Welche Bedeutung hat das Verb "herübersehen" im Rilkes Gedicht?

Ist schon kurios, wenn hier Rilke der Romantik zugeordnet wird :roll_eyes: und propagiert wird, es könne „jeder seine eigene Bedeutung hineinlegen“, oder „Interpretation“ sei Sache individueller Stimmungslage o.ö.

Mit Interpretation hat das auch gar nichts zu tun. Die kommt frühestens, wenn vorab die Grammatik verstanden ist. Wir sind hier schließlich bei Rilke und nicht bei García Lorca, Paul Valéry oder gar Henri Michaux oder Tristan Tzara, wo Deutungsuneindeutigkeiten teils zum Konzept gehören, aber dann auch als solche, nämlich als Uneindeutigkeiten, kontextuell erkennbar gemacht sind.

Ein anaphorisches Personalporonomen, wenn mehr als 1 Nomen mit gleichem Genus und Numerus vorausgeht, bezieht sich natürlich auf das zuletzt genannte.

Außerdem ist wohl unstrittig, daß das „er“ in der ersten Zeile derselbe Er ist, um dessen Rücken es sich bei „hinter seinem“ in der dritten Zeile handelt - hinter dem die Sonne gerade untergeht.

Die Sonne geht nun mal selten hinter einem Altweibersommer unter :thinking:

Gruß
Metapher

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Was er natürlich nicht wird.

Es ging hier um die heutigen Romantiker (romantisch veranlagte Menschen) die einen Text lesen und ihn eben romantisch finden. Das kommt auch heute noch vor.

Dass ich Rilke der Zeitspanne Romantik zuordne ist einfach falsch.

Vielen Dank! Ich kann leider nur eine Antwort als die Lösung markieren, so tue ich es nun hier, wobei die Erklärung von Aprilfisch wegen der Bedeutung von dem Verb würde ich auch gerne als eine Lösung in dem Fall markieren… Ich hoffe, dass deswegen kein Streit ausbricht :wink:

Natürlich tut sie das. Hinter der Altweibers ihrem Ommer tut sie das schon. Immerhin ist gleich dabei auch der Sonnenschein, der über den Bergrücken wandert. Und zwar im Herbst wie im Frühtau zu Berge Valladolida.

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Was für ein Ellenlanger, ausführlicher Wiki - Eintrag.
Da ist ein Hof eingezeichnet.
(Und drei Grundrisse).

Dafür muss man Wikipedia lieben. Das sind literarisch-kulturelle Perlen! Je nachdem, wo du herkommst und in deinem bisherigen Leben geweilt hast, kennst du nicht mal Wipperfürth, dessen milljausend Ortschaften, ich hab sie nicht durchgezählt, alle einen eigenen Eintrag haben. Und geh mal davon aus, dass 98,7% der Rheinländer, Nierrheiner und Westfalen keine Ahnung von Ommer haben!
Man möchte nicht ausdenken, sich und jemand anderes, was wäre, wenn Menschen wie Rilke, Fontane, Fallada oder Goethe schon Wikipedia und komoot gehabt hätten…

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Er ist schon reichlich rumgekomm’n,
von Hamburg bis nach Brem’n,
Doch den Ommer in Wipperfürth
hat er nie geseh’n.

https://youtu.be/POiu5FZ7U6w?feature=shared
Scnr

Keine Sorge - die Sachlage könnte kaum eindeutiger sein.

Interessant für mich der Aspekt, was ich da gelesen habe, so dass ich meinte, der Bezug auf den Altweibersommer sei ebenfalls möglich. Seit uns in Bio (war wohl zehnte oder elfte Klasse) ein hervorragend guter Lehrer erklärt hat, dass das Auge kein Sinnesorgan wie die anderen ist, weil der Sehnerv kein üblicher Nerv, sondern eine Art Ausstülpung des Großhirns ist, so dass das, was über diesen „Nerv“ dort ankommt, bereits gefiltert und interpretiert ist, und man grundsätzlich seinen Augen nicht trauen kann, läuft mir dieses Thema immer wieder über den Weg.

Angefangen hat das ganz harmlos damit, dass ich innerlich über die Personifizierung des Petřín den Kopf schüttelte - so einen Fauxpas hätte ich auch einem jungen Rilke nicht zugetraut. Was dann aber kam, kann ich nicht rekonstruieren.

Schöne Grüße

MM

Danke! Für mich ist Rilke deswegen immer interessant, weil bei ihm jedes Gedicht wie ein kleines Drama wirkt. Und hier ist es auch der Fall: der Berg ist zwar eitel, aber nicht böse, so lässt er die müde, behinderte Sonne hinter sich immer früher untertauchen. Ich finde, dass die Szene einfach entzückend zusammengefasst ist, sehr kompakt, sehr konzentriert.

Und mir scheint, dass bereits die Idee, dem Petřín ein Habit anzuziehen, ziemlich eigenartig ist: Das von Prag aus gesehen eher flach verlaufende Profil des Berges, der nur im direkten Aufstieg von der Malá Strana aus einigermaßen „aufrecht“ wirkt (und das ist eben nicht zu sehen, wenn man Richtung Westen schaut), passt einfach nicht zu dessen Personifizierung. Ich wüßte auch nicht, womit dieser Berg blicken sollte - an ihm ist nichts, was an einen Kopf denken ließe.

Es gibt bei Rilke Bilder, die sehr viel mehr Strahlkraft entwickeln.

Schöne Grüße

MM

Mein Glück in dem Fall ist, dass ich mir zwar Prag im Allgemeinen vorstellen kann, weil ich sie zweimal besuchte, aber nicht im einzelnen. So erweist mir das Bild von Rilke in dem Fall keinen Widerspruch.

in der spätmoderne der lyrik gab es bereits lösungsansätze für dieses, auch philosophische, problem:

"Billy was a mountain
Ethell was a tree
Growing off of his shoulder
Billy had two big caves for eyes"

das bild des oben erwähnten „eitlen berges“ wird hier ebenfalls kontextbezogen aufgegriffen & romantisch persifliert.

-https://www.youtube.com/watch?v=klkKy7TLZeE

e.c.

  • letzten September hab ich einen ziemlich abgefahrenen kleinen Berg gesehen, bei dem man nicht weiter nachdenken muß, um zu sehen, wo er hinschaut:

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  • ach, und weil’s so schön ist (und R M Rilke vermutlich an dieser Fülle von Parallelbedeutungen von Bildern Freude gehabt hätte, zumal alles streng stilisiert daherkommt), hier noch ein nahezu direkter Nachbar des Bec de l’Aigle, ein Felsen als Falke mit angelegten Flügeln aufs Meer hinausblickend:

  • soll noch einer sagen, Berge hätten keinen Blick!

In diesem Sinne

MM

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