Hallo
ich habe Verständnisprobleme mit dem folgenden Text und verstehe nicht, warum etwas mit „Waschlappen“ verkehrt sein sollte?
(SZ)Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried
Kretschmann hat die Deutschen
schon manches Mal in Aufregung
versetzt, nie aber in größere als mit seinem Statement,
wonach auch der Waschlappen
„eine brauchbare Erfindung“ sei.
Das war im August, und seitdem ist die
Nation aus der Angst, sie könnte schon
bei der morgendlichen Körperpflege auf
einen hygienewidrigen, infektionsfördernden
und jedenfalls vorzivilisatorischen
Stand zurückgeworfen werden,
nicht mehr richtig herausgekommen.
Internationale Beobachter dürften diese
Angst als Sonderform der allseits bekannten
und nicht ohne Argwohn beobachteten
„German Angst“ aufgefasst und sich
in der Vermutung bestätigt gesehen
haben, dass wir ein Volk von Jammerlappen
seien.
Der ganze Text steht hier
Das auf „Weicheier“ und Feiglinge gemünzte Schmäh-
und Spottwort „Waschlappen“,
das viele Leute längst ohne handfeste
bildliche Vorstellung benutzten, hat
seit Kretschmanns Körperkulturtipp wieder
ein „Gesicht“,nämlich das eines rechteckigen Handschuhsaus
lustig eingefärbtem
Frotteestoff, einer zweckmäßigen
Textilie von rustikaler Hautfreundlichkeit.
Dem Jammerlappen fehlt es an vergleichbar
konkreter Beschaffenheit. In
manchen Wörterbüchern ist zu lesen, er
sei einst ein Tuch gewesen,mit dem Weinende
sich die Tränen abwischten und
mit dem, wie man vermuten darf, auch
den Weinenden die Tränen abgewischt
wurden. Bedauerlicherweise haben sich
weder der natürliche Adel eines solchen
Tuchs noch der Segen, der diesem Werk
der Barmherzigkeit innegewohnt haben
muss, über die Zeiten retten können. Der
Jammerlappen wurde auf seinen Benutzer
übertragen, und beide sanken auf jene
Ebene hinab, auf der die Schwächlinge,
Heulsusen, Flaschen, Loser, Würstchen,
Schlappschwänze,Nietenundletztlich
auch Waschlappen ihr kleines, feiges
und mutmaßlich trauriges Leben fristen.
Die Schriftstellerin Ingrid Noll hat nun
in einem Gespräch mit dem Spiegel der
fahlen Gestalt des in diesem Fall weiblichen
Jammerlappens zu mehr Profil und
Substanz verholfen. Jammerlappen, sagte
sie, gingen ihr auf die Nerven, und sie
beließ es nicht bei deren landläufiger
überschlägiger Charakterisierung. In
Nolls Augen sind unter die Jammerlappen
auch Frauen zu zählen, die gern Auto
fahren würden, aber nie den Führerschein
machen, überhaupt Leute, die ihre
Lage beklagen „und keinen Schritt zur
Verbesserung ausprobieren“. Wenn sie
weiterhin die Jammerlappen als Menschen
definiert, „die meinen, es müsse
immer von außen kommen“, so wird es
nicht ganz falsch sein, dies als einen Beitrag
zur analytischen Bewertung der Gegenwart
aufzufassen. Schön nebenbei,
dass die Diagnose von einer scharfsinnigen
Krimiautorin kommt und nicht von
einer, die rührseliges Zeug schreibt, also
sogenannte Schmachtfetzen.