eine interessante Fragestellung, die in diesem Forum längst mal fehlte, derweil aber umso notwendiger ist, weil gerade hier im verschiedenartigen Umgang mit dem Begriff „Philosophie“ so manches Mißverständnis und auch manche (eigentlich unnötige) Verärgerung aufgetreten ist.
Deshalb hier mal kurz etwas zunächst zu den unterschiedlichen Wortgebräuchen:
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„Philosophie“ als Bezeichnung einer Grundlagenwissenschaft (mit 2500jähriger Geschichte), ähnlich wie auch die Mathematik und die Physik…
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„Philosophie“ bzw. „philosophieren“ im umgangssprachlichen Sinne als Beschäftigung mit Fragen, die über die Alltagsbewältigung hinausgehen und auf Allgemeineres hinzielen, wie es sich zum Beispiel in der Fragestellung „was ist der Sinn des Lebens“ oder „was ist der Mensch noch außer seiner rein biologischen Natur“ abzeichnet.
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„Philosophie“ so, wie es im Ausdruck „Die Philosophie unseres Unternehmens“ zur Sprache kommt.
Alle drei hängen zusammen. Ich fange von hinten an:
Die 3. Version ist für uns hier nicht so wichtig und sie ist schnell erklärt. Sie greift auf einen (übrigens schon im antiken Griechenland üblichen) Wortsinn zurück, der schlicht gleichbedeutend ist mit „unsere Grundsätze“ oder „unsere Prinzipien“ oder „unsere Leitideen“.
Der Wortgebrauch Nr 2 wird zwar von Philosophen (dazu später) gern etwas verächtlich betrachtet, meiner Ansicht nach allerdings zu Unrecht, denn (auch) hier wird etwas aus der Philosophie in Anspruch genommen, was tatsächlich in deren Geschichte häufig (aber keineswegs immer) eine wichtige Rolle spielte: Das ist die Vermutung oder die Überzeugung, daß unsere rein sinnliche Existenz und Wahrnehmung „nicht alles“ sei, und daß es daher ein Bedürfnis sei, nach einem „dahinterliegenden“ oder einem „darunterliegenden“ bzw. nach einem „dem-zugrunde-liegenden“ zu fragen. Dieser letzte Ausdruck verweist dabei tatsächlich bereits auf einen der wichtigsten Grundbegriffe der Philosophiegeschichte überhaupt, den übrigens fast jeder kennt (wenn auch nicht als philosophischen Begriff): die SUBSTANZ.
Dieser Begriff wird umgangssprachlich meist im Sinne von „Grund-Material“ verwendet. Er ist aber tatsächlich der von Cicero ins lateinische übersetzte (substantia = das darunterstehende) Grundbegriff der griechischen Philosophie (seit Platon und Aristoteles): die „ousia“, die nicht nur mit dem deutschen Wort „Wesen“ sprachlich verwandt ist, sondern auch mit dessen (vielfältiger!!) Bedeutung zusammenfällt.
Man fragt also nach dem Wesen der Dinge und meint damit das, was dem sinnlich Wahrnehmbaren an ihnen zugrunde liegen mag (Wesen des Lebens, Wesen des Menschen, Wesen von Freiheit, Wesen von Gerechtigkeit, Wesen eines ethischen Grundsatzes usw.). Und SOLCHE Arten der Fragestellung (gleichbedeutend mit Fragen der Form: „Was ist…?“) stellen tatsächlich ja viele Menschen, eben auch selbstverständlich solche, die nicht den Beruf des Philosophen (dazu gleich) ausüben. Ich würde sogar so weit gehen zu sagen: es gehört (u.a.!) zum Wesen des Menschen, nach dem Wesen der Dinge zu fragen.
Insofern sehe ich es als völlig gerechtfertigt an, daß jemand seine Fragen dieses Typs als „philosophische“ Fragen bezeichnet.
Es wurde hier vor kurzem mal gesagt, ALLE Fragen seien „philosophisch“. Dem kann ich nicht zustimmen, denn die Fragen „Wo ist das nächste Klo?“, „Wann ist die nächste Mondfinsternis?“ fragen nach den Dingen INNERHALB der sinnlichen Wahrnehmung, nicht nach dem Wesen der Dinge. Es wären sozusagen einzelwissenschaftliche Fragen.
Philosophie im eigentlichen Sinne:
Zunächst handelt es sich dabei um eine Wissenschaft (übrigens um eine der schwierigsten, weil umfangreichsten und kompliziertesten). Ihre Gegenstände sind NICHT die Gegenstände von Einzelfragen, sondern vielmehr die Reflexion der METHODEN, mit denen man eine Einzelfrage angehen kann. Am historischen Anfang der Philosophie im antiken Griechenland (es gab auch vorher andere Denkformen, die man heute gern auch „Philosophien“ nennt, aber die hatten andere Zielsetzungen als die Griechen!) steht die Frage, wie man sich bei Aussagen (allgemein) und (spezielleren) Behauptungen gegen Täuschung (auch Selbsttäuschung!) schützen kann, wie man Mißverständnisse (!!)entdeckt und wie man sie vermeiden kann, allgemein: wie man Ausagen begründen und wie und ob man sie beweisen oder widerlegen kann (siehe hierzu meinen Artikel „Vorsokratiker“ im Brett „Geisteswiss.“).
