Warum wird ein Fahrradventil beim Luft ablassen kalt?

Liebes Forum,

ich könnte etwas Rat von jemandem gebrauchen, der fit in Wärmelehre ist.

Warum wird ein Fahrradventil beim Ablassen der Luft kalt? Lt. dem Joule-Thomson-Gesetz (habe ich nachgegoogelt) dürfte die Abkühlung der Luft beim Entspannen an einem Ventil (Drossel) nur etwa 0.23K pro bar betragen, also insgesamt weniger als 1 Grad. In der Praxis sind es aber deutlich mehr. 

Woher kommt die zusätzliche Abkühlung? Kühlt die Luft bei Entspannung bereits im Reifen ab? Verdampft am Ventil beim Entspannen Feuchtigkeit?

Die Kälte am Ventil ist auch nach dem Ausströmen der Luft noch fühlbar, um ein reines Kälte-„Empfinden“ durch den Luftstrom handelt es sich also nicht.

Vielen Dank für eure Ratschläge!

Hallo,

Warum wird ein Fahrradventil beim Ablassen der Luft kalt? Lt.
dem Joule-Thomson-Gesetz (habe ich nachgegoogelt) dürfte die
Abkühlung der Luft beim Entspannen an einem Ventil (Drossel)
nur etwa 0.23K pro bar betragen, also insgesamt weniger als 1
Grad. In der Praxis sind es aber deutlich mehr. 

Woher kommt die zusätzliche Abkühlung? Kühlt die Luft bei
Entspannung bereits im Reifen ab? Verdampft am Ventil beim
Entspannen Feuchtigkeit?

Eine Erklärung wäre: Beim Entspannen des Fahrradschlauchs kühlt das Elastomer ab. Das kühlere Elastomer entzieht damit der Luft schon vor deren Entspannung Wärmeenergie, bevor sie durch Drosseln weiter abkühlt.

Gruß

Peter

Hi,

die Luft steht im Schlauch unter Druck. beim Austritt dehnt sie sich aus und nimmt Energie auf. dies geschieht idR über Wärmeenergie in der Umgebung, also am Ventil. Im übrgen kühlt der gesamte Reifen dabei ab, nur schwächer.

MFG

Hi Christian,

Idee von mir:
Der JT-Effekt ist ja wie von dir beschrieben sehr klein, den kann man vernachlässigen.

Annahme: Die Luft ist ein ideales Gas (ohne JT-Effekt):
Die Luft entspannt durch eine Düse und gewinnt Strömungsgeschwindigkeit. Die Gesamt energie bleibt gleich und die Luft kühlt ab. Nach der Düse wird die Luft abgebremst und die Bewegungsenergie ist wieder als Wärme vorhanden -> gleiche Endtemperatur, kein JT-Effekt.

In der Düse haben wir also einen schnellen und kalten Luftstrom. Die Wandtemperatur in der Düse (Recoverytemperatur) ist zwar höher als die statische Temperatur der freien Strömung, allerdings kleiner als die ursprüngliche Umgebungstemperatur (=Totaltemperatur der Strömung).

Gruß
Krokodi

Hallo Krokodi,

vielen Dank, ich glaube, damit kommen wir der Sache schon näher! Aber: wird die höhere Strömungsgeschwindigkeit des (idealen) Gases im Ventil bei gleichbleibender Gesamtenergie nicht durch den Druckabbau „gefüttert“, anstatt durch eine Wärmeentnahme aus der Umgebung?

Rätselnd,
Christian

Hallo ChristianHH,

Abkühlung der Luft beim Entspannen an einem Ventil (Drossel)

ein Fahrradventil kann man nicht als Drossel bezeichnen. Das sind zwei Paar Schuhe.

ich könnte etwas Rat von jemandem gebrauchen, der fit in
Wärmelehre ist.

Deshalb solltest du erst jemanden um Rat fragen, der fit in Maschinenbau Ventil Drossel ist.

