Ja, was ist das? Überall wird es in den Kulturwissenschaften vorausgesetzt, aber klar ist mir das keinesfalls.
Victoria
Ja, was ist das? Überall wird es in den Kulturwissenschaften
vorausgesetzt, aber klar ist mir das keinesfalls.
hallo victoria
performanz ist immer mit bewegung verbunden
etwa ein flugzeug fliegt am himmel. zeigt was es kann.
wenn es in einer ausstellung *steht*
repräsentiert es mehr seine marke, seinen hersteller usw.
beide wörter sind aber nah miteinander verwandt.
mfg franz
Liebe Victoria!
Ja, was ist das? Überall wird es in den Kulturwissenschaften
vorausgesetzt, aber klar ist mir das keinesfalls.
Wenn du die beiden Begriffe so verstehst, wie ich es nur vermuten kann (ein bißchen mehr Kontext-Input bei der Fragestellung hätte nicht schaden können, schließlich sind beide Begriffe hochgradig polysem), dann berühren sie eine wissenschaftstheoretische Ebene, die über die bloßen Kulturwissenschaften weit hinausgeht, und folgendes meint:
**REPRÄSENTATION**
Der Text des Forschers ist repräsentativ für die Strukturen seines Forschungsgebiets.
Er deckt die volle Wirklichkeit dieses Gebiets erschöpfend ab, spiegelt sie quasi wider ohne damit selbst zu dieser Wirklichkeit etwas hinzuzufügen bzw. selbst an der Hervorbringung und Transformation kultureller oder sozialer Wirklichkeit mit seinem Text mitzugestalten.
Ein solcher Text sollte im Idealfall alle Aspekte des Gebiets, auf das er sich bezieht, vollständig abbilden.
Ziel ist die völlige Übereinstimmung von Wirklichkeit und Wirklichkeitsbeschreibung.
Seit einigen Jahrzehnten spricht man schlagwortartig viel von der sog. Krise der Repräsentation, weil vieles gegen obige Ansprüche und Forscherhaltung spricht.
**PERFORMANZ**
Es ist ist ein Gegenprogramm zum Repräsentativitäts-Anspruch.
Dem Forscher ist klar, dass er mit der Beschreibung von Wirklichkeit selbst aktiv Wirklichkeit erzeugt (Schlagwort Austins: to do things with words) und transformiert.
Ihm ist klar, dass er die Wirklichkeit, die er zu repräsentieren vorgibt, in seinem Repräsentationsakt erst selbst konstituiert. Stichwort Selbstreflexivität: der Akt des Beschreibens ist Teil des Beschriebenen. Text und Wirklichkeit sind nicht voneinander abgrenzbar, gehen ineinander über, beeinflussen sich gegenseitig.
Eine Wirklichkeitsbeschreibung kann unmöglich je eine erschöpfende Repräsentation der Wirklichkeit sein, weil sie als Beschreibung das Beschriebene verändert, was eine Neu-Beschreibung erforderlich macht …
Aber, wie gesagt:
Die vielgestaltige Verwendbarkeit des Performanzbegriffs, ebenso wie seine Mehrdeutigkeit, haben maßgeblich zur akademischen Breitenwirkung des „garstigen Wortes“ beigetragen. Auf die Frage, was der Begriff Performanz eigentlich bedeutet, geben Sprachphilosophen und Linguisten einerseits, Theaterwissenschaftler, Rezeptionsästhetiker, Ethnologen oder Medienwissenschaftler andererseits sehr verschiedene Antworten. Performanz kann sich ebenso auf das ernsthafte Ausführen von Sprechakten, das inszenierende Aufführen von theatralen oder rituellen Handlungen, das materiale Verkörpern von Botschaften im „Akt des Schreibens“ oder auf die Konstitution von Imaginationen im „Akt des Lesens“ beziehen.
Seine Vieldeutigkeit und seine ubiquitäre Anwendbarkeit …
http://user.uni-frankfurt.de/~wirth/texte/WirthPerfo…
Dieses Zitat als kleine Unterfütterung meiner obigen Rüge wegen Kontextmangels.
Je präziser eine Frage gestellt wird, desto sinnvollere Antworten erhält man in diesem Forum (hoffentlich).
