Warum hoert man traurige Musik?

Hallo,

wenn jemand lustige Musik hoert um in gute Stimmung zu kommen leuchtet dies ein.

Aber warum hoert jemand traurige Musik?

Tut er dies weil dann seine eigene Stimmung mit der Stimmung der Musik im Einklang ist und er somit eine Dissonanz vermeidet?

Oder ist der Sinn dass er sich selbst das Gefuehl gibt die traurige Stimmung durch sein eigenes Handeln (das Spielen der Musik) hervorgerufen zu haben was ihm auch die Macht gibt diese Stimmung wieder zu beenden (indem er die Musik abstellt)?

Ist es einfach das Gefuehl zu wissen dass es auch noch andere Menschen gibt welche traurig sind (z.B. die Interpreten des Liedes)?

Will der Mensch evtl. die traurige Stimmung verstaerken da er sie, wenn die Stimmung dadurch negativer wird als die Situation es rationell legitimiert, mittels kognitiver Mittel ablegen kann?

Vielleicht will die Person die Melancholie auch durch Musik verstaerken um eine lang andauernde leichtere Melancholie durch eine kurze und starke Melancholie zu ersetzen welche eher wieder in eine aufgehellte Stimmung umschlaegt?

Oder will der Mensch bewusst eine traurige Stimmung herbeifuehren oder verstaerken um ueberhaupt Gefuehle zu haben um eine innere Leere zu vermeiden?

Kann es sein dass eine traurige Stimmung auch verstaerkt werden will damit anschliessend eine Hochstimmung hervorgerufen wird?

Wer weiss was

Gruss und Dank

Desperado

Also ich persönlich achte nicht darauf, ob eine Musik, die ich bewusst anhöre, traurig oder heiter ist. Mir kommt es darauf an, dass die Musik eine gewisse Qualität hat. Nachdem Anhören habe ich anschliessend das positive Gefühl eine „gute“ Musik gehört zu haben und freue mich darüber; dabei spielt es keine Rolle ob die Musik unglaublich melancholisch oder lustig war.

Ansonsten hängt es wohl auch davon ab zu welchem Anlass man eine Musik hört/spielt. Bei einer Beerdigung erfüllt die Trauermusik wohl in erster Linie eine Angebrachtheit. Dann ist es wohl so, dass die Trauermusik die Trauer intensiviert, sie dadurch aber wohl auch „beschleunigt“ - sie hilft den Verlust besser/schneller zu bewältigen. In manchen Regionen wird aber anlässlich einer Trauerfeier auch schnelle, heitere Musik gespielt um das vergangene Leben des Verstorbenen zu feiern und in Erinnerung zu rufen. Ob sich das eher positiv oder negativ auf das Trauern auswirkt im Vergleich zum Spielen von trauriger Musik, kann man schlecht beurteilen. Jedenfalls hindert die heitere Musik nicht daran den Verlust bitterlich zu beweinen; Vielleicht macht sie ihn sogar deutlicher.

Hi Desperado

wenn jemand lustige Musik hoert um in gute Stimmung zu kommen
leuchtet dies ein.

Ich habe das Gefühl, du gehst zu direkt an die Materie heran. Du hast dir zwar wirklich viele interessante Gedanken dazu gemacht, sie sind aber eher rational-psychologisch als musisch-emotional empfunden, denke ich.
Ich finde die meiste „lustige“ Musik langweilg, doof oder albern. Das geht mir nicht nur bei lustigen Schlagern oder Country-Music-Stücken in Dur so, sondern auch z.B. bei den meisten Mozart-Kompositionen. Die finde ich gefühlsmäßig irgendwie albern oder kindlich. Von Mozart gefällt mir nur das „Requiem“.

Aber warum hoert jemand traurige Musik?

„Traurige“ Musik eröffnet mir gefühlsmäßig größere Tiefen, sie geht gleichsam tiefer. Das ag an den oll-Akkorden iegen, die ich einfach lieber mag. Ich spele selbst auch weit lieber Stücke und Lieder in Moll oder zumindest welche, in denen a u c h Moll-Akkorde vorkommen. Das ist schon so, seit ich denken kann. Die alten Balladen aus England zum Beispiel mag ich sehr, darunter besonders Stücke von den Bands „Pentangle“ und „Fairport Convention“.

Tut er dies weil dann seine eigene Stimmung mit der Stimmung
der Musik im Einklang ist und er somit eine Dissonanz
vermeidet?

