Was meint Alice Schwarzer mit "Entgegensetzen unserer Werte"?

Hallo,

leider befindet sich der Haupteil einer interessanten These Alice Schwarzers hinter einer „paywall“:

Alice Schwarzer: Es war von Anfang an die Strategie des politisierten Islam, jede Kritik an ihm als „Rassismus“ und neuerdings als „islamophob“ abzuwehren. Das hat fatal gut geklappt. Empfänglich dafür waren weite Teile der Linken, die den gleichen Feind haben wie die Islamisten: nämlich den Imperialismus, den Kolonialismus und Amerika. Diesen Linken war in den 80er-Jahren das revolutionäre Subjekt, das Proletariat, verloren gegangen. Also stürzten sie sich auf die Muslime. Nur: Die Mehrheit der 1,7 Milliarden Musliminnen und Muslime auf der Welt sind die ersten Opfer der islamistischen Fanatiker. Allerdings: Da wir versäumt haben, der islamistischen Propaganda unsere Werte entgegenzusetzen – Demokratie, Rechtsstaat, Gleichberechtigung – wächst diese fanatische Minderheit der Rattenfänger. Wir haben die aufgeklärte und demokratische Mehrheit der Muslime im Stich gelassen!

Wem wirft Alice Schwarzer dieses Versäumnis vor? Wen meint sie dabei mit „wir“. Meint sie die westliche Gesellschaft, die abendländische Kultur, das Christentum, Europa, Deutschland oder nur die dt. Regierung.

Besteht heutzutage noch die Gefahr, dass die seinerzeit gängigen stereotypen Anfeindungen z.B. zur Ordnung zu rufender Muslime noch so ernst genommen werden, wie noch -sagen wir- vor 10 Jahren? Polizisten zuckten bei Bemerkungen, wie z.B. „Rassist“, „Nazi“ noch zusammen und scheuten oft einer dsbzgl. Anzeige.

Wie hätte man - im Sinne Schwarzers- die erfolgreiche islamistische Propaganda eindämmen können (national und international), um nicht den aufgeklärten und demokratischen Teil der Muslime im Stich zu lassen?

Gruß
rakete

Den Anfang der These halte ich für Unsinn. Streichen wir mal den ganzen Teil mit der Linken, denen das revolutionäre Subjekt verloren gegangen ist und die sich dann angeblich auf die Muslime gestürzt haben - in den 80ern und 90ern? Nonsens. Genauso fatal halte ich es, daraus abgeleitet die „Schuld“ damit nur bei den Linken zu suchen. Das ist genauso ein Unsinn.

Was ich sehe, sind Fehler in beiden Richtungen und beider Seiten. Wir haben schlecht integriert und zu wenig eingefordert. Und vor allem: Das Ganze nicht nur über Muslime abzuarbeiten!

Es geht hier nämlich nicht um Muslime, sondern es geht um Migranten und unserem Umgang damit. Wir Deutschen können nicht gut integrieren. Integration ist etwas, das nur funktioniert, wenn zwei Seiten integrationsbereit sind. Da vergessen die Lager bei uns gerne mal die Verantwortung jeweils einen Teils.

Wenn der junge Mann, dessen Großeltern Deutsche geworden sind und dessen Eltern bereits als Deutsche geboren wurden, immer noch „der Türke“ ist, nur weil er mit türkischem Namen auftritt, dann ist das zunächst einmal ausschließlich ein Problem der aufnehmenden Seite. Wenn der dann automatisch als Muslim gedacht wird, dann ebenfalls! Dann reden wir sogar von einem massiven Problem auf der aufnehmenden Seite.

