Hallo nochmal,
okay, bei 13. Klasse denke ich, meine Erklärungen waren halbwegs altersgerecht.
Aber dass wir uns richtig verstehen: Dir geht es bei „Nahost-Konflikt“ um den Konflikt zwischen Israelis und Palästinensern und nicht generell um Konflikte in der Region (z.B. Irak, Iran, Syrien o.ä.)?
- Welche Staaten, internationale Organisatoren,
Nichtregierungsoraganisationen oder Einzelpersonen sind direkt
an dem Konflikt beteiligt?
Eine vollständige Liste hierzu kann es nicht geben, da sie – wenn man sie in mühevoller Recherchearbeit zusammenstellen würde – vermutlich Dutzende Seiten füllen würde. Deshalb wieder nur ein kurzer Abriss:
a) die israelische Regierung sowie die palästinensische Autonomiebehörde als Volksvertreter und damit Verhandlungsführer
b) zahlreiche politische und gesellschaftliche Parteien, Interessengruppen und Organisationen auf beiden Seiten, die jeweils von Friedensarbeit bis zu rassistischem Hass in allen Schattierungen auftreten können und sich damit auch oft gegen die jeweils eigenen Volksvertreter wenden
c) (pro-)israelische bzw. (pro-)israelische und (pro-)palästinensische Organisationen und Lobbygruppen in Europa und den USA
d) Ägypten und Jordanien, die beide sowohl an Israel als auch die Palästinensergebiete grenzen und mit Israel ein (pragmatisches) Friedensabkommen geschlossen haben
e) Syrien und der Libanon, die beiden anderen israelischen Nachbarstaaten, die nach wie vor keinen Frieden mit Israel geschlossen haben; den jahrelang besetzten Südlibanon hat die israelische Armee 2000 geräumt, die syrischen Golanhöhen sind bis heute von Israel besetzt (und annektiert)
f) die Arabische Liga, der Iran, die Türkei und weitere Staaten der arabischen bzw. muslimischen Welt
g) das Nahost-Quartett, bestehend aus Vertretern der USA, Russlands, der EU und der UNO, in dessen Namen der frühere britische Premierminister Blair zwischen Israelis und Palästinensern vermitteln soll – wobei sich aber Amerikaner und Russen genauso oft uneins über die Ziele sind wie die einzelnen EU-Staaten
h) unzählige internationale Hilfs- bzw. Entwicklungshilfeorganisationen, die vor Ort (insbesondere in den Palästinensergebieten) präsent sind
- Welche Akteuere haben welche Interessen?
Diese Frage ist noch schwieriger zu beantworten als die vorherige, wenn man alle Aspekte mit einbeziehen will, die eine Rolle spielen, und sich nicht auf Oberflächlichkeiten und Vorurteile beschränkt – zumal man viele Interessen nicht einem bestimmten Staat zuschreiben kann, sondern in der Regel eher der politischen Partei, die zu einem bestimmten Zeitpunkt an der Regierung ist. Versuchen wir dennoch das Unmögliche!
a)/b)/c) Zu den Interessen der Israelis und Palästinenser habe ich ja schon Einiges geschrieben: Im Grunde genommen geht es beiden Seiten darum, dass ihre jeweilige Gesellschaft in Frieden, Sicherheit und relativem Wohlstand (dazu zählt u.a. auch die Frage der Wasserressourcen) leben kann. Dabei unterscheiden sich die Einzelinteressen der Vielzahl politischer und gesellschaftlichen Gruppierungen auf beiden Seiten aber untereinander wie Tag und Nacht. Dasselbe gilt für die jeweiligen Lobbygruppen beider Seiten in anderen Ländern.
d)/e)/f) Die „wahren“ Interessen der anderen Staaten der Region sind nicht immer einfach zu entschlüsseln. Größeren Akteuren wie der Türkei, dem Iran, Ägypten und Saudi-Arabien mag man generell nachsagen, dass sie jