Weihnachten: Die beste Zeit, um "Liebe" detailliert zu definieren

Viele Menschen in aller Welt, schleudern ihrem Gegenüber manchmal ein gänzlich unerwartetes „Ich liebe Dich!“ entgegen. Aber dabei bemerken sie gar nicht, dass jede:r unter „Liebe“ etwas anderes versteht. Und da man im „verliebten Zustand“ auch nicht zum Analysieren und Erklären neigt, was genau sie mit dem Begriff „Liebe“ verbinden, glauben beide, sie sprächen vom selben Sachverhalt. Dabei reden sie geradewegs aneinander vorbei.

Je unbewusster/unreflektierter die Menschen sind, desto länger kann diese Selbsttäuschung andauern – oft bis zur plötzlichen und unerwarteten Trennung - weil sich das Gegenüber plötzlich in jemand anderes „verliebt“ hat oder weil es einfach die Nase voll hat von dem „Liebenden“ bzw. weil es den selbstbestimmten Freitod und das folgende „ewige Nichtsein“ diesem ungewollten „Geliebtwerden“ vorgezogen hat.

Ich finde, jetzt, im dritten Jahrtausend ist es höchste Zeit, der jeweils ganz individuellen und unterschiedlichen Vorstellung von „Liebe“ in dem einen und der anderen ein Ende zu setzen und wissenschaftlich exakt zu definieren, wann jemand mit Fug und Recht behaupten darf: „Ich liebe Dich!“ und wann er ehrlicherweise eingestehen sollte: „Ich begehre Dich – genauer gesagt, begehre ich Deinen Körper, während der Rest von Dir mir ziemlich egal ist und mir gestohlen bleiben kann.“ Oder: „Ich kann einfach nicht ohne Dich leben, weil ich nie gelernt habe, allein mit dem Leben zurechtzukommen, mich zu versorgen, mich häufig und hinreichend genug selbst zu befriedigen und den Haushalt zu schmeißen. Deshalb brauche ich Dich! Du musst mir den Rücken freihalten, damit ich ganz meinen Neigungen nachgehen kann. Am liebsten wäre es mir ja, ich könnte Dich zu meiner Sklavin/meinem Sklaven machen.“

Mir selbst hat sich das Konstrukt „Liebe“ - im Gegensatz zu Sex und Libido (da weiß man sehr genau, um was es geht!) - nie erschlossen. Deshalb habe ich es in den letzten ca. 50 Jahren vermieden, zu sagen: „Ich liebe Dich!“
Wäre vielleicht mal an der Zeit, jetzt im fortgeschrittenen Alter Klarheit zu schaffen.

Deshalb meine Frage : Was genau muss alles gegeben sein, bzw. darf auf keinen Fall mitschwingen, um nicht zu lügen, wenn man mal wieder mit so einem „Ich liebe Dich!“ um sich werfen will?

Was muss auf der hormonellen, der Gefühls-, der mentalen, der körperlichen und der psychischen Ebene in mir alles gegeben sein (über welchen Mindestzeitraum und in welcher Intensität), damit ich berechtigt behaupten darf: „Ich liebe Dich!“ und nicht stattdessen ehrlicherweise meine schnöden, niederen Triebe/Instinkte/Begehrlichkeiten offenbaren zu müssen: „Boah ey, ich finde Deinen Körper voll geil! Lass’ es uns miteinander treiben!“ ?

Oder gibt es darüber bereits eine wissenschaftliche Abhandlung?
(also weder über die platonische, noch die sexuelle Liebe oder die Agape)

Mit vorweihnachtlichen Grüßen aus’m Ruahgebiet
FatzManiac

Dafür gibt es doch kein Regelwerk. Die berühmten drei Worte haben doch schon je nach Kontext eine ganz andere Bedeutung: ist das eigene Kind gemeint oder der Partner? Ist man am Anfang einer Beziehung oder in deren Reifephase? Geht man gerade aus dem Haus und ruft die Worte seinem Partner/seiner Partnerin zu, bevor man zur Skatrunde fährt oder sitzt man zu zweit beim Abendessen anlässlich der Silberhochzeit? Verkehrt man in einer gesellschaftlichen Gruppe, in der es zum guten Ton gehört, mit diesen Worten seine Freundschaft oder Zugehörigkeit der Gruppe kundzutun?

Die Definition besagt „Liebe ist die stärkste Form der Zuneigung und/oder Wertschätzung“. Daraus kann man viel machen (siehe oben).

Gruß
C.

Ich beschränke mich mal auf die Liebe zu einem anderen Menschen, den/die man zum Lebenspartner gewinnen will.

In den letzten 60 Jahren meines Lebens hat mich mein Gefühl „Ich liebe diese Frau“ mehrfach komplett in die Irre geführt. Immer wenn ich „hin und weg“ war (andere würden vielleicht sagen „unsterblich verliebt“), wurde dies nicht erwidert. Das ist mir so etwa viermal passiert. Einmal habe ich mich dabei in eine Fantasie verstiegen, die mich etwa 12 Jahre auf diese für mich unerreichbare Frau fixierte, die absolut nichts mit mir zu tun haben wollte. Aber meine bescheuerte Fantasie redete mir ein: „Wart’s nur ab - Du und sie gehören einfach zusammen. Irgendwann wird sie das auch begreifen!“
Aber das passierte nicht.

Von ihr kam ich nur los, nachdem ich mich in eine andere Frau natürlich auch wieder „unsterblich verliebt“ hatte. Dass sie eine Borderlinerin war, bekam ich schon bald zu spüren. Wenige Minuten, nachdem wir uns trafen passte schon kein Blatt Papier mehr zwischen und - als hätten wir uns schon ewig gekannt, und ein paar Stunden später landeten wir im Bett, wobei sie die Führende war. Und sie war distanzlos - was mir sogar gefiel.
So ging es ca. 2 Wochen. Dann, mitten im Geschlechtsakt sah sie mich ernst an und sagte: „Nicht Du wirst mich verlassen. Ich werde Dich verlassen!“ Das hab’ ich nicht verstanden, denn der Sex schien ihr gefallen zu haben. Aber am nächsten Tag zog sie sich komplett zurück und war von da an nicht mehr für mich zu erreichen.
Immerhin: Nachdem ich sie als eindeutige Borderlinerin definiert hatte, brauchte ich nur noch ein paar Monate, um von der Sehnsucht nach ihr wieder loszukommen. Das war deutlich weniger als die 12 Jahre davor.

Die anderen unsterblichen Lieben lasse ich mal außen vor. Die hinterließen in mir keine so bleibenden Schäden.
Umgekehrt habe bestimmt auch ich so einige Frauen vor den Kopf gestoßen, die offenbar die Nähe zu mir gesucht hatten. Zweimal war mir das auch ganz bewusst, aber es ist bestimmt noch häufiger passiert, wobei ich es gar nicht bewusst wahrgenommen hatte.

Irgendwann war mir völlig klar, dass ich mich in Sachen „Liebe“ nicht auf meine Gefühle verlassen konnte. Seither habe ich für mich definiert, dass eine bewusst intendierte wohlwollende Freundschaft mehr wert ist, als dieses Konstrukt „Liebe“ das sich mir nie erschlossen hat und das ich nie kontrollieren konnte. Und alles, was ich nicht kontrollieren kann, kann für mich lebensgefährlich sein; das will ich nicht!

Nach und nach wurde mir immer klarer, dass hundert Menschen mit dem Satz „Ich liebe Dich“ hundert unterschiedliche Vorstellungen damit verbinden (können). Also kann dieser Satz für mich einfach keine Bedeutung mehr haben.

Nun betreue ich seit gut 15 Jahren eine Psychotherapiepraxis EDV-mäßig und bin mit der Therapeutin eng befreundet. Ich sollte noch erwähnen, dass ich in meiner Lebensmitte auch 3 Jahre Psychologie studiert und mich insgesamt 20 Jahre ziemlich intensiv mit der analytischen Psychologie nach C. G. Jung beschäftigt habe. Sie und ich fanden damals über die Jung’sche Traumdeutung zusammen. Ich weiß nicht warum, aber sie hatte von Anfang an großes Vertrauen in mich und meine Deutungen. Resultat: Sie erzählte mir auch ihre intimsten Träume. Und sie träumte sehr viel. Meine Zeit der intensiven Träume war da schon vorüber, so dass ich seltener einen eigenen Traum zu berichten hatte.

