Nachtrag - Nagarjunas Reduktionismus
Zur Seligkeits-Frage noch ein Zitat (um auch Wiki in deine Schusslinie zu bringen):
Nirwana (Wiki):
Nirwana ist demgemäß die Erkenntnis der Leere, aus der und in der alles Vergängliche lebt, auf Grundlage eines einheitlichen Empfindens sowie Einblick in die Einheit von Welt (Samsara), Körper, Seele und Geist. Es kann als Freiheit von Anhaftungen an Zustände von Unglück, Zufriedenheit und Glück verstanden werden. Zugleich ist es die Erfahrung der Glückseligkeit im intensiven Wahrnehmen der eigenen Identität mit einem absoluten Bewusstsein.
Zur Dualismus-Frage:
Handbuch der religionswissenschaftlichen Grundbegriffe, Bd. IV, „Nirwana“:
… sondern es werden über das Nirvana Aussagen gemacht, die es als eine Realität erscheinen lassen. Diese ist zwar das genaue Gegenteil zur irdischen Realität, aber deswegen nicht reine Nichtexistenz (…) Während für die alten Schulen (= Theravada, Anm. Chan) die leidhafte Wirklichkeit eine Realität ist, die dem positiv oder negativ verstandenen Nirwana gegenüber steht , ist für das Mahayana … usw.
Zur Identitätsbehauptung „Nirvana = Samsara“:
Zunächst ein Zitat, entnommen von deiner Website:
[MMK 25.19] Es gibt nichts, was den Samsara von Nirvana, und das Nirvana vom Samsara unterscheidet.
[Akutobhaya] Indem von dem Zusammenhang (santana) der Gruppen (skandha) abhängig der Kreislauf (samsara) erkannt wird (prajnapyate), so ist, wie wegen der Wesensleerheit (svabhava-sunyata) dieser skandhas diese durchaus (atyanta) ohne Entstehens- oder Vergehenseigenschaft sind, von uns von Anfang an (aditah) eben (eva) gelehrt; deshalb ist, weil alle dharmas (Objekte) in gleicher Weise nicht entstehen und nicht vergehen (anutpada-anirodha-samatya) auch nicht der geringste Unterschied des samsara vom nirvana. Wie auch nicht der geringste Unterschied des samsara vom nirvana ist, so ist auch nicht der geringste Unterschied des nirvana vom samsara.
[MMK 25.20] Die Grenze des Nirvana ist zugleich die Grenze des Samsara. Zwischen diesen beiden wird auch nicht der feinste Unterschied gefunden.
[Akutobhaya] Da des nirvana und des samsara Wirklichkeitsgrenze (bhuta-koti), Nichtentstehens-grenze (anutpada-koti), Wirklichkeitsgrenzeerreichen (bhutakoti-pratisthana) in gleicher Weise nicht erfasst werden (anupalabdhi-samatvena), existiert auch nicht irgendwelcher geringste Unterschied.
Das ist pure Ontologie, also eine Lehre vom Sein (im allgemeinsten Sinne, also nicht das Sein als Seiendes festlegend) ohne Bezugnahme auf die Bewusstseinskategorie. Ontologie ist eine Weise des Philosophierens, die von bestimmten Philosophenschulen, wie z.B. der kantianischen, als falsch bezeichnet wird, da der Faktor Bewusstsein unter den Tisch fällt. Was hat der Mensch denn anderes als sein Bewusstsein und dessen „Inhalte“? Wo bleiben die Bewusstseinsphänomene in der Rechnung Nirvana = Samsara? Gerade im Spannungsfeld zwischen Nirvana und Samsara liegt der Raum für das Bewusstsein. Nagarjuna sagt, beide seien „leer“. Das ist eine Ontologie, die die dualistische Spannung zwischen Nirvana und Samsara hinweg definiert. Aber so leicht ist das nicht. Die Gleichsetzung unterbewertet den Bewusstseinsfaktor, den Nagarjuna ja auch anerkennt. Er sagt z.B.:
Für dich mag gelten, dass Entstehen und Vergehen [doch] gesehen werden. Man sieht Entstehen und Vergehen [jedoch] nur aus Verblendung.
dṛśyate saṃbhavaś caiva vibhavaś caiva te bhavet |
dṛśyate saṃbhavaś caiva mohād vibhava eva ca ||
(MMK 21.11)
Er kommt also aus dem Dualismus nicht heraus, nur betrifft es nicht die Kategorien Nirvana/Samsara, sondern die Bewusstseinkategorie.
Verblendetes Bewusstsein versus erleuchtetes Bewusstsein – das ist das Basisdualismus in diesem System. Nagarjuna entstammte bekanntlich einer brahmanistischen Familie und wurde zu seinem „Monismus“ (die Identität Nirvana=Samsara betreffend) vermutlich durch brahmanistische Anschauungen angeregt. Für diese besteht der existentielle Grundgegensatz zwischen Brahman und dem verblendeten Bewusstsein (Jivatman), das kernhaft, als Atman, aber mit Brahman identisch ist. Darüber hinaus ist der Brahmanismus ein Monismus, der keine Unterscheidung von Brahman und Welt kennt, da diese „in“ ihm ist. So heißt es in der Mundaka Upanishad:
Es (Brahman) ist überall; oben, unten, vorne, hinten, rechts, links. All diese Welt ist wahrlich dieses Höchste Brahman.
Chan