Warum tritt Landeslistler als Direktkandidat an?

Warum treten manche in ihrem Wahlkreis als Direktkandidat an, obwohl sie auf den Landeslisten stehen und mit aller Wahrscheinlichkeit in den Bundestag kommen?

Raubt man damit nicht „neuen“ Politikern die Chance, in den Bundestag einzuziehen?

Oder überwiegt der Gedanke mehr, man könne den anderen Gegenkandidaten aus dem Rennen hauen? Bei Steinbrück wäre dies ja im Falle Wahlkreis Metmann I nicht aufgegangen, falls man sowas unterstellen würde:

Wahlkreis Metmann I
Personenstimme/Erstimme (relative Mehrheit, meiste Stimmen = drin)
CDU 44.5 % Michaela Noll
SPD 33.8 % Peer Steinbrück

Direkt gewählt:
Michaela Noll, CDU/CSU (Landesliste 15)
Über Landesliste gewählt:
Peer Steinbrück, SPD (Landesliste 3)

Quelle: http://www.bundestag.de/bundestag/wahlen/wahlkreise0…

Was steckt also dahinter?

Hallo,

Raubt man damit nicht „neuen“ Politikern die Chance, in den Bundestag einzuziehen?

den Teil verstehe ich nicht. Wenn jemand aus der Liste direkt gewählt wird, kommt für ihn der nächste Listenkandidat in den Bundestag und umgekehrt kommen nur so viele Listenkandidaten in den Bundestag, wie die Partei keiene Direktmandate erhält (Überhangmandate lasse ich mal weg).

Direktmandate sind parteiintern im allgemeinen besser angesehen als Listenmandate, daher begehrt. Man muß andererseits schon eine extreme Abneigung gegen den lokalen Direktkandidaten haben obwohl man sonst „parteitreu“ ist um ihn nicht zu wählen. Wer da genau kandidiert ist imo egal (vielleicht sehe ich das auch zu sehr aus bayerischer Sicht, wo es egal ist, wen die CSU aufstellt, weil der mit über 95% Wahrscheinlichkeit gewählt wird), eine bekannte Person schadet aber sicher auch nicht.

Dann gibt es in einigen Bundesländern (wie etwa Bayern) noch die Sondersituation, daß kein einziger Listenkandidat dran kommt. Wer da kein Direktmandat holt, darf sich für mindestens vier Jahre einen anderen Job suchen. Bei Überhangmandaten würde es nicht mal helfen, wenn ein direkt gewählter Abgeordneter auf sein Mandat verzichtet (da muß schon viel passieren, damit der das macht, zumal der Wahlkreis anschließend womöglich gar keinen Abgeordneten mehr stellt) um den Spitzenkandidaten auf der Liste das Mandat zu ermöglichen, da für Überhangmandate niemand nachrückt (im aktuellen Bundestag wurden Guttenberg und Klöckner nicht ersetzt).

Oder kurz - als Direkt- und Listenkandidat anzutreten erhöht einfach die Chance auch wirklich gewählt zu werden. Auf einige Personen wird „die Patei“ nicht verzichten wollen(, wenn das Wahlergebnis nicht gnadenlos schlecht ausfällt).

Cu Rene

Wenn jemand aus der Liste direkt
gewählt wird, kommt für ihn der nächste Listenkandidat in den
Bundestag

Ah, das wusste ich nicht. Ich wusste nicht, dass der Direktkandidat sozusagen von der Landesliste genommen und damit übersprungen wird, wenn er gewählt wurde. Macht ja auch Sinn.

Da fällt mir auf, wenn man das System korrumpieren wollte, könnte man aus einer Partei zwei Parteien machen, wobei die aus der zweiten die Direktkandidaten stellen und die aus der ersten die Zweitstimmen kassieren sollen. So käme die Liste in den Bundestag plus Direktkandidaten, und nicht minus Direktkandidaten.

Und ich schätze mal, wenn jemand nicht auf der Liste steht, aber als Direktkandidat für seine Partei antritt und gewählt wird, dass der letzte auf der Liste, der durch Zweitstimmen reingekommen wäre, dann darauf verzichten muss. Oder kann das noch intern nach der Wahl besprochen werden, wer auf der Liste durch den Direktkandidaten ersetzt wird?

Ja und mit dem bayrischen Wahlsystem ist das nochmal eine eigene Sache^^

Aber vielen Dank für die sehr gute und ausführliche Antwort!

Gruß
Konrad

Da fällt mir auf, wenn man das System korrumpieren wollte, könnte man aus einer Partei zwei Parteien machen, wobei die aus der zweiten die Direktkandidaten stellen und die aus der ersten die Zweitstimmen kassieren sollen. So käme die Liste in den Bundestag plus Direktkandidaten, und nicht minus Direktkandidaten.

Das passiert ja eigentlich bei einer Bundestagswahl und zwar ohne dass die Parteien in zwei Parteien aufgespalten werden müssen. Die direktkandidaten ziehen für ihre jeweiligen Wahlkreise in den Bundestag ein und die Listenleute ebenso. Es muss auch niemand von der Liste auf seinen Platz verzichten, der Direktgewählt wird, aber nicht auf der Liste steht. Es sitzen ja immer mindestens 2 mal so viele Abgeordnete im Bundestag, wie es Wahlkreise gibt. Eine Hälfte kommt über die Direktmandate rein, die andere über die Verhältniswahl (also die Zweitstimmen) und damit über die Listen.

MfG,
TheSedated

Hallo,

Da fällt mir auf, wenn man das System korrumpieren wollte, könnte man aus einer Partei zwei Parteien machen, wobei die aus der zweiten die Direktkandidaten stellen und die aus der ersten die Zweitstimmen kassieren sollen. So käme die Liste in den Bundestag plus Direktkandidaten, und nicht minus Direktkandidaten.

Klappt aber nicht vollständig. Zumindest für die Bundestagswahl bestimmt ja das Zweitstimmenergebnis über die Sitzverteilung, wobei es da gewisse Unschärfen aufgrund der Direktmandate bzw. Überhang- und Ausgleichsmandate geben kann. Im dümmsten Fall zieht eben niemand über die Liste ein, wenn die Partei zwar alle Direktmandate erobert, aber nur 39% der Zweitstimmen bekommen hat.

Und ich schätze mal, wenn jemand nicht auf der Liste steht, aber als Direktkandidat für seine Partei antritt und gewählt wird, dass der letzte auf der Liste, der durch Zweitstimmen reingekommen wäre, dann darauf verzichten muss.

So ist es.

Oder kann das noch intern nach der Wahl besprochen werden, wer auf der Liste durch den Direktkandidaten ersetzt wird?

Nein, deshalb sind die vorderen Plätze auch so beliebt und heiß umkämpft.

Grüße

Hallo,

Da fällt mir auf, wenn man das System korrumpieren wollte, …

Ich hoffe mal, da würde der Bundeswahlleiter nicht mitspielen und beide Parteien nicht zulassen.

Ja und mit dem bayrischen Wahlsystem ist das nochmal eine
eigene Sache^^

Für den Bayerischen Landtag werden Erst- und Zweitstimmen zusammengezählt, das halte ich persönlich für das bessere System. Da kommt kaum jemand (zumindest jemand, der darum weiß) auf die Idee seine Erststimme als „Leihstimme“ zu vergeben. Da aber „leider“ auf zwei Stimmzetteln abgestimmt wird, sieht man das als Wahlhelfer oder -„beobachter“ auch nicht. Bei der Bundestagswahl sieht man das aber selbst bei uns auf dem Dorf ganz deutlich.

Cu Rene

Hallo,

Ausgleichsmandate geben kann.

Bei der Bundestagswahl gibt es keine Ausgleichsmandate (mehr) s. z.B. http://de.wikipedia.org/wiki/Ausgleichsmandat

Cu Rene