Diese PT ist so ziemlich das Gegenteil von mir: Sie verlässt sich ganz auf ihre Gefühle und geht sehr empathisch auf ihre Patient:innen ein. Ich dagegen verlasse mich nur noch auf die Ratio, und in Sachen Empathie halte ich mich eher für einen Krüppel. Immer wieder sagt sie, dass doch die Liebe das Größte und Schönste sei, was ein Mensch erleben könnte. Wenn ein Mensch geliebt wird, habe er doch alles, was er brauche.
Ich zucke dann immer mit den Schultern und mache deutlich, dass ich gar nicht weiß, was denn „Liebe“ überhaupt sein soll. Sie meint aber, man müsse doch nur seinem Herzen folgen.
Ca. 35 Jahre war sie verheiratet und offenbar die meiste Zeit davon auch recht glücklich.

Aber mit ca. Mitte 50 traf sie auf einem Klassentreffen eine Jugendfreundin wieder, die sie damals immer gemieden hatte, weil diese lesbisch war. Jetzt aber verliebte sie sich Knall auf Fall in sie, wobei sie auch wieder nur ihrem Herzen folgte. Die Affäre zog sich über mehr als 2 Jahre hin, wobei die PT nach herzlicher Liebe strebte, die Jugendfreundin jedoch weitestgehend an Sex interessiert war. PT ließ sich wiederwillig darauf ein, um die Freundin nicht zu verlieren und war sogar bereit, ihren Mann zu verlassen, ihre Praxis hier im Ruhrgebiet aufzugeben und mit ihrer Freundin in einem anderen Bundesland zusammenzuziehen. Das war ein dramatisches Hin und Her, von dem sie erst lassen konnte, nachdem sie begriff, dass die lesbische Freundin nichts anderes als Wochendtreffen mit Sex anstrebte, aber keinesfalls zusammen wohnen wollte.
Was ich daraus gelernt habe: Auch andere können sich nicht auf ihr Herz verlassen!

Die PT gab ihre Affäre auf und war bereit, weiter mit ihrem Mann zusammenzuleben und sich genau so um den Haushalt zu kümmern wie vorher - nur mit ihm schlafen, das konnte sie nicht mehr. Immer wieder machte er Annäherungsversuche, die sie abwehrte, weil sie sich körperlich nicht mehr dazu in der Lage fühlte.
Es dauerte nicht lange, und ihr Mann verfiel sehr rasch in eine sehr schwere Depression. Er musste seinen Beruf als Arzt aufgeben und wurde mehr als ein Jahr lang in der Psychiatrie behandelt und mit verschiedensten Medikamenten vollgepumpt. Die nutzten alle nichts, genau so wie die Elektrokrampftherapie. Zum Schluss quälte er sich noch knapp 3 Jahre zu Hause, unternahm zwei Suizidversuche (wobei es immer seine Frau war, die ihn gerade noch rechtzeitig fand und rettete).

Aber schließlich hatte sein suizidales Bemühen Erfolg. Er hängte sich auf - zu einer Zeit, wo seine Frau ganz sicher nicht in der Nähe war und ihn daran hindern konnte. Das ist jetzt etwas mehr als 1 Jahr her, und seither quält sich seine Frau mit Schuldvorwürfen herum.
Mir ging sofort der uralte Schlager von Connie Francis durch den Kopf: „Die Liebe ist ein seltsames Spiel (sie kommt und geht vom einen zum andren).“ So eine Liebe will ich nicht in meinem Leben haben. Lieber eine bewusst gewollte Freundschaft. Die ist verlässlicher.

Aus alledem ziehe ich den Schluss: Liebe ist nichts Verlässliches. Das „Herz“ ist kein verlässlicher Ratgeber. Und ich vermute sehr stark, dass „Liebe“ nur ein gedankliches Konstrukt bzw. ein Mythos ist, hinter dem nichts Belastbares steht. Wenn man es fassen will, löst es sich in Luft auf.

Deshalb suche ich nach wissenschaftlichen Belegen (Untersuchungen), die im Detail belegen, was sich hinter der „Liebe“ zu einem Partner/einer Partnerin wirklich verbirgt: Mental, emotional, psychisch, biophysikalisch, hormonell und was alles sonst noch.

Am liebsten wäre mir eine klare Definition: Wenn dies und jenes gegeben ist, aber folgendes nicht, dann ist es keine Liebe. Dann ist es ein Gefühls-Irrtum. Solange die Wissenschaft dazu nicht in der Lage ist, bleibt „Liebe“ für mich Schall und Rauch.

Gruß
Fatz