Warum wird Gesang live immer so leise abgemischt?

Moin,

es ist mir zum wiederholten Male aufgefallen, das bei Liveauftritten die Stimme sehr oft DEUTLICH zu leise eingestellt ist. Ganz anders als bei Aufnahmen auf „CD“, da höre ich die gut.

Gestern zB war ich zufällig bei einer Falco-Coverband vor einigen tausend Gästen. Und ehrlich, man konnte dem Text überhaupt nicht folgen, weil man ihn einfach gar nicht hören konnte (die Stimme nahm man noch wahr). Gerade bei Falco trägt der Text aber IMHO doch das Lied. Der Sound an sich war aber ganz schön wuchtig und klar, an zu kleinen „Boxen“ lag das sicher nicht.

Das ging mir aber schon mehrfach so. Woran liegt das? Schlechte Tonleute am Mischpult? Oder machen die den Soundcheck ohne Publikum und ändern daran später auch nix mehr? Zu wenige Geld für gute Leute und Hardware?
Oder hab ich einfach nur schlechte Ohren in den Höhen?

Vielen Dank für die Aufklärung!
J~

Es kommt sehr darauf an wo Du Dich innerhalb der Konzertstätte befindest. Und auch die Art der Boxen sowie deren Aufstellung/Aufhängung spielt eine Rolle.

Ob der Gesang wirklich zu leise war oder ob Deine Standposition auch an Deinem Höreindruck mitgewirkt hat kann man nur beurteilen wenn man dabei gewesen ist.

Die beste Möglichkeit zur Klangbeurteilung hat man wenn man sich so nahe wie möglich an das Mischplt begibt. Dort hört man das was der Tonmensch hört. Das kann sich (je nach Raum, Boxen und deren Aufstellung) durchaus von allen anderen Positionen stark unterscheiden. Wenn sich das Mischpult allerdings nicht im Sall sondern auf der Bühne befindet geht das natürlich nicht. Dann allerdings hätte der Tonmensch die denkbar schlechteste Möglichkeit zur Kontrolle seines Jobs, was dann auch eine Fehlerquelle wäre.

Oder hab ich einfach nur schlechte Ohren in den Höhen?

Die Höhen sind hier für das reine Lautstärkeempfinden unwichtig. Die Höhen sind nämlich Frequenzen ganz oben die lediglich die Brillanz eines Klanges ausmachen. Speziell für den Lautstärkeeindruck einer Stimme ist der Bereich von ca. 2500 Hz relevant, das sind die sogenannten „oberen Mitten“.

Ich bin kein Tontechnikfachmann, kenne aber das Phänomen und habe die Vermutung, dass es in der Regel daran liegt, dass der Sänger einfach zu leise singt und/oder der Schlagzeuger zu laut in die Felle drischt und die Gitarristen den Lautstärkeregler auf 11 drehen… Ein Mikrophon kann man ja wegen der Rückkopplungsgefahr nicht beliebig weit aufdrehen.

Falls das der Fall gewesen wäre hätte der Sänger sich selbst auch nicht mehr hören können, ein Singen wäre dann nicht mehr möglich gewesen. Eben um solche Dinge zu vermeiden man man einen Soundcheck. Ich gehe mal davon aus dass genau dieses in den vorliegenden Fällen passiert ist. Ohne Soundcheck wäre es nämlich unerträglich geworden.

vergiss nicht, dass der Sänger seine eigene Monitoreinspielung hat, die überhaupt nichts mit der Publikumseinspielung zu tun haben muss …

Das vergesse ich nicht. Denn auch um den/die Gesangs-Monitor/e überhaupt zum Laufen zu bekommen macht man einen Soundcheck. Und beim Soundcheck würde andere Dinge wie zu laute Gitarren o.ä. auffallen und korrigiert werden. Auch deshalb wird es einen Soundcheck gegeben haben.

Ein Soundcheck ändert aber nichts daran, dass man mit der Aufdrehbarkeit der Regler irgendwann an seine Grenzen stößt. Es ist meine persönliche Erfahrung, dass man gerade in kleinen Räumlichkeiten oft keine Chance gegen das Schlagzeug hat - ein Schlagzeug ist nun einmal meist laut, und leiser spielen oder Hot Rods oder gar Besen sind ja meist keine Option, weil man eben auch einen druckvollen Schlagzeugsound haben will. Eine gute Sache sind da V-Drums, aber die hat nicht jeder, und sie sind natürlich auch nicht jedermanns Sache.

Ein Soundcheck ändert aber nichts daran, dass man mit der
Aufdrehbarkeit der Regler irgendwann an seine Grenzen stößt.

Und genau deshalb sage ich den Bands beim Soundcheck (wenn diese Grenzen erreicht sind) dass die Bühenenlautstärke reduziert werden muss. Ohne Diskussion. Wenn die Band dann auf stur schaltet weiß ich dass ich es nicht annähernd mit Profis zu tun habe. Ich schalte dann auch auf stur und lasse die Sache einfach laufen. Ohne Kooperation ist so etwas physkalisch unmöglich.

ein Schlagzeug ist nun einmal meist laut, und leiser spielen oder
Hot Rods oder gar Besen sind ja meist keine Option, weil man
eben auch einen druckvollen Schlagzeugsound haben will.

In so einem Fall stelle ich den Schlagzeuger vor die Wahl: entweder es gibt einen druckvollen Drumsound oder es gibt einen passablen Gesamtsound (der Drummer ist nur ein Teil der Band!). Und ich sage ihm auch dass er mit seinem zu lauten Druck den Bandsound in einem schwierigen Raum insgesamt ruinieren kann. Ich sage ihm das so dass die ganze Band das mitbekommt. Wenn er es nicht kapiert verstehen es jedenfalls alle Anderen. Dann ist ER nämlich der Buhmann und wird idR von seinen Bandkollegen zurückgepfiffen.

Ich sah vor zwei Jahren eine AC/DC Coverband live.

Da war der Gesang und das Schlagzeug VIEL ZU LAUT abgeschmischt, während die Gitarren überhaupt nicht mehr zu hören waren.

Also es gibt sicher auch unfähige Toningeneure, die meinen „Naja, hauptsache laut, auf solche Details wie Gitarrensoli hört eh keiner“.

Das sind dann meistens eben keine Toningenieure sondern „nur“ Tontechniker (klugscheiß). Viele in der Branche sind Autodidakten, und wenn ein Solcher dann auch noch selbst ein Instrument spielt wird dieses gerne zu stark betont (leider). Aber es gibt durchaus auch gelernte aber unmusikalische Leute dabei.

Merke: Wenn der Sound gut ist ist es eine tolle Band, und wenn die Band unsauber spielt taugt der Tonmann nix :wink:

Hi J,

ich geb da auch mal meinen Senf hinzu.

Ne Band, die vor mehreren Tausend Leuten spielt, hat idR. ihren eigenen Tontechniker dabei. Der hat das „Grundsetup“ auf seinem Mischpult und es wird dann mit dem Soundcheck begonnen.

Soviel hat der da garnicht zu verstellen. Wenn alle Hallen gleich wären, müsste er nur die Gesamtlautstärke anpassen.

Dann gehts aber los: die Boxen stehen heute etwas weiter hinten - also Gain des Mikros runter, sonst pfeift es. Die Boxen können aber leider nicht anders stehen, wegen dem blöden Träger an der Decke …

Schon hast du das Problem: Gesamtlautstärke runter oder nur den Sänger?

Vielleicht liegt so ein Problem aber auch an der Halle - beim Check war noch alles in Ordnung. Abends dann - volle Hütte und es hört sich besch***** an.

Umso schwieriger, wenn der Techniker sich dann nur auf seinen Kopfhörer und seine Messgeräte verlässt …

Ich hab aber auch schon Sänger bei Hobbybands erlebt, die mit Stativ im Proberaum toll gesungen haben, die aber, wenn sie das Mikro in der Hand haben, nicht mal wussten, wie man es halten musste („Niere“).

Es gibt also viele Faktoren, die allein schon den Gesang beeinflussen.

Wenn dann noch die Gitarristen konkurieren statt zu harmonieren und jeder seinen eigenen Lautstärkeregler immer noch weiter aufdreht …

-)

LG vom Mond

Genau so ist es. Bis auf eine Ausnahme:

Dann gehts aber los: die Boxen stehen heute etwas weiter
hinten - also Gain des Mikros runter, sonst pfeift es.

