Der Begriff „Gender Studies“ und die Schwierigkeit des Übersetzens
Der Begriff „Gender Studies“ ist – trotz Bedenken aller Art - als terminus technicus in den Wissenschaften heute etabliert, da Übersetzungsversuche wie „Geschlechterforschung“ den wesentlichen Punkt der Gender Studies nicht im Deutschen ausdrücken können, nämlich die das Paradigma der Gender Studies begründende Unterscheidung zwischen den englischen Begriffen sex und gender, die im Deutschen nur unterschiedslos als Geschlecht wiedergegeben werden können.
Sex und Gender
„Sex“ meint das biologische Geschlecht: Anatomie und Physiologie, während „Gender“ denjenigen Aspekt der Geschlechtlichkeit meint, für den sich die „Gender Studies“ interessieren: das soziale und kulturelle Geschlecht: Geschlechts-Identitäten, Geschlechter-Rollen, geschlechtertypische Weisen des Fühlens und Verhaltens, gesellschaftliche Geschlechts-Zuschreibungen, geschlechtsspezifische Arbeitsteilung, und vieles mehr.
Die „Gender Studies“ beschäftigen sich also überall dort mit dem Geschlecht, wo dieses nicht einfach als „naturgegeben“ angenommen werden kann, sondern als kulturell und gesellschaftlich hervorgebrachtes und durch Geschlechter-Normen sanktioniertes Geschlechter-Verhalten verstanden werden muss.
Dies erlaubt keine eindeutige Unterscheidung zwischen sex und gender, stattdessen sind auch im „biologischen Geschlecht“ kulturelle und gesellschaftlichen Einflüsse auszumachen; die theoretischen Positionen der Gender Studies reichen dabei von der Annahme eines kulturell nur überformten biologischen Fundaments der Geschlechtlichkeit bis zur Annahme, der als „natürlich“ geltende Aspekt des Geschlechts wäre lediglich ein naturalisierter, ein als vermeintliche „Natur“ unsichtbar gemachter Teil der kulturellen Geschlechterdifferenz.
Die gemeinsame Annahme aller theoretischen Positionen der Gender Studies ist jedenfalls die, dass kein direkter kausaler Zusammenhang zwischen biologischem Geschlecht und kulturellem Geschlecht zu sehen ist, dass stattdessen das kulturelle Geschlecht weitgehend autonom gegenüber dem biologischen ist, autonom genug jedenfalls, um genau an dieser Stelle die wissenschaftliche Disziplin der Gender Studies anzusiedeln.
Zusammengefasst geht es um:
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Die Mechanismen der Differenzierung der Geschlechter, um die Bedingungen der Aufrechterhaltung der Zweigeschlechtlichkeit, um den normativen Zwang, „sein“ Geschlecht sein zu müssen, seine Geschlechter-Rolle „richtig“ zu spielen, um die beständige gesellschaftliche Konstruktion der Geschlechtlichkeit, das doing gender, etc.
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Die unterschiedlichen Auswirkungen, die das Geschlecht in den verschiedenen Bereichen des gesellschaftlichen Lebens mit sich bringt, um die geschlechtsspezifischen Diskriminierungen, um die Ungleichheiten der Geschlechterrollen, etc.
Dabei wird zunehmend die Kategorie „Geschlecht“ nicht mehr als isolierte erforscht, sondern in ihrer untrennbaren Verquickung mit den anderen „großen“ gesellschaftlichen Identitäts-Kategorien: ethnische Zugehörigkeit, Klassen- bzw. Schichtzugehörigkeit, Hautfarbe, sexuelle Orientierung, Migrantenstatus, etc.
- Die gesellschaftlichen Machtverhältnisse und Ressourcenverteilungen, die kausalen Einfluss auf die Ausrichtung der bestehenden Ungleichheiten zwischen den Geschlechtern haben, und die kausal auf die Aufrechterhaltung der Geschlechterverhältnisse sowie der dichotomen und normativ-heterosexuellen Ausgestaltung der Geschlechtlichkeit wirken.
Und um vieles mehr.
HERKUNFT
Als Wissenschaft etabliert sind die Gender Studies in den USA seit Beginn der 90er Jahre; der erste Studiengang „Gender Studies“ in Deutschland wurde 1997 an der Humboldt-Universität Berlin eingerichtet.
Die Gender Studies sind als, mit Themen wie Kritischer Männerforschung, Schwulen- und Lesbenforschung, der Queer-Theorie, etc. erweitert, aus den Women’s Studies hervorgegangen zu verstehen, welche sich in den USA bereits in den 70er Jahren als wissenschaftliche Disziplin etabliert hatten, und selbst ihre Wurzeln wiederum in der Frauenbewegung der 50er und 60er Jahre haben.
Nicht zuletzt wegen ihrer Herkunft aus den Women’s Studies, welche zum Ziel hatten, der androzentrischen Ausrichtung des Wissenschaftsbetriebs (also u.a. der Tendenz, ohne Problemverständnis Aussagen über Menschen zu tätigen, die an Beobachtungen an Männern und deren Lebenswelten gewonnen wurden) ein Korrektiv entgegenzusetzen, stehen auch heute thematisch in den Gender Studies eher Frauen im Fokus, während der theoretische Blick weder auf das eine noch auf das andere Geschlecht gerichtet ist, sondern gerade auf die Geschlechterdifferenz und deren fortwährende gesellschaftliche Herstellung, die sich nirgendwo so gut beobachten lässt als an denjenigen Menschen, die genau „auf“ diese Differenz fallen; deshalb sind Phänomene wie Intersexualität, Transsexualität, Transgender, etc. in den Gender Studies gut untersucht.