Hallo,
Woran glauben die Buddisten?
meistens an alles mögliche dumme und weniger dumme Zeug - wie andere Menschen halt auch. Das - nämlich ‚Glaube‘ - hat allerdings mit Buddhismus nichts zu tun. Buddhismus ist eben nicht eine Religion in dem Sinne, dass an irgendwelche Dogmen oder Offenbarungen, die irgendwann einmal jemand hatte, geglaubt wird. Buddhismus ist zuerst und vor allem eine Lebenspraxis, ein bestimmter ‚Lifestyle‘ - erst in zweiter Linie eine theoretische Begründung für diese Art, zu leben. Wobei man bei entsprechender Praxis sehr gut ‚Buddhist‘ sein kann, ohne auch nur das geringste von dem theoretischen Hintergrund zu verstehen. Bei Christen oder Muslimen ist das etwas anders - als einen solchen kann man sich ernsthaft nur bezeichnen, wenn man neben einer entsprechenden religiösen Praxis tatsächlich glaubt, dass Jesus der gottgesandte Erlöser der Menschheit ist bzw. Mohammed der letzte und größte der Propheten. Statt von ‚Glaube‘ ist im Buddhismus allenfalls von ‚shraddha‘ die Rede - von ‚Vertrauen‘ in den Lehrer / die Lehrerin und die Lehre. Dieses ‚Vertrauen‘ ist quasi ‚Glaube auf Kredit‘. Es muss sich bewähren (d.h. man kriegt den Kredit mit Zinsen zurück) - und zwar ganz unmittelbar in diesem Leben und nicht im Jenseits oder einem anderen Leben.
„Geht nicht nach Hörensagen oder Gerücht, Überlieferung oder Tradition, den Tagesmeinungen, oder der Vorgabe von Schriften; nicht nach Vernünftelei, logischer oder rhetorischer Kunstfertigkeit, Gedankengebäuden, oder der Übernahme anziehender Ideen; nicht nach dem Schein von Fähigkeit oder der Autorität eines spirituellen Meisters. Aber wenn Ihr für Euch selber versteht: ,Diese Dinge sind heilsam, förderlich, von Weisen empfohlen; und, wenn man sie akzeptiert und durchführt, bringen sie allseits Nutzen und Glück’, solltet Ihr danach handeln.“
(Gautama Buddha, Rede an die Kalamer, A.III.66)
Was ist ihre Lehre?
Zunächst einmal geht der Dharma (die buddhistische Lehre) davon aus, dass jegliches Dasein notwendig einen leidhaften Charakter hat. Zur Verdeutlichung werden hier vor allem die menschlichen Grunderfahrungen Alter, Krankheit und Tod angeführt, die unausweichlich und unvermeidbar sind. Selbst freudvolle Erfahrungen sind in ihrer Grundnatur leidhaft, weil sie vergänglich sind und somit unvermeidlich zur leidhaften Erfahrung des Verlustes führen - d.h. jegliche lustvolle / freudige Erfahrung ist lediglich vorübergehend, während Leidhaftigkeit eine Konstante ist, die allenfalls eine Zeit lang ‚verdeckt‘ werden kann. Anders ausgedrückt: auch lustvolle Erfahrungen sind eine subtile Form des Leidens, weil ihnen unvermeidlich das Vermissen folgt wie dem Drogenrausch der Entzug.
Bei näherer Analyse der Leidhaftigkeit und Unbeständigkeit jeglichen Seins zeigt sich, dass dies damit zusammenhängt, dass alles Seiende (einschließlich des Menschen) nicht ‚aus sich selbst heraus‘ existiert, also keine Substanz, keinen ‚Wesenskern‘ hat. Tatsächlich existieren alle ‚Dinge‘ aus Ursachen und Bedingungen heraus und verändern sich permanent in Abhängigkeit von diesen, entstehen und vergehen. Insofern existieren ‚Dinge‘ (einschließlich des Dings ‚Mensch‘) nicht als statische Entitäten, sondern als dynamische Prozesse, die in falscher Wahrnehmung ‚verdinglicht‘ werden.