Ich hatte kürzlich noch zwei Diskussionen im privaten Kreis:
mit der künftigen Schwiegertochter samt Familie, polnischstämmig. Obwohl als Deutsche geboren, denken die Eltern jetzt darüber nach, mit Eintritt ins Rentenalter nach Polen zu gehen, trotz der schwierigen politischen Lage, die ihnen Angst macht. Der Grund: sie werden nicht als Deutsche voll akzeptiert, haben immer wieder im Alltag mit Anfeindung zu tun.
Die zweite Diskussion mit einer Türkin, die vor 30 Jahren mit zwei Kindern als Alleinerziehende nach Deutschland kam. Sie und ihre Kinder haben mit dem Islam nix zu tun. Sie lebt eine Haltung, die allen Glaubensrichtung gegenüber offene Haltung. Der Sohn konnte gerade so deutsch, da hat er im Seniorenheim die Weihnachtsgeschichte vorgelesen. Und dennoch sieht sie sich ständig ausgesetzt, Türkin zu sein, und soll sich für einen Glauben rechtfertigen, den sie gar nicht hat oder soll diesem abschwören, sich abgrenzen. Diese Frau hat die meiste Zeit ihres Lebens in Deutschland gelebt, ist hoch emanzipiert (das war ihre Mutter schon). Dass sie mit dem Sultan vom Bosporus ihre Probleme hat, braucht man nicht zu erwähnen. Doch auch sie zieht es immer öfter und immer länger wieder in die Türkei zurück.

Hier geht es viel um Identität. Es gibt viele Deutsche, die wollen nicht zulassen, können nicht akzeptieren, dass jemand nicht nur eine Identität in sich tragen kann. Wobei sie genau genommen kein Problem damit haben, das zu akzeptieren, wenn diese Identität die eines Franzosen, Niederländers oder US-Amerikaners ist. Aber der Türke oder der Iraker darf das nicht. Wenn aber selbst dann, wenn die Menschen nur oder überwiegend die deutsche Identität leben, sie immer noch als Türken UND Muslime gesehen werden, bin ich treibende Kraft, dass man sich der anderen Identität stärker verbunden fühlt.

Last not least dann noch ein Satz zum Kopftuch. Ich bin davon überzeugt, dass die Zunahme des sichtbaren Kopftuchs zu einem Großteil darauf zurückgeht und ein Stückweit Stinkefinger ist. Wenn ich sowieso als Muslima gelte, dann bin ich es auch. Wenn man nun den Fokus auf Demokratie, Rechtsstaat und Gleichberechtigung setzen würde, dann würde man eine Gesellschaft vorleben, in der es egal ist, ob jemand Kopftuch trägt: Wichtig ist nur, dass es die höchstpersönliche und freie Entscheidung ist! Stattdessen überladen wir das Kopftuch politisch-ideologisch und verraten unsere eigenen Werte! WIR verraten unsere Werte, in dem wir plötzlich legitim finden, Frauen zu etwas zu zwingen, nämlich das Ding abzulegen, anstatt andere Wege zu gehen.

Genau in dem Punkt ist es dann Schwarzer, die selbst ziemlich inkonsequent ist, um nicht verlogen zu sagen.

Wen Schwarzer mit „wir“ meint, musst du sie selbst fragen. Ich würde mit „wir“ die westliche Gesellschaft, zumindest teilweise Europa, Deutschland und die deutschen Regierungen meinen. Die Abendländische Kultur mit Sicherheit nicht. Die gibt es nicht. Das ist ein dumpfbackiger politischer Kampfbegriff.

Das macht es ziemlich schwierig, zu mutmaßen, was Frau Schwarzer hier gemeint hat :wink:

Generell wirft Schwarzer aus ihrer politischen Haltung heraus einem Teil der Linken immer wieder folgendes vor:

  • ohne dass die es begreifen würden, machen sie naiv mit allen möglichen Faschismen, darunter v.a. dem „politischen Islamismus“ gemeinsame Sache, nur weil ein Teil der Feindbilder übereinstimmt.

  • sie hat eine implizite „Opferhierarchie“ im Kopf, bei der „rassistische Opfer“ ganz oben steht, jedenfalls über „Frauen-als-Opfer“ und andere Opfergruppen

  • sie haben eine naive Vorstellung von „Befreiung“ usw. im Kopf. Während die „Old Left“ ein klares Konzept davon hatte (das im Zitat angesprochene „revolutionäre Subjekt“), feiert die „New Left“ unkritisch jede Scheißbewegung, wenn sie nur von unten kommt und sich gegen Unterdrücker richtet. So hat die Neue Linke halt im Zug der Entkolonialisierung viel Gefallen an islamistischen Aufstandsbewegungen gefunden.

