Hallo Robespierre,
da Du Dich, wie Du schreibst, mit dem deutschen Idealismus befasst, möchte ich hier auf Schopenhauers berühmtes Bonmot von der Religion als der ‚Metaphysik des Volkes‘ (heute würde man wohl sagen: Metaphysik für Arme) verweisen - mit etwas zugehörigem und mE auch notwendigem Kontext:
„Die Religion ist das einzige Mittel, dem rohen Sinn und ungelenken Verstande der in niedriges Treiben und materielle Arbeit tief eingesenkten Menge die hohe Bedeutung des Lebens anzukündigen und fühlbar zu machen. Denn der Mensch, wie er in der Regel ist, hat ursprünglich für nichts Anderes Sinn, als für die Befriedigung seiner physischen Bedürfnisse und Gelüste, und danach für etwas Unterhaltung und Kurzweil. Religionsstifter und Philosophen kommen auf die Welt, ihn aus seiner Betäubung aufzurütteln und auf den hohen Sinn des Daseyns hinzudeuten: Philosophen, für die Wenigen, die Eximirten; Religionsstifter, für die Vielen, die Menschheit im Großen. Denn philosophon plehtos adynaton einai [es ist unmöglich, dass die breite Masse philosophisch gebildet sei], wie schon dein Plato gesagt hat und du nicht vergessen solltest. Die Religion ist die Metaphysik des Volks, die man ihm schlechterdings lassen und daher sie äußerlich achten muß: denn sie diskreditiren heißt sie ihm nehmen. Wie es eine Volkspoesie giebt und, in den Sprichwörtern, eine Volksweisheit; so muß es auch eine Volksmetaphysik geben. Sie ist allemal eine allegorische Einkleidung der Wahrheit, der Fassungskraft des Volkes angemessen, und leistet, in praktischer und gemüthlicher Hinsicht, d.h. als Richtschnur für das Handeln und als Beruhigung und Trost im Leiden und im Tode, vielleicht eben so viel, als die Wahrheit, wenn wir sie besäßen, selbst leisten könnte. Daher, mein Lieber, ist, nimm mir’s nicht übel, sie zu verspotten, beschränkt und ungerecht zugleich.“
(Arthur Schopenhauer, Parerga und Paralipomena II, Kapitel XV, § 174)
Selbstverständlich ist Schopenhauer nicht das Maß aller Dinge und es gibt durchaus andere Auffassungen - für mich ist diese jedoch durchaus treffend und plausibel. VIKTOR hat in dem Sinne recht, dass es sich hier um zwei verschiedene ‚Kategorien‘ handelt, die nach Schopenhauer freilich eine gemeinsame Wurzel haben, die Schopenhauer das ‚metaphysische Bedürfnis‘ nennt. Metaphysik und Religion sind zwei Antworten auf dieselbe Frage - die eine an eine Elite gerichtet, die andere an die breite Masse.
Differenzierter und stringenter ausgeführt als in den ‚populären‘ Parerga findet man diesen Gedanken Schopenhauers im 17. Kapitel des 2. Bandes von Schopenhauers Hauptwerk ‚Die Welt als Wille und Vorstellung‘: http://www.zeno.org/Philosophie/M/Schopenhauer,+Arth…
- vielleicht nicht gerade der optimale Einstieg in die Philosophie Schopenhauers, aber durchaus für sich selbst einigermaßen verständlich.
Freundliche Grüße,
Ralf