Liebe Kopfschüttelnde,
Ich habe mich mal damit beschäftigt, was in den letzten Tagen hier kommunikationsmäßig so abgegangen ist und skizziere das mal in einem Essay. D.h. ich idealtypisiere Positionen, die hier vorgebracht wurden; ich etikettiere jedoch keine konkreten Personen im folgenden.
Spielregel:
Wer sich missverstanden fühlt, den habe ich nicht gemeint, o. k?
Ausgangslage:
Ein Mann beklagt, eine „verweiblichte“ Gesellschaft dränge die Männer mit ihren archaischen Genen ins Abseits von Knast, Gewalt und Identitätsverlust.
Eine Frau zitiert das, bloß um zu sagen, wenn es so wäre, könnte sie sogar „Frauenhass“ verstehen,
woraufhin sich ein Mann findet, der sich beschwert, seine Genkameraden seien schon wieder als Frauenhasser „hingestellt“ worden.
Soweit die Loriot-reife Ausgangslage.
Ein Kommunikationsereignis, wie es millionenfach geschieht. Und millionenfach wird auch gefragt, ob diese „Reizbarkeit“ nun erlernt oder angeboren ist.
Hier wird’s spannend, denn die Frage ist ziemlich vage, finde ich.
Reizbar ist jede/r, das persönliche Sprengstoff/Giftgemisch für das anrichtbare Unheil wird individuell unterschiedlich dosiert und gemixt sein und es werden sich sogar geschlechtsspezifische Mixturen aus dem Gebräu herausanalysieren lassen.
Doch es geht hier um noch etwas anderes.
Die beleidigte Beanstandung, Männer würden als „Frauenhasser hingestellt“ fällt nicht wegen außergewöhnlicher Drastik auf, sondern wegen, leider typischer, völliger Grundlosigkeit.
Und eine Ereiferung bei völliger Grundlosigkeit hat andere Hintergründe als Erbgut oder Erlernung. Dem wird hier nachzugehen sein.
Mehr oder minder angeboren ist sicher die Fähigkeit überhaupt aggressiv handeln zu können; hinzuzulernen bleibt etwas Technik und der jeweilige Zielgruppenbrast gegen „Erbfeinde“ und was wir nicht alles hatten.
Die blinde Indifferenz, der keine Gegenstandslosigkeit eines „Anlasses“ zu blöde oder zu banal ist, sie als Zündfunke ans Pulver zu lassen, die fällt mir hier, und des öfteren auf, jenseits von gut und böse, jenseits von erben oder lernen.
Es sollte ein Resultat von Erziehung sein, ein Zitat von einer Beleidigung unterscheiden zu können; auch dann, wenn es zur Diskussion einer Hypothese benutzt wird. Abteilung Deutschunterricht. Bei dieser wahllosen Entzündbarkeit des Pulvers liegt das Problem; wozu wir dagegen fähig sind, wenn wir erst mal entzündet sind, sollte dagegen inzwischen kein Rätsel mehr sein.
(Auch um die diesbezügliche Geschlechterdifferenz mache ich mir kaum Sorgen, nachdem sogar Jungislamistinnen den Schleier liften dürfen, wenn sie sich mit einem Sprengstoffgürtel dem Punktestandausgleich im diesbezüglichen Geschlechterwettbewerb widmen mögen.)
Was wir auf diesem board erleben, ist einerseits eine intellektuell beschämend indifferente Auslösbarkeit von Zorn und Zank, die ich eher mit den Ergebnissen der PISA-Studie in Verbindung bringen würde, als mit dem Jäger und Krieger der Urzeit. Deren Leben stelle ich mir als von den Umständen so bedrängt vor, dass sie mit ihrer knappen Ressource „Aggressivität“, im Rahmen ihrer kognitiven Möglichkeiten, gehaushaltet haben werden, um sie nicht auf nichtige Anlässe zu verschwenden. Sonst, fürchte ich, hätte es Ärger daheim in der Höhle gesetzt, wenn der Herr Jäger das erstbeste aber leider ungenießbare Urzeitvieh massakriert hätte, weil es ihn vielleicht „dumm angemacht hat“, anstatt für einen nahrhaften Braten zu sorgen.
Ich wage keine Prognose darüber, welche Figur unsere board- Ritter von der maskulinen Gestalt insgesamt so als Urzeitkrieger gemacht hätten. Aber von dem einen oder anderen kann ich mir doch vorstellen, dass er vor einem Jagd- oder Kriegseinsatz - im Überlebensinteresse der Sippschaft - zur Nachschulung des Urteilsvermögens noch mal zum Clanschamanen geschickt worden wäre. Und ob er da seinen Jagdschein gekriegt hätte …
Wir erleben aber auch noch etwas anderes, anspruchsvolleres auf diesem board.
