Hallo,
gerade in der Zeitung gelesen: Bestimmte Berufe (wie z.B. Packer oder Fahrer) sollen in Zukunft verschwinden durch die Digitalisierung bzw. Automatisierung. Darunter werden auch die Berufe Immobilienmakler und Buchhalter genannt. Ich frage mich, was Buchhalter heute tun, was noch nicht automatisiert ist, aber morgen (durch welche Technik?) automatisiert werden kann. Einzelne Buchungen werden vermutlich auch heute schon durch Software erledigt (z.B. dann, wenn im Lager der Eingang von Ware registriert wird). Oder geht es darum, dass solcherart Automatisierung heute schon in großen Firmen der Fall ist (die z.B. SAP haben), in Zukunft aber auch bei kleinen Firmen möglich sein wird? Kurz: Was tun Buchhalter, was morgen der Computer tun wird?
Dieselbe Frage stelle ich mir beim Immobilienmakler. Anzeigen schalten und Termine vereinbaren kann auch ein Computer, aber den Leuten die Tür aufsperren, ihnen die Immobilie schmackhaft machen?
derzeit noch sehr wenig verbreitet - auch in Unternehmen, bei denen das Volumen des Betriebs dazu passen würde - ist die (teil)automatisierte Belegerfassung: Ein OCR-System wird angelernt, zu erkennen, wo auf den Rechnungen welches Lieferanten oder Dienstleisters die Rechnungsnummer, das Rechnungsdatum, die Kundennummer, die USt-ID-Nummer, der Gesamtbetrag steht und welche Artikelnummern des Lieferanten zu welchen Codes im eigenen Rechnungswesen gehören. Damit lässt sich der quantitativ größte Anteil der Eingangsrechnungen bereits beim Scannen in der FiBu erfassen - einschließlich Zuweisung von Kostenarten, Kostenträgern, Kostenstellen, Prüfung des Vorsteuerabzugs und Erfassung des Zahlungsziels.
Die automatisierte Erfassung von Ausgangsrechnungen ist schon lange Standard; bei der Automatisierung der Erfassung der Vorgänge auf den Bankkonten ist innerhalb der letzten zehn - fünfzehn Jahre viel geschehen, aber die Qualität (= Umfang der manuellen Nachbearbeitung) hängt sehr stark vom angewendeten System ab (unter uns Pfarrerstöchtern: dieser Punkt zählt ausgerechnet bei SAP nicht zu den ausgeprägten Stärken).
Beim Thema „Eingangsrechnungen“ ist das, was bei gegebenem Umweg über Papier möglich ist, technisch bereits weitgehend ausgereizt - die Entwicklung geht hier in eine andere Richtung, nämlich die eines gemeinsamen, einheitlichen Formates und gegenseitig akzeptierten Signaturen, die es zusammen möglich machen, den Umweg über das Papier wegzulassen.
In der Warenwirtschaft ist auch bereits jetzt technisch nicht viel mehr zu machen, als bereits geschieht - lediglich die Verbreitung von elektronisch gestützten Verfahren bei KMU hat noch einiges an Weg vor sich, genau wie die Abbildung des kompletten betrieblichen Geschehens, wie das mit Systemen wie SAP geschieht - auch bei SAP selber ist es etwas ruhiger geworden um die Initiative für Lösungen für KMU.
Der nicht vom Volumen, aber von der Bedeutung für das Rechnungswesen her wichtigere Teil der Buchhaltung, der über das pure Belegeklopfen hinaus geht, ist (aus der Perspektive eines Buchhalters aus dem XX. Jahrhundert) nicht deutlich weiter automatisierbar, als das bereits heute gegeben ist: Bewertungen, Abgrenzungen jeder Art, Abschreibungen lassen sich maschinell mit riesigen Volumina berechnen, aber nicht beurteilen.
Vielen Dank für die wie immer sehr fundierte und erschöpfende Antwort.
