Hallo Gabi,
das Gedicht ist grundsätzlich gar nicht einmal so übel gelungen, doch es ist unzeitgemäß-epigonal. Derartiges hat man von diversen Dadaisten (entschuldige) schon besser gelesen - und damals, vor 90 Jahren, war das auch noch originell (und original). Um das mal an zwei Beispielen aus der Kölner Dada-Gruppe zu demonstrieren:
_Die Wasserprobe
Hierbei wird die Faust geballt
Daß der frosch zu boden knallt
Hier die magd die motten putzt
Daß der wind die dämpfe stutzt
Hierbei wird ein dampf verschluckt
Daß der greise bammel zuckt
Daß der warmen fische ei
Knall und fall ins einerlei
(Max Ernst)
Bimmelresonnanz II
Bergamotten flotten im Petroleumhimmel
Schwademasten asten Schwanenkerzen
Teleplastisch starrt das Cherimbien Gewimmel
In die überöffneten Portierenherzen
Inhastiert die Himmelbimmel
Feldpostbrief recochettiert aus Krisenhimmel
Blinder Schläger sternbepitzt sein Queerverlangen
Juste Berling rückt noch jrad die Mutterzangen
Fummelmond und ferngefimmel
Barchenthose flaggt die Kaktusstangen
Lämmergeiger zieht die Wäscheleine
Wäschelenden losen hupf und falten
Zigarrinden sudeln auf den Alten
Wettermännchen kratzt an ihrem Beine
Bis alle Bimmeln angehalten
(Johannes Theodor Baargeld)_
So sehr ich so etwas schätze und so gerne ich es gelegentlich lese - von einem zeitgenössischen Autor / einer Autorin ‚geht‘ so etwas eigentlich nur noch als Parodie, sonst fehlt eben das, was an einem Gedicht das Wichtigste ist: Authentizität. Genauso gut kann man sich heutzutage damit beschäftigen, Gedichte im Stile Walthers von der Vogelweide, Hölderlins oder Eichendoffs (etc. pp.) zu schreiben. Die mögen sogar ‚gut‘ sein - trotzdem sind und bleiben sie belanglos, nicht ernst zu nehmen.
Was nun das Parodieren angeht - zwar enthielt Dada selbst parodistische Elemente (nicht zu knapp), aber gewollt und auch nicht auf der doch etwas grobschlächtigen Comedy-Ebene. Da ist ein deutlicher Bezug zur gleichzeitigen expressionistischen Mainstream-Lyrik.
Auf der Comedy-Ebene ist hingegen beispielsweise Kerkelings ‚Hurz‘ angesiedelt. Wobei das Konzept eines ‚doppelten Publikums‘ - einerseits eines sach- und fachkundigen, das genasführt werden soll sowie andererseits eines ‚Metapublikums‘, das wiederum meint, sich über eben die ‚Kenner‘ lustig machen zu können - auf recht bösartig entlarvende Weise funktioniert. Wenn auch anders, als gedacht.
Das ‚Fachpublikum‘ (die sich Äußernden in ihm jedenfalls) findet den Vortrag offensichtlich nicht komisch - aber es sieht ihn auch nicht wirklich als ernstzunehmende Kunst. In Bezug auf den letzteren Aspekt (‚Kunst‘) weiss es sich mit dem ‚eingeweihten‘ Metapublikum durchaus einig, wenn auch aus anderen Gründen. Aber als Parodie, als Verulkung, trifft es beim Fachpublikum keinen Nerv - weil diesem das vorgeblich Parodierte nicht erkennbar ist, weil das Verständnis von moderner Kunst ein anderes ist als das des Massen- und Metapublikums. Bruno Heinz Jaja’s ‚Barbier von Darmstadt‘ konnte in den fünfziger Jahren für ein informiertes Publikum von Kennern als Parodie, als intelligenter Scherz funktionieren, weil das Publikum den parodistischen Bezug zur ‚echten‘ (ernst gemeinten) zeitgenössischen Musik herstellen konnte. Kerkelings ‚Hurz‘ konnte es jedoch nicht, weil es nicht wirklich einen Bezug zu zeitgenössischer Kunst hat. Humphrey Searle (alias Bruno Heinz Jaja) war im Unterschied zu Kerkeling eben auch ein durchaus ernstzunehmender Komponist. Es macht einen Unterschied, ob ein Parodist das Parodierte auch wirklich versteht - oder es nur oberflächlich-stümpernd imitiert.
Was mit ‚Hurz‘ tatsächlich parodiert wird, ist die Vorstellung, die sich das Metapublikum von moderner Kunst macht - die wiederum mit dem Objekt dieser Vorstellung nicht allzuviel zu tun hat. Dieses Publikum vermeint, über ein düpiertes Fachpublikum zu lachen - während es in Wahrheit das eigene Banausentum belacht.
Den Vergleich Deines Gedichtes mit ‚Hurz‘ finde ich durchaus passend - wobei es völlig unerheblich ist, ob die dahinter stehende Intention eine parodistische oder ernsthaft künstlerische ist. Ich persönlich finde beides (Dein Gedicht und ‚Hurz‘) nicht sonderlich komisch - aber auch nicht als ernstzunehmende Kunst.
Freundliche Grüße,
Ralf