Was ist Ökofaschismus?

Hallo!

Im Titel die Fragestellung.

Ich frage mich persönlich, ob ich den Begriff verwenden soll oder nicht. Er klingt so schrill-hysterisch und über Gebühr dramatisierend. Ich tendiere noch zur Nicht-Verwendung.

Anderseits nehme ich eine Entwicklung wahr, die ich einfach nur krass geschichtsvergessend finde.

Zwei aktuelle Marken dafür, darum Nachrichten-Brett:

Im ganzen Großen die jüngste Ausrufung des Klimanotstands durch das EP.
Klar, das ist alles „nur symbolisch“, alles „rechtlich nicht bindend“, dennoch: ich sehe einen Dammbruch angesichts des Umstands, dass wir uns seit Ende der bipolaren Weltordnung von einem Ausnahmezustand zum nächsten hangeln („Terror“, „Banken/Euro-Krise“, „Klimawandel“), dessen Sinn natürlich nie etwas anders als die Suspendierung von Bürgerrechten sein kann. Solche Suspendierung ist ja geradezu der Sinn des Ausnahmezustands.
Das jetzt erstmal „symbolisch“ auszurufen, macht es kein bisschen besser.

Im ganz Kleinen sowas: Wer künftig im Stadtgebiet von Vilshofen (Landkreis Passau) eine grüne Hausnummer sieht, weiß, dass in diesem Haus Menschen leben, die in besonderem Maße auf Nachhaltigkeit und Umweltschutz achten. Das Taferl kann sich niemand kaufen, es wird von der Stadt vergeben.

Die grüne Hausnummer ist eine Auszeichnung; neben der Nummer erhält man einen 50-Euro-Gutschein für einen Baum. Die Kriterien sind weit gefächert von der Verwendung heimischer Produkte beim Hausbau über geringen Stromverbrauch und PV-Anlage auf dem Dach bis hin zur Nutzung öffentlicher Verkehrsmittel oder eines E-Autos. Nach Vorbild anderer Kommunen hat ein Arbeitskreis einen Kriterien-Katalog mit 51 Kriterien erstellt. Als Nachweis müssen Fotos und Rechnungen eingereicht werden. Ein Kfz-freier Haushalt bekäme 20 Punkte aufs Konto - ab 150 gibt es das Taferl.

Es sollte klar sein, dass sich das von gewöhnlichen Auszeichnungen weit abhebt. Es geht um politisch-ideologisches Mitmachen und um die entsprechende Häuserkennzeichnungen, die die Menschen nach außen sichtbar in „gute“ und „schlechte“ unterscheiden sollen.

Auch von diesen Beispielen losgelöst gefragt: Wofür kann der Begriff „Ökofaschismus“ sinnvoll gebraucht werden?

Gruß
F.

2 Like

Naja, dramatische Situationen schaffen dramatisch anmutende Polarisierungsauswüchse.

Ich finde schon länger, dass Du das Thema verharmlost.
Der Klimawandel ist real und äusserst besorgniserregend.
Dramatisch.

Das ist eine Gefahr, und alle, die das faschistische Deutschland, die DDR oder andere kommunistische Regimes beobachtet haben fürchten solche Entwicklungen mit ihren Auswüchsen natürlich und ausgeschlossen sind sie ja auch nie.
In allen solchen Fällen wurden (schlechte und gute) Konzepte mißbraucht. Das lag dann direkt am Menschen, am Menschsein mit seinen dunklen Seiten selber.
Diese Gefahr wird immer bestehen und wir wären darauf angewiesen, nicht, dass wir ein gutes Konzept haben (hier zum angemessenen Umgang mit dem Klimawandel, mit der sich anbahnenden Klimakatastrophe), sondern dass wir weise gute Menschen haben, die die Konzepte umsetzen.
An deren Erscheinen freilich glaube ich persönlich nur punktuell, selbst wenn ich einen Habeck oder eine Baerbock wählte, an die ich durchaus glaube, ich würde nicht an all die vielen unteren Etagen grundsätzlich glauben und darauf vertrauen, dass das reife Menschen sind.

Andererseits ist mir als aufmerksam zuschauender Naturwissenschaftlerin durchaus die Dramatik der Lage bewusst und ich finde nicht erst jetzt, dass durchaus eine Art Diktatur der Bewusstsein innehabenden Minderheit das einzige realistische Mittel wäre, um den Dummheiten und Sünden am Leben, die die Menschheit mit ihren sich nicht eben zur Bewusstsein innehabenden Minderheit zählen dürfenden Führer*innen seit Jahrzehnten begeht effektiv zu begegnen.
Demokratie ist eine großartige Errungenschaft, aber sie ist nicht der Weisheit und jederzeit letzte Antwort.

Und das ist das Dilemma der Postmoderne:
Man hat sich selber das Wasser abgegraben und die Folgen davon werden sichtbar, auch hierzulande,

aber eine Idee, wie man auf demokratischer Basis damit umgehen kann hat auch keiner.
Es muss die Demokratie sich weiter, über sich selbst hinaus entwickeln, tut sie aber (noch?) nicht, also werden wir vielleicht bei dem, was Du Ökofaschismus nennst, landen.

Hoffentlich, das immer noch kleinere Übel.

Eine vorüber gehende gesellschaftliche Krise, eine Demokratiekrise wäre ein weiterer Pfurz im Lauf der Geschichte im Vergleich zu dem was, uns ökologisch blüht, wenn es so weiter geht.
Und so lange wir als Gesellschaft nicht wieder zu Demut vor der Schöpfung und unserem Sein finden, na gut, dann eben Ökofaschismus.
Bis wem etwas Besseres einfällt.
Hättest Du Ideen?

PS, Metaebene: Wir überschätzen auch unsere Wichtigkeit, die Wichtigkeit unserer Kultur, und die Wichtigkeit des Menschen.

Grüße
farout

4 Like

Die grüne Hausnummer ist wohl nur für Besserverdienende erschwinglich, denn die optimale Hausdämmung, die Photovoltaikanlage und das E-Auto sind teuer.

3 Like

Hast du den Artikel überhaupt gelesen? In Summe gibt es 51 Kriterien wie z.B. auch die Nutzung öffentlicher Verkehrsmittel oder geringer Fleischkonsum. Da wären nach deiner Logik die Besserverdienenden ja eher im Nachteil.

2 Like

Gar nichts.

3 Like

Ich finde den Ideologien-Mix, der sich an dieses Thema klammert, sehr viel besorgniserregender.

Ob ich den Klimawandel verharmlose oder du ihn übertreibst, ist halt die Frage.

Das sehe ich ganz anders.
Nicht weil ich die Demokratie so supertoll fände (ich kann sie eh nur in der Form einer „liberalen Demokratie“, also kräftig gewürzt mit Bürgerrechten und Gewaltenteilung wertschätzen), sondern weil ich mir jede gegenwärtig realistische Alternative noch viel beschissener vorstelle.

Und wenn jetzt beim Thema Klimawandel die grünen und roten Ewiggestrigen mit ihren staatskapitalistischen Ideen daherkommen, kann ich nur kotzen.
Die lernen nicht aus der braunen und tiefroten Geschichte, halten sich mehrheitlich aber auch noch für die großen Demokraten und Antifaschisten.

Ja.
In Ruhe weitermachen wie die letzten Jahrzehnte, seit wir die ungewollten Nebenwirkungen unserer Industriegesellschaft erkannt haben, auch, und das gesellschaftliche Miteinander nicht auf diesem Altar opfern.

Wir werden einen noch besseren Energiemix bekommen, wir werden wirtschaftlich sinnvollere Techniken der Carbon Extraction und des Carbon Storage bekommen, wir werden mit nicht kleiner Wahrscheinlichkeit um 2060 herum mit der wirtschaftlichen Nutzung der Kernfusion beginnen können, wenn wir das dann überhaupt noch brauchen usw.
Ich sehe hinten und vorne keinen Grund dafür, wegen des Klimawandels die Demokratie auszuhöhlen, und schon gar nicht, dass das dem Klima dann besser bekommen würde.

Gruß
F.

3 Like

Ja, das ist hier und an dieser Stelle wohl die Frage.
Ich schlage darum hier vor, sich an die Erkenntnisse und Einschätzungen der Naturwissenschaften zu halten, statt über Politik und Ideologien zu mutmaßen .
Die Aussagen einer sehr großen Mehrheit von Wissenschaftlern zum Thema sind schwer zu übersehen.
Ich behaupte, wenn damit dann

kollidiert, dann ist die Verantwortbarkeit dessen schnell widerlegt.

PS, was schlägst du eigentlich vor für die bereits jetzt vom Klimawandel desaströs betroffenen Weltregionen, derweil wir auf den besseren Energiemix und die Kernfusion warten?

4 Like

Solangs als Positivstigma (= erwüschtes Distinktionsmerkmal) dient schon.
Wenns dann mal nur noch ums „brav mitmachen“ geht, und das Ding zum Negativstigma wird, wird sich das materiell jeder leisten können.

Gruß
F.

Völlig d’accord.

Ganz unbestritten.
Ich glaube aber nicht, dass unter Klimawissenschaftlern eine Mehrheit besteht, die in der Abkehr von Demokratie und Bürgerrechten eine Lösung für den Klimawandel sehen.

Du solltest schreiben, um welche Regionen es konkret geht, denn Eritrea wird ganz andere Anpassungsmaßnahmen brauchen als Bangladesh und Usbekistan.

Gruß
F.

Wenn du das großzügigerweise noch etwas fundieren könntest … :wink:

Gruß
F.

Deine Glaskugel möchte ich haben.

1 Like

Ist jetzt eine totale Nebendiskussion, aber ich frage mich schon, was diese drei Prognosen mit Glaskugel zu tun hat. Das ist halt gegenwärtiger Wissensstand.

Gruß
F.

1 Like

Hallo,

die Frage war: „Was ist Ökofaschismus“ - das frage ich mich auch.
Mir fällt dazu nur ein, dass es eine billige Diffamierung ist, die mit dem gerade in Deutschland extrem negativ besetzten Begriff „Faschismus“ leichtfertig andere Meinungen niedermachen möchte.
Natürlich ohne umständlich zu argumentieren.

Das ist nicht die Art Demokratie, die ich wählen möchte.

Gruß,
Paran

7 Like

Natürlich soll der Begriff vor allem eine bestimmte Position diffamieren.
Das ist bei politischen Kampfbegriffen ja üblich: „Nazis“, „Linksfaschisten“, „Ökofaschisten“ usw.
Was „leichtfertig“ und was gerechtfertigt erscheint, ist halt einfach nur eine Sache des politischen und weltanschaulichen Standpunkts.

Der Wiki-Eintrag dazu bringt das sehr gut auf den Punkt, finde ich:
Ökofaschismus ist ein politischer Kampfbegriff, dem von einzelnen Autoren auch Potenziale eines analytischen Begriffs beigemessen werden …
Der Begriff wird weiterhin verwendet, um radikale ökologische Ideologien zu kennzeichnen, die entweder umweltpolitische Vorstellungen mit autoritären Mitteln durchsetzen wollen oder eine konzeptionelle Nähe zu Ausprägungen des Faschismus beziehungsweise Nationalsozialismus haben.

Die fettgedruckte Passage spricht den Punkt an, den meine beiden Beispiele verdeutlichen sollen. Ich finde das nicht komplett an den Haaren herbeigezogen.

Gruß
F.

Welche Art Anpassungsleistungen- so diese überhaupt noch möglich und bezahlbar sind- gebraucht werden spielt doch keine Rolle.
Mit meiner Frage ging es mir darum, deutlich zu machen, dass es Regionen gibt, betroffen sind Millionen von Menschen, die nicht warten können, weil sie jetzt, also heute schon direkt desaströs betroffen sind von den Folgen des Klimawandels, die vorhandene natürliche Ereignisse dramatisch vergrößern.

Vor diesem Hintergrund halte ich es schon fast für zynisch, dass du (nach meinem Verständnis) deine entspannte Abwartenhaltung darauf begründest, dass wir hier ja

können, dass in Jahrzehnten Kernfusion sich etabliert haben könnte.

Die Lage ist dramatisch, weil uns nicht die Zeit bleibt, in Ruhe abzuwarten, wie es unsere Art ist, die von uns Wohlstandskindern.
Weil es Kipppunkte gibt.

Und darum brauchen wir dramatische Antworten und ich habe bewusst nicht Wissenschaften, sondern Naturwissenschaften geschrieben, weil das die Ebene der Krise ist, die wir haben .und alle anderen Wissenschaften nur nachrangig hier eine Rolle spielen.Nicht keine.Aber nachrangig.
Da ist es unwesentlich angesichts der Lage in der wir uns befinden, ob ein paar Gesetze mehr sich für einige anfühlen werden wir eine Diktatur oder gar wie Faschismus.
Das wäre übrigens sogar auch noch alles im Rahmen der Demokratie möglich.
In der verlinkten Spiegelanalyse sind aktuell immerhin 74 Prozent der Abstimmenden der Ansicht, dass die Klimaziele der Regierung ambitionierter sein müssen.
Das ist schon eine auffällig große Mehrheit.

2 Like

Die regional sehr unterschiedlichen Anpassung an den Klimawandel sind der entscheidende Punkt.
In manchen Ländern sind die doch, wie du selbst schreibst, jetzt schon von Nöten (Bangladesch etwa hat eine Vorreiter-Rolle), und dass wir den globalen Klimawandel durch Einhaltung von Klimazielen in so kurzer Zeit begrenzen können, so dass es keine größeren Anpassungsleistungen bräuchte, halte ich für komplett unrealistisch.

Ich halte es eben nicht für zynisch, sondern für klug, „in Ruhe so weiter zu machen“ (wohlgemerkt war mein Satz auf die letzten Jahrzehnte bezogen, in denen das Problem des Klimawandels und der Umweltverschmutzung allmählich klar wurde; er war nicht auf die „nebenwirkungsblinde“ Industriegesellschaft der 60er und 70er Jahre bezogen).

An dem Punkt liegen wir eben ganz weit auseinander.

Und ja, um auf das Theradthema zurückzugreifen, nichts finde ich genuin faschistischer als solche Erzeugungen einer Stimmung von Angst, Weltuntergangsprophetik und Alarmismus.
Die linken Totalitarismen des 20. Jhdts. haben wenigstens auf Utopien und Hoffnungen gesetzt.

Und ich habe bewusst diese Verengung gestrichen, um mich dem Rest deiner Aussage anschließen zu können.

Gruß
F.

2 Like

Nicht an dieser Stelle.
Es geht an dieser Stelle nicht um die Anpassungen- die ein anderes wichtiges Thema sind- sondern um das schnellstmögliche Erreichen von Klimazielen.
Darüber habe zumindest ich geredet, nicht über Anpassungen.

Jedes Grad Erwärmung macht einen gewaltigen Unterschied, zumal wir viele Variablen nicht mit Sicherheit beziffern können, es sich aber zeigt, dass Punkte in vielen Fällen schneller erreicht worden sind, als vorhergesagt.
Die Folgen des Unterschieds zwischen 2 Grad und 4 Grad Erderwärmung sind bekannt.
In der Zeit war vor einigen wenigen Wochen mal eine Doppelseite mit einer Weltkarte, die den Unterschied zwischen heute und 4 Grad in 2100 gezeigt hat. Finde ich leider nicht mehr. Es war erschreckend. Das war kein Alarmismus, das war wissenschaftlich fundiert und tatsächlich alarmierend.
Nicht jeder Alarm ist Alarmismus.

Wir haben sehr wahrscheinlich nicht die Zeit, die es bräuchte, in diesem Sinne entspannt zu bleiben und mal zu gucken. Darauf deutet vieles hin.

Dazu sagst du:

Ja, ich bin mir da auch nicht sicher, milde ausgedrückt, ob das noch was wird.
Mit „mal gucken“ wird es aber mit Sicherheit nichts.
Und aus geisteswissenschaftlichen oder ähnlichen Gründen die Dringlichkeit der Situation zu unterschätzen, das halte ich für fahrlässig.

Um das zu verstehen, braucht es eben schon die Naturwissenschaft und nicht die Geisteswissenschaft.
Ich rufe doch auch sehr schnell die Feuerwehr, wenn es brennt und diskutiere nicht über irgendetwas anderes. Das sind eben die Fachleute in dieser Ausnahmesituation. Und deren Einsatz verursacht auch Kollateralschäden.

Es wäre tatsächlich sehr interessant , zu erfahren, wie viele der alarmierten Naturwissenschaftler bereit wären, bekannte demokratische Strukturen einzuschränken, wenn es um Klimaschutz geht. Ich persönlich kenne kaum welche, die das nicht wären.
Das hiesse weder, die Demokratie abzubauen, noch faschistisch zu werden, es hiesse vielmehr , Demokratie weiter zu entwickeln und vor allem aber auch, zu nutzen.
Leider hat die unsägliche SPD ja eine Chance auf Neuwahlen verhindert.
Wären heute Neuwahlen, fast jede Wette, wir hätten eine/n grüne/n KanzlerIn.

An diesem Punkt liegen Du und die Wissenschaft aber auch sehr weit auseinander.

Grüße,
farout

2 Like

Kannst du grad mal rauslassen, wer das verlangt? Ich kenne da keinen außer der AFD, und die verlangen das grad nicht im Zusammenhang mit dem Klimawandel. Und gegen die Verwendung des Begriffs Faschismus haben sie seltsamerweise auch was.

1 Like

Wenn Ländern Entwicklungshilfe gewährt wird, die Kohlekraftwerke bauen, und dabei den eigenen Bürgen immer tiefer in die Tasche gegriffen werden soll.,

Ja, klingt nach Stammtisch, ich weiß, ich weiß…

Eben nicht, sonst gäbe es das ja schon.

1 Like