Ähnlich hab ich mir das schon vor Jahren für die Juristerei gedacht: Wie die Paragraphen zusammenhängen, das ist eigentlich nur ein technisches System, das automatisiert werden könnte. Die eigentliche Leistung eines (zum Beispiel) Richters ist das Einschätzen, unter welchen Paragraph ein Geschehen der Realität fällt. Anders gesagt: Ebenso wie beim Buchhalter geht es um das Einsortieren von Dingen, die im Alltag auftauchen, in Schubladen. Aber ich würde nicht sagen, dass solche Einordnungen nicht grundsätzlich automatisierbar wären. Stichwort Mustererkennung, Spracherkennung, künstliche Intelligenz (Systeme, die von Menschen lernen). Wird vielleicht nicht perfekt, aber vielleicht doch so, dass nur noch jemand kurz drüberschauen muss.
Und: Crowdworking bzw. Crowdsourcing. Gerade in der Justiz könnte die Einschätzung von vielen manchmal besser sein als die Einschätzung eines Einzelnen. (Wer kann besser entscheiden, ob das Kindeswohl gefährdet ist: ein männlicher Richter oder 10 Mütter?) Wie gesagt, es geht nicht um das Regelwerk an sich, nur um das Einordnen „liegt hier … vor“.
Crowdsourcing ist zwar keine Automatisierung, aber doch günstiger. Und bei all diesen Dingen ist auch vorstellbar, dass ein gewisser Spielraum für Fehler vorgesehen ist, z.B. indem man um der Effizienz willen nur dann (aufwändige) Korrekturen vornimmt, wenn die Betroffenen (Finanzamt, Angeklagter, Streitpartei) es verlangen.
Manche können sich noch erinnern, welchen Aufwand es früher bedeutete eine Bilanz zu erstellen. Heute dauert das Ausdrucken der Bilanz am längsten.
Die Kontierung (und die kreative Buchhaltung) bekommt noch kein Computer hin, dazu benötigt man zusätzliche Informationen, welche nicht automatisch nicht auf der Rechnung stehen.
Wenn das Elektronik-Labor 100 Transistoren bestellt, sind diese als Verbrauchsmaterial zu verbuchen, da sie nicht in einem Verkaufsfähigen Produkt landen.
Bestellt die Fabrikation die selben Transistoren, ist es Rohmaterial.
Grundsätzlich kann man das automatisieren, z.B. über eine Bestellnummer, welche dann der Lieferant auf der Rechnung aufführt.
Allerdings braucht es erst einmal jemanden der dies erkennt und die passenden Prozesse kreiert.
der dem Volumen nach größte Teil der Kontierung, nämlich den, der beim Erfassen der Eingangsrechnungen anfällt, lässt sich relativ leicht automatisieren: Beim Wareneingang sowieso, auch wenn dieser nach Vorsteuerfunktionen und Warengruppen getrennt kontiert werden muss, und bei anderen empfangenen Gütern und Dienstleistungen dann, wenn der gesamte Vorgang vom Einholen der Angebote bis zur Buchung von Aufwand und Verbindlichkeit in einer Linie verknüpft ist.
Auch, wenn das nicht so ist, kann man OCR-Scannersystemen beibringen, dass z.B. der Dachser immer Ausgangsfrachten für Stückgut fakturiert, und dann wird halt von der Maschine jede freigegebene Eingangsrechnung von Dachser, die alle Filter für den Vorsteuerabzug besteht, mit 90-5800 - Kostenstelle 120 - Werk 6 kontiert und verbucht.
Wie gesagt: Den dem Volumen nach größten Teil der laufenden Geschäftsvorfälle können Maschinen fast so gut buchen wie Menschen. Bloß mit dem Rest sind sie so granatenmäßig aufgeschmissen, dass sich die Menschen neben ihnen keine Sorge um den Job machen müssen.
Der Richter. Es sei denn, die zehn Mütter hätten alle das zweite juristische Staatsexamen abgelegt. Was mit „Crowd-“ anfängt, läuft unweigerlich in Richtung einer Durchschnittlichkeit, die selten gut und nützlich ist.