Der Vorgang während der Entspannung von Luft in oder hinter einer Fahrradventil-Düse unterscheidet sich völlig von jenem bei Drosselung (z.B. an einer Einschnürung in einer Rohrleitung, einer Maschine oder dergleichen).

Während der Expansion bei freiem Ausströmen aus einer Fahrradventil-Düse, verrichtet die Luft eine Arbeit durch Erhöhung ihrer Geschwindigkeit. Die Phase der Expansion erfolgt adiabatisch. Die Ausdehnung hinter der Düse geschieht zwar nicht ganz ohne Zuführung von Wärme aus der Umgebung, aber wenn die Druckluft in die freie Atmosphäre hinausströmt, kann man diese Wärmezufuhr unberücksichtigt lassen.

Der Temperaturabfall auf das kritische Druckverhältnis errechnet sich in gleicher Weise wie die Temperatursteigerung bei adiabatischer Verdichtung der Luft, also gemäß der Formel:
T2/T1 = (p2/p1)^(Kappa -1/Kappa).

Bei der Drosselung erfolgt dies nicht, sondern es bilden sich sofort Wirbel, die bald abgebremst werden und dadurch zur Entwicklung von Wärme führen, welche örtlich entstehende Temperatursenkungen ausgleicht. Die Drosselung ist somit eine Drucksenkung, bei der keine Arbeit verrichtet wird und bei der praktisch keine Temperaturänderung auftritt.

Nähere Hinweise und Berechnungen siehe z.B. die Firmenschrift der Fa. Atlas Copco: „Handbuch der Drucklufttechnik“, Druck Wilhelm Möller KG, Berlin, März 1974.

Vielen Dank für eure Ratschläge!

Bitte

Ein strömendes ideales Gas hat nur 2 Energiearten: Bewegungsenergie (0,5*rho*v^2) und innere Energie (rho * cv * T). Wird das Gas schneller, muss es kälter werden. Das ist zunächst mal ganz unabhängig von der Umgebung (adiabater Fall) und der Druck taucht nur indirekt auf.

… strömendes ideales Gas hat nur 2 Energiearten:
Bewegungsenergie (0,5*rho*v^2) und innere Energie (rho * cv *
T). Wird das Gas schneller, muss es kälter werden. Das ist
zunächst mal ganz unabhängig von der Umgebung (adiabater Fall)
und der Druck taucht nur indirekt auf.

Steht deine Äußerung nicht in Konflikt mit dem Überströmversuch von Gay-Lussac?
mfg
Peter

Danke Sven,

ich hatte die Frage erst im Forum „Maschinenbau“ gepostet, sie wurde hierhin verschoben.

Verständnisfrage zu Deiner Antwort: ist die Formel T2/T1=(p2/p1)^(Kappa-1/Kappa) nun beim „Luftablassen“ am Fahrradventil gültig oder nicht?

Falls nicht, bliebe die urspüngliche Frage offen, warum das Fahrradventil kalt wird.

Danke!

Christian

1 Like

Hallo ChristianHH,

Verständnisfrage zu Deiner Antwort: ist die Formel
T2/T1=(p2/p1)^(Kappa-1/Kappa) nun beim „Luftablassen“ am
Fahrradventil gültig oder nicht?

zu deiner obigen Verständnisfrage:
die Antwort ist gültig.
Das „Luftablassen“ am Fahrradventil erfolgt adiabatisch, was ich bereits schrieb, siehe:

„Während der Expansion bei freiem Ausströmen aus einer Fahrradventil-Düse, verrichtet die Luft eine Arbeit durch Erhöhung ihrer Geschwindigkeit. Die Phase der Expansion erfolgt adiabatisch.“

Falls nicht, bliebe die urspüngliche Frage offen, warum das
Fahrradventil kalt wird.

Die Frage bleibt nicht offen: das Fahrradventil wird kalt, weil die Entspannung adiabatisch erfolgt und Dittsche hier sagen würde: „Das Stichwort ist adiabatisch“.