  • die Linke ist selbst liberal, begreift aber nicht, dass liberale Werte bei anderen Menschen nicht von allein entstehen, sondern dass man da schon was tun muss, damit sie entstehen.

Diese Punkte wirst du immer wieder finden, wenn du eine Zeit lang politische Artikel und Interviews von ihr googelst.

Gruß
F.

Komischerweise ist das aber die ganz überwiegende Gruppe der Migranten, mit der er bei der Integration Schwierigkeiten gibt.

Irgendwie scheint das aber doch seit der Völkerwanderung ganz gut geklappt zu haben. Du hast vielleicht ein paar Wenden und Sorben, die in D eine Sondergruppe bilden. Alles andere, z.B. Slawen, hat sich hier doch recht gut eingefügt.

Eben. Betrachten wir doch mal den Teil der Türken, die wir als gut eingefügt ansehen würden. Wo man sagt: „Na bitte, es geht doch“. Ich denke da z.B. an Kaya Yanar. Aber der -bitteschön- hat seinen Glauben abgelegt.

Das ist natürlich bedauerlich und unverständlich. Möglicherweise Kleinstadt oder ländliches Gebiet?

Deine Zauber binden wieder,
was die Mode streng geteilt,
alle Menschen werden Brüder,
wo dein sanfter Flügel weilt.

Stinkefinger ist der falsche Weg, sich zu integrieren. Wenn du z.B. den Freund, den deine Tochter mit nachhause bringt und du diesem „auf den Zahn fühlst“ um festzustellen, was für ein Typ er ist, wäre dann Trotzreaktion der richtige Weg sich „Lieb Kind“ zu machen?
Gruß
rakete

Ja, das tut sie. trotzdem muss die These ja nicht grundsätzlich falsch sein.
Spontan fallen mir nur Sarrazin, Wagenknecht, Palmer, Buschkowsky ein, die als Linke den Islam nicht völlig unkritisch sehen. Politiker schicken ihre Kinder auch gern auf Privatschulen, bei denen es keine Willkommensklassen oder 50-prozentige Migrantenanteile gibt: Schwesig, Kraft, Ypsilanti und viele mehr.
Gruß
rakete

Und du weisst, wer Muslime ist? Ich dachte, die Sache mit dem Stern auf der Brust war einmal. Hast du mal versucht, das, was ich geschrieben habe, zu lesen und zu verstehen?
Was verstehst du im Übrigen mit Integrationsproblemen? Dass die Menschen schlecht die deutsche Sprache sprechen? Interessiert bei anderen, wie bspw. Vietnamesen nicht.

… und dann:

Du merkst es wirklich nicht. Ich hatte geschrieben, dass Integration zwei Seiten braucht, die willig sind. Du sagst: hat sich gut eingefügt. Das ist jetzt gerade nicht der Beleg dafür, dass wir das gut geschafft haben. Außerdem hatte ich dir gleich zwei Beispiele genannt von Menschen, die hier trotz hohem Integrationswillen frustriert sind, weil sie immer wieder angefeindet werden. Das gilt übrigens auch für den slawischen Teil. Ich kenne gleich mehrere aus dem osteuropäischen Raum, die der Ausgrenzung dadurch begegnet sind, dass sie den Namen haben eindeutschen lassen. Spricht nicht so sehr für die Deutschen.

Du hörst auch Kaya Yanar nicht zu, weil der auch immer wider davon berichtet, dass ihm im Alltag Ablehnung begegnet. Wobei der das noch leichter hat, weil prominent.

Nein. Große Großstadt.

Natürlich. Sie sollen immer wieder die eine und die andere Wange hinhalten, sollen immer wieder Ablehnung erfahren und all die Raketen in diesem Land leugnen, dass es so ist, all die Raketen sehen nicht mal ein, dass auch sie etwas leisten müssen für die Integration und all die Raketen motzen trotzdem rum.

