Was hat Vorrang in der Argumentationsweise der Prädokatenlogik?

Hallo liebe Mathematiker (nun nochmal mit hoffentlich eindeutiger Notation),

ich bin mir bei Aufgaben aus der Prädikatenlogik häufig unsicher, welchem Teil einer Aussage ich Priorität geben muss oder ob ich gar einem Wahrheitswert Priorität geben muss. Ich möchte diesen sehr ungeschickten Versuch der Charakterisierung meines Problems anhand eines Beispiels präzisieren:

Es seien G_1 = \mathbb R und G_2 = \mathbb N , sowie P(x_1,x_2) : = (x_1^2 = x_2) \Rightarrow x_1 \in \mathbb N

Bestimmen Sie den Wahrheitswert von:

(a):: \forall x_1 \in \mathbb R ::\forall x_2 \in \mathbb N ::stuck_out_tongue:(x_1,x_2)

(b):: \forall x_1 \in \mathbb R ::\exists x_2 \in \mathbb N ::stuck_out_tongue:(x_1,x_2)

©:: \exists x_1 \in \mathbb R ::\forall x_2 \in \mathbb N ::stuck_out_tongue:(x_1,x_2)

(d):: \exists x_1 \in \mathbb R ::\exists x_2 \in \mathbb N ::stuck_out_tongue:(x_1,x_2)

(e):: \forall x_2 \in \mathbb N ::\exists x_1 \in \mathbb R ::stuck_out_tongue:(x_1,x_2)

(f):: \exists x_2 \in \mathbb N ::\forall x_1 \in \mathbb R ::stuck_out_tongue:(x_1,x_2)

Mir ist klar, wie die Sätze zu lesen sind. Außerdem wurde mir gesagt, dass eine Aussage nur dann wahr sei, wenn sie immer wahr ist. Nur auf welche Aussage muss ich diese Grundregel nun anwenden: Auf die gesamte Implikation, oder nur auf den ersten Teil (also dass x_1^2 = x_2 sei)? Es ergeben sich da nämlich zum Teil ganz andere (widersprüchliche) Lösungen.

In der Musterlösung, die hierfür aufgestellt wurde, stand folgendes:

(a) Sei falsch. Man müsse nur ein Gegenbeispiel dafür finden. Es wurde folgendes Beispiel gewählt: x_1 = \sqrt{2} und x_2 = 2 . Damit ist x_1^2 = 2 wahr, aber \sqrt{2} \notin \mathbb N.
Hier gibt die Musterlösung der Ganzheit der Implikation Priorität.

(b) Sei wahr. Der einfachste Weg, eine Implikation wahr zu machen, sei, die Aussage vor der Implikation (gemeint ist: vor dem Implikationszeichen) falsch zu machen (diese Aussage widerspricht doch aber dem Grundsatz, dass eine Aussage immer wahr sein muss, um wahr zu sein). Man müsse sich zu jeder reellen Zahl nur eine natürliche Zahl suchen, die nicht das Quadrat ersterer sei. Hierzu wird kein konkretes Beispiel gegeben. Hier gibt die Musterlösung dem ersten Teil der Implikation Priorität. Bzw. sie versucht um jeden Preis, die Gesamtaussage wahr zu machen, wendet also den Grundsatz „wahr ist nur wahr, wenn immer wahr“ nicht auf die ganze Implikation an, sondern nur auf den ersten Teil (denn dieser ist unstrittig falsch, wie bei (a)). Man könnte allerdings auch hier z.B. x_1 = -3 und x_2 = 9 wählen; dann wäre die Gesamtaussage ja wieder falsch und da es diese Möglichkeit gibt, ist sie nicht immer wahr!?

© Sei wahr. Man nehme eine reelle Zahl, damit x_1^2 = x_2 für alle natürlichen Zahlen falsch ist (es wurde x_1 = \frac{1}{2} gewählt). Meine Lösung: Man setze x_1 = 1 und x_2 = 7, wertet der Korrektor als nicht vollständig richtig und gibt nur einen halben Punkt (was ich auch nicht verstehe, denn  x_1^2 muss ja für alle natürlichen Zahlen x_2 sein, also auch für die 7).
Hier wird wieder aus Sicht der kleinsten Einheit, des ersten Teils der Implikation gewertet.

(d) Sei wahr, da ein Spezialfall der beiden vorherigen Teilaufgaben. Auch hier ließe sich mit z.B. x_1 = -2 die Hauptausage widerlegen. Das heißt, sie ist nicht immer wahr.

