Hallo Chan,
Das ist keineswegs meine „persönliche“ Interpretation. Dass
die Mahayana-Lehre den Dualismus der Theravada-Schule durch
die Gleichsetzung von Nirvana und Samsara überwinden wollte,
das sehen auch echte Kenner der Materie so. Ich zitiere nur
ein Beispiel:
Und was bitteschön macht Herrn Dipl. Psych. Harald Piron zu einem „echten Kenner“ der Materie, insbesondere des Theravada? Selbst das Artikelchen über tibetischen Buddhismus strotzt nur so von sachlichen Fehlern.
Der Dualismus liegt
jedenfalls in der Entgegensetzung zweier Erkenntnis´ebenen´
bzw. Bewusstseinszustände (samsara/nirvana). Natürlich wirst
du auch diese Begriffe monieren.
Diese „Erkenntnisebenen“ oder „Bewusstseinszustände“ sind eben nicht „entgegengesetzt“. So wenig, wie der Bewusstseinszustand von jemandem, der die spezielle Relativitätstheorie begriffen hat, dem Bewusstseinszustand von jemandem, der das nicht tut, „entgegen gesetzt“ ist.
Zum Thema Nirvana vs. Seligkeit/Glück:
Im Dhammapada 203 sagt Buddha:
Hunger ist schlimmste Qual, unbeherrschte Triebe größtes Leid;
Dem Weisen ist Nirvana höchste Seligkeit.
… nibbānaṃ paramaṃ sukhaṃ.
‚Sukha‘ drückt einfach körperliches und geistiges Wohlbefinden aus. Im Skandha-Modell ist bei der vedanā-Gruppe psychophysischer Prozesse (‚Empfindung‘) ist ‚sukha‘ als eine der fünf Klassen von Empfindungen übrigens tatsächlich ausschließlich als körperliches Gefühl des Wohlbefindens (‚kāyika sukha‘) zu verstehen. Es gibt je nach Kontext verschiedene Bedeutungsebenen von ‚sukha‘; im buddhistischen Kontext ist ‚sukha‘ jedoch nahezu immer als Abwesenheit von ‚dukkha‘ (‚Leiden‘) zu verstehen. An verschiedenen Stellen wird das Gegenteil von ‚sukha‘ (‚asukha‘) explizit mit ‚dukkha‘ gleichgesetzt.
‚Sukha‘ hat schlicht und einfach nicht die Konnotationen, die ‚Seligkeit‘ im Deutschen besitzt. Als Adjektiv ist es am treffendsten mit ‚wohl, angenehm‘ übersetzt, als Substantiv in Bezug auf das Komplement dukkha / Leid mit ‚Freude‘ oder ‚Glück‘ - wenn einem schlichtes ‚Wohlbefinden‘ zu prosaisch ist.
Im Mahjjima Nikaya 75 sagt er:
Gesundheit ist das höchste Gut,
Nibbāna höchste Seligkeit ,
Der beste Pfad ist der Achtfache,
Der sicher zum Todlosen führt.
Dieselbe Formel („nibbānaṃ paramaṃ sukhaṃ“).
Auf die Überprüfung der weiteren Beispiele verzichte ich. Weisst Du - wenn man von der Originalsprache keine Ahnung hat und sich bei solchen Diskussionen auf Übersetzungen stützen muss, ohne deren Qualität beurteilen zu können, sollte man besser etwas zurückhaltender sein.
Eben. „Mit Begierde“ versus „ohne Begierde“ - Dualismus pur.
Das ist eine simple simple Dichotomie - die mit dem ontologischen Dualismus christlicher Jenseitsvorstellung nichts, aber auch gar nichts zu tun hat. Du argumentierst unsauber und ziehst aus unscharfen oder falsch angewandten Begriffen falsche Schlüsse - nicht zum ersten Mal.
Der Unterschied zu mahayanischen Auffassung ist gar nicht so
gravierend, wie du meinst.
Die Mahayanisten sahen das vielleicht weniger locker als du.
Dann zitiere doch mal den einen oder anderen ‚Mahayanisten‘, der sich konkret dazu äußert. Aber bitte nicht irgendwelche ‚transpersonalen‘ Dipl-Psychs oder Studenten, die mal so nebenbei ein Seminar über Buddhismus auf Grundlage von Liteartur gemacht haben, die hauptsächlich von christlichen Theologen verfasst wurde.
Übrigens - wenn du Dich wirklich ernsthaft mit Nagārjuna beschäftigt hättest, dann wüsstest Du, dass ihn einer seiner bedeutendsten Übersetzer (David Kalupahana) ihn mit durchaus respektablen Argumenten als ‚hinayanischen‘ Denker interpretiert.
Umgekehrt könnte ich jetzt sagen, dass du deine Lesart von
(westlicher) Glückseligkeit bzw. Seligkeit verabsolutierst und
daraus ableitest, mit Nirvana hätte das gar nichts zu tun. Ich
denke, dass die mystische Erfahrung, die Buddha erlebte, sich
im Prinzip nicht von den Erfahrungen der Mystiker aus allen
Zeiten unterschied
usw. usf.
