Hi Pontius,
es gibt da so eine Theorie, die ganz gerne in der Ausbildung vermittelt wird von den Schweizer Käsescheiben. Jedes Loch in der Käsescheibe ist ein einzelner Fehler, und solange die darauf gestapelten Käsescheiben an genau dieser Stelle kein Loch haben passiert nix. Erst wenn mehrere Löcher übereinander zu liegen kommen, kommt’s zum Unfall. Bild zum Beispiel hier: http://vorschriften.bghw.de/bge/fb1/44.gif Der Wiki-Link dazu hier: http://de.wikipedia.org/wiki/Schweizer-K%C3%A4se-Modell
Was müsste denn z.B. zu einem menschlichen Fehler oder
Materialermüdung oder einem Strömungsabriß noch dazu kommen,
um eine Maschine zum Absturz zu bringen?
Das nicht - aber wie kommt es zum Störmungsabriss? Der passiert nicht einfach so fröhlich vor sich hin „mal eben“, sondern dazu gibt’s eine Vorgeschichte. Vielleicht eine meteorlogische Situation, vielleicht eine falsche Beladung des Flugzeugs, vielleicht eine falsche Reaktion des Piloten, vielleicht ein technischer Defekt, vielleicht eine mechanische Beschädigung am Flugzeug. Nur eines davon führt gemeinhin nicht zum Fehler, erst wenn mehrere Punkte zusammenkommen, kommt’s zum Unfall.
Ich bin übrigens - anders als mein Vorposter - der Meinung, dass sich dieses Modell nicht nur auf die Luftfahrt bezieht, sondern für jeden anständigen Unfall (also auch Autounfälle etc.) gilt. Man ist geneigt, einen Schuldigen zu definieren, aber letzten Endes ist’s immer eine Kette von Ereignissen.
Ein Beispiel aus meiner fliegerischen Praxis: Motorausfall in einem Ultraleichtflugzeug.
Wir waren zwei Leute an Bord, beide zu diesem Zeitpunkt fliegerisch relativ erfahren (Berufspilot bzw. Linienpilot), aber beide komplett unerfahren auf Ultraleichtflugzeugen (ich hatte zwei Stunden auf diesem speziellen Muster Flugerfahrung, der andere eine Stunde). Das ist fliegerisch überhaupt kein Problem, etwa so, wie wenn Du erstmals mit dem Golf der Freundin fährst oder so
Dann war der Flugtag relativ lang, wir waren unterwegs nach Frankreich, zum Zeitpunkt des Ereignisses sassen wir über 4 Stunden (mit einer Pause) in der schüttelnden Kiste. Heiss war’s auch, der Flug dauerte wegen starken Gegenwinds auch etwas länger als geplant. Dann war der Tag noch etwas dunstig (Rhein- und Rhonetal), also haben wir an Beleuchtung eingeschaltet, was die Maschine halt hergegeben hat. Ein GPS-System war eingebaut, eines hatten wir noch aufm Knie, beide in Betrieb (natürlich die Papierkarte ebenso *g*).
Beim Check vor dem Start war uns schon aufgefallen, dass das Standgas „ein bissle arg niedrig“ eingestellt ist, der Motor also im Leerlauf „beinah“ ausgegangen ist.
So, dann der Anflug in Südfrankreich, für uns ein unbekannter Platz, aber lang und recht einfach. Wir haben uns entschieden wegen im Anflug liegender Salinen einen etwas höheren Anflug zu machen, um „falls der Motor ausfällt“ den Platz sicher zu erreichen. Als wir im sicheren Gleitbereich waren, mussten wir die Leistung auf Leerlauf reduzieren und *knarz* war der Motor aus. Wir waren Segelflieger.
Wir haben erfolglos versucht, das Triebwerk wieder zu starten, das ist nicht gelungen, deshalb sind wir dann sicher dort im Segelflug gelandet. Ohne Landeklappen (elektrisch), ohne Trimmung (elektrisch), ohne Funk, ohne Transponder. Wir konnten dann nach der Landung die Piste über den Rollweg verlassen und die Maschine dann von Hand zum Vorfeld ziehen. Es ist nicht das geringste passiert (ausser dass wir beiden ein wenig blass waren *g*).
Was war der Grund?
- das Standgas war schon vor dem Flug zu niedrig eingestellt (Mechaniker-„Fehler“)
- das Standgas hatte sich im Flug weiter gelockert, so dass der Motor dann im Leerlauf ausgeht (Konstruktionsbedingt bei diesen Flugzeugtyp, Einstellschraube nicht gesichert)
- wir hatten viel zu viele Verbraucher (Beleuchtung, GPS) eingeschaltet („Pilotenfehler“, fehlende Erfahrung auf dem Muster?), so dass sich die Batterie ratzefatz leer war und sich der Motor nicht mehr starten liess
- die Batterie hatte ne Macke, normalerweise hätte die auch das aushalten müssen (Herstellerfehler? Wartungsfehler?)
- wir sind zu hoch angeflogen, wären wir etwas tiefer angeflogen, hätten wir keinen Leerlauf gebraucht und der Motor wäre gar nicht stehen geblieben.
Jeder einzelne Fehler hätte niemals zum Motorausfall geführt. Nur diese Kette von Ereignissen hat zum Motorausfall geführt. Löcher in dem schweizer Käse waren genug da, nur lagen die in diesem Fall zufällig übereinander (Leerlauf zu gering - Schraube nicht gesichert - Batterie am Ende - zu viele Verbraucher an - zu steiler Anflug) so dass es eben zum Vorfall kam, der dann eben nicht zum Unfall führte - der in meinen Augen durch eine grosse Portion Glück und exzellentes Training verhindert wurde.
Und ich denke auch bei Autounfällen braucht’s meist mehr als einen Fehler: Nur ein Geisterfahrer allein macht keinen tödlichen Unfall, solange da nicht ein zweites Auto ist, das (warum auch immer) nicht ausweicht.
*wink*
Petzi