Moin,
geschenkt. Hältst Du das in diesem Zusammenhang für
tatsächlich für ein wesentliches Argument, in welchem Alter
die offizielle Einsetzung stattfindet?
Ja. Ich gehe nämlich davon aus, dass der Mensch in 15-20 Jahren eine Menge lernen kann. Auch ein kleiner Tulku muss lernen wie alle anderen auch.
Mal abgesehen davon,
dass mw wohl noch keiner dieser Tulkus durch die Prüfungen
gefallen ist …
Ich möchte gerne auf ein in buddhistischen Kreisen bekanntes Beispiel des 6. Dalai Lama Tsangyang Gyatso vertweisen, der nicht nur niemals ein geistiges Amt ausübte, sondern sogar seine Mönschgelübte zurückgab und das Leben eines Laien führte.
Sicher hat ein kleiner Tulkus vermutlich größere Chancen, glatt durch die jahrzehntelange buddhistische Schulung zu kommen, schlichtweg weil der Zugang zur feinsten Ausbildung und den fähigsten Lehrern hat, die der tibetische Buddhismus zu seiner jeweiligen Zeit aufbieten kann, aber eine Garantie gibt es trotzdem nicht. Bestimmte „geistige Ämter“ sind sowieso mit den wenigstens Tulkus verknüpft. Irgendwann muss jeder Tulku zeigen, wo seine Fähigkeiten sind.
Der Punkt ist, dass es Vergleichbares in
anderen buddhistischen Traditionen nicht gibt.
Was ich ja auch eingeräumt habe.
Dass es ein individuelles Kontinuum der gestaltenden Faktoren
(Karma) gibt, hab ich ja mit der Stelle im Samyutta Nikaya
belegt.
Das war ja auch überhaupt nicht strittig - es ging darum, ob
ein ‚Bewusstseinskontinuum‘ oder ‚geistiges Kontinuum‘ über
den Tod hinaus besteht. Ein „individuelles“ sogar - so steht
es nämlich in dem Text von Alexander Berzin. Und eben dies
kannst Du mit dieser oder irgendeiner anderen Stelle aus dem
Palikanon nicht belegen. Schau dir z.B. mal Samyutta Nikaya
22.49 an:
18. „Ist das Bewußtsein unvergänglich oder
vergänglich?“ - „Vergänglich, o Herr.“ - „Was aber vergänglich
ist, ist das leidig oder freudig?“ - „Leidig, o Herr.“ - „Was
nun vergänglich, leidig, wandelbar ist, kann man dies mit
Recht so ansehen: ‚Dies ist mein, das bin ich, das ist mein
Selbst‘?“ - „Gewiß nicht, o Herr.“
[…]
23. "Daher, o Sona, was es irgend an Bewußtsein gibt,
vergangen, künftig, gegenwärtig, eigen oder fremd, grob oder
fein, gewöhnlich oder edel, fern oder nahe: von jedem
Bewußtsein gilt: ‚Dies ist nicht mein, das bin ich nicht, das
ist nicht mein Selbst‘. - So hat man dies der Wirklichkeit
gemäß mit rechter Weisheit zu betrachten.
Das ist ja auch richtig. Bitte vesteh mich nicht falsch. Es war keinesfalls meine Absicht, die gestaltenden Faktoren, die eben dieses Kontinuum bilden, nun als neues „Selbst“ oder gar nicht wandelbares, nicht vergängliches Selbst zu postulieren, das quasi wie ein Koffer durch die verschiedenen Leben reist. Das wäre das eine Extrem, dass zu verneinen ist, wie ja ach im Text von Berin beschrieben. Die andere Vorstellung hingegen, die ebenfalls zu verneinen ist, wäre das andere Extrem, nämlich die Vorstellung, dass diese „gestaltenden Faktoren“ nun etwas vom Individuum völllig unabhängiges sind und quasi ein „Eigenleben“ führen. Auch diese Vorstellung wird im Samyutta Nikaya verneint. Die „Wahhrheit“ muss also irgendwo zwischen diesen beiden Extremen liegen und hier wird es einfach schwierig mit der Beschreibung.
Ich würde mich letztendlich auch damit zufriedengeben, wenn wir als Ergebnis dieser Diskussion festhalten, dass wir uns einig sind, dass diese beiden Extreme abzulehnen sind, uns aber nicht darüber einig sind, wie jetzt dass zu beschreiben ist, was eben den mittleren Weg zwischen diesen beiden Extremen kennzeichnet.
- diese Aussage über das Bewusstsein (vijnana-skandha) wird
für sämtliche weiteren skandhas wiederholt. Darüber hinaus
existiert nichts weiter, auch kein „geistiges Kontinuum“:
Wenn nun, ihr Mönche, einer sagt: ‚Außerhalb von
Körperlichkeit, Gefühl, Wahrnehmung, Gestaltungen will ich des
Bewußtseins Kommen oder Gehen, Schwinden oder Entstehen,
Wachstum, Entwicklung, Fülle verkünden‘ - so besteht keine
Möglichkeit dafür.
(S.22.53.)
Korrekt. Das wäre nämlich das andere Extrem, dass z.B. die „gestaltenden Faktoren“ als außerhalb und unabhängig vom Individuum stehend angesehen werden.
So weit jedenfalls der Palikanon. Die Lehre von einem anfangs-
und endlosen Bewusstseinkontinuum oder geistigen Kontinuum -
also das, was Berzin da referiert - steht eindeutig in krassem
Widerspruch zu den Sutren des Palikanon, da beisst die Maus
keinen Faden ab.
Das sehe ich anders. Berzin macht ja gerade in seinem Text deutlich, dass dieses Kontinuum der gestaltenden Faktoren weder auf die eine Weise (Fließbandbeispiel), noch auf die andere Weise (es gibt Kontinuum der gestaltenden Faktoren, die völlig unabhängig vom Individuum existieren). Ich weiß nicht, ob sein Beispiel vom Kinofilm gut gewählt ist, ich hatte einige Schwierigkeiten, es anfangs überhaupt zu verstehen. Mir ist da der Vergleich mit den Billardkugeln „eingängiger“, aber Berzin ist mit seinem Beispiel sicher näher am Abidhamma und den Aussagen darüber, was Bewusstsein eigentlich ist.
Vielleicht magst Du Dir zur theravadischen Position einmal
Visuddhimagga XIV anschauen - dort ist von einem individuellem
‚Bewusstseinstrom‘ oder ‚Bewusstseinskontinuum‘ (bhavanga
sota) die Rede. Allerdings keinem anfangs- und endlosen,
sondern einem, das mit der Geburt ins Dasein tritt (patisandhi
citta) und mit dem Sterben endet (cuti citta).
Ja, korrekt. Das würde ich mit dem gleichsetzen, was man heutzutage als „Hirntod“ beschreibt, also das Bewusstsein, das mit den Hirnaktivitäten verknüpft ist. Dieses erlischt tatsächlich zusammen mit dem Gehirn. Dies ist auch das, was die meisten Menschen als ihr „geistiges Selbst“ bezeichnen würden, und ja, davon bleibt nichts.
Das habe ich sehr deutlich - einschließlich
Verweis auf die Herkunft dieses Konzeptes. Nochmals: das
Postulieren eines individuellen anfangs- und endlosen
‚geistigen Kontinuums‘ (wie bei Berzin) oder
‚Bewusstseinskontinuums‘ bzw. ‚Bewusstseinsstroms‘ (diese
Begriffe findet man in anderen erläuternden Texten) findet
sich im Buddhismus außerhalb der tibetischen Tradition nicht.
Ok, aber das läuft doch letztendlich dann auf eine Diskussion hinaus, als was man die „gestaltenden Faktoren“, also die karmischen Anlagen, karmische Samen oder was auch immer ansehen will. Streng genommen ist der Begriff „Same“ hier gennau so falsch, weil er eine gewisse Körperlichkeit suggeriert, die diese Faktoren sicher nicht haben. Genau so suggeriert „Bewusstsein“ einen Geisteszustand, auf den wir tatsächlich bewusst „zugreifen“ können. Auch das ist ja nicht der Fall. Nenn mir ein besseres Wort
(Ich will auch gerne nochmal nachschauen, welches Wort die Tibeter nun tatsächlich verwendet haben und was hier so unterschiedlich übersetzt wird und dann hoffen, dass es in meine Tibetisch/Sanskrit-Lexikon drinsteht, damit wir wiederum nachvollziehen können, worauf sich die Tibeter nun wiederum in den Sutras beziehen.) Es kann aber sein, dass ich danach einen meiner tibetisch Dozenten fragen muss, und davon sehe ich erst frühestens Montag wieder eine. Ich bitte also in dieser Frage um etwas Geduld.
Mir ging es nicht eine Diskussion dieses Konzeptes eines
‚geistigen Kontinuums‘ (das wäre ein Thema für buddhistisches
Spezialforum) - nur um die Klarstellung, dass es sich nicht um
eine allgemein anerkannte buddhistische Lehre handelt, wie in
dem von Dir verlinkten Text unterstellt. Die meisten
Buddhisten haben mit Texten wie dem Anuttara Yogatantra oder
dem Uttara Tantra Shastra nämlich absolut nichts am Hut.