(e) Sei wahr. Man solle auch hier versuchen den Teil vor der Implikation (gemeint ist: vor dem Implikationszeichen) falsch zu machen. Es wird wieder x_1 = \frac{1}{2} gewählt.
Hier habe ich gleich eine doppelte Verwirrung: Zum einen wird hier von der zweiten Variablen aus argumentiert (also vom zweiten Quantor aus?), obwohl der erste Satz der Musterlösung heißt: „Frei gelesen: Egal welche natürliche Zahl ich, ich kann dazu eine reelle finden, die die Aussage wahr macht“ Zum Anderen müsste die Lösung aus Sicht des ersten Teils der Implikation doch so lauten: Für jedes x_2 \in \mathbb N existiert ein x_1 \in \mathbb R, dass mit sich selbst multipliziert x_2 ergibt, da \sqrt{x_2} immer \in \mathbb R, aber x_1 nicht immer \in \mathbb N (z.B. x_2 = 2 , x_1 = \sqrt{2}). Die Musterlösung muss hier also wieder der Gesamtimplikation Priorität geben.

(f) Sei wahr. Man müsse hier aufpassen, denn für den Fall, dass x_1^2 = x_2 ist, müsse auch gelten, dass x_1 eine natürliche Zahl ist. Das sei z.B. bei x_2 = 4 der Fall, denn wenn x_1 \neq 2 ist, dann sei x_1^2 = x_2 und x_1 sei eine natürliche Zahl. Somit sei die Aussage wahr.
Hier wird offensichtlich auch wieder „down-up“ argumentiert, also vom ersten Teil der Implikation aus.

Was ist denn nun richtig: „up-down“ zu argumentieren (vom Gesamten aufs Konkrete zu schließen), oder „down-up“ (vom kleinsten Teil zum Ganzen zu schließen)? Oder ist der Ansatz gar, dass man versucht überall den Wahrheitswert wahr rauszuholen wo möglich, bzw. überall falsch?

Ich weiß, dass war viel Text, aber ich hatte Angst, mich unklar auszudrücken.

Vielen Dank für eure Hilfe
Matthias


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MOD: LaTeX-Tags repariert und für bessere Lesbarkeit einige Leerzeilen eingefügt.

Hi,

prinzipiell kann man immer vorsichtshalber vor dem Ersetzen Klammern setzen. Also

P(x,y) := ( (x^2=y) => x aus IN )

Das ist logisch äquivalent zu

P(x,y) := ( (x^2 y) oder ( x aus IN) )

mit für ungleich.

Dann ist eine Formel, die noch freie Variable enthält, nie eine Aussage, sondern noch eine Aussageform. Also eine Funktion mit Werten in der Menge {Wahr, Falsch}. Natürlich kann diese Funktion schon konstant wahr oder falsch sein.

Ansonsten war das schon richtig formuliert, lesen von links nach rechts, Auflösen der Quantorenblöcke von innen nach außen, wenn es keine andere offensichtliche Möglichkeit gibt.

Gruß, Lutz

PS: Das freigiebige Verwenden von Absätzen und Leerzeilen steigert die Online-Lesbarkeit ungemein. Außerhalb von Foren mag das schlechter Stil sein, aber in Foren sind lange Blöcke Fließtext einfach unlesbar.

Darf ich unter „Auflösen der Quantorenblöcke von innen nach außen“ das verstehen, was ich mit „down-up“ Argumentation bezeichnete (also das Argumentieren vom kleinsten Element hin zum größten)? Wenn ja, heißt das dann, dass (a) und (e) in der Musterlösung falsch ist? Ich verstehe das noch nicht ganz…

Hi,

in a) kann man die Quantoren zusammenfassen, d.h., es ist eine Aussage über alle Paare. Die damit widerlegt ist, wenn es ein Paar gibt.

Das gegebene P(x,y) ist immer wahr, wenn x eine natürliche Zahl ist. Und natürlich auch dann, wenn die Voraussetzung nicht erfüllt ist. Deshalb geht e) von innen, indem man entweder x=1 konstant setzt oder wenn man x=y+2 oder so setzt, so dass x^2>y deutlich gilt.

b) man kann y bei für beliebiges x so wählen, dass die Voraussetzung falsch ist, z.B. wenn y>x^2+1

c) ist eine (halbe) Ausnahme für „von innen nach außen“, da man da sagen kann, dass man die Voraussetzung und y erstmal ignoriert und für x eine natürliche Zahl wählt, P(1,y) ist dann immer wahr.

d) verlangt, dass es irgendein Paar (x,y) gibt, jedes (1,y) macht P(x,y) wahr.