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Aus Schwarzers weltanschaulich-politischer Perspektive ist sie ja auch nicht falsch.
Aber Schwarzers Perspektive ist halt auch nicht das Maß aller Dinge.

Das gilt ja nicht nur für die Politiker.
Links(liberal) reden, aber konservativ handeln ist ja ein bekanntes Muster nicht nur in Deutschland:

Gruß
F.

Es gibt so gut wie keinen, der den Islam unkritisch sieht. Eine der vielen Kampfparolen der Islamophoben. Ausgerechnet jene zu Felde zu führen als Kronzeugen, die - selbstverständlich sobald sie das passende Buch veröffentlicht haben - von TV- und Zeitungsinterview zu Talkshow hetzen, um dann immer wieder lauthals und ausführlich zu verkünden, dass man das ja wohl mal sagen dürfen muss, weil man hier ja nie äußern darf, was man denkt, ist eher traurig.

Nicht Altlinke, sondern Identitätslinke

Ich erkläre dies so:

Wenn es um meine Identität geht, gibt es nur eine. Sie verändert sich, aber ich trage nur diese eine in mir.

Wenn es bei Identität um andere geht, dann darum, inwieweit ich mich (mit meiner Identität) mit dem jeweilig anderen „identifiziere“, also Übereinstimmung sehe. Oder nicht.

Daraus erklärt sich nun die von dir schon genannte grundsätzlich nähere Identifizierung mit Europäern oder US-Amerikaner. Dazu gehören sicherlich auch kulturelle Gemeinsamkeiten (grundsätzlich wird hierzulande sowieso zu viel Wert auf Abgrenzung, Definition und Unterschiede gelegt).

Was Alice Schwarzer imho trefflich erkannt hat, ist, dass es neben den beiden vorgenannten Identitäten eine weitere wichtige gibt: Die gemeinsame Identität einer Gesell- und Gemeinschaft. Und dass diese Gesellschaft mittlerweile überbetont wird, mit Begriffen wie islamophob und Rassismus die individuelle Identität (aller übrigens!) zunehmend abstreitet. Ein hoch riskantes Geschäft, wenn sich die Gesellschaft in vielen Punkten zunehmend uneins ist.

„Aufnehmende Seite“: Ja, das ist der oben beschriebene Knackpunkt. Der Unterschied zwischen gesellschaftlicher (aufnehmender und mittlerweile aufdrängender) und individueller (ich muss, will, kann nicht mit allem und jedem) Identität. Das „massive“ Problem ist ein gesellschaftliches, ein gemeinsames! Wenn der Zusammenhalt gefährdet ist, muss man überlegen, weshalb und wie man das angehen kann. Moralische Keulen á la „die haben ein Problem“ sind da wenig hilfreich, weil schon individuell nicht vermittel- oder erklärbar.


Das Nachfolgende kann gelöscht oder in die Rechts-Schublade einiger UserInnen abgelegt werden.

Ist dir eigentlich aufgefallen, dass bei deinen zwei Beispielen

  • „politische Lage“ die Rückkehr zu Überlegungen führen lassen?
  • es um mangelnde Akzeptanz als deutsch anerkannt zu werden geht?
  • es um deutschsein als solches geht,

was immer das das ist und was sie damit meinen?

Frag sie doch bitte bei nächster Gelegenheit, ob sie sich selbst als Türken oder Polen oder anderer Nationalität fühlen. Und was das besondere an „deutsch“ sein soll.

Es wird höchstwahrscheinlich nicht das sein, was du hier zu vermitteln versuchst.

awM

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Ich bin Berliner und komme jeden Tag durch den Wedding. Mann Bart Frau schwarzer Regenmantel Kopftuch= Moslems.