Was gut für ein Kind ist, lernt man im zweiten juristischen Staatsexamen? Das ist doch oft genau der Grund für manchmal haarsträubende Urteile: dass der Richter zwar seine Paragrafen kennt, aber nicht das Leben. Ich hab schon mal von einem Richter gehört, der gegen einen Elternteil entschieden hat, weil dort das Kind vegetarisch ernährt wurde. Und ich hab auch schon öfters gelesen, dass in manchen Gebieten gerade die mangelnde Fortbildung von Richtern ein Problem darstellt. Zum Beispiel wenn es um Sekten geht.
Mag sein, dass bei der breiten Masse nicht immer was Gutes rauskommt (Amerikaner dürften das vielleicht anders sehen mit ihrem Geschworenensystem), aber dass einen ein juristisches Examen dazu befähigt, Lebenssachverhalte gut einzuschätzen, bezweifle ich. Wie gesagt, es geht nicht um die juristischen Zusammenhänge. Es geht darum, zu entscheiden, ob ein bestimmte Sache aus dem Leben ein bestimmtes Kriterium erfüllt. Ich sehe nicht, warum ein Jurist so eine Frage besser beantworten können soll als sonst jemand (mit vergleichbarer Intelligenz und Lebenserfahrung).
Im Staatsexamen lernt man nichts - da wird geprüft, ob man vorher gelernt hat, nach geltendem Recht zu urteilen. Dazu gehört auch, dass man gelernt hat, was und wen man bei einem solchen Urteil berücksichtigen muss - u.a. dass es nicht alleine ausschlaggebend sein kann, wie es Tante Erna auch einmal ergangen ist.
Im Gegensatz zu einer Horde von zehn Müttern weiß ein Richter viel besser, wen er wonach fragen muss, um feststellen zu können, was gut für ein Kind ist.
ist es eine ganz wundervolle Einrichtung, dass es hierzulande eine unabhängige Justiz gibt, die eben nicht auf Kreuzigung urteilt, wenn eine johlende Meute „Kreuzige! Kreuzige!!“ blökt.
Kannst Dich ja mal mit der Einrichtung des Geschworenengerichts und deren Folgen beschäftigen.
Und ja, Giordano Bruno „hatte eine überwältigende Mehrheit gegen sich“. Auf dem Scheiterhaufen musste er eine Maske tragen, die mit einem Knebel versehen war, der einen Dorn gegen die Zunge und einen gegen den Gaumen gerichtet trug - damit er nur ja kein Wort mehr öffentlich sprechen konnte.
Solch eine Angst hatten die Durchschnittlichtsten aller Durchschnittlichen vor der Wahrheit, obwohl sie doch über so großartige Mehrheiten verfügten.
Ich meinte nicht, dass Mehrheitsentscheidungen automatisch besser sind. Ich bestreite auch nicht, dass Menschen, die für eine Sache ausgebildet sind, in der Regel besser wissen, woraus sie zu achten haben. Nur ist das ja eben die Frage, ob Richter dazu immer ausgebildet sind.
Ob man eine Gruppe Mütter als Horde bezeichnen muss und ob ein Richter (der auch eine Mutter sein kann), wirklich immer und automatisch besser eine Familiensituation einschätzt als eine Gruppe Mütter, wage ich zu bezweifeln.
Es ist nun mal so, dass ein Richter in vielen Fällen abwägen muss, ob ein bestimmter Aspekt eines konkreten Falls ein bestimmtes Kriterium erfüllt oder nicht. Zum Beispiel ob irgendwas „angemessen“ ist oder nicht. Ob etwas das „Kindeswohl“ gefährdet oder nicht. Ob etwas „zumutbar“ ist oder nicht. Natürlich kann ein Richter darin geübter sein als jemand anders, weil er sich schon mit ähnlichen Fällen auseinandersetzen musste oder weil in der Rechtsprechung Kriterien dafür entwickelt wurden. Es wird aber auch Fälle geben, wo er das ganz von selbst entscheiden muss, ohne Vorbilder und Erfahrung. Und an der Stelle ist es nicht mehr die juristische Ausbildung, die zu einer guten Entscheidung beiträgt, sondern so was wie gesunder Menschenverstand, Lebenserfahrung und Einfühlungsvermögen. Oder?
