickt (das ist übrigens eine wirklich haarsträubende Geschichte, die ich noch meinen Urenkeln erzählen werde). Erst im Nachhinein bin ich fast in Ohnmacht gefallen, weil ich erst dann verifiziert habe, was da gerade abgelaufen ist.
Oder, meine Nichte hatte einen schweren Mopedunfall. Sie war am Bein schwer verletzt. Ich habe mich hingesetzt, habe sie getröstet, weil ihre Lieblingsjeans kaputt war und habe nebenbei noch meine Schwester davor bewahrt, durchzudrehen. Erst als der Rettungswagen da war, habe ich wieder Luft geholt und das große Zittern bekommen.

Will sagen, solche Gedanken hat m.E. jeder, der eine mehr, der andere weniger.
Solltest du wirklich mal in eine solch außergewöhnliche Situation geraten, wirst du ganz anders reagieren als in deinen Simulationen.

Soon

Dein letzter Satz trifft den Nagel auf den Kopf.

Hallo,
Ich tippe mal auf Angst vor Kontrollverlust.
Ist absolut menschlich, solange man sich nicht zu sehr reinsteigert.
Mao

Tagträumen- und letztlich ist das nichts anderes- kennt jeder Mensch und das ist auch nichts Ungewöhnliches.
Gleichzeitig ist es so, dass unser Gehirn zwischen den Bildern, die wir im Außen „real“ erleben oder den Bildern, die wir durch reine Vorstellung entwickeln, nicht unterscheiden kann.

Somit ist klar, dass das emotionale Empfinden bei positiven Vorstellungen gut wird- bei „negativen“ Vorstellungen, ein „schlechtes Empfinden“ bringt.
Diese Vorgänge sind also normal.

Die Tendenz solcher Tagträume gibt einen guten Rückschluss, was in unserem tiefen Inneren los ist.
Bedeutet in deinem Fall, dass es in dir einen inneren Teil gibt, der sich als Opfer fühlt.
Diese inneren Filme geben diesem Gefühl eine Möglichkeit, um aufgebaut und ausgelebt zu werden.

Ich würde mich- an deiner Stelle- diesem Anteil in dir, ganz bewusst widmen und mich damit befassen.
Erst rational betrachtend- was ist ein Opfer? Was zeichnet ein Opfer aus? Wer kann Opfer werden? Was muss erfüllt sein, damit jemand Opfer werden kann?
Dann schaust du dich mit diesen Fragen selbst an.
Wann warst du in deinem Leben Opfer? In welchem Alter zum ersten Mal? Wie oft in deinem jetzigen Leben?
Mit großer Sensibilität wirst du feststellen, dass - je nach Definition- wir alle immer wieder mal „Opfer“ in unserem Leben sind. Es braucht keine großen Katastrophen für dieses Empfinden :wink:

Interessant ist, dass solche Gedankenfilme gerne endlose Wiederholungen von Empfindungen sind, die wir schon ganz lange in uns tragen.
Alte Gefühle werden damit wiederbelebt und wir können dieses auch immer weiter „spielen“, was - wie bei dir- durchaus auch regelrechte depressive Stimmungen aufbringen kann.

Du nimmst das bewusst wahr- würdest es ja sonst hier nicht schreiben :wink: - und suchst es letztlich auch immer wieder auf, was dieses „wiederholen“ auch aufzeigt.
Es mag seltsam klingen, dass diese doch „negativen Gefühle“ immer wieder „freiwillig“ aktiviert werden.
Die Erklärung liegt darin, dass genau diese negativen Gefühle sehr vertraut und wohlbekannt sind- es sind „alte Bekannte“. Und Vertrautes hat in unserer Psyche immer eine geöffnete Tür, selbst wenn dieses Vertraute Angst, Schmerz oder Scham bedeutet (es entwickelt sich ein Gefühl von „zuhause“).

Letztlich zeigen diese Tagträume, dass du diese Anteile in dir trägst und diese auf diese Art und Weise mal wieder in ganzer Tiefe ausleben kannst.
Über den Nutzen kann man streiten- die Emotionen gesondert als eigenen Anteil erkennen und sich damit zu befassen, wäre sicherlich das Konstruktivste.

Da wir hier von Gedanken sprechen, von Filmen, die unser Gehirn entwickelt- hast du als denkender Mensch die Möglichkeit, diesen Prozess zu unterbrechen.
STOP!, wenn du es bemerkst und wende dich gedanklich anderem zu.
Wenn du das willst, klappt das problemlos. Das ist als ob du eine andere CD einlegst und damit für eine andere Stimmung in dir sorgst.

Willst du also im Leiden baden- dann lebe und produziere deine eigenen Hitchcock-Fiilme (das meine ich ganz wertfrei, denn nochmal- Vertrautes hat immer eine Ebene von „sich gut fühlen“)- ansonsten lege einen Gedankenstop ein.

Auch von mir eine nicht fachlich fundierte Meinung.

Ich denke auch, das hat jeder. Der eine mehr, der andere weniger. Ich kann mir auch vorstellen, dass das durchaus den einen oder anderen nützlichen Aspekt hat.

Wichtig finde ich dabei: wenn dich das so sehr runterzieht, solltest du üben, solche Gedankenspiele an einem bestimmten Punkt zu unterbinden. Dir irgendein Stopp-Signal ausdenken, dir das bewusst machen, was du gerade tust (du hast es immerhin schon erkannt, ein wichtiger Schritt!), dich ablenken, ein Rätsel oder eine Kopfrechenaufgabe parat haben und lösen zum Beispiel. Oder ein Urlaubs- oder Traumurlaubsbild im Kopf heraufbeschwören - was da hilfreich ist, weißt du sicher selbst am besten.

Mir hilft oft ein Realitäts-Check: ich mache mir klar, wie realistisch meine negativen Vorstellungen wirklich sind.
Und eine gewisser Fatalismus: Schreckliche Dinge passieren einfach. Und zwar nie so, wie du dir das ausmalen würdest. Deshalb ist es nur bedingt sinnvoll, sich damit gedanklich zu beschäftigen.

Krötengrüße

Hi,

Jap, jap, jap… das kenn ich auch alles. Manchmal befinde ich mich auch in der Opferrolle und manchmal nicht…

Manchmal stell ich mir auch vor schwer krank zu sein (körperlich) oder welche Musik auf meiner Beerdigung gespielt wird und wie alle Menschen dann trauern oder sagen:“ was war sie für eine tolle Frau“.

Bei mir ist es wohl, dass Gefühl nicht beachtet zu werden und beachtet werden zu wollen. Vor allem von meiner Familie…

Also bei mir ist es wirklich schon grenzwertig und das weiß ich…

Vielleicht ist es bei dir ähnlich? :wink:

Lg norma

Guten Morgen alle miteinander,

entschuldigt, dass ich mich erst melde, aber die letzten Tage war ich viel unterwegs.

Dennoch habe ich Eure Antworten alle gelesen und viel darüber nachgedacht. In einigem von dem was Ihr geschrieben habt, konnte ich mich gut wieder finden.

Dafür besten Dank und Euch ein schönes Wochenende.

Euer
Ebenezer