Mein lieber Horst, das ist Dampfplauderei und so sinnvoll wie die Fragestellung zu erörtern, wieviel Engel auf einer Nadelspitze Platz haben. Die Erfahrungen, um die es hier geht, kann man machen - aber man kann über sie nur mit jemandem kommunizieren, der sie ebenfalls gemacht hat. Ich mache meine Erfahrungen auf einem buddhistischen Schulungsweg und ich spreche mit meiner Lehrerin darüber, die den Weg vor mir gegangen ist. Ich kann dazu nur sagen, dass weder ich noch andere, die diese Erfahrung auf diesem Schulungsweg gemacht haben, von ‚Seligkeit‘ oder gar ‚Glückseligkeit‘ sprechen. Wie es bei christlichen Mystikern, Gnostikern, Sufis usw. usf. ist, weiss ich nicht. Ich habe nicht deren Erfahrungen, weil ich nicht deren Schulungswege gehe. Ich kann Ähnlichkeiten, Verwandtschaften usw. erkennen - aber nur partiell. Das ist auch nicht verwunderlich, weil die Überschneidungen allenfalls im Bereich meditativer Schulung und ethischer Lebensführung - also partiell - vorhanden sind. Ein ernstzunehmender Schulungsweg lässt sich aber auf diese partiellen Überschneidungen nicht reduzieren. Er ist ganzheitlich. In der buddhistischen Praxis sind ethisches Verhalten, hermeneutische Schulung (‚Weisheit‘) und geistige Disziplin (‚meditative‘ Praktiken) untrennbar miteinander verbunden und stehen miteinander in Wechselwirkung. Deswegen bezweifle ich sehr, dass die „mystischen Erfahrungen“, von denen Du da redest, immer dieselben sind. Es ist mir davon abgesehen auch herzlich gleichgültig. Was nutzt es, die Schätze anderer zu zählen?
Was mir allerdings zutiefst unsympathisch ist, das ist die Tendenz, den Aspekt geistiger Schulung aus den jeweiligen Kontexten herauszulösen und zu einem indifferenten Einheitsbrei zu verrühren. Natürlich geht es dabei um nichts anderes, als daraus eine Ware zu machen, die einer Kundschaft unabhängig von deren religiöser oder weltanschaulicher Einstellung verkauft werden kann. Das kann durchaus sinnvoll sein - wenn es sich um therapeutische Entwicklungen wie z.B. das aus der theravadischen Vipassana-Praxis entwickelte MBSR handelt. Das ist dann aber auch eine andere - eine um wesentliche Bestandteile reduzierte - Übung die dann auch nur entsprechend reduzierte Resultate zeitigt.
Das Pañcakanipata (V. Buch) des Anguttaranikāya enthält 303
Sutten. Wenn Du mir mitteilst, welche genau Du da eigentlich
zitierst, könnte ich mal nachschauen, was da wirklich steht.
„Seligkeit, Seligkeit ist das Nibbāna!“ findet sich im
Anguttara Nikaya IX, 34.
Okay - ich sehe, Du hast die in dem komischen Blogartikel zitierte Stelle auch nicht gefunden und präsentierst jetzt dafür das. Auch da steht natürlich ‚sukha‘ (Sukhamidaṃ, āvuso, nibbānaṃ. Sukhamidaṃ, āvuso, nibbāna’’nti).
Wie schon oben erwähnt, sollte man, wenn man sich auf Übersetzungen verlassen muss, auch verläßlicher Übersetzungen bedienen. Dass ‚sukha‘ das Gegenstück zu ‚dukkha‘ (Leid) ist, habe ich schon oben ausgeführt. Es ist nun die Frage, ob man hier zur Übersetzung das deutsche Gegensatzpaar ‚Freude und Leid‘ oder ‚Glück und und Leid‘ verwendet. Nyanatiloka / Nyanaponika übersetzen hier „Ein Glück, ihr Brüder, ist das Nibbāna! Ein Glück, o Brüder, ist das Nibbāna!“ - wie übrigens auch Zumwinkel in seiner Majjhimanikāya-Übersetzung ‚sukha‘ mit ‚Glück‘ wiedergibt. Auch, wenn ich ‚Glück‘ in Bezug auf einen beruhigten (passaddhi), von Gleichmut (upekkha) geprägten Geisteszustand für zu überschwenglich halte, so ist das doch ein gutes Stück von ‚Seligkeit‘ oder gar ‚Glückseligkeit‘ entfernt. Diese Bezeichnungen würden eher auf pīti zutreffen - ein Geisteszustand, der häufig mit „Verzückung“ übersetzt wird. Das ist nun eine Erfahrung, die in der Geistesschulung geistiger Konzentration (jhana) gemacht wird, sie ist bei den ersten beiden Stufen gegenwärtig und wird auf der 3. Stufe zurück (oder los-)gelassen.
Und auf der Seite des Shaolin-Tempel-Deutschland heißt es so
schön:
Das ist eine Kampfsportschule mit werbewirksamem buddhistischen Anstrich, mehr nicht.
Der Pfad der Sammlung führt zu verschiedenen Stufen der
Versenkung und der mystischen Erlebnisse oder Zustände, wie
Verzückung, Seligkeit und Ekstase. Laut Buddha gibt es vier
Versenkungsstufen, die dabei helfen, Nirwana und das Ende des
Leidens zu erlangen…
So nicht direkt falsch - aber siehe oben, die genannten „Zustände“ werden mit der 2. Stufe verlassen. ‚Sukha‘ übrigens - falls auch hier das mit ‚Seligkeit‘ gemeint sein sollte, mit der 3. Stufe. Die vier jhanas führen übrigens nicht zum Erwachen / zum Nirvana - sie sind, wie schon angedeutet, lediglich konzentrative Übungen („Sammlung“, samādhi) zur Schulung der Geisteskraft. Übrigens eine Praxis, die von der chinesischen Chan-Schule, zu der Shaolin immer noch gehören will, explizit abgelehnt wurde, weil sie im Widerspruch zu Huinengs dunjiao-Doktrin (頓教) steht.
Kannst dich ja gerne mal mit den Jungs anlegen
So lange das nicht in eine Prügelei ausartet - kein Problem.
Freundliche Grüße,
Ralf