Die eigentliche Ursache des Leidens liegt nun darin, dass die Wahrnehmung und vor allem die Selbstwahrnehmung den Menschen etwas völlig anderes vorgaukelt - nämlich ein konstantes Ich, dass sich andere Dinge aneignen kann oder aber sie abwehren und vermeiden kann. Zur dieser kognitiven Fehlhaltung (als avidya, ‚Nichtwissen‘ bezeichnet) kommt hinzu, dass das scheinbare Ich diese Aneignungs- und Abwehrmechanismen tatsächlich will. Es handelt automatisch aus den Grundantrieben Lust und Unlust (klassische Terminologie: ‚Gier‘ und ‚Hass‘) heraus; will angenehme, lustvolle Erfahrungen festhalten und unangenehmen ausweichen. Dies ist jedoch auf Grund des prozesshaften und unbeständigen Charakters von ‚Ich‘ und Ich-Erfahrung aussichtslos und eine Quelle ständiger Frustration.
Die Leidhaftigkeit der Seinserfahrung ist also zum einen bedingt durch die Unbeständigkeit und Substanzlosigkeit/Prozesshaftigkeit alles Seienden, zum anderen durch einen aus falscher Sicht entstehenden unangemessenen Umgang damit - beides muss zusammentreffen. Der Mensch sieht die Welt nicht als ein sich stets veränderndes Geflecht von Ursachen und Bedingungen, in das er selbst als eine Teilfunktion eingebunden ist, sondern als eine Ansammlung von statischen ‚Dingen‘ und auch sich selbst als ein unabhängig davon existierendes ‚Ding‘. Diese Dinge besetzt er mit Emotionen und Absichten - mit Gier und Hass (und allem, was da dazwischen liegt). Es ist ein wenig wie der Versuch, mit einem Sieb Wasser zu schöpfen, weil man sich über die Natur des Wassers täuscht.
Leiden hat mithin eine Ursache - und wird diese Ursache beseitigt, erlischt auch das Leiden. Beseitigen der Ursache heist in diesem Fall, Einsicht in die wahre Natur der ‚Dinge‘ zu gewinnen und damit die Grundantriebe ‚Gier‘ und ‚Hass‘ versiegen zu lassen - anders gesagt, nicht länger blosse Phantome damit emotional zu besetzen. Diese Einsicht in die wahre Natur der Dinge (was die Einsicht in die wahre Natur des Selbst mit einschließt) ist das Erwachen, bodhi , der so Erwachte ist ein Buddha. Es versteht sich, dass es beim Erwachen nicht um intellektuelle Erkenntnis geht, sondern um eine existentielle Erfahrung, die für den, der damit seine kognitive Fehlhaltung überwindet, im wahrsten Sinn des Wortes ‚welterschütternd‘ ist.
Dieses ‚Erwachen‘ kann spontan eintreten (was allerdings nur selten geschieht), es kann aber auch methodisch vorbereitet und befördert werden. Die von Gautama Buddha entwickelte Methode ist der sog. achtfache Pfad - eine Lebenspraxis, in der ethische Verhaltensnormen mit Methoden geistiger Schulung und intellektueller Erkenntnis verbunden werden. Übrigens hat Buddha nie behauptet, dieser von ihm gelehrte Weg sei der einzige - nur dass er eben diesen Weg erprobt hat und dass er funktioniert.
Er ‚funktioniert‘ sogar so gut, dass er auch ohne die Erfahrung des Erwachens häufig zu einem friedvolleren / zufriedeneren Leben führt, einem Leben mit weniger Stress, mit weniger Leiden. Wobei „weniger Leiden“ nicht heisst, dass man objektiv andere Lebenserfahrungen macht als Nichtbuddhisten (Gautama Buddha z.B. hatte gegen Ende seines Lebens erhebliche Rückenprobleme und er starb an einer Lebensmittelvergiftung mit all ihren unangenehmen Begleiterscheinungen). Es heisst jedoch, dass man anders mit diesen Erfahrungen umgeht. Dass man sowohl Angenehmes wie Unangenehmes annehmen kann, so wie es auf einen zukommt - und es loslassen kann, wo wie es schwindet. Wer eine solche Entwicklung an sich selbst wahrnimmt, der braucht nichts zu „glauben“ um eine buddhistische Praxis im Alltag zu leben.
Freundliche Grüße,
Ralf