Kannst ja mal Gewaltenteilung.de lesen und dich mit Menschen unterhalten, die durch Chemikalien krank wurden und dafür eine Entschädigung verlangen. Oder mit ihren Ärzten oder ihren Rechtsanwälten. Gibt auch Bücher dazu, die ich dir nennen kann. Ob du dann noch von unabhängiger Justiz sprichst, weiss ich nicht. Grundsätzlich hast du natürlich recht, dass die Justiz sich nicht der Mehrheitsmeinung beugen sollte.
Der Austausch von Rechnungen über EDI als Standard greift mehr und mehr Platz. Es gibt aber auch diverse proprietäre Systeme, die immer weiter greifen. Und in den nächsten Jahren stehen mE erhebliche Umbrüche bevor. Stichwort „Blockchain“. Denn die eignet sich nicht nur zur Erschaffung von Crypto-Währungen wie Bitcoin und Co. sondern auch ganz hervorragend für den Belegaustausch und die Belegverarbeitung und Weitergabe.
Schon heute ist es vielfach üblich Rechnungsdaten elektronisch auszutauschen. Der Papierbeleg ist oft nur noch „Backup“. Bei diesem elektronischen Austausch werden zudem mehr und mehr zusätzliche Kennzeichnungen verlangt, die die automatische Weiterverarbeitung der Belege ermöglichen. Auch wird es mehr und mehr üblich, Rechnungen „gemeinsam“ zu schreiben, um somit bei komplexeren Sachverhalten spätere Diskussionen auszuschließen, die einer automatischen Verarbeitung der Rechnungsdaten im Wege stehen könnten. D.h. es können schon heute längst nicht nur die Rechnungen für die Schrauben in der laufenden Produktion automatisch verarbeitet werden, sondern durchaus auch die Rechnungen für komplexe IT-Projekte. Und dies wird zunehmen.
Für den klassischen Belegerfasser wird die Luft daher künftig immer dünner werden. Und zwar nicht nur in der Industrie und bei den ganz großen Dienstleistern, sondern auch bei allen, die mit der Industrie und diesen Dienstleistern zusammen arbeiten. Denn denen gegenüber macht dann die Großen die Vorgaben. Und wenn man erst einmal für drei Kunden und zwei Lieferanten gezwungen ist, deren individuellen Portallösungen zu nutzen, wird man auch beim eher kleinen Mittelständler dann schnell dahin kommen, auch selbst und vollumfänglich eine generell hierfür geeignete Lösung einzusetzen.
We wir ja alle wissen, liegen männliche Richter außerhalb ihrer Arbeitszeit in einer geschlossenen Schublade, und werden da nur raus geholt, wenn sie im Gerichtssaal gebraucht werden. Sie waren weder selbst jemals Kinder, sind selbstverständlich keine Väter, Brüder, Onkel, Neffen, Cousins, …, haben sich noch nie in der Jugendarbeit betätigt, haben keinen entsprechenden Zivildienst, kein FSJ gemacht, … irgendwie in ihrem Leben schon mal irgendetwas mit Kindern zu tun gehabt.
Und weil wie so viele Richter haben, nehmen wir auch für jeden Fall einen neuen Richter frisch aus der Presse, der noch nie mit vergleichbaren Fällen zu tun hatte. Und der entscheidet dann selbstverständlich auch ganz alleine in seinem Elfenbeinturm, ohne die Beteiligten oder Mitarbeiter von Jugendamt und Sachverständige gehört zu haben, deren Hauptberuf es ist, sich mit Kindern zu beschäftigen.
Schon mal den Hauch eines Gedankens daran verschwendet, dass die Herrschaften, die im Gerichtssaal in Robe auftreten das Ding nach der Verhandlung an den Nagel hängen, und dann ein ganz normales, durchschnittliches Privat- und Familienleben haben, genau so engagierte Eltern sind, wie Lehrer, Erzieher, Müllwerker, …?
Es gibt da nur einen entscheidenden Unterschied: Sie sind eben nicht „nur“ Eltern, sondern haben eben auch eine qualifizierte Ausbildung, kennen sich mit Recht und Gesetz aus. Und auch das sind Dinge, die nicht vom Himmel gefallen sind, sondern an denen seit Generationen ebenfalls fachlich qualifizierte Leute (mit ebenfalls ganz normalem Privat- und Familienleben) gearbeitet haben, und immer weiter arbeiten, um die neuen Erfordernissen anzupassen. Und sie sind insbesondere Profi genug, ihre privaten Befindlichkeiten einer notwendigen Professionalität unterzuordnen, damit Rechtsprechung objektiv und sachlich nachvollziehbar ist, und damit der Bürger Rechtssicherheit bekommt.
Das gilt heute aber immer weniger. In der Industrie ist es inzwischen vollkommen üblich, dass man als Lieferant diverse Angaben vom Besteller geliefert bekommt, die sich dann auf der Rechnung wieder finden müssen. Und damit ist vielfach schon lange keine Papierrechnung mehr gemeint. D.h. diese Daten erscheinen dann in elektronisch ausgetauschten Rechnungsbelegen, die somit 1A vollautomatisch durch die Instanzen laufen können.
Bei komplexen IT-Projekten haben wir zudem zunehmend die Situation, dass es regelmäßige Rechnungs-Meetings gibt, in denen gemeinsam die Rechnungen vorbesprochen werden, damit diese dann auch so problemlos durchlaufen.
Das mit dem Kindeswohl war nur ein Beispiel. Egal ob wir das oder irgendein anderes Beispiel nehmen, meine Kernaussage war ja: Die Tätigkeit des Richters oder der Richterin besteht zum einen aus der Würdigung der rein rechtlichen Zusammenhänge (wofür er eine Ausbildung hat und wo ich mich frage, ob man das grundsätzlich auch automatisieren könnte) und zum anderen aus Abwägen und Einordnen von realen Sachverhalten in die juristischen Schubladen. Die rechtliche Ausbildung befähigt den Richter oder die Richterin zu sagen, eine Sache wird in einer bestimmten Weise entschieden, wenn z.B. für den Vermieter etwas „zumutbar“ ist oder wenn staatliches Handeln „angemessen“ ist oder wenn „das Kindeswohl gefährdet“ ist. Diese Entscheidung bzw. dieses Abwägen, ob etwas „zumutbar“, „angemessen“ oder „gefährdend“ ist, ist ja nicht den Paragrafen zu entnehmen, sondern muss anhand von Lebenserfahrung und gesundem Menschenverstand entschieden werden. Wie bereits gesagt, mag bei manchen Einschätzungen die Rechtsprechung auch dafür Kriterien entwickelt haben, aber bestimmt nicht bei allen. Und bei bestimmten Fragen zieht ein Richter ja auch Sachverständige hinzu. Nur eben nicht bei allen. Das heißt, ein Richter oder eine Richterin entscheidet über Dinge des alltäglichen Lebens, wie diese einzuschätzen sind. Nun sage ich gar nicht, dass ein Richter oder eine Richterin darin schlechter sein muss als irgendjemand anders. Die Tatsache, dass jemand ein gutes juristisches Staatsexamen abgelegt hat, beweist ja schon mal, dass derjenige kein Dummkopf sein kann, und