Der Anfang philosophischer Bemühungen bestand (und besteht nach wie vor!) also nicht in der Beantwortung von Fragen, sondern vielmehr in der Bemühung, METHODEN zu finden, mit denen man sinnvoll an Fragen herangehen kann.
Die erste (wissenschaftlich)-philosophische Arbeit an einer gegebenen Fragestellung ist daher nicht, welche Antwortvorschläge man hat, oder welcher „Meinung“ man sei (Hegel: „Mit bloßen Meinungen hat es die Philosophie ganz und gar nicht zu tun“), sondern vielmehr, abzusichern, daß man den Fragenden in der rechten Weise verstanden hat, oder - als Fragesteller - auf welche Weise man sicher sein kann, daß man vom Anderen verstanden worden ist.
Daß man durch geeignete Kunst des Rückfragens im Falle einer Behauptung („hab ich dich recht verstanden? du meinst also folgendes…?“) manchmal entdecken (oder gemeinsam erarbeiten) kann, daß sich die Behauptung in sich selbst widerspricht (wodurch die Behauptung widerlegt ist), daß ist das interessante Resultat der Philosophie des Sokrates gewesen.
Zum Beweisen und zum Widerlegen war ebenfalls nicht immer in der Geistesgeschichte bereits ein eindeutiges Verfahren zur Hand (so daß also vorher alle Diskussionen im bloßen Meinungsaustausch bestanden). Den ersten methodischen Ansatz zum Entlarven eines Widerspruchs hat dann Aristoteles geleistet in der strikten Formulierung (später „logisch“ genannter) Prinzipien des Denkens:
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Der Satz vom (ausgeschlossenen) Widerspruch:
„Etwas kann nicht zugleich (so) sein UND NICHT (so) sein“ -
Der Satz vom ausgeschlossenen Dritten:
„Etwas kann nur (so) sein ODER NICHT (so) sein“
(mit der Ergänzung: eine dritte Möglichkeit gibt es nicht)
… mit dem nun genauer faßbaren Resultat: wer das doch behauptet in einem gegebenen Sachverhalt, der redet willkürliche oder zumindest unverständliche Rede.
Außerdem hat Aristoteles entdeckt (und bewiesen!!), daß Schlußfolgerungen aus gegebenen Voraussetzungen („Prämissen“) bereits an ihrer bloßen Form als richtig oder falsch erkannt werden können, ohne daß man die Aussagen im einzelnen bewerten muß. So ist aus
- einige A sind x (Beispiel „einige tische sind vierbeinig“)
- alle B sind x (Beispiel „alle hunde sind vierbeinig“)
die Schlußfolgerung: - alle B sind A („alle hunde sind tische“)
IMMER beweisbar falsch, OHNE (!) daß man über tische und hunde erst zu diskutieren müßte…
umgekehrt:
Die ist die Schlußfolgerung
- alle A sind x („alle menschen sind sterblich“)
- B ist ein A („Sokrates ist eine mensch“)
Schluss: - B ist x („Sokrates ist sterblich“)
IMMER richtig, man bruacht das jeweilige Beispiel gar nicht zu diskutieren…
Nun sind dies nur Beispiele von Errungenschaften der Philosophie, es gibt ZAHLLOSE davon, von denen sehr viele heute in das Alltagsleben eingegangen sind, ohne daß man weiß, daß es diese Selbstverständlichkeiten nicht immer gegeben hatte und das es Resultate der PhilosophieGESCHICHTE sind.
Zu erwähnen noch wichtig: Die Philosophie hatte zu jeder Zeit (auch heute!) immer ihre gesamte Geschichte zum Gegenstand. Jede Epoche, jede Schule, jede einzelne Philosophie (ja, es gab auch in der Antike bereits Philosophinnen!!) ist immer zugleich Auch Forschungsgebiet. So daß Philosophie immer auch SICH SELBST zum Gegenstand hat. Das unterscheidet sie von anderen Grundlagenwissenschaften, insbesondere die Einzelwissenschaften, in denen ja immer der jeweils gegenwärtige Entwicklungsstand relevant ist.
Außerdem hat die Philosophie sehr viele Teilgebiete: Beispiele:
Theoretische Philosophie:
Logik, Metaphysik, Naturphilosophie (bis Hegel), Ästhetik, Wissenschaftstheorie etc…
Praktische Philosophie: Ethik, Rechtsphilosophie, Politische Philosophie etc…
In der Überzeugung, daß es noch viel zu diskutieren gibt über diese Frage:
Gruß
M.G.