Velleicht auch, aber nicht unbedingt, weil er depressiv ist. Sondern, wegesagt, weil die Moll-Stimmung emotional anders wirkt.
Gruß,
Branden

…jaja…der mensch
hi,

„der mensch“ ist verschieden und deine mehrfachen hypothesen können auf verschiedene menschen zutreffen.

ich weiss, dass man menschen danach fragen muss, wie es bei ihnen denn genau ist, das kann man nicht einmal für alle hier festlegen.

interessant finde ich vor allem deine „kontroll-hypothese“, bei der durch das abschalten von trauriger musik eine möglichkeit besteht, auch traurige gefühle abschalten zu können, da ist doch etwas dran…

Hallo Desperado,

interessante Frage. Mir gefallen am besten Dein erstes und Deine drittes Erklärungsmodell.

Die Hypothese von der Dissonanzvermeidung finde ich plausibel, weil ich zumindest in trauriger Stimmung eine überdrehte Musik nervend finde. Und die denke auch, traurige Musik drückt aus: Du bist nicht alleine mit deiner Traurigkeit. Der Komponist hat mit seinem Stück ein universelles Thema aufgegriffen.

Die Komponisten der Barockzeit hatten ihre Musik bewußt so komponiert, daß sie bestimmte Gefühle hervorruft, und sie hatten dazu eine Theorie entwickelt: die barocke Affektenlehre. Eine ihrer elementaren Aussagen ist die, daß größere Intervalle (Dur) eher Freude ausdrücken und kleinere Intervalle (Moll) für Traurigkeit stehen. Beispiel: Seufzermotiv als Folge von in kleinen Intervallen absteigenden Tönen. Aber die Barock-Komponisten wußten nichts von physiologischen Hintergründen.

Es gibt die Unterscheidung zwischen trophotroper Musik, die beruhigende Wirkung hat (eher Moll und langsamer) und anregender ergotropher Musik (Dur und eher schnell). Letztere erhöht den Sympathikotonus, erstere die Parasympathikus-Aktivität.

Ich habe den Eindruck, daß „traurige“ Musik oft auffallend schön ist im Vergleich zu „anregender“ Musik. Manchmal überirdisch schön wie bei Schubert. Der war sowieso der Meinung, daß es lustige Musik eigentlich nicht gibt.

Vor sehr langer Zeit war ich auf einem Seminar, wo über das Suizid-Potential von Schuberts Winterreise diskutiert wurde. Ich kann mich im Detail nicht mehr erinnern. „Am Brunnen vor dem Tore…“ handelt jedenfalls von einem erwogenen Selbstmord. Traurig und in einer Dur-Tonart.

Grüße,

I.

Raum für Gefühle schaffen
Hallo Desperado!

Theoretisch würde ich sagen: Im Alltag kommen ja Gefühle eher zu kurz, vor allem die traurigen. Wenn sich jemand dann am Abend traurigen Musik auflegt und traurigen Gedanken nachhängt, schafft er Raum für die Gefühle, die die meiste Zeit gut verschnürt unterdrückt werden. Ich glaube, dadurch entsteht ein Ausgleich, den die Seele einfach braucht.

Aus eigener Erfahrung kann ich noch sagen: Das gesunde Maß spielt dabei eine große Rolle. Wenn es mir eh nicht gut geht und ich zieh mich weiter runter mit trauriger Musik, tut mir das nicht gut. Hier ein Stopp zu setzen ist ein erster Schritt um sich am eigenen Schopf aus der Depression zu ziehen. Genau das ist aber dann am schwersten.

Außerdem hat traurige Musik auf mich eine beruhigende Wirkung und fördert meine Kreativität. Warum das so ist, habe ich noch nicht durchblickt. Wahrscheinlich werde ich bei fröhlicher Musik einfach zu hibbelig und unternehmungslustig und kann nicht lang genug still sitzen um etwas Kreatives zu produzieren.

Grüße
kernig

Hallo,

nenn es bitte nicht traurige Musik, sondern melancholische.

Mein Kollege nennt es depressiv, meine Frau nennt es Gejammer.

Ich höre auch gerne diese „traurige“ Musik. Sogar wenn ich fröhlich bin.
Darunter fallen so Dinge wie Coldplay, Travis, Radiohead, langsame Stücke von Supertramp und Ähnliches.
Diese Musik empfinde ich als intensiver, harmonischer und melidiöser als lustige Volksfestmusik. Wobei ich auch diese gerne höre, aber alles zu seiner Zeit.

