ist es denn eine Lösung des Problems, wenn man nur noch mit Pfefferspray bewaffnet im Wald laufen kann, um sich vor angreifenden Hunden zu schützen?
Nein. Ich halte allerdings nach mehr als 30 Jahren Erfahrung als Hundetrainerin maximal 3 Prozent aller Hunde für wirklich gefährlich.
Und um nicht erneut missverstanden zu werden: Es IST der Verantwortungsbereich der Hundehalter, ihre Vierbeiner so unter Kontrolle zu haben, dass sie weder jemanden ängstigen, noch gefährden oder gar verletzen. Und wenn sie dagegen verstoßen, sind Sanktionen in Form von Bußgeldern, Leinen- und Maulkorbpflicht und der Verpflichtung, ein entsprechendes Training zu besuchen, absolut gerechtfertigt.
Dennoch ist die objektive Gefahrenlage nicht so groß, dass man zur Bewaffnung aufrufen müsste. Im Gegenteil: Das Schüren von Angst und das damit verbundene Erzeugen von Hysterie führt in eine Spirale, die nicht dazu angetan ist, eine vernünftige und friedliche Koexistenz von Hundebesitzern und Nicht-Hundebesitzern zu erreichen.
Natürlich muss niemand es dulden, von einem fremden Hund verfolgt, beschnüffelt oder angesprungen zu werden. Trotzdem halte ich es für hilfreicher, wenn er weiß, wie er mit einer solchen Situation umgehen kann, als wenn er sich bewaffnet und damit in trügerischer Sicherheit glaubt.
Ich hatte gute 15 Jahren mit hoch aggressiven Hunden zu tun. Hunde übrigens, die man kaum auf der Straße oder beim Spazierengehen treffen wird, weil sie für bestimmte Nischen missbraucht werden, die die Öffentlichkeit gemeinhin nicht zu sehen kriegt und ansonsten in einem Keller, Verschlag oder Zwinger ihr Dasein fristen.
Auch unter den „normalen“ Hunden gibt es aber welche, die ausreichend Potential haben, zu einer Gefahr zu werden. Einem solchen Hund kommt Otto Normaljogger auch mit einem noch so „starken“ Pfefferspray nicht bei.
Das Problem bei all diesen Sprays liegt im Sprühnebel. Der Wirkstoff ist an Trägersubstanzen gebunden (Wasser und Alkohol) und entfaltet seine Wirkung nur dann, wenn er in ausreichender Konzentration in die Augen gelangt - agal wieviel Scoville das Spray haben mag. Da bei ersten Auftreffen aufs Auge der Lidschlussreflex einsetzt, hat man nur einen einzigen Sprühstoß, der aus großer Nähe ins Auge gebracht werden muss, um einen Hund damit tatsächlich außer Kraft zu setzen.
Eine handelsübliche Spraydose kriegt das nicht hin. Es bräuchte schon eine Spraydose von der Größe eines Feuerlöschers, um auf ausreichende Distanz genug vom Wirkstoff an die richtige Stelle zu kriegen. Abhängig von der Schädelform und der Behaarung des Hundes erwischt man dennoch oft nicht mal beide Augen.
Im Ernstfall bedeutet das, dass man bis zum letzten Moment warten müsste, um zumindest eine Chance zu haben, den Hund außer Gefecht zu setzen. Ein Mensch unter Angst wird das kaum hinkriegen. Wartet man den Bruchteil einer Sekunde zu lang, hat einen der Hund bereits am Wickel.
Es mag sein, dass du Erfolg hattest, aber du hattest schlicht den passenden Hund erwischt. Einen, der allein aufgrund der Wehraktion ausreichend eingeschüchtert war, um nicht sofort erst recht anzugreifen und zudem Mimose genug, sich von ein bisschen Brennen einschüchtern zu lassen.
Unabhängig von allen (völlig unbestrittenen) Pflichten des Hundehalters ist es unterm Strich viel sicherer, sich ausreichend kundig zu machen, wie man eine gefährliche Attacke von einer ungefährlichen unterscheidet. Sonst läuft man Gefahr, aus einer ans sich ungefährlichen Annäherung durch den Einsatz von Spray eine gefährliche zu machen.
Wozu ich rate: Hund und Halter fotografieren und den Vorfall dem Ordnungsamt melden. Behörden gehen mit solchen Situationen in aller Regel recht rigoros um. Dann stehen neben dem Bußgeld für den uneinsichtigen Halter ein Verhaltenstest mit seinem Hund samt Leinen- und Maulkorbpflicht an.
Damit ist ganz sicher mehr geholfen, als auf Selbstbewaffnung zu vertrauen.
Jule