Was passiert im Gehirn von lernschwachen Menschen?

Zurzeit behandle ich das Thema Dyskalkulie und Legasthenie. Doch ich frage mich, welche Ursachen (außer Wirkungen des Umfelds) diese Defizite haben können und was im Gehirn „schief läuft“. Kann mir jemand helfen?
Danke im Voraus!

Guten Tag,

ich bin kein Neurophysiologe sondern Lerntherapeut und kann deshalb auf diese Frage nicht antworten.

Schöne Grüße
M. Wehrmann

Ursachen:

Eine Legasthenie ist angeboren und vererbt, siehe König von Schweden und seine Töchter.
eine Lese-Rechtschreib-Schwäche ist eine Lernstörung und damit im Gegensatz zu einer Legasthenie überwindbar, es sei denn es handelt sich um eine Minderbegabung.
Mögliche Ursachen: visuelle und/oder auditive Wahrnehmungsstörungen, KISS-Syndrom, sehr häufig Aufmerksamkeitsstörungen. Typisch hierbei: schlechte Graphomotorik, schlechter Zugriff auf das „innere Lexikon“, stockendes Lesen auf Grund von „Blicksprüngen“, d.h. Zeile und Wort schlecht wieder zu finden. Bei einer medikamentösen Behandlung bessern sich diese Symptome relativ schnell.

DYskalkulie: Sehr häufig in Kombination mit einem ADS. Oft verschwinden die Rechenprobleme unter einer medikamentösen Behandlung, da der arbeitsspeicher (Frontalhirn) wieder ausreichend Kapazität hat. Wenn die probleme beim Rechnen bleiben, handelt es sich wirklich um eine Dyskalkulie.
Im einzelnen: Das problem mit der „Null“, Nichtverstehen des Zehnersystems, einer Zahl keine Menge zuordnen zu können, mangelnde Automatisierung von Rechenprozessen, Störung der seriellen Wahrnehmung u.s.w.

Bei beiden Störungen findet man nie nur ein Symptom, sondern fast immer eine Vielzahl von Defiziten

Gruß

P.H.

Hallo „Ich“,

da du dich mit dem Thema Legasthenie un´d Dyskalkulie beschäftigst: Beides sind keine Lernschwächen im herkömmlichen Sinne. Es ist eine Wahrnehmungsschwäche in entsprechenden Teilbereichen (kann sowohl visuelle und/oder auditive Teilleistung betreffen, ebenso Raumlage oder Körperschema). Im Gehirn findet (noch) keine sensorische Integration statt, d.h. es sind nicht alle Arreale, welche zum Erlernen und Abspeichern eines Lernstoffes notwendig sind aktiviert bzw. nicht miteinander „kompatibel“. Durch gezieltes Funktionstraining der einzelnen Teilleistungen kann dies erreicht werden. Es ist keine Frage der Intelligenz oder Begabung, sondern eine Wahrnehmungsschwäche erschwert das Erlernen von Kulturtechniken und bedarf deshalb eines besonderen Trainings.
Reicht diese Kurzform?
Gruß Logomax

Hallo
Es ist gemäss neusten Forschungen bewiesen, dass die Ursache für Legasthenie in den Genen zu finden ist, und zwar beim 15. und 6. Crhromosom.
Die Anlage ist vorhanden, aber wie sich diese im Leben desjenigen auswirkt, hängt von der Umwelt ab.
Was genau im Gehirn schief läuft, kann ich auch nicht sagen. Die Wahrnehmungen sind einfach anders.

Liebe Grüsse

Jolanda

Hi Ich,

im Gehirn von lernschwachen Menschen passiert dasselbe wie im Gehirn von „nicht lernschwachen“ Menschen. Überhaupt kann man an dem, dass jemand nicht so schnell, so leicht oder so viel lernt wie ein anderer keine Rückschlüsse auf Vorgänge oder gar die Beschaffenheit des Gehirns ziehen. In der Hirnforschung gibt es keine Studien, die in diesem Sinn Thesen bewiesen hätten. Fragestellungen und diverse Korrelationen gibt es viele - darauf beruhende Vermutungen dementsprechend auch.

