Moin Ralf,
http://www.palikanon.de/visuddhi/vis14_02.html
sehr freundlich, aber der Tatsache, dass ich in diesem Thread
schon mehrfach diesen Text zitiert habe hättest Du entnehmen
können, dass mir der Text vorliegt.
Dann verstehe ich deine Einwände noch weniger.
Entscheidend ist zunächst einmal die Überschrift des Kapitels
- es geht um eine Analyse des Bewusstseins, Vijnana-skandha.
Nicht weniger und auch nicht mehr.
Korrekt. Deshalb kann man Berzin auch wohl kaum kritisieren, wenn er ebenfalls den Begriff „Bewusstsein“ verwendet.
_Die 14 Bewußtseinsfunktionen eines Bewußtseinmomentes
[…]
Somit gibt es insgesamt 89 Bewußtseinszustände: -
[…]
Und diese entstehen bei 14 Anlässen: -
- bei Wiedergeburt (patisandhi),
- im Unterbewußtsein (bhavanga),
- beim Aufmerken (āvajjana),
- Sehen,
- Hören,
- Riechen,
- Schmecken,
- körperlichen Fühlen,
- Rezipieren (des Sinnenobjektes) (sampaticchana),
- Prüfen (santīrana),
- Feststellen (votthapana),
- im Impulsivprozesse (javana),
- beim Registrieren (tad-ārammana) und
- beim Sterben (cuti)._
Halten wir einmal fest - es geht um Bewusstseinsmomente und
ihre Funktionen.
Genau. Somit ist auch patisandhi ein Bewusstseinsmoment und hat eine bestimmte Funktion. Bleibt die Frage zu klären, was ist die Ursache dieses Bewusstseinsmoments und was ist seine Funktion.
Hier ist ganz eindeutig von den Objekten die Rede, die im
Sterbemoment eines Wesens (also
individuell ) Anwesend sind, die im Moment
der Zeugung den entscheidenden Impuls lifern (patisandhi). Ich
weiß wirklich nicht, wo du bei diesem Prozess irgend etwas
anderes erkennen möchtest, als einen
individuellen Prozess oder „Strom“. Und
dieser Text ist nun wirklich zweifelsfrei Theravada.
Die Verknüpfung patisandhi wird über ein karmisch gestaltetes
Bewusstseinsobjekt hergestellt. Das Subjekt
dieses Bewusstseinsobjektes ist zunächst ein
Sterbebewusstsein, cuti-citta.
Korrekt. Genau das sagt auch Berzin.
"_Der allerletzte
Unterbewußtseinsmoment in einem Dasein nämlich wird wegen
seines Schwindens als das ‚Abscheiden‘ (cuti, Sterben)
bezeichnet._
". Mit diesem „Schwinden“ ist die
Kontinuität eines Bewusstseins beendet, der Vijnana-skandha
nicht mehr existent. Das Bewusstseinsobjekt wird nun als
initialisierendes Objekt eines anderen Subjektes, eines neu
entstehenden Bewusstseins, ergriffen. Eben dies ist
patisandhi, der erste Bewusstseinsmoment eines neuen
Vijnana-skandha.
Und genau hier ist meiner Meinung nach dein Denkfehler. Was soll denn dieses „andere Subjekt eines neu entstehenden Bewusstseins“ sein? Wo soll es herkommen? Was ist deiner Meinung nach die Ursache für dieses „Ergreifen“? Nach buddhistischer Vorstellung hat alls eine Ursache. Nichts geschieht ohne Ursache. Das ist die Kontinuität.
Wenn eine endlose Kette von Billiardkugeln immer wieder die nächste zum Laufen bringt, dann ist das Kontinuität, und zwar eine sehr individuelle Kontinuität, die sich vom Lauf jeder anderen Kette mit Sicherheit unterscheidet. So ist auch der Begriff Kontnuität bei Berzin zu verstehen. Eine andere Argumentation ist aus buddhistischer Sicht meiner Meinung nach auch gar nicht möglich, da jedes Bewusstsein nur eine Aneinanderreihung von Bewusstseinsmomenten ist. Auch in der Zeit zwischen Geburt und Tod reist ein Bewusstsein nicht an die Skandhas gebunden wie ein Koffer durch die Weltgeschichte.
Ein bloßes Phänomen ist’s, ein bedingtes Ding,
Was da ins Leben tritt im spätern Dasein.
Nicht wandert es aus früh’rem Dasein dort hinüber,
Und doch ist’s nicht entstanden ohne früh’ren Grund.
Korrekt. Und über den „früh’ren Grund“ reden wir gerade, bzw. versuchen herauszufinden, was das konkret sein mag.
[…]
Hierbei nun wird das frühere Bewußtsein wegen seines
Abscheidens als das ‚Sterben‘ (cuti) bezeichnet, das spätere
Bewußtsein aber wegen seines Sichwiederverbindens mit dem
Anfang eines neuen Daseins als die ‚Wiedergeburt‘ (patisandhi,
wörtl. ‚Wiederverbindung‘). Nicht aber ist dieses
Bewußtsein aus dem früheren Dasein in dieses
herübergewandert , noch auch ist es entstanden ohne
solche Anlässe wie Karma, Karmaformationen, Neigung, Objekt
usw., wie man wissen sollte.