Wie beschrieben:
„Der Temperaturabfall auf das kritische Druckverhältnis errechnet sich in gleicher Weise wie die Temperatursteigerung bei adiabatischer Verdichtung der Luft, also gemäß der Formel:
T2/T1 = (p2/p1)^(Kappa -1/Kappa).“

Es handelt sich also um einen Temperaturabfall , was die Lösung der Frage ist: warum wird das Fahrradventil kalt?

Den Hinweis auf die Literaturstelle gab ich, damit du eventuelle Verständnisfragen dort klären kannst.

Gruß

Sven Glückspilz

Ok, vielen Dank für den Tipp und den Literaturverweis, das hilft schonmal weiter!

In Kapitel 1.3.7 des genannten Handbuchs heisst es:

„1.3.7 Drosselung: Wenn ein ideales Gas mit konstantem Druck durch eine Drossel fließt, bleibt dessen Temperatur theoretisch unverändert. Jedoch stellt sich in der Praxis immer ein Druck- und Temperaturverlust ein, da ein Teil der Druck- energie in kinetische Energie umgewandelt wird und dies die Temperatur des Gases fallen lässt. Bei realen Gasen ist dieser Temperaturverlust selbst dann dauerhaft, wenn der Gesamtenergieinhalt des Gases konstant bleibt. Dies wird als Joule-Thomson-Effekt bezeichnet.“

Das würde die Abkühlung des Ventils erklären (egal ob ideales Gas oder nicht). Was mir aber nach wie vor schleierhaft ist, wieso die T2/T1 … Formel beim Ablassen der Luft Gültigkeit besitzt. Beim Aufpumpen von 1 auf 3 bar würde (meinen dilettantischen Rechenkünsten nach) die Luft von 20°C auf knapp 110°C erhitzt. Kann man nachvollziehen, wenn man mal den Daumen auf die Luftpumpe hält. Aber umgekehrt hieße das ja, dass die Luft beim Entspannen von Raumtemperatur auf -90°C abkühlen würde? Das wiederum mag ich nicht so recht glauben.

Immer noch rätselnd,

Christian

Nachtrag: -70°C, nicht -90°C. Rechnen mit Zehnerüberschreitung, hat mich überfordert.

Hallo Krokodi,

Ein strömendes ideales Gas hat nur 2 Energiearten:
Bewegungsenergie (0,5*rho*v^2) und innere Energie (rho * cv *
T). Wird das Gas schneller, muss es kälter werden. Das ist

nur als Anmerkung, ich will dir nichts einreden:

Das „rho“ soll wahrscheinlich die Dichte bedeuten. Ich würde, wie untenstehend, auf die Masse m beziehen.
Der Absolutbetrag der Inneren Energie U eines Systems ist unbekannt. Man kann dagegen die Änderung der Inneren Energie eines Systems Delta U z.B. mit:
(U2 – U1) = Delta U = m * Cv * (T2 –T1),
hier bei konstantem Volumen, beschreiben.
(Cv = spezifische Wärmekapazität [kJ/kg * K] bei konstantem Volumen,
m = Masse [kg])

Gruß

Sven Glückspilz

Hi Peter,

Gay-Lussac schaut doch nur auf den Anfangszustand (ohne Strömung) und den Endzustand (wieder ohne Strömung). Bei adiabaten Bedingungen hat sich die Gesamtenergie nicht verändert und somit bleibt die Temperatur konstant (bei einem kalorisch idealen Gas).
Während des Überströmens sieht das aber ganz anders aus und es kommt zu Temperaturdifferenzen.

Gruß
Krokodi

Beispelrechnung
Wir lassen die Luft von 3 bar auf 1 bar durch das Ventil entspannen. Das Ventil soll in dieser Rechnung als ideal angenommen werden, dh es erzeugt erstmal keine Reibung, Verwirbelung, etc. Es ist praktisch eine Lavaldüse.