Erfahrung mit vielen Fällen aus dem immer wieder selben Bereich tut ihr Übriges. Trotzdem ist damit nicht gesagt, dass die Einschätzung des Sachverhalts (wie gesagt, ich rede nur von diesem Teilschritt) eines Richters oder einer Richterin die BESTMÖGLICHE Einschätzung ist. Es ist auch nicht gesagt, dass der Richter tatsächlich private Erfahrung mit dem betreffenden Lebensbereich hat. Nicht jeder hat Erfahrung mit allem. Und Richter leben auch in einer ganz bestimmten Welt (Akademiker, Gutverdiener usw.). Wenn du Berichte von Menschen aus ganz bestimmten Lebensbereichen liest (z.B. Sektenaussteiger, Kranke), dann wirst du immer wieder lesen, wie diese Menschen beklagen, wie wenig sie von anderen Menschen verstanden werden. Wenn ich also davon ausgehe, dass ein Richter gar nicht jede Lebenssituation gut einschätzen KANN (weil NIEMAND das kann), dann muss doch die Frage erlaubt sein, ob es nicht andere Vorgehensweisen gäbe (wo ich hier sowieso schon mit sehr hypothetischen Fragen angefangen habe, z.B. ob man die rein juristische Seite der Richtertätigkeit von Computern erledigen lassen könnte), die eine BESSERE Einschätzung bzw. die mit den gegebenen Mitteln BESTMÖGLICHE Einschätzung bringen würde. Wie gesagt, nur für einen kleinen Teilschritt des Verfahrens. Momentan ist es meines Wissens nach so, dass ein Richter in schwierigen Fragen, wo er viel zu wenig Ahnung hat (z.B. Medizin oder Psychiatrie), Sachverständige bestellt, aber in anderen Gebieten, wo jeder ein bisschen Ahnung hat, selber entscheidet. Da wäre doch z.B. eine Idee, ob dort nicht ein Gremium aus fachkundigen Menschen zur Verfügung stehen könnte (z.B. online), um dem Richter eine Einschätzung zu geben oder zumindest schnell ein paar Fragen beantworten zu können (wie z.B. „Was ist in der Branche üblich?“ oder „Finden Sie das zumutbar oder nicht, und warum jeweils?“). Und der Richter könnte immer noch selbst entscheiden. Oder man überträgt die (Teil-) Entscheidung dem Gremium oder bindet es zumindest ein. Laien-Schöffen sind doch auch schon ein Schritt in diese Richtung. Man kann doch über solche Ideen zumindest mal diskutieren, statt so zu tun, als ob wir schon in der besten aller möglichen Welten leben würden oder als ob ich zu Hexenprozessen und Ähnlichem zurückkehren wollte.
Wie gesagt, ich bestreite ja nicht, dass sie neben der Ausbildung auch private Lebenserfahrung und gesunden Menschenverstand haben, nur reicht das nicht immer für eine gute Einschätzung. Und es wird auch den einen oder anderen verschrobenen, lebensfernen Richter geben.
Dein Wort in Gottes Ohr. Mich befremdet etwas, dass ihr (du und Aprilfisch) so schreibt, als ob die Realität dem Ideal entspräche. Als ob alles so sei, wie es sein soll. Meine persönlichen Erfahrungen und das, was ich so mitkriege, widersprechen dem (wenn auch das Übel dort in anderen Gründen zu suchen ist als in privaten Befindlichkeiten, siehe meinen Kommentar zu Aprilfisch). Und es gab doch genug Presseberichte über krasse Justizirrtümer und Skandal-Urteile. Natürlich sind das immer Einzelfälle, aber es werden doch auch systematische Mängel offenbar, z.B. eine mangelnde Fehlerkultur. Deshalb kann ich diese Lobeshymnen nicht so ganz nachvollziehen.
Gegenstand der juristischen Ausbildung ist es von der ersten Stunde im ersten Semester an, konkrete Lebenssachverhalte rechtlich korrekt einzuordnen. Das sind bis zum 1. Examen dann noch unstreitige Dinge, nach dem 1. Examen wird man dann auf die streitigen Sachen los gelassen. Dabei gehört es einfach dazu, dass man sich in unterschiedlichste Fragestellungen mal mehr mal weniger intensiv einarbeiten muss. und ergibt es sich von selbst, dass man sich auf gewisse Dinge zusätzlich spezialisiert. Und zwar eben nicht nur dergestalt, dass man dazu dann die einschlägigen Paragraphen runter beten kann, sondern gerade eben auch, dass man sich mit der Materie entsprechend beschäftigt.
Nicht umsonst gibt es auch spezielle Abteilungen in den Gerichten, Fachgerichte und auch Fachanwaltschaften, Schwerpunktstaatsanwaltschaften, … Aber dabei müssen natürlich auch die Verhältnisse gewahrt werden. Es wäre schlicht und ergreifend unfinanzierbar, und würde auch so dem ein oder anderen Grundsatz unseres Gerichtswesens zuwider laufen, wenn man jetzt für Streitigkeiten um die Verrechnung von Aufzugskosten im Mietrecht einen speziellen Richter an jedem Amtsgericht fordern würde, oder solche Sachen dann gesammelt nach Hintertupfingen verweisen würde, weil da genau der Spezialist für solche Sachen in Deutschland sitzt, und den ganzen Tag nichts anderes macht.
Aber selbstverständlich gibt es sowohl offizielle als auch informelle Informationsbeschaffungen sowohl im Kollegenkreis, als auch im sonstigen Umfeld, wenn ein Richter mal eine spezielle Info sucht. Nur bieten sich dazu die von Dir angedachten Gremien mE nicht an, weil die dann ja auch als Institution eingerichtet werden müssten, die dann selbstverständlich auch eine qualitätsgesicherte Arbeit abzuliefern hätten. Es wäre in meinen Augen ein Skandal, wenn sich da einfach Hinz und Kunz bewerben und teilnehmen könnte, nur weil er selbst meint, von einem Thema Ahnung zu haben. Wenn die Fragestellungen hinreichend wichtig sind, dann greift man nicht umsonst auf Sachverständige zurück, die genau diesen Nachweis erbringen müssen.
Und auch, wenn es natürlich bessere und schlechtere Richter gibt, ist die Juristerei gerade eben nicht die Institution, die nicht genug selbstkritisch damit umgehen würde. Nenne mir bitte eine einzige andere „Branche“, in der es einen gesetzlich normierten und garantierten Instanzenzug gibt, über den man Urteile überprüfen lassen könnte. Mir ist auch mal eine Richterin untergekommen, die Probleme mit den Grundrechenarten im Zahlenraum bis 100 hatte. Die Berufungsverhandlung war eine sehr peinliche Sache für die Kammer, die aber freimütig und unumwunden zugab, dass die liebe Kollegin da wohl einen sehr schlechten Tag gehabt hätte. Zack, war das Urteil korrigiert. Kostentechnisch für den Unterlegenen natürlich ärgerlich. Aber er hätte ja auch in der 1. Instanz den glasklaren Sachverhalt einfach anerkennen können. Da er es auf ein Urteil ankommen ließ, hielt sich mein Mitleid in Grenzen.
Zudem haben wir die Kammern mit ihren entsprechenden berufsrechtlichen Möglichkeiten auch im Bereich der Anwaltschaft in sauber definierter Form vorgehen zu können. Und es ist auch keineswegs so, wie gerne behauptet, dass da die eine Krähe der anderen kein Auge aushacken würde. Es gehört zum Berufsbild und Tagesgeschäft des Anwalts sich mit seinen Kollegen streitig auseinander zu setzen. Und wem dabei ein schwarzes Schaf auffällt, der hat auch kein Problem damit, gegen so einen Nestbeschmutzer vorzugehen. Ich selbst mache nur wirklich ganz wenig streitig, aber auch ich habe schon zwei Kollegen ans Messer der Kammer geliefert. Einen sogar an das der Staatsanwaltschaft.