Müssen sie ja auch nicht. Man könnte sagen, diese Texte sind Versuche in einer bestimmten Philosophischen Schule die Fragen zu beantworten, die aus dem Text im Samyutta Nikaya entstehen, also meinetwegen nenne es „Geist-Kontinuum“ wenn dir mit dem Begriff „Geist“ wohler ist, als mit dem Begriff „Bewusstsein“.
In diesem Sinn frage ich dich dann mal, was denn sie
Zen-Buddhisten annehmen, was mit den gestaltenden Faktoren
passiert, wenn die Skandhas zerfallen?
Ist jetzt zwar völlig offtopic - aber Du wirst Dich vielleicht
erinnern, dass ich vor einer Weile die Thematik ‚punarbhava‘
anhand des Mahayana Shraddhotpada Shastra und des
alaya-vijnana erläutert habe:
/t/kritische-frage-zum-thema-wiedergeburt/3869705/44
Ich finde das überhaupt nicht off-topic. Ganz im Gegenteil, ich finde, dass du in dem Posting den Standpunkt des Buddhismus hervorragend erklärst und auch den unterschiedlichen Standpunkten diesbezügilch innerhalb des Buddhismus durchaus gerecht wirst. Deshalb verstehe ich auch nicht, wieso wir hier nicht auf einen Nenner kommen.
Genau darum (ich zitiere mal aus deinem Posting)
_Das, was diesem Wandern Zusammenhang gibt, was es zu einem Wandern über unzählige Existenzen hinweg macht, ist nicht eine Seele, ein fester personaler ‚Kern‘, der die Existenzform wandelt, sondern eine unpersönliche Wirkungskraft – karma.
Geht es doch. Diese Wirkungskraft (ich hab es „gestaltende Faktoren“ genann) ist in der Tat unpersönlich, weil zu einer Person eben noch mehr dazu gehört, nämmlich die Skandhas. Aber es ist dennoch individuell.
Hier irrst du übrigens schon wieder. Selbsverständlich geht
man im Theravada von einem nicht endenden Daseinskreislauf
aus. Schließlich ist es das vornehmlichste Ziel im Theravada,
diesen Daseinskreislauf zu verlassen. Der Grundlegende
Unterschied zum Mahayana besteht lediglich darin, dass es im
Theravada nach Erreichen der Buddhaschaft kein
freiwilliges Verweilen im Daseinskreislauf
gibt. Aber auch im Theravada geht man davon aus, dass „man“
bis zur Erleuchtung immer und immer weiter im Daseinkreislauf
gefangen ist, was natürlich nichts anderes ist, als ein
Kontinuum bis zum „Ausstieg“ durch Erreichen der Buddhaschaft.
Ich irre mich da durchaus nicht. Hier kommen genau zu dem
Punkt, wo der Hund begraben liegt. Dieses „man“ existiert
so nach Auffassung der Theravadin (und btw
auch der Madhyamika) nämlich nicht, es ist maya, leidhafte
Täuschung. Da ist nichts Substanzielles „im Daseinskreislauf
gefangen“, auch kein in Anführungsstriche gesetztes „man“.
Vgl. die Zitate oben aus S.22. Über die empirische Existenz
einer vergänglichen Zusammensetzung von skandhas (eines
Individuums) hinaus gibt es keine Kontinuität, lediglich
karmische Früchte.
Also wenn du meinst, dass „karmische Früchte“ nun irgendwie eine bessere Umschreibung ist als „gestaltende Faktoren“ oder „man“, dann bitte, nennen wir die Kontinuität meinetwegen „karmische Früchte“. Wenn ich jetzt deine Wortwahl so zerpflücken würde wie du meine, dann könnte ich auch sagen, was hat das jetzt mit Obst und Gemüse zutun, aber so bin ich ja nicht
Das Leiden gibt es, doch kein Leidender ist da. Die
Taten gibt es, doch kein Täter findet sich. Erlösung gibt es,
doch nicht den erlösten Mann. Den Pfad gibt es, doch keinen
Wanderer sieht man da.
(Visuddhimagga XVI.4)
Deswegen erlischt nach Auffassung der Theravadin das
individuelle ‚geistige Kontinuum‘ (bhavanga sota) mit dem
Sterbebewusstsein, s.o. Was das alaya-vijnana der Yogacarin
angeht - das ist zwar ein anfangs- und endloses
(überzeitliches) Kontinuum, aber eben kein individuelles.