Gruß, Lutz

Hallo Matthias,
danke für das umschreiben in eine eindeutige Notation.
Zunächst eine Bemerkung dazu: Du hast \Rightarrow verwendet, was nicht ganz korrekt ist: Doppelpfeile werden in der Metasprache verwendet, bei logischen Formeln verwendet man einfache Pfeile, also hier z.B. \rightarrow um z.B. dem Leser klarzumachen, dass an der Stelle nicht die Formel aufhört. Letztlich beruht diese Anmerkung auf deinem Hinweis, es handle sich um eine Aufgabe aus der Prädikatenlogik. Handelte es sich um einen Kurs zum Thema Einführung in die Mathematik, dann hätten die Formeln einen anderen Status und der Doppelpfeil wäre angebracht, aber dann änderte sich der Erklärungsrahmen etwas.
Noch eine kleine Anmerkung: Du schreibt „(a) Sei falsch.“. Das ist für mathematisch Belastete nicht sofort zu verstehen, da  „sei falsch“ eine gängige Formulierung in der Meta-Sprache (natürliche Sprache) der Mathematiker ist für einen Beweis durch Widerspruch oder Fallunterscheidung.
Soweit zwei Randbemerkungen als Herausforderung für dein Allgemeinverständnis, was hier passiert.
Genrell besteht dein Problem darin, dass dir noch nicht klar ist, wie Formeln zu lesen sind, insbesondere, was \rightarrow bedeutet. Aus der Aussagenlogik ist die Bedeutung dieses Junktors (Semantik der logischen Sprache/Objektsprache) einfach seine Wahrheitstafel, nicht mehr, nicht weniger. Dass wir da einen „Sinn“ drin sehen von „Wenn… dann“, ist eine andere Sache - eben auf der Meta-Ebene. Zunächst solltest du dir klarmachen was aussagenlogische Formeln, auch mit mehreren Junktoren, bedeutet, d.h. wie sie in die deutsche Sprache übersetzt werden; und Schritt-für-Schritt-Übersetzungen von prädikatenlogischen Formeln in die natürliche Sprache. Ich empfehle dir dich anschließend mit der Grundschwierigkeit par excellence vieler Einsteiger in formale Logik vertraut zu machen: das Problem des materialen Konditionals/der Implikation, also dem Zusammenhang der alltagssprachlichen Verwendung von Wenn-dann-Konstruktionen, der alltagssprachlichen Bedeutung von Wenn-dann-Konstruktionen, der logischen Analyse von Wenn-dann-Konstruktruktionen, der formallogischen Abbildung von Wenn-dann-Konstruktionen, der Semantik des materialen Konditionals, den Übersetzungen von log. Ausdrücken, die das materiale Konditional enthalten, in die natürliche Sprache und umgekehrt.
Ich habe mir nur deine Anmerkungen zu (a)-(d) angeschaut, dort liegt die Schwierigkeit immer nur an der Bedeutung der Implikation. Deine Fragen zu „Prioritäten“ und „Ganzheit“ sollten damit gelöst sein.

Meine Kommentare zu deinen Anmerkungen zu den Aufgaben (a)-(d): Zu (a): Ist eine Allaussage, der Wahrheit kann man z.B. widerlegen, indem man ein Gegenbeispiel findet, d.h. Elemente aus den Gegenstandsbereichen, die das Antezedens W machen und das Konsequens F. Das angegebene Beispiel leistet das.
(b): Ist eine Allaussage. Die Aussage ist wahr. Um das nachzuweisen, muss man nur zeigen, dass man alle x_1 aus R ein x_2 aus N finden kann, das die Implikation dann W macht. Implikation ist z.B. dann W, wenn Antezedens F. Das kriegt man immer hin: einfach für x_2 eine natürliche Zahl wählen, die nicht das Quadrat von x_1 ist. Zu deinem Einwand: -3 und 9 - kann man machen, aber das wäre eine andere Aufgabe bzw. eine andere Formel. Die Übersetzung in die natürliche Sprache ist ein strukturierter Prozess, irgendwo bei der Impliaktion anzufangen, macht keinen Sinn. Man geht von den Quantoren (von außen) nach innen.
© Die Lösung mit 0,5 ist ok, deine leider nicht: setze ich die Variablen ein, erhalte ich Wenn 1^2=7, dann ist 1 eine natürliche Zahl. Und diese Aussage ist falsch, also deine Belegung der Variablen ist keine, die die Formel wahr macht. Der halbe Punkt des Korrektor ist das schon sehr passend.
(d) Ist wahr, gleicher weg wie in (b). Es geht nicht darum die „Hauptaussage“ zu widerlegen - also eine aussagenlogische Formel F zu machen, sondern eine Prädikatenlogische Formel im Belegungsprozess wahr zu machen, die halt eine Implikation enthält.

Lemma (wird oftmals in 1-2 Wochen nach solchen Aufgaben bewiesen): Hat man nur gleichartige Quantoren, ist deren Reihenfolge egal, hat man verschiedenartige, spielt die Reihenfolge eine Rolle.
Und abschließend: es ist sinnvoll sich im Tutorat zu melden und mit den Kommillitonen genau über deine Fragen zu diskutieren.

Danke dafür, dass du so gut wie möglich auf meine Vesrtändnisschwierigkeiten eingingst. das hat mir geholfen.