Diese Methode zur vermeintlichen Bekämpfung von Rückkopplungen gibt es leider immer wieder. Und obwohl es nicht funktioniert (physikalisch unmöglich) probieren es Alle konsequent immer wieder.

Man dreht den Gain runter, was passiert: richtig, das Mikro wird leiser (weil das Eingangssignal leiser wird) und es pfeift weniger oder nicht mehr.
Um diese Lautstärkereduktion auszugleichen zieht man den Kanalfader und Monitorregler weiter hoch. Was passiert: das Mikrofon wird wieder so laut wie vorher. Es pfeift wieder.

Was also soll das Runterdrehen des Gains bringen?

Rückkopplungen entstehen ab einer gewissen Lautstärke eines Signal in den Boxen. Wo das Gain-Knöpfchen steht ist für sich alleine völlig uninteressant.

Gegen Rückkopplungen helfen nur eine geeignete Mikroposition, Winkel des Bühnenmonitors zum Mikro, dessen Lautstärke, Position von Mikro und Monitor zu etwaigen Wänden, Einstellungen der Frequenzen, notfalls Beschränkung des Pegels auf dem verursachenden Teil (meistens der Monitor). Und Sängern die den Klang eines Mikros versauen und Rückkopplungen fördern in dem sie den Korb des Mikros ganz cool mit den Händen umschließen gehört eine gehauen.

Hi J,

die Beiträge der Kollegen würde ich noch gerne aus der Studio-Sicht erweitern wollen.

Bei der Produktion einer CD hast Du grundsätzlich fast alle Faktoren unter Kontrolle (bis auf den künstlerischen Input natürlich)… Du kannst durch die Wahl der Mikros, der Preamps, der Kompressoren, EQs, ja sogar durch die Wahl der Kabel (Qualität und Länge) den Sound beeinflussen.

Danach kannst Du Lautstärken, Frequenz und Raumzuweisungen, Klang und Dynamik solange bearbeiten, wie es nötig ist, Es ist sogar möglich sogenannte „Automationen“ zu fahren, die es Dir ermöglichen auch die kleinsten Veränderungen auf die Millisekunde IMMER genau so und nur so zu beeinflussen.

Im täglichen Livegeschäft unterliegst Du als Mixer vielen anderen Einflüssen. Du kannst den Raum nicht umbauen, dass er so klingt, wie Du es gerne hättest… in der einen Location klingt Dein Setup „Bombe“ im anderen funktioniert es gar nicht… Gerade im Festival-Betrieb mit vielen Line-Changes (also unterschiedliche Bands mit unterschiedlichen Instrumentierungen, Gesängen, Instrumenten, Loops etc.) fehlt schlicht weg die Zeit, um einen CD-Sound zu kreieren.

Dazu kommt, dass CD noch im Mastering auf „Hochglanz“ poliert werden, also NACH dem Abmischen wird die CD als Gesamt-Klangwerk noch mal bearbeitet, um ein Top-Produkt zu erhalten. In der Regel ist eine CD durch viele Ohren geflogen, die möglichst viele Fehler ausbügeln. Im Live-Betrieb hast Du nur einen „Take“ als Musiker, aber auch als Tonmann.

Dazu kommt, dass der Mischer live sehr davon abhängig ist, dass die Band „an sich gut klingt“ - „Das Mischpult ist kein Klärwerk“ - Das ist im Studio ein bisschen anders, hier kann man mit viel Zeit und viel Know-How auch aus Dreck eine Menge noch Zaubern.

Ich weiss nicht, was genau Dein Anlass der Frage ist, ob Du Sänger bist und mit Deinen Konzerten unzufrieden oder Du Dich als Besucher „immer“ über dieses Phänomen wunderst…

Wenn Du Sänger/Musiker bist, kann ich Dir raten, SPARE NICHT am TECHNIKER. Wenn Du Deinen Top-Gig des Jahrhundert spielst und es hört keiner, hat sich die ganze harte Arbeit nicht gelohnt.

Keep on groovin’