_ ℂ Λ ℕ Ð I Ð €
Wirklichkeit ist unendliches Wirken.
(Spengler)_
Ach genau, woher hast Du denn die Erklärungstexte? Quellenangabe wäre toll!
Danke, Victoria
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Lieber Candide:
erst einmal Dankeschön für Deine Antwort. Ich lese allerdings gerade eine Einführung in die Kulturwissenschaften (Elaine Baldwin et al., Introducing Cultural Studies), in der eben leider wieder davon ausgegangen wird, dass beide Begriffe bekannt sind. Gerade „Repräsentation“ durchzieht das Buch wie ein roter Faden, im Augenblick lese ich gerade das Kapitel zum Raum „Topographien der Kultur: Geographie, Macht und Repräsentation“ und speziell ein Unterkapitel zum Stadt-Land-Repräsentationen. Im Augenblick geht es hier um einen englischen Maler, der gerne ländliche Szenen dargestellt hat. Außerdem wird „Repräsentation“ offenbar als Gegensatz von „Realität“ verwendet.
Kannst Du daraus etwas schließen?
Victoria
Liebe Victoria!
Ach genau, woher hast Du denn die Erklärungstexte?
Quellenangabe wäre toll!
Ähm, der Text stammt von meiner Wenigkeit, insofern wird es schwer mit der Quelleangabe
(bis auf die letzte Passage, bei der der Link dazu angegeben ist)
Ich lese allerdings
gerade eine Einführung in die Kulturwissenschaften (Elaine
Baldwin et al., Introducing Cultural Studies), in der eben
leider wieder davon ausgegangen wird, dass beide Begriffe
bekannt sind. Gerade „Repräsentation“ durchzieht das Buch wie
ein roter Faden, im Augenblick lese ich gerade das Kapitel zum
Raum „Topographien der Kultur: Geographie, Macht und
Repräsentation“ und speziell ein Unterkapitel zum
Stadt-Land-Repräsentationen. Im Augenblick geht es hier um
einen englischen Maler, der gerne ländliche Szenen dargestellt
hat. Außerdem wird „Repräsentation“ offenbar als Gegensatz von
„Realität“ verwendet.
Kannst Du daraus etwas schließen?
Nein, ich kenne das Werk nicht, allerdings stehe ich mit den „Cultural Studies“ (die man btw nicht mit ‚Kulturwissenschaften‘ übersetzen kann, weil es bei denen eher um ein bestimmtes Forschungsparadigma geht, nicht um eine Wissenschaft) auf recht gutem Fuß. Insofern mutmaße ich einmal:
Ein wichtiger Begiff der CS ist der des „realistischen Codes“ in der Literatur oder der Malerei; und zwar ist dies ein Code, der vorgibt, die Realität und nichts als die Realität nachzuahmen, damit ausblendet, dass er eine Weise, und nur eine unter vielen anderen Weisen, der Repräsentation von Realität ist.
Insofern blendet sich der „realistische Code“ als Repräsentations-Code selbst aus, maskiert sich als reine Abbildung, und bildet damit einen gewissen Gegensatz zum Code.
Bevor du wieder nach Quellen fragst, diesmal wirklich eine um den Begriff der Repräsentation zu verdeutlichen.
Das Zitat stammt aus dem sehr guten Werk Lutter/Reisenleitner, Cultural Studies - Eine Einführung, und es bezieht sich auf ein Werk des wahrscheinlich bekanntesten Vertreters der CS, auf Stuart Hall, genauer auf sein Werk zur Konstruktion des Orients, das irgendwie „The West and the Rest“ oder so ähnlich heißt, und auf Saids für die CS sehr bedeutsames Werk „Orientalism“:
Die westliche, kolonialistische Kultur produziert Annahmen über und Bilder -Repräsentationen- des ‚Orients‘ entweder als ‚exotisch‘ oder als ‚bedrohlich‘. Diese Repräsentationen erzeugen somit ein Objekt des westlichen Wissens, das bedeutet aber, dass sie mehr Aussagen zulassen über die Kultur, die sie produziert hat, als über jene, die das Konstruktionsobjekt ist. Es ist also zu fragen, ob ‚der Orient‘ und ‚das Orientalische‘ überhaupt ohne bzw. jenseits des Orientalismus existieren. (S. 101f.)