Mit einer Anfangstemperatur von 288K (15°C) ergibt sich eine statische Temperatur des strömenden Gases von 210K (-63°C). Das Gas ist dabei reichlich schnell, nämlich Ma = 1,357. (adiabates Auströmen eines thermisch und kalorisch idealen Gases)

Dieses kalte Gas strömt nun in die Atmosphäre, wo sich die Bewegungsenergie über Reibung wieder in Wärme umwandelt. Am Ende hat es wieder die 288K bei 1 bar. Dies passt direkt mit Gay-Lussac zusammen.

In der Düse:
Die Düsenwand bekommt nun nicht direkt die -63°C ab, sondern es bildet sich eine Grenzschicht an der Wand aus, in der wieder Bewegungsenergie in Wärmeenergie umgewandelt wird. Die Wand ist also wärmer als -63°C. Wieviel? Das Stichwort heißt Recoverytemperatur. Bei einem Recoveryfaktor von ca. 0,9 ergeben sich 7°C als Wandtemperatur. (Stichwort zum Googeln: kompressible Grenzschicht, adiabatic wall tempearture).

Solltest Du ein reales Gas mit einem ausgeprägten Joule-Tompson-Effekt verwenden, so würde dieser Temperaturabfall noch hinzu kommen.

Gruß
Krokodi

PS.: Hoffe ich habe mich nicht verrechnet…

Hallo Krokodi,

frohes Neues Jahr!

Ich bekomme beim Anwenden der T2/T1 = p2/p1 … - Formel ein ähnliches Ergebnis. Ich bin mir aber nach wie vor nicht sicher, ob die Formel hier Gültigkeit hat.

Unterschied: beim Aufpumpen des Fahrradreifens (Kompression) wird Arbeit verrichtet. Diese äußert sich in der Erhitzung der Luft und natürlich im aufgebauten Druck. Hier gilt die Formel.

Beim Luft ablassen über das Ventil/Drossel etc. wird hingegen keine Arbeit verrichtet. Die ausströmende Luft ist daher mit Sicherheit nicht -63°C kalt.

Nach Durchsicht der hier geposteten Antworten und der Literatur komme ich zu folgendem Schluß:

Beim Luftablassen wird ein (geringer) Anteil der Energie im Ventil in Bewegungsenergie (beschleunigter Luftstrom) umgewandelt. Dies führt zu (a) einem geringerem Druck im Luftstrom sowie (b) zu einer verringerten inneren Energie des Gases (Temperatur). Dies erklärt die Abkühlung des Ventils um ein paar Grad.

Scheint übrings das gleiche Phänomen wie bei der Nebelbildung über der Tragfläche von Flugzeugen zu sein (schnellerer Luftstrom kühlt sich ab, unterschreitet Taupunkt).

Kann man das so unterschreiben?

Christian

Hallo Christian,

Dir ebenfalls ein frohes neues Jahr.

Beim Luft ablassen über das Ventil/Drossel etc. wird hingegen
keine Arbeit verrichtet. Die ausströmende Luft ist daher mit
Sicherheit nicht -63°C kalt.

Der Trick liegt eben darin, dass die Luft sich wieder erwärmt, wenn sie abgebremst wird. Egal was die in diese schnelle und kalte Strömung hälst, Du wirst niemals -63°C messen können, da auch ein Thermometer nur die Total- bzw. Recoverytemperatur anzeigt.

Zum Rest: Zustimmung.

Gruß
Krokodi

PS.: Bei bestimmten Überschallwindkanälen, die Luft mit Umgebungstemperatur verwenden, gibt es eine max. Machzahl. Expandiert man die Luft stärker, dann wird diese so kalt, dass sie flüssig werden will und die Ergebnisse passen dann nicht mehr. Ich meine diese Grenze liegt bei ca. Ma = 4,0 bis 4,5. (Man verwendet natürlich nur trockene Luft).

Bsp.:
http://www.iag.uni-stuttgart.de/IAG/institut/anlagen…
http://de.wikipedia.org/wiki/Sto%C3%9Frohr