Das findest Du im 17. Kapitel des Visuddhimagga, bei der
Erörterung bedingten Entstehens.
Korrekt. Nicht das „Bewusstsein ist herübergewandert aus einem früheren Dasein“ (was hier auch niemand behauptet hat) sondern die (individuellen) karmischen Ursachen eben dieses (individuellen) karmischen Prozesses der kontinuierlich die Ursache für neue Bewusstseinsmoment liefert.
http://www.palikanon.de/visuddhi/vis17_03.htm
Somit finde ich deine Kritik an Berzin, er würde mit einem
individuellen Prozess lediglich die tibetisch-buddhistische
Sichtweise wiedergeben, widerlegt.
Das ist sie nicht. Berzin schreibt von einem „geistigen
Kontinuum“, das anfangs- und endlos ist, er bestreitet sogar
kategorisch die Möglichkeit, geistige Kontinua könnten
zeitlich begrenzt sein. Greifen wir einmal einen Abschnitt
seiner Argumentation heraus:
Natürlich bestreitet er das. Er vertritt hier ja auch einen buddhistischen Standpnkt. „Patisandhi“ kann nicht „einfach so“ aus „nichts“ heraus entstehen. Das ist nach buddhistischer Vorstellung einfach unmöglich. Es muss eine Ursache für „patisandhi“ geben, und die kann nur karmisch sein. Karmische Ursachen sind aber ihrerseits immer die Folge karmischer Handlungen. Du könntest jetzt höchstens noch argumentieren, dass Karma deiner Meinung nach nichts „geistiges“ ist.
„Erinnern wir uns daran, dass das physische Kontinuum
eines Körpers oder eine gewisse subtile Energie, wie wir sie
im Zustand zwischen zwei Lebzeiten finden lediglich eine
notwendige unterstützende Bedingung für ein geistiges
Kontinuum ist, und nichts weiter. Nun mögen die Funktionen
eines spezifischen Körpers ein geistiges Kontinuum für eine
gewisse Zeit unterstützen. Aber wenn dieser spezifische Körper
aufhört zu funktionieren und das bestimmte geistige Kontinuum
nicht mehr genügend unterstützen kann, dann, so wird es im
Buddhismus erklärt, wird sich dieses geistige Kontinuum mit
einer anderen physischen Grundlage fortsetzen zuerst mit einem
subtiler Körper und später dann mit einem anderen groben
Körper.“
Im Theravada weiss man schlicht nichts von solch einem
„geistigen Kontinuum“,
Du meinst, im Theravada hat man noch nie von Karma gehört? Das bezweifel ich jetzt einfach mal
das „wenn dieser spezifische Körper
aufhört zu funktionieren“ auf der Grundlage einer „gewissen
subtilen Energie“ oder mit Hilfe eines „subtilen Körpers“
weiterexistiert, bis es sich mit einem neuen physischen Körper
verbindet. Da ist nur die Rede von einem Bewusstseinsobjekt,
das von einem schwindenden Bewusstseinskontinuum in ein neu
entstehendes wechselt.
Das ist die Rede von einem „geistigen Kontinuum“, nicht von einem „Bewusstseinsobjekt“. Den Begriff „Bewusstseinsobjekt“ hast du erst hier rein gebracht (Berzin verwendet ihn nicht). Bliebe zu klären, was Berzin denn eigentlich mit „geistigem Kontinuum“ mein? Auch das geht aus dem Text hervor:
Gemäß der buddhistischen Erläuterung, veranlassen drei Arten des Erlebens von etwas ein individuelles geistiges Kontinuum dazu, den nächsten Moment seiner samsarischen Phase zu erzeugen; und zwar geschieht das entweder ganz allgemein oder zum Zeitpunkt des Todes im Besonderen. Diese sind (1) Begierde, (2) ein herbeiführende störende Emotion oder Geisteshaltung und (3) ein karmischer Impuls oder Drang, aus der sich die weitere Existenz ergibt normalerweise übersetzt als „Begierde“, „Greifen“ und „Werden“. Hierbei handelt es sich um drei der zwölf Glieder des abhängen Entstehens, einem tiefgründigen Thema, das den Mechanismus von Samsara erklärt, d. h. die sich unkontrollierbar wiederholende Wiedergeburt.
Ich sehe nicht, was dies mit „alaya“ zutun haben soll.
Dharmakirti und die Autoren des Anuttara-Yoga-Tantra und des
Uttara-tantra-shastra - deren Ideen Berzin in seinem Artikel
darstellt - gingen nun noch einen Schritt weiter, indem sie
aus dem alaya einen individuellen
Bewusstseinstrom machten. D.h. jedem Wesen wird ein eigenes,
isoliertes „geistiges Kontinuum“ zugeordnet, das ohne Anfang
und Ende ist, das nach dem Tod dieses Wesens auf Grundlage
einer „subtilen Energie“ oder eines „subtilen Körpers“
weiterexistiert bis es sich „mit einer anderen physischen
Grundlage fortsetzt“. Würde ich um eine Definition von ‚atman‘
oder ‚Seele‘ gebeten, dann würde sie sich ziemlich genau so
anhören.
Dharmakirti redete von einem „Bewusstseinsstrom“ (Santana). Wenn du hier eine Definition dessen anführen kannst, was Dharmakirti mit diesen Bewusstseinsstrom gemeint hat, dann können wir ja leicht überprüfen, ob diese mit mit der Definition von Berzin vom „geistigen Bewusstsein“ übereinstimmt. Soweit ich mich an Dharmakirti erinnere, düften diese beiden Definitionen jedoch kaum etwas gemein haben. Bei Dharmakirti geht es vornehmlich um „Bewusstsein“ als kognitiver Vorgang oder als „erkenntnistheoretisches“ Modell des Geistes, während Berzin über ein (ein besseres Wort fällt mir nicht ein) „psychologisches“ Modell des Geistes redet. Falls dir diese Unterscheidung im buddhistischen Kontext nicht geläufig ist, empfehle ich „Der Geist und seine Funktionen“ von Geshe Rabten, ISBN: 3905497476 Buch anschauen
Nyanatiloka gibt in seiner Übersetzung ‚patisandhi‘ bzw.
‚patisandhi-vinnana‘ mit ‚Wiedergeburt‘ und
‚Wiedergeburtsbewusstsein‘ wieder, was vielleicht seine
eigenen Ideen wiedergibt, aber nicht den Text.
Ich befürchte, mit dieser Meinung stehst du ziemlich alleine da. Es lassen sich selbst im Internet zahlreiche Übersetzungen des Worts „vinnana“ mit „Bewusstsein“ finden. Da scheint schon eher der Begriff „patisandhi“ umstritten, als der Begriff „vinnana“
http://www.buddhistisches-haus.de/dhamma_viewer.php?..
(nein, ich will jetzt nicht Paul Dahlke diskutieren )
‚Patisandhi‘
heisst nun einmal ‚Wiederverknüpfung‘, ‚Regruppierung‘.
Was das wieder verknüpft wird, sind
skandhas.
Ja, und „vinnana“ heißt nunmal „Bewusstsein“ und die Verknüfung zwischen patisandhi und Bewusstsein findest du wiederum bei der List 1-14 oben.
… mir nicht erinnerlich, dass ich das kritiisert hätte. Ich
habe lediglich auf die uneinheitliche deutsche Terminologie
hingewiesen, in der dieses Konzept mal als „geistiges
Kontinuum“ (bei Berzin), mal als ‚Bewusstseinskontinuum‘ oder
als ‚Bewustseinsstrom‘ bezeichnet wird.
Nun, vielleicht sollte man dann doch auch einmal näher hinschauen, welches Konzept denn eigentlich genau mit diesen unterschiedlichen Begriffen bezeichnet wird und ob es sich hier tatsächlich um die gleichen Konzepte handelt.
Und ja, da darf man dann auch das Wort
„wessen“ verwnden, genau wie man im Buddhismus das Wort
„Buddha“ oder „Ralf“ verwendet darf, ohne gleich ein atman zu
postulieren.
Da ist die Frage, in welchem Kontext Du das anwendest. Wenn
der Kontext die Frage nach karma und phala ist - nach einem
Täter der Tat und einem Erleidenden des Leidens und ob sie
identisch sind oder nicht, dann ist das im buddhistischen
Kontext sinnlos. Ein Kategoriefehler.
Nun denn, ich formuliere meine Frage auch gerne um:
Moooment, das würde ja bedeuten, dass es zweierlei Leiden gibt. Zum einen das Leiden, für das man selbst karmische Ursachen gelegt hat, zum anderen das Leiden als Produkt der Handlungen anderer. Dies widerspricht aber nun ganz klar der zweiten Edlen Wahrheit, die ja die Ursachen für Leiden genau spezifiziert. Wenn man sich diese Ursachen genau anschaut, dann wird deutlich, dass hier eigentlich nur „tanha“ als Ursache in Frage kommt, die Gier oder der Durst nach Leben. Diese Gier muss aber nun vor der eigentlichen Geburt des Säuglings stattgefunden haben. Wo wir dann also bei der Frage wären, was ist die Ursache für die Gier nach Leben, die dazu führt, dass ein weiters Leben im Daseinskreislauf entsteht?
Und noch ein Gedicht:
_»Nicht findet man der Taten ‘Täter’,
Kein ‘Wesen’, das die Wirkung trifft
Nur leere Dinge zieh’n vorüber:
Wer so erkennt, hat rechten Blick.
»Und während so die Tat und Wirkung
Im Gange sind, wurzelbedingt,
Kann, wie beim Samen und beim Baume,
Man keinen Anfang je erspäh’n.« (Vis. XIX).-_
lieben Gruß,
Marion