Diese Musik gibt die eigene Stimmung wider. Sie ist ein Spiegelbild der eigenen Seele.
Da man dabei aber dann nur sich selbst über die Musik wahrnimmt, verstärkt sich nicht etwa die traurige Stimmung, sondern sie wird durch die Melodien umgesetzt in einen Gefühlszustand, den ich positive Melancholie nenne.

So blöd es sich auch anhört, aber die traurige Musik bessert dann meine Stimmung.
Diese traurige Musik schafft es auch nicht mich runterzuziehen oder eine gute Stimmung zu verjagen.

Ich kenne Leute, die machen das genauso wie ich.
Ich kenne aber auch Leute, bei denen würde das nie so funktionieren.

Gruß
Lawrence

Hallo!

Musik kann viel ausdrücken…gute Laune, depressive Stimmungen…und es ist wohl mehr als normal, daß man sich da aufgehoben und richtig fühlt, wo es einem dann Unterstützung bietet…

Ich habe an mir schon sehr oft sehen können, wie meine Stimmung sich total im Musikhören zeigt…
Bin ich gut drauf-- kann es schnell sein, laut…halt belebend :wink:
Bin ich nicht gut drauf- geht das von nichts-hören-wollen bis zu eben stillerer Musik…oder auch zu Gruppen,die einfach meine STimmung widerspiegeln…

Daß man dann in seinen Gefühlen regelrecht baden kann…das stimmt…-- und vielleicht stimmt ja auch hier, das schon erwähnte-- daß man DANN endlich mal wirklich Raum für diese Gefühle lässt…

Mittlerweile bin ich so, daß ich durchaus auch bewusst die Musik einsetze…nämlich dann leichtere Musik auflege, wenn ich merke, ich könnte mich damit aus einem „dunkleren Zustand“ rausziehen!!

Ich finde diese Wahl sehr gut…und es funktioniert dann auch!

Künstler geben in ihrer Musik auch ihre Haltung wider…entweder über Texte und/ oder die Melodie…-- ich denke, es ist vollkommen klar, daß man sich dahingezogen fühlt, wo es einen Einklang gibt…
Man sich stimmig fühlt…verstanden…angesprochen…

Kitty

leicht OT
Hi Idomeneo

(kennst du eigentlich die gleichnamige Mozart-Oper?)

Ich habe den Eindruck, daß „traurige“ Musik oft auffallend
schön ist im Vergleich zu „anregender“ Musik. Manchmal
überirdisch schön wie bei Schubert. Der war sowieso der
Meinung, daß es lustige Musik eigentlich nicht gibt.

Interessant, denn seine ersten Symphonien sind heiter, hell und eher lustig als traurig.
Ansonsten gebe ich dir Recht, dass nur traurige Musik wirklich ergreifend und in der Lage ist, intensive Gefühle zu wecken.

Viele Grüße, Tychi

hallo desperado,

ich empfinde traurige musik als schön und entspannend. ich mag die stimmung und die gefühle, die sie in mir hervorruft. ich fühle mich in einer solchen gefühlslage sehr wohl.

lustige musik höre ich eigentlich nur, wenn ich mich von etwas ablenken will, nicht tiefer nachdenken will oder sonstwie in einer „oberflächlichen“ stimmung bin.

liebe grüsse,
coco

Hallo Tychi,

die Mozart-Oper kenne ich, aber nicht gut, nur von Rundfunk-Übertragungen.

Schubert soll sich wirklich so geäußert haben („Gibt es eigentlich lustige Musik? Ich weiß von keiner.“) Ja, es gibt heitere Stücke von ihm, z. B. auch manche durchaus humorige Lieder. Heiter gefällt mir in dem Zusammenhang auch viel besser und ist einfach das Gegenteil von traurig. Lustig hat für mich so einen Beigeschmack von überdreht oder oberflächlich.

Grüße,

I.

Man hört traurige Musik aus demselben Grund, aus dem man auch traurige Filme ansieht. In beiden Fällen ist man nicht selbst traurig, sondern identifiziert sich mit dem Gefühl eines anderen. Der Unterschied ist lediglich der, dass man sich bei Musik anonym identifiziert. Näheres zu dieser Erklärung erfahren Sie in der Arbeit „Musik und Emotionen - Studien zur Strebetendenz-Theorie“, die Sie unter dem Link " www.willimekmusic.de/musik-und-emotionen.pdf "kostenlos herunterladen können.
Bernd Willimek