Hallo Experten,
natürlich kann keiner in Herrn Putins Kopf sehen, aber was kann denn die Motivation Putins für sein Krim-Abenteuer sein?
Nehmen wir hierzu mal an, dass er kein Irrer ist, der völlig unter Wirklichkeitsverlust leidet und aus irgendwelchen irrationalen Gründen Freude daran hat Chaos zu säen.
Man kann ja Putin viel vorwerfen, aber bisher hat er doch immer den Eindruck eines rational kalkulierenden Machtmenschens gemacht, was will er also?
Will er die Kontrolle über die Krim, da er wirklich Angst vor einer strategischen „Umzingelung“ durch den Westen hat?
Allerdings hatte er auch schon vor dem Militäreinsatz de facto die Kontrolle über die Krim (das sieht man IMHO nicht zuletzt daran wie schnell und effizient die Besetzung der Krim erfolgte).
Warum also säbelrasselnd alle auf die wahren Machtverhältnisse aufmerksam machen und dabei riskieren, dass man am Ende mehr verliert, als man vorher schon besaß. Putin als Ex-Geheimdienstler sollte den Wert von verdeckten Operationen gegenüber offenem, militärischen Auftreten eigentlich kennen. Finanzielle und politische Unterstützung des Lokalparlaments auf der Krim hätte doch vollkommen gereicht.
Will Putin wirklich die ukrainischen Russen schützen?
Abgesehen mal davon, dass sich die „Übergriffe auf Russen“ wohl ziemlich in Grenzen halten (wenn sie überhaupt so geschehen sind), würde es mich nun doch sehr verwundern, dass Putin, der für den Erfolg von z.B. Sotschi die Enteignung und Unterdrückung der eigenen Bevölkerung in Kauf nahm und auch sonst mit Menschenrechten nicht gerade zimperlich umgeht, nun für ein paar ukrainische Russen einen schwerwiegenden Konflikt mit den wichtigsten Handelspartnern im Westen riskiert.
Will Putin Macht demonstrieren?
Welche Macht kann Putin wirklich demonstrieren, wenn sich dieser Konflikt entweder zu einem militärischen Konflikt mit dem Westen oder zumindest einem wirtschaftlichen Konflikt ausweitet?
Und selbst wenn es Putin gelänge, die Krim behalten zu düfen ohne weitere Sanktionen des Westens zu provozieren (was sehr unwahrscheinlich ist), wäre dieser Erfolg dennoch bestenfalls ein Pyrrhussieg, da es sich in Zukunft zahlreiche europäische Unternehmen zweimal überlegen dürften, ob sie noch in Russland investieren wollen und zahlreiche Abnehmerländer russischen Gases sich möglichst schnell neue, verlässlicherere Handelspartner suchen dürften.
Ist die Krim wirklich eine wirtschaftliche Isolation Russlands wert?
Putin kann doch wohl kaum erwarten, dass er stur bleibt und dann nach ein paar Wochen alle anderen Partner-Länder sagen: „Schwamm drüber und ‚business as usual‘!“.
Stell Putin vielleicht bewusst überzogene Forderungen, um am Ende mit einer Kompromisslösung doch noch seine Ziele zu erreichen?
In diesem Fall wird er doch innenpolitisch zwangsläufig immer als Verlierer dastehen, weil er trotz einer (scheinbaren) Überlegenheitsposition Zugeständnisse an den Westen machte.
Auch hier stellt sich also die Frage, was Putin zu gewinnen gedenkt.
Oder will Putin die Ukraine einfach nur destabilisieren?
Welchen Vorteil hätte es, die Ukraine zu destabilisieren und zumindest die West-Ukraine in die Hände der EU zu treiben?
Ohne Putins Einsatz wäre es evtl. zu einer langwierigen Annäherung an die EU gekommen, bei der Putin allein schon aufgrund der hohen ukrainischen Schulden und ihrer Abhängigkeit von russischem Gas ein wichtiges Wort hätte mitreden können.
Nun versucht die Übergangsregierung in Kiew so schnell wie möglich in die Arme der EU (und evtl. sogar der Nato) zu flüchten und der Westen übernimmt auch noch die offenen Rechnungen (was die EU noch vor 14 Tagen auf keinen Fall getan hätte).
Also erneut wieder ein de facto Machtverlust über die Ukraine, anstatt Machtgewinn.
Oder will Putin ein Signal an andere Ex-Sowjetländer schicken, um sie einzuschüchtern?
Sollte dies sein Ziel gewesen sein, so ist diese Aktion mächtig schief gegangen, da sämltiche osteuropäischen Länder nun einen noch zügigeren Anschluss an Europa und Amerika suchen dürften.
Welche andere Lehre sollten sie auch aus dem Verhalten Putins ziehen? Wohl doch nur diese, dass die Ukraine, hätte sie sich schneller dem Westen angeschlossen, sich wahrscheinlich nun nicht durch russischen Truppen auf eigenem Territorium bedroht sähe.
Ich stelle fest, dass mir anscheinend kein (rationaler) Grund einfallen will, der Putins Handeln erklären würde. Ist er am Ende doch durchgedreht?
Gruß,
Sax