Die Menschen kommen aber nunmal nicht mit „Null Karma“ auf die Welt. Auch Säuglingen oder Kleinkinder müssen teilweise furchtbar leiden und ich kann mir beim besten Willen nicht vorstellen, wie man nach dem was du schreibst, dieses Leiden erklären will. Wenn es kein individuelles Kontinuum diesbezüglich gibt, was bleibt dann? Zufall? Dies wird vom Buddha ausdrücklich verneint. Ich zitiere nochmal aus dem Samyutta Nikaya:
Auf die Frage ,ist etwa Lust und Leiden, Herr Gotama, selbstverursacht?’ antwortest du: ,nicht so (sollst du sprechen), Timbaruka’. - Auf die Frage ,oder aber ist Lust und Leiden, Herr Gotama, von einem anderen verursacht?’ antwortest du: ,nicht so (sollst du sprechen), Timbaruka’ (*f49). - Auf die Frage ,ist etwa Lust und Leiden, Herr Gotama, sowohl selbstverursacht als auch von einem anderen verursacht?’ antwortest du: ,nicht so (sollst du sprechen), Timbaruka.’ - Auf die Frage ,oder aber ist Lust und Leiden, Herr Gotama, nicht selbstbewirkt und auch nicht von einem anderen bewirkt, sondern durch Zufall entstanden?’ antwortest du: ,nicht so (sollst du sprechen), Timbaruka.’ - Auf die Frage ,gibt es also, Herr Gotama, überhaupt keine Lust und kein Leiden?’ antwortest du: ,es ist nicht so, Timbaruka, daß es keine Lust und kein Leiden gibt; es gibt wohl Lust und Leiden, Timbaruka.’ - Auf die Frage ,kennt also der Herr Gotama Lust und Leiden nicht und sieht es nicht?’ antwortest du: ,es ist nicht so, Timbaruka, daß ich Lust und Leiden nicht kenne und nicht sehe; ich kenne Lust und Leiden wohl, Timbaruka, ich sehe Lust und Leiden wohl, Timbaruka.’ - Es soll mir der Herr Gotama Lust und Leiden darlegen, es soll mir der Herr Gotama Lust und Leiden verkündigen."
-
"Behauptet man ,die nämliche Empfindung ist es, die (wieder) empfindet,’ so gibt es einen, der von Anbeginn da ist und seine Lust und sein Leiden ist selbstverursacht: so aber lehre ich nicht.
-
Behauptet man ,eine andere Empfindung ist es, die (wieder) empfindet, so ist für den, der von Empfindung betroffen ist, Lust und Leiden von einem anderen verursacht: so aber lehre ich nicht.
-
Diese beiden Enden vermeidend, Timbaruka, verkündet in der Mitte der Tathāgata die wahre Lehre: "Aus dem Nichtwissen als Ursache entstehen die Gestaltungen; aus den Gestaltungen als Ursache entsteht das Bewußtsein usw. usw. (= 1. 3). Auf solche Art kommt der Ursprung der ganzen Masse des Leidens zu stande. Aus dem restlosen Verschwinden aber und der Aufhebung des Nichtwissens folgt Aufhebung der Gestaltungen; aus der Aufhebung der Gestaltungen folgt Aufhebung des Bewußtseins usw. usw. (= 1. 4). Auf solche Art kommt die Aufhebung der ganzen Masse des Leidens zu stande. "
Das „man“, das da in den „subtilsten“ Schichten des
Bewusstseins herumgeistern soll und dem eine überzeitliche
Existenz als individuelles „geistiges Kontinuum“ zugebilligt
wird, ist nichts anderes als ein ‚atman‘. Das ist der
begrabene Hund.
Nein, das ist Quark. Das es unterschiedlich subtile Formen des Bewusstseins gibt, ist heutzutage selbst unter nicht Buddhisten eine anerkannte Feststellung. Wenn du schläfst, dann schaltet sich dein Gehirn nicht ab. Dennoch hast du im allgemeinen keinen Zugriff darauf, was sich in deinem „Geist“ oder Bewusstsein abspielt. Wer es nun tatsächlich schafft, z.B. durch Training in diese Geistesebene vorzudringen oder sich zufällig an einen Traum erinnert, wenn er gerade aufwacht, der hat lediglich Zugang zu einer subtileren Schicht des Bewusstseins (was es in dem Moment ja ist, wenn man es sich bewusst mach). Auch dieses substilen und subtilste Schichten sind unbeständig, wandelbar, haben keinen inhärenten Kern etc. und sind mitnichten irgendwas wie „atman“.
Gruß
Marion_