emmilein123,
mit der Frage machst du ein Thema auf, zu dem es Bücher gibt. Viele. Ich werde versuchen, dir eine Mischung meiner eigenen Erfahrungen und einer Aufdröselung des Wortes anzubieten. Dies wird deine Verwirrung vielleicht auflösen können. Um besser und sicherer informiert zu sein, folge aber bitte den Ratschlägen im „Anhang“.
Ich habe übrigens sehr viel geschrieben und – um mich nicht ewig aufzuhalten – bei vielen nicht darauf geachtet, mich sehr einfach und unmissverständlich auszudrücken. Ich stehe dir deshalb für Nachfragen immer zur Verfügung. Habe aber bitte Mut, den Text verstehen zu wollen.
Formales: Ein mit „_“ umrahmtes _Wort_ sollte dick geschrieben sein. Wenn ich Zeit finde werde und es möglich ist werde ich es nochmal mit echter fetter Schrift ersetzen.
Ich habe versucht, objektiv zu bleiben, schreibe aber aus meinen eigenen Erfahrungen und Positionen heraus, weshalb dieser Text wahrscheinlich tendenziös sein wird.
1: Einleitung
2: Wo ist Links?
3: Wege aus dem Labyrinth
4: Fazit
5: Anhang (Informieren! Aber wo und wie?)
6: Nachsatz: Ist Hagen Rether links?
-1- Einleitung
Für junge Menschen wie mich und - ich vermute mal - dich, die eine Nähe zum „Linkssein“ empfinden, hat das Wort erstmal vor allem positive Konnotionen: Gerechtigkeit, Toleranz, Solidarität, Rebellion gegen alten Mief, kurz gesagt eine Hippi-Philantropie. Der Begriff ist auch ein bisschen schwammig, es gibt solche und solche Linke, außerdem Leute, die positives mit „links“ verknüpfen und auch solche, die du getroffen hast.
Gerade unter jungen Leuten ist die Abgrenzung Konsens. Von dem Negativen, was in der Gesellschaft, im System so abgeht. Ungerechtigkeit, Intoleranz und Unterdrückung stehen da ganz oben.
Was genau man aber vertritt, also befürwortet, da gibt es klaffende Unterschiede, eingefahrene Streits, meistens aber - leider - auch viel Unwissenheit und Halbwissen. Leute, die keine Ahnung haben, unterbewusst „Hip“ sein wollen und dann _bewusst_ vielleicht „links“ wirklich toll finden, aber eben keine Ahnung haben. Und deshalb „links“ „aussehen“, ohne „links“ sein zu können.
Ältere Leute verwenden meist den „links“-Begriff ihres politischen und Gesellschaftlichen Umfelds. Was alles unter „links“ verstanden, bzw. nicht verstanden wird, versuche ich im nächsten Abschnitt zu umreißen (siehe speziell Punkt 4).
-2- Wo ist Links? Bzw: Verschiedene Leute, verschiedene Ideen.
Wenn du meinen Empfehlung aus dem Anhang (5) folgst, wirst du ein sehr informiertes Bild von „links“ bekommen, vor allem aber _dein eigenes_, nicht meines (oder das von nur _einem_ Autor). Ich kann gerne ein bisschen Literatur empfehlen, die einfach verständliche, spaßig zu lesende Information über politische Strömungen (von Vertretern dieser Strömungen) bietet.
Damit du aber gleich schon die Gelegenheit bekommst, deine Verwirrung bzgl. „Links“ zu schmälern, hier ein kurzer Überblick:
- Es gibt solche und solche Leute, die sich Links nennen.
Als einfaches Beispiel werde ich nun „Kommunisten“ und „Anarchisten“ nehmen (es gibt aber noch hunderte weitere und tausende Zwischenstufen!).
- Es gibt die Theorie und das Individuum.
Viele Leute, die sich „Kommunisten“ oder „Anarchisten“ nennen, haben nur ein paar nett klingende Flyer gelesen und mit ein paar Leuten kurze, angetrunkene Gespräche geführt. Nüchterne, konzentrierte Gespräche würden klar machen, dass sie von der K. bzw. der A.-Tradition und der Theorie (also den wichtigsten Texten, Themen, Positionen) gravierend abweichen / wenig Ahnung haben.
- Es gibt solche und solche Strömungen, die _von Linken_ „links“ bzw. „nicht-links“ genannt werden.
Viele DogmatikerInnen treiben sich im linken Milieu herum. Bitte werde selber keine. Dogmatische Anarchisten nennen sich selber nicht Dogmatisch, sondern konsequent. Und Kommunisten bezeichnen sie nicht als links, sondern als totalitär. Genau so andersrum, Kommunisten nennen Anarchisten dann aber verallgemeinernd/ins negative ziehend „Antifa-Kiddies“, „Zecken“ oder „idealistische Träumer, die als Kapitalisten enden werden“.
Eine schönes Beispiel für „innerlinke“ Diskurse um die „richtige Strömung“ findet man schon im Manifest (unter „Sozialistische und kommunistische Literatur“). Es ist aber – dem Zweck des Manifests geschuldet – recht knapp und polemisch gehalten (und natürlich längst veraltet). In anderen Schriften findet man Auseinandersetzungen ganz anderen Niveaus.
- Es gibt solche und solche „Dinge“ (Lebensweisen, Positionen, Menschen, Aussagen usw.), die _von außen_ links genannt werden.
Leute, die sich politisch nicht besonders auseinandersetzen, sind in ihrer politischen Position meistens aus ihrem Umfeld geprägt. Ich nenne die jetzt im folgenden mal Stammtisch-Proleten, weil dies ein bekanntes Bild ist. Auch ein junger Juppi kann in diese Kategorie gehören, zählen tut hier nicht der Stammtisch oder der Prolet, sondern, dass man seine eigene politische Position nicht hinterfragt und sich mit ihr auseinandersetzt, sondern sie mehr oder weniger unhinterfragt aus seinem Umfeld (bei einigen der Stammtisch) übernimmt.
Die „anderen“, diejenigen also, die von sich selber glauben, ihre politische Meinung hinterfragt und gebildet zu haben, nenne ich der Einfachheit halber – ebenso sträflich verkürzt - „Bildungsbürger“. Natürlich gibt es Leute, die von außen wie Stammtischproleten oder Bildungsbürger wirken und das Gegenteil sind. Die von mir gewählten Namen „Prolet“ und „Bürger“ sind zudem traditionell sehr gefärbte, „belastete“ Begriffe. Versuche bitte, sie „Wertfrei“ zu lesen und dich vom einen wie vom anderen nicht abgestoßen zu fühlen – eher, dem weniger vertraut wirkenden Verständnis entgegenzubringen. Stammtischproleten wie Bildungsbürger, die sich selbst als „links“ verstehen, werden die von ihnen selbst vertretene Strömung „links“ nennen. Je nachdem, wie dogmatisch sie sind, werden sie außerdem auch unterschiedlich vielen anderen Strömungen zugestehen, ebenfalls gerechtfertigterweise „links“ genannt werden zu können.
Jetzt soll es aber um all diejenigen gehen, die sich selbst nicht als „links“ verstehen, speziell um die, die „links“ ablehnen. Warum sie das tun, oder was sie dazu geführt hat, würde hier den Rahmen sprengen. Um sich kurz zu halten, könnte man sagen, dass Stammtischproleten wie Bildungsbürger aus ihrem Umfeld geprägt sind und – aber das ist natürlich trivial – kein gutes Bild vom „Linken“ haben.
Warum habe ich überhaupt zwischen Stammtischproleten und Bildungsbürgern unterschieden? Damit du „Antilinke“ Äußerungen ein bisschen leichter einordnen kannst. Während Stammtischproleten sich hauptsächlich auf Äußerlichkeiten beziehen, kritisieren Bildungsbürger Inhalte (bzw. tun so, damit ihre Kritik zu wirkt, als hätte sie Substanz). Den Bildungsbürger werde ich nicht genauer beschreiben, seine Kritik richtet sich für gewöhnlich gegen die Theorien einer der beiden Strömungen aus nachfolgendem Fazit, von liberaler Seite verteidigt er vor allem den Kapitalismus und die „Freiheit“ und richtet sich eher gegen die erste, marxistische Strömung (aus nachfolgendem Fazit), von „konservativer“ Seite verteidigt er den Ist-Zustand der Gesellschaft (bzw. meistens den „War“-Zustand, denn Konservative beklagen meist ja das schon „verlorengegangene bzw. gefährdete Gute“.) und kritisiert den diesen Zustand bekämpfenden, radikalen, dummen, (hier noch viele polemische Begriffe einsetzen) Linken. Häufig überschneidet sich die Theorie des Konservativen mit der des Stammtischproleten und unterscheidet sich nur in einer gewählteren Sprache und angewiederten Abgrenzung vom ebenfalls „dummen“, „barbarischen“ Proleten.
Der Stammtischprolet hingegen, der „links“ negativ bewertet, richtet sich eher gegen Äußerlichkeiten. Dabei reproduziert er Chauvinistische Einstellungen und Rechte Phrasen, vor allem aber Vorurteil. (Reproduziert habe ich über die Wortwahl „Stammtischprolet“ und „Bildungsbürger“ übrigens ein gesellschaftlich weit verbreitetes Vorurteil vom „ungebildeten Proleten“ und „niveauvollen Bildungsbürger“. Das war nicht gut. Ich möchte erneut betonen: Sowas muss auffallen und abgelehnt werden. Auch das ist „links“ ). Als Beispiel für das, was er oft „links“ und eklig findet (was aber keinesfalls immer links sein muss – und natürlich nie eklig ist) nenne ich die „Lesbe“ und den „Punk“.
Vorurteile sind häufig – gerade, wenn sie mit großer Emotion vertreten werden – Ausdruck einer Angst. Wenn der Stammtischprolet Vorurteile gegen Homosexuelle reproduziert, dann wird er meistens Angst haben, dass seine männliche dominante Rolle in Gefahr ist, dass Frauen selbstbewusst ihre Rolle selbstbestimmen wollen, dass er selbst homoerotische Gefühle hat und so weiter, und so fort.
Der Punk hingegen ist „schmuddelig“, „laut und barbarisch“ etc. Auch hier kann die Angst daher kommen, dass Punks das gesellschaftlich etablierte System hinterfragen, anders leben, anders existieren können. Und dabei hat man doch solche Panik vor Veränderung.
- Zusammenfassung. Die zwei großen „Linkse“:
Die eine Sichtweise - positiv oder negativ - von „Linkssein“ ist heutzutage – verkürzt ausgedrückt – vom Ostblock geprägt, bzw. vom westlichen Bild des Ostblocks. Im Positiven (also von „Sympathisanten“) werden damit Soziale Wärme, Gleichberechtigung assoziiert, es wird häufig eine gute Versorgung aller Bevölkerungsschichten und wesentlich frühere Entwicklung in Richtung Frauen-Gleichberechtigung etc. erwähnt. Im Negativen wird der Ostblock (und diese Art von „Links“) mit Totalitarismus, Gulag-Arbeitslagern, Trist-trauriger Architektur, der Berliner Mauer, Bürokratie, Flucht usw. assoziiert. „Rechte Polemiker“ benutzen dann gerne Worte wie „Gleichschaltung“, „Rotfaschisten“ oder versuchen Formeln wie „Linksextremismus = Rechtsextremismus“ in der Gesellschaft zu verbreiten.
Zusammenfassend ist diese „Art“ des „Linken“ historisch aus der Arbeiterbewegung und der marxistischen Theorie entstanden. Eng geknüpft ist sie an die Begriffe „Sozialismus“, „Kommunismus“. Im Laufe der Entwicklung des „Ostblocks“ und speziell im Bezug auf die heutige – meist eher negative Wahrnehmung – werden auch die Begriffe „Planwirtschaft“ und „Zentralismus“ wichtig. Zentral ist dieser Strömung vor allem die antikapitalistische Haltung, die der marxistischen Gesellschaftsanalyse folgt. Die einzige größere Partei, die dieser Tradition vielleicht noch folgt – auch wenn sie sich fleißig bemüht, dies zu bestreiten und auf eine „kommunistische Plattform“ zu reduzieren, um die Menge potentieller Unterstützer möglichst groß zu halten – ist die Linke.
Die andere Sichtweise - positiv oder negativ - von „Links“ ist unter anderem von westlichen Bürgerrechtsbewegungen geprägt. Symphatisanten verbinden vor allem eine fortschrittliche, aufklärerische und freiheitliche Grundstimmung mit dieser „linken Seite“. „Feinde“ dieser Strömung nennen sie utopisch, unpragmatisch, träumerisch, kapitalistisch (von „links“), bzw. chaotisch, schmuddelig, abgehoben, kriminell und und und… Diese Begriffe werden allerding mehr oder weniger an jede linke Strömung gerichtet, um sie zu diffamieren.
Begriffe, die zu dieser Strömung gehören, sind zum Beispiel „Linksliberal“, „Libertär“, „Bürgerlich“. Historisch ist dies meist nicht die Strömung der „Arbeiter“, sondern eher der „Bildungsbürger“ gewesen. Generell legt sie mehr Wert auf den „freiheitlichen“ Aspekt als den der „Gleichheit“, man könnte sagen, dass „Chancengleichheit“ ihr wichtiger ist als „materielle Gleichheit“. Die größere Partei, die diese Strömung klassischerweise vertrat/vertritt, sind die Grünen. Diese Seite von „Links“ ist aber noch pluralistischer/heterogener als die erste. Während jene sich noch relativ einheitlich auf den Marxismus bezieht, tummeln sich auf dieser Seite von Marxisten über Studenten über Liberale über Unternehmer bis hin zu DDR-Bürgerrechtlern und dezidiert antimarxistisch eingestellten. Generell ist hier auch der Antikapitalismus nie erste Priorität gewesen, teilweise wird sogar auf den Kapitalismus vertraut.
Dies sind die beiden größeren „extremeren“ linken Strömungen. Es gibt natürlich noch die „gemäßigte“ Strömung, der zum Beispiel die linke Seite der SPD zugerechnet werden kann. Ich finde aber, diese Seite kann man auf der Suche nach „Links“ aber getrost vernachlässigen. Vielleicht ist hier gar die böse Formel „rechts = links“ angebracht. Hier gibt es Leute, die Linksextreme sympathisch finden, Leute, die Extremismus jeder Form ablehnen und Leute, die Rechtsextreme sympathisch finden, sie alle vereint aber, dass sie das „momentan herrschende System“ verteidigen und es höchstens „ein bisschen in ihre Richtung“ gefärbt sehen wollen.
-3- Wege aus dem Labyrinth
Die Information aus dem Anhang ist der sicherste Weg, die komplette Verwirrung abzulegen. Zwei Dinge solltest du aber meiner Meinung nach auf dem Weg deiner politischen Bildung beachten:
- Die meiner Meinung nach Wichtigste Grundeinstellung:
Toleranz! Jedes „Iih“, jede Ablehnung, ist meist nur Reproduktion einer Ablehnung, die man mal gehört hat. Das einzige, was man immer gut ablehnen und bemeckern kann, darf, soll: Stumpfheit. Das immer-gleiche im Fernsehen. Die Tatsache, dass fast jede angebliche Information hauptsächlich von etwas überzeugen soll. Mainstream-Verhalten und Oberflächlichkeit. Wenn zum Beispiel ein Atze jemanden/etwas als „schwul“ bezeichnet und lacht, gleichzeitig aber austickt, wenn _er_ so genannt wird. Begegne Menschen, die Stumpfheit zeigen, aber auch immer mit wohlwollender Interpretation, mit Versöhnlichkeit. Der Atze hatte vielleicht mal homoerotische Erfahrungen/Träume und jetzt Angst, derart zum Außenseiter „seiner“ Gesellschaft zu werden. Begegne Intoleranten Menschen mit Verständnis, der besseren Information und dem längeren Atem. Ich kann dir gerne gute Quellen für Gespräche mit Homophobikern geben.
- Meiner Meinung nach wichtigste Vorgehensweise: Suche dir eine Gruppe, mit der du dich Solidarisieren kannst. Deine Einstellung in dieser Gruppe: Abgebrühtheit.
Wie du vorgehen kannst:
Erstens: Solidarität, Anbindung an eine Gruppe GUTER Leute, die viel diskutieren, dabei aber die Solidarität schätzen und vielleicht auch praktisches machen (Demos, Informations- /Diskussions-/ Filmabende etc).
Dann: Wohlwollende Interpretation der „Gleichgesinnten“, gleichzeitig aufklärende (versöhnende) Kritik an deren und den eigenen Positionen. So kann man, eingebettet in die „für einen richtige“ politische Gruppe, sich ständig weiterbilden und dabei einerseits auf die Offenheit der anderen, andererseits auf der eigenen Prinzipientreue (Festhalten an der Wichtigkeit der Toleranz, der Solidarität, vielleicht der Progressivität usw.) und deren Wechselwirkung mit der Position der Gruppe vertrauen.
-4- Schlusssatz:
Wenn du dich selber von nun an links nennen, oder auch einfach nur politisch weiterbilden willst, beachte bitte zwei Sachen: 1) Informiere dich gut und bleibe dabei kritisch. Vor allem Selbstkritisch. Warum findest du jetzt, nach der Lektüre von Text x, bestimmte Sachen plötzlich „doch blöd“, obwohl du dich vorher intuitiv zu ihnen hingezogen fühltest? Liegt das vielleicht an Sachen, die du „mit der Muttermilch“ aufsogst oder vielleicht an der Art und Weise, wie der jeweilige Autor schreibt?