Neben einer, wie beschrieben, abenteuerlich indifferenten Auslösung von Gereiztheit, erleben wir auch meisterliche Schauspiele, in denen Gelegenheiten für beleidigte und mitleidheischende Opferposen versiert erschaffen werden. Es ist geradezu genial, wie eine unstrittige Opferwerdung von Männern nach der anderen, erst als Beleg ihrer selbst und dann als geleugnete Wahrheit präsentiert wird, um sodann wieder einer „verweiblichten“ Gesellschaft die Arbeits- und Heimatlosigkeit der eigenen „Kriegergene“ anzulasten mit Männergewalt als logischer Folge und geleugneter Gewalt gegen Männer. Perfekt zirkleschlüssig. Genial!
Mir fällt dazu nur ein, dass das was sich hier bisher als von „Urzeit-Genen“ gehandicapt präsentiert hat, seinerzeit garantiert den Weg von Dinos und Neandertalern gegangen wäre, also in die Versenkung.
Eine Gesellschaft muss verdammt modern sein, um Gewänder für solche Torheiten parat zu haben; damals wäre das auf kein Bärenfell gegangen. Keine Vergangenheit kann so finster gewesen sein, wie jene „Maskulinität“ töricht ist, die in der Urzeit nach einer Entschuldigung für ihren Zustand und sich selbst sucht. Denn: es wäre einfach nicht weitergegangen damals; aber irgendwie muss es ja weitergegangen sein, sonst wären wir heute nicht online.
Eigentlich ist die Masche einfach: Mann erklärt sich selbst zum Dämon aus der Urzeit, der bei den Gen-Upgrades in der Evolution leider übersehen wurde. Und so steht er da: Der Mann als drolliger Troll mit rührend ungehobelten Manieren unter lauter feinsinnigen Gemütern vom anderen Geschlecht. Traurig-verlegen ist er etwas, weil er selbst nicht weis, welches Porzellan er als nächstes zerdeppern wird.
Wehmut befällt ihn bei jedem Gedanken an das verlorene Paradies seiner Gene:
Zu seiner Zeit gab es den Faustkeil und einen Chef, der nur vom jüngeren Bruder ermordet werden durfte. Die Weiber waren etwas zottelig und ständig schwanger, nervten also nicht rum, wenn es zum Balgen oder auf die Pirsch ging. Da muss die moderne Frau doch etwas Mitleid bekommen, oder? Vielleicht kann er wilden Sex, der drollige Kerl, vielleicht bricht er ihr aber auch, ohne es bös zu meinen, den Kiefer, weil er das Töchterlein spannender findet. Damals in der Höhle war das kein Problem, außerdem waren die Kiefer noch stabiler oder sowieso immer irgendwas gebrochen.
Härter im nehmen war man. Und im Geben … das gehört dazu. Damals fand der Chef alles o.k. was seine Leute bei Laune hielt, solange er nur selbst auch mal zulangen durfte. Dann musste man sich freilich wegducken, aber das hat man gelernt, bis in die Gene hinein. Da gibt es kein Vertun. Dafür ist er direkt brauchbar, der kleine Range.
Nun gibt es Exemplare unter den biederen Berserkern, die sind etwas bierselig. Die nehmen sie nicht in der Fremdenlegion, bei den Hooligans fallen sie durch, der BGS will sie nicht, bei Skins und Punks passt ihnen die Musike nicht und vielleicht hat ihnen sogar eine Autonomenbraut mal eine geknallt, weil er doch nur dachte, da käme gerade sein lustiger Stamm aus der Steinzeit um die Ecke bei den Chaostagen.
Wohin soll er nur in dieser Welt, mit all ihren feinen Gesittungen, ihrem tückischen Taktgefühl, ihren indirekten Formen, Signalen und Symbolen? Ihren Versprechungen und Vereinbarungen, Verlockungen und Verstoßungen?
Nach dem Kneipenverbot in der Stammspelunke wegen der vielen vollgeheulten Biergläser kommt die Erleuchtung. Schuldige suchen! Opferposen proben! Das ist das Erfolgsrezent dieser Gesellschaft. Er hat es begriffen, trotz seiner katastrophalen genetischen Disposition. Nicht zu fassen. Ein Freudenfest.
Und er wird fündig, im Internet, bei wer-weiss-was.de auf dem board „Frauen und Feminismus“. Da ist er richtig. Da kann er auf etwas hoffen, was er bei keiner Politesse finden kann. Verständnis nämlich. Wenn er sich da als Mann outet, da werden sie Verständnis für ihn haben, denn die Emanzen wissen ja, dass Männer nicht ganz richtig sind. Also braucht er auch nicht ganz richtig zu sein. Keiner wird seinen Führerschein fordern, im Gegenteil; alle werden sagen, „oh, wie drollig“ und gespannt seinen schaurigen Abenteuern aus Urzeit und Moderne lauschen.
Und wenn sie nicht gestorben sind, dann lauschen sie noch heute.