Was ist das Undefinierte an In-definido, A-orist usw.?

Hallo!

Eigentlich eine ganz banale Frage, finde aber keine wirkliche Antwort im Netz …

Am spanischen Indefinido oder am griechischen Aorist, was ist denn dieses Undefinierte/Unbestimmte/Unbegrenzte (in-definido, α-οριστικός) daran?

Oberflächlich betrachtet möchte man den Indefinido oder den Aorist geradezu umgekehrt als die (punktuell) bestimmte Vergangenheit zu verstehen und nicht als deren Gegenteil.

Danke und Gruß
F.

Hi,

die lateinische grammatische Terminologie geht auf Übersetzungen bzw. Übertragungen der ersten griechischen Grammatik aus dem 2. Jhdt. v. Chr., der → Τέχνη Γραμματική des Διονύσιος ο Θραξ zurück, die in Fragmenten erhalten ist.

Dort, in → Kap. 15, unterscheidet er bezüglich der Verbformen zunächst drei Tempora:
χρόνοι τρεῖς, ἐνεστώς (Präsens), παρεληλυθώς (Vergangenheit), μέλλων (Futur).

Und dann macht er in der Vergangenheit nochmal vier Unterscheidungen (διαφορὰς):
τούτων ὁ παρεληλυθὼς ἔχει διαφορὰς τέσσαρας, παρατατικόν (Imperfekt), παρακείμενον (Perfekt), ὑπερσυντέλικον (Plusquamperfekt), ἀόριστον (Aorist) …

Und dann bestimmt er nochmal drei Verwandtschaftsbeziehungen (συγγένεια) zwischen diesen:
… ὧν συγγένεια τρεῖς, ἐνεστῶτος (des Präsens) πρὸς παρατατικόν (zum Imperfekt), παρακειμένου (des Perfekt) πρὸς ὑπερσυντέλικον (zum Plusquamperfekt), ἀορίστου (des Aorist) πρὸς μέλλοντα (zum Futur).

Daraus vermute ich, daß er den Aorist, also den Aspekt einer zeitlichen Unbegrenztheit, so versteht, daß hierbei (wie eben auch beim Futur) der Topos der Erzählform nicht in eine Zeitspanne (!) eingebettet ist: Aorist nicht in eine Spanne ausgedehnt, Futur nicht auf eine Zeitspanne beschränkt.

Gruß
Metapher

Hallo!

Vielen Dank für deine ausführliche Erklärung.
Den obigen Teil hab ich ganz gut verstanden, weil die Begriffe der Grammatik auch im Neugriechischen noch (fast) so heißen. Des Altgriechischen bin ich ja leider nicht mächtig.

Den Bezug auf das Futur habe ich nicht verstanden (vielleicht, weil das Altgriechische das Futur nicht in punktuelles und kontinuierliches unterscheidet wie es das Neugriechische macht? ich weiß es nicht), aber das …

… würde heißen, der Aorist (und der Indefinido) ist insofern undefiniert als er sich auf einen singulären Punkt bezieht und nicht auf eine Zeitspanne, z.B. „es war schön damals in der Weimarer Republik“, durch die alle Zeitpunkte darin definierbar/umgrenzbar sind?

Gruß
F.

So ist es. Es gibt keine morphologische Unterscheidung. In einer Grammatik finde ich das Beispiel dazu:

αρξω a) ich werde zur Herrschaft gelangen b) ich werde herrschen
D.h. zwischen initiatorischer und durativer Bedeutung kann nur der Kontext unterscheiden.

Genau so habe ich die συγγένεια zwischen Aorist und Futur, die Dionysios so explizit betont, verstanden. Es könnte also sein, daß er nur die punktuelle Variante des Futur im Sinn hatte.

Man müßte die Fragmente durchackern, um zu sehen, wie D. sonst das ἀόριστον verwendet (dazu fehlt mir aber Zeit und Geduld). Ich meine aber, daß diese Bezeichnung für dieses Tempus bereits bekannt gewesen sein muß, als er den Text verfaßte. Sonst hätte er es ja begründen müssen, um verstanden zu werden. Da er seine „Schriftlehre“ aus dem Studium von poetischen und philosophischen Texten exzerpiert hatte, dürfte der Wortgebrauch von ἀόριστον auch umgangssprachlich intuitiv auf diese grammatische Form verwiesen haben.

Aber auch im Liddell-Scott finde ich nur Hinweise (neben dem auf den Terminus des Dionysios) nur: indeterminate, uncertain, limitless.

Gruß
Metapher

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