2) Das unter -2- geschilderte Punk-Bild mag cool sein und sicher macht dessen Ausleben Spaß. Du kannst „Punk“ _und_ „links“ sein, aber „Punk“ zu sein macht dich nicht _automatisch_ links. Und wenn du dich „links“ nennst, nur weil du rebellisch bist, machst du dich eher lächerlich, als _für etwas zu stehen_ (wofür dann auch?)
-5- Anhang: Informieren! Aber worüber und wie?
(kannst du auch erstmal überspringen und am Ende lesen)
-Für einen Überblick über das weite Begriffsfeld informiere dich, was folgende Begriffe bedeuten (benutze einfache, kurze Lektüre, es geht nur um ein erstes Vorverständnis - hier ist auch Wiki OK, aber: sei misstrauisch und verzichte auf „komplizierte“ Artikel. Besser sind Lexika, am besten jeden Begriff in 2-3 unterschiedlichen Nachschlagen):
Arbeiter, Arbeiterbewegung. Unterscheidung zw. Proletariern und der Bourgeoisie. Kommunismus, Sozialismus, Sozialdemokratie.
Anarchismus, Linksliberal.
Ostblock, Prager Frühling. Bürgerrechtsbewegung (va. Amerika, Gleichstellung der Schwarzen), Feminismus, 68er.
-Für tiefergreifendes Vertändnis und _die Bildung deines eigenen, persönlichen Begriffes von „links“_ (diesmal anspruchsvolle, ausführlichere Lektüre. Hier auf keinsten Wikipedia, auch nicht „komplizierte, anspruchsvoll klingende“ Artikel. Damit verstecken Autoren häufig nur, dass sie den Artikel tendenziös schreiben, Sachen auslassen oder wenig Ahnung haben):
Lies nach über die Anfänge der Arbeiterbewegung und die Industrialisierung als ihren gesellschaftlichen Hintergrund. Vielleicht ein bisschen was über die Märzrevolution 1848 und die theoretische Arbeit von Marx und Engels (das kann aber trocken und erschöpfend werden).
Dann über die Rollen von SPD (auch die USPD) und KPD von deren Anfängen über die Weimarer Republik bis hin zu den 70er Jahren.
Lies schließlich über den Ostblock, von Lenin bis zum Zusammenbruch. Hier tut sich eine erste, grobe Unterscheidbarkeit zweier Strömungen hervor, die noch heute beide „links“ genannt werden (bzw. sich selbst so nennen): Die der „konservativen Sozialisten“ des Ostblocks und die der „Progressiven“, westlich geprägten. Vor allem die Strömung der „Progressiven“ ist weitgefächert, von Liberalen über Anarchos und Hippies/Grüne bis hin zu progressiven Sozialisten.
-Ein gutes, aktuelles Beispiel für das „Wischiwaschi“ und die verschiedenen Deutungshoheiten über „links“ ist der Streit zwischen Antideutschen und Antiimperialisten. Da nennen sich zwei Gruppen „links“, fechten seit Ewigkeiten übelste, polemische Grabenkämpfe, bezeichnen sich gegenseitig als Kapitalisten und Faschisten, kriegen auf der einen Seite Unterstützung aus dem konservativen und liberalen Lager und auf der anderen Seite unerwünschte Unterstützung (ich denke mal Provokation und „Kundenfang“) der NPD!
-6- Ist Hagen Rether Links?
Nun wirst du verstanden haben, dass man das so platt nicht sagen kann. Außer den „extremen Linken“ werden ihn sicher fast alle als Links bezeichnen. Die „extreme“ Seite bezeichnet ihn hauptsächlich wohl als „zu dogmatisch / polemisch …“ (von „linksliberaler“ Seite) bzw. „zu opportun / wenig radikal“ (von „marxistische“ Seite).
Ich selber finde ihn lustig, teilweise ein bisschen zu platt (und viele Witze hat man schon so einige Male gehört), teilweise aber sehr scharfzüngig und genau. Provokation ist immer toll. Was mir hingegen oft nicht gefällt, ist sein Spiel mit Ressentiments (als Komiker ist das aber schwer zu vermeiden) und sein dementsprechender Dogmatismus und männlicher Chauvinismus. Außerdem wirkt er manchmal ein wenig opportun und seine scharfzüngige Seite verliert dadurch ein bisschen an Glaubwürdigkeit.
Eine Empfehlung, die dir sicher zusagen wird: Die (als Audio-Podcast kostenlos runterladbaren) „Känguruh-Chroniken“ von Marc-Uwe Kling. Außerdem alle anderen Sachen von diesem genialen Typen.
Mit freundlichen Grüßen,
Woodsen