Was man aber zeigen kann ist das Folgende (Zitat aus: Friedrich H. Steeg - „Rechenschwäche: ärgerliches Nebenprodukt schulischer Widersprüche !“ 2004):

"a) Übersetzung von „Leistung“ in den Ausfluß persönlicher Fähigkeit bzw. Unfähigkeit, getrennt von den inhaltlichen, konkreten Lernanstrengungen, Fehlern und Einsichten

Da alle zu erfüllenden Anforderungen in der Schule als Norm gelten und insofern erfüllt zu werden haben, gilt das Versagen an dieser Norm als persönliche Unfähigkeit der versagenden Schüler, für deren Erklärung nun Lehrer, Psychologen und andere Fachleute mit Theorien nicht geizen, wenn sie gefragt werden (vgl. Schrodi 1999). Die Schule bietet einen normierten Unterricht für alle. Wegen der Priorität der Auslese kann die Institution Schule, die den Unterricht organisiert, gar nicht in der Lage sein und auch objektiv nicht daran interessiert sein, jedem einzelnen Schüler offene Fragen zu erklären und Widersprüche aufzulösen. Durch die objektiven Resultate der betriebenen Auslese, die unter Anwendung moderner didaktischer Methoden und unter chancengleichen Bedingungen entstehen, beugt Schule dem Verdacht auf Versäumnisse vor. Andere Kategorien als die Festlegung der Schülerfähigkeiten in den jeweiligen Persönlichkeiten können demnach nach erfolgreicher Sortierung nicht Grundlage der Leistungen der Schüler gewesen sein. Insofern erübrigen sich Fehleranalysen und Förderdiagnostik von vornherein.

Die Logik des Mathematikversagens aus mathematischer Unfähigkeit, gleichgültig ob multi- oder monokausal gemeint, stützt sich auf ein seit Jahrhunderten gerne verwendetes (ideo-) logisches Verfahren:

Man koppelt „das Problem“ - z.B. die Lernschwierigkeiten von Kindern beim Erlernen von Zahl und Rechnen - inhaltlich von dem ab, worin es besteht - z.B. nämlich von dem konkreten mathematischen Denken und dem Wissensstand der sogenannten rechenschwachen Grundschulkinder. Das Problem erscheint in der so hergestellten theoretischen Ausgangslage dem Betrachter als grundlos bzw. unerklärlich. Dann aber „entdeckt“ man etliche plausible Gründe für Lernschwierigkeiten aller Art in diversen Voraussetzungen des Körpers, der Wahrnehmung, der Denkgewohnheiten, der sozialen Umwelt, der Vererbung, der Begabung und Neigungen, sowie der psychischen Konstitution der Kinder (vgl. Thiel 2001). Weitere Sphären der Begründung könnten ebenfalls zusätzlich plausibel gemacht werden, wenn jemand sich davon einen Nutzen oder auch nur eine „geistige Versöhnung mit der Wirklichkeit“ verspricht. Gründe und Zusammenhänge für die Existenz und Wirksamkeit angeblicher Festlegungen erscheinen als zwingend, aufgrund der Normabweichung, die durch schulische Auslese bereits manifestiert wurde. Die schulisch hergestellte „Abweichung“ wird damit zwar nicht geklärt, aber der logische Zirkel der zu verplausibilisierenden Notwendigkeit wird geschlossen. In frecher Ignoranz gegenüber den nicht verstandenen Lerninhalten schreibt man damit den Kindern eine angeblich an ihnen auffindbare „Mathe-Versagereigenschaft“ zu. Das alles macht denjenigen nicht stutzig, der sich geistig bereits vollkommen auf Konkurrenz und Auslese als schicksalhafte Karrierevoraussetzung und vermeintliches intellektuelles „Lebensmittel“ eingelassen hat."

Der Artikel ist online abrufbar unter:
http://www.ifrk-ev.de/content/steeg.htm

Hallo,

ich kann auf jeden Fall das Buch von Dr. Astrid Kopp-Duller „Der legasthene Mensch“ empfehlen. Darin werden die möglichen Ursachen und deren Folgen behandelt. Unter anderem Hat 1998 die amerikanische Ärztin Dr. Sally Shaywitz (hoffentlich richtig geschrieben) durch ein bildgebendes Verfahren nachgewiesen, dass bei legasthenen Menschen beim Lesen andere Gehirnareale aktiviert bzw. genutzt werden, als bei nichtlegasthenen Menschen. Man konnte auch eine Cromosomenabweichung feststellen, deshalb geht man bei Legasthenie von einer biogenetischen Komponente aus. Bei Dyskalkulie steckt die Forschung noch in den Kinderschuhen, aber die Ursache dürfte eine ähnliche sein.

Ich hoffe, die Informationen helfen weiter.

Mit freundlichen Grüßen,

C. Achauer