Ich gehe davon aus, dass dir die enorme Tragweite dieser Aussage klar ist.
Setze mal „Landschaft“ für „Orient“, dann hast du das übertragen auf die Landschaftsmalerei oder -literatur, die traditionell ebenfalls das Naturhafte als ‚idyllisch‘ oder ‚bedrohlich‘ (oder ‚weiblich-rätselhaft-launisch‘) stilisiert, und so eine bestimmte Form der Naturrepräsentation bietet (z.B. den „realistischen Code“), aus der man mehr über die jeweilige Gesellschafts- und Kulturform sagen kann, die solche Repräsentationen schafft, als über „die Natur“ selbst. So lässt sich der „realistische Code“ als typisch „aufkommendes Bürgertum 19. Jhdts.“ verstehen, oder als massenkompatibler Code des 20. Jhdt. …
noch ein Zitat zum „realistischen Code“:
Der realistische Roman [genauso realistische Malerei, oder auch Hollywood-Filme] weist nicht auf seine Fiktionalität und die Techniken hin, die die Illusion schaffen, sondern präsentiert sich und das Universum, das er darstellt, als unproblematisch, transparent und intersubjektiv nachvollziehbar. (S. 70)
Er blendet also die Frage der Re-Präsentation, damit auch seine eigene performative Hervorbringung der „Illusion“, die er schafft, mit bestimmten Mitteln aktiv aus …
Die von mir genannte „Krise der Repräsentation“ meint also, dass mehr über Repräsenation geredet werden muss, dass wissenschaftliche, künstlerische Erzeugnisse nicht mehr einfach als Abbildung einer Wirklichkeit hingenommen werden dürfen, sondern dass ihr spezifischer Modus der Repräsentation, das einer Epoche, einer Kultur zu Grunde liegende Repräsentationssystem (das man vielleicht auch Ideologie nennen könnte) analysiert werden muss - auch und besonders, wenn diese Repräsentationsweise sich als besonders realistisch oder positivistisch-objektivistisch präsentiert, also sich so darstellt, als wäre sie gar keine Repräsentationsweise, die nicht erst das performativ hervorbringen würde, was sie einzig zu repräsentieren vorgibt.
–> insofern ist „Repräsentation“ wirklich ein ganz zentraler Begriff der CS.
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Also ist der „Marokko“ oder der „Libanon“ Realität, die Repräsentation [unserer europäischer Gedanken] der „Orient“? Wenn das richtig war, hast Du es super erklärt! Ich hatte den Lutter/Reisenleitner übrigens gerade selbst aus dem Regal gegriffen (Zit. bei mir S. 88), ein echter Zufall.
Also, hab’ lieben, lieben Dank, es hilft so sehr, sich mit jemandem darüber auszutauschen bzw. fragen zu können.
Victoria
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Also ist der „Marokko“ oder der „Libanon“ Realität, die
Repräsentation [unserer europäischer Gedanken] der „Orient“?
In gewisser Weise ist es in der Tat so gemeint, die differenztilgende Identifizierung so heterogener Gebilde wie Marokko und Libanon als „Orient“ ist eine der Dimensionen des Repräsentationsschemas „Orientalismus“.
Ansonsten kann ein anti-realistisches Denken keine einfach „Realität“ kennen, „Marokko“ ist genau so sehr und genau so wenig wie „Orient“ einfach so „Realität“.
Es ist eine Realität, die durch ein Repräsentationsschema als Realität eingesetzt wird, es ist keine Realität in dem Sinn, dass sie einfach da ist, und per Repräsentation rein deskriptiv abgebildet werden könnte. Sie wird zwar sehr wohl abgebildet, aber sie wird in der Abbildung und mit Abbildung eben auch erst unaufhörlich als Realität hervorgebracht und transformiert.
Das ist jetzt viel zu abstrakt, als dass man es wirklich verstehen könnte, lies bei Interesse einfach mal den angebenen Text von Hall (Hall, Der Westen und der Rest), da kommt der Grundgedanke auf ca. 70 Seiten (glaub ich mich zu erinnern) sehr plastisch und anschaulich rüber.
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