Nicht leicht, das in einen Satz zu bringen. Indiz für Integration ist m.E. z.B. wenn man, sich nicht nur gezielt in Großstädten und Ballungsräumen, Stadtteilen niederlässt und damit Parallelwelten schafft. Wenn nicht nur die Söhne mit „biodeutschen“ Mädchen Freundschaften eingehen dürfen, sondern auch die eigenen Töchter mit einheimischen Jungs (und zwar nicht nur Händchen halten). Wenn Konflikte sachlich ausgetragen werden und nicht durch Brüllerei, Herbeirufen aller Cousins und Brüder. Logischerweise auch ohne Androhung von Gewalt. Wenn Vorschriften der Ordnungsämter beachtet werden und man der Polizei und Justiz respektvoll entgegentritt und nicht den Rat eines sog. „Friedenrichters“ sucht. Wenn gleichgeschlechtliche Lebensweisen und andere Religionsgemeinschaften akzeptiert werden und „schwul“ und „Jude“ als Schulhofschimpfwörter ausgedient haben. Wenn man ebenfalls das Verslummen ganzer Innstadtbereiche mit orientalischen Supermärkten, Spätis, Dönerbuden, Leihhäusern, Spiel- und Wetthallen, Shishabars nicht nur als wünschenswerte Vielfalt für das Gastgeberland begreift. Wer sich hier selbst einen Lebenspartner suchen kann und nicht schon im Heimatdorf „versprochen“ wurde.Wenn man die Natur und sein Grün schätzt und nicht nur zum Massengrillen in den Stadtpark kommt. Wenn man nicht für Hochzeiten mit einer Kolonne Protzkarossen rumfährt, ganze Straßen versperrt, wie irre hupt und dabei noch mit (Schreckschuss)Pistolen in die Luft schießt. Wenn man sich in Ehrenämtern beteiligt, wie z.B. DLRG, freiw. Feuerwehr (Stadtteilmutter-was nur der eigenen Community zu Gute kommt, zählt nicht). Wenn man eine Ausbildung für einen Beruf macht, der nicht nur darauf ausgerichtet ist, damit schnell selbständig (meist Gastronomie, Einzelhandel) zu werden. Wenn man in der Badeanstalt nicht lärmend in Horden, sondern gesittet…undundund. Und ja, ein einigermaßen vernünftiges Deutsch sollte man auch sprechen.

Man kann das natürlich nicht generalisieren und das tue ich auch nicht. Aber all dies passiert und ist auffällig und störend.

Das ist im Prinzip schon richtig. Wir haben auch Fehler gemacht. In anderen Ländern und zu anderen Zeiten gab es auch Probleme. Nur nach ein paar Generationen sollte damit Schluss sein. Irgendwas steht dem entgegen. Verbindendes Element war in allen Gesellschaften die Vermischung. Der Islam scheint die Muslime leider irgendwie „inkompatibel“ zu machen. Ausnahmen wird es geben, wird man aber mit der Lupe suchen können.

Nach Anlaufschwierigkeiten sehe ich kein dauerhaftes Problem, was sich von Generation zu generation fortsetzt, bei Slawen. Auch nicht bei Vietnamesen.

das gibts leider und ist diskriminierend.

Gruß
rakete

Du bringst, ganz zurecht, die „Endogamie“ als Integrations-Indikator ins Spiel.
Das ist fraglos ein wesentlicher Punkt.

Ein Punkt ist aber auch: Bei den Griechen etwa hat uns das nie sonderlich gestört.

Auch nicht deren generelle unter-sich-bleiben-Tendenz, deren starker Heimatbezug, deren gespaltenes Verhältnis zur deutschen Sprache (die ist halt genauso schwer wie die griechische, und die griechische ist eh die beste), deren überschwänglicher Nationalismus, deren Gastronomie-Affinität usw.

Die sind/waren neben den Italienern und den Kroaten sogar unsere Lieblings-Ausländer (zumindest hier in Bayern, wo vermutlich besonders viele Griechen sind, würde ich das so empfinden).

Mal sehr böse gesprochen sind die Griechen halt schlicht und einfach Türken-ohne-Islam …
(ein beträchtlicher Teil der hier lebenden Griechen übrigens sogar tatsächlich Nachkommen von Menschen aus der Türkei).

Ich will damit sagen: An diesem Beispiel sieht man m.E., dass vieles, was uns Kartoffeldeutschen an den Türken stört, tatsächlich Projektion ist. Nicht alles, klar.

Gruß
F.

Unter anderem deshalb, weil weil die Tendenz zur Endogamie mit jeder Generation abgenommen hat und in der dritten Generation praktisch nicht mehr vorhanden ist. Das gilt ebenso für die Übernahme von Werten. Die Enkel griechischer Einwanderer unterschieden sich bei der Einstellung zu Homosexualität, Gleichberechtigung usw. in keiner Weise von den Deutschen, deren Vorfahren seit vielen Generationen hier leben.

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Grosso modo gebe ich dir recht, aber dennoch eine Replik:
Ich hab ja von der Vergangenheit gesprochen („hat uns das nie sonderlich gestört“), und damit gemeint, dass es uns in der ersten und zweiten Generation auch schon nicht so „gestört“ hat wie bei den Türken.

Dass jetzt in der Enkelgeneration die „Türken in Deutschland“ ein ziemlich gespaltenes Bild abgeben, in denen ein Teil davon sehr wohl in die Mehrheitsgesellschaft so integriert ist, wie du es von den Griechen (bei allem weiter bestehenden starken Heimatbezug) schreibst, ein anderer Teil aber vielleicht sogar „schlechter“ als ihre Väter und Großväter, das ist halt das Interessante daran.

Die Ursache dafür wird nicht ausschließlich auf Seiten der „Türken“ liegen, zumal man z.B. sagen kann, dass wiederum ein Teil dieser deutsch-türkischen Enkelgeneration durchaus in eine hiesige Subkultur integriert ist, die nicht nur aus Deutsch-Türken besteht. Du hast ja auch unter jungen großstädtischen Kartoffeldeutschen oder anderen Zuwandergruppen eine Tendenz weg von der genannten Wertorientierung der Mehrheitsgesellschaft. Man denke etwa an die Hiphop-Kultur, die z.T. offen homophob und sexistisch auftritt.
Ein Teil dieser hier offenbar schlecht integrierten Deutsch-Türken der Enkelgeneration wäre auch in der Türkei „schlecht integiert“, würden sie zurück gehen.
Das zeigt m.E., dass ein schlichtes „die haben sich nicht integriert“ den Punkt nicht wirklich trifft.

Gruß
F.

Woran machst du das „hat uns gestört / nie gestört“ fest? Mich hat das bei den türkischen Zuwanderern der ersten und zweiten Generation nie gestört. Wäre die Tendenz so weiter gegangen wie von der ersten zur zweiten Generation, dann wären die Urenkel der ersten türkischen Einwanderer heute wahrscheinlich katholisch. Aber leider ging die Entwicklung anders herum. Das jetzt auf die mangelnde Akzeptanz durch die Alteingesessenen und die daraus sich ergebende Trotzreaktion der Einwanderer zurück zu führen, halte ich für ziemlich kurzsichtig, tendenziell auch rassistisch, weil es den Einwanderern und ihren Nachkommen einen ziemlich niedrigen IQ unterstellt.

„Uns“ meint halt schwammig das diffuse „Wir“ (nicht jeden Einzelnen natürlich), die allgemeine Sichtweise in Deutschland, in der spätestens ab den 70ern die Vorbehalte gegen die Türken besonders stark waren. Im Grund wollte man die von vorn herein und jahrzehntelang doch einfach wieder so gut es geht loswerden.

Bezeichnend dieser „Geheimplan“ Kohls, den der britische Secret Service vor ein paar Jahren veröffentlich hat. Der Plan sieht vor, einzig und allein die Türken massenhaft rückzuführen, keine andere Einwanderer- bzw. Ex-Gastarbeiter-Gruppe.

Nach der allgemeinen deutschen Tendenz wären sie nicht katholisch, sondern konfessionslos/religionslos geworden …
In dem Punkt ist ein m.E. sehr interessanter „Widerspruch“ zu sehen:

Auf die Frage, wie die eigene religiöse Praxis aussieht, ergibt sich ein unterschiedliches Bild für die Zuwanderergenerationen: Die Befragten der zweiten und dritten Generation besuchen seltener (23 Prozent) wöchentlich die Moschee als die der ersten Generation (32 Prozent) und verrichten auch seltener (35 Prozent) mehrfach am Tag das persönliche Gebet als die älteren (55 Prozent). Zugleich aber schätzen sich die Befragten der zweiten und dritten Generation mit 72 Prozent weit mehr als religiös ein als diejenigen der ersten Generation (62 Prozent).
https://www.uni-muenster.de/Religion-und-Politik/aktuelles/2016/jun/PM_Integration_und_Religion_aus_Sicht_Tuerkeistaemmiger.html

Das ist auch gar nicht meine Position.
Man kann solche Dinge überhaupt nicht, nicht ansatzweise, monokausal erklären.
Weder so noch so.
Ich finde normativ nicht, dass „Integration“ wirklich so zweiseitig ist, wie immer getan wird. Sie ist weitgehend ein Vorgang der Angleichung an die (eh heterogene) Mehrheitsgesellschaft.
Aber zumindest bei der Erklärung, warum die Türken hier unterm Strich eher nicht „angekommen“ sind, bringen einseitige Schuldzuweisungen nichts.

Gruß
F.

Ich schätze, das ist der springende Punkt. Jeder hat wohl einen etwas anderen Anforderungskatalog, was wir unter ‚erfolgreiche Integration‘ verstehen. Und in den meisten Fällen schaust du ja nicht, wo es passt, sondern wo du Defizite zu erkennen glaubst. Und wenn es Bereiche gibt, in denen es zu einer Angleichung gekommen ist, heißt es sofort ‚das ist doch selbstverständlich‘.

In Ö gibt es seit ein paar Monaten die neue Richtlinie, dass bei Deutschprüfungen (ÖIF und ÖSD) nicht mehr rein die Sprachfähigkeiten geprüft werden, sondern auch ‚Werte und Orientierungswissen‘. Bei manchen Fragen zur Gleichberechtigung darf man sich aber getrost fragen, wie da wohl die Antworten in den erzkonservativen Teilen der Republik ausfallen würden.
In dem Fall hier hat der Staat irgendwie den Idealtypus des Homo Austriacus erschaffen und daran mögen sich nun bitte alle Zuwanderer messen lassen.

Es ist ja nun mal wirklich so, dass eine Handvoll Krimineller den Ruf größerer Gruppen versaut. Mit welchen „Vorteilen“ willst du diese „Defizite“ gesellschaftlich glattbügeln?

Selbst bei der Krone der Integration, der Einbürgerung:

Wenn Kinder und junge Leute sich so grausam aufführen, spricht viel dafür, dass das Elternhaus irgendwie versagt haben muss. Tatsächlich „glaube ich hier; Defizite zu erkennen“. Wo glaubst du denn, Vorteile zu erkennen (nicht bei diesen Teufeln, sondern natürlich bei der Zuwanderungsgruppe insgesamt)?".
Gruß
rakete

Wenn man es unbedingt darauf anlegt, geht das natürlich ohne Weiteres. Das funktioniert ganz wunderbar mit ganz wenig Aufwand und trifft auf jede beliebige Gruppe zu.

Was soll bitte dieses falsche Zitat und die Unterstellung, ich hätte auch nur andeutungsweise von irgendwelchen Vorteilen geschrieben? Wenn du nicht sachlich diskutieren kannst, lassen wir es lieber gleich.

Hm, ich hätte vielleicht zitieren sollen, um Irretationen zu vermeiden. Ich bezog mich auf

Ich suchte einfach nach dem Antonym von Defizit und nahm ungünstigerweise „Vorteil“, was sicher missverständlich war.
Also besser gefragt, wo siehst du eine (allgemeine) Angleichung und wo passt es inzwischen (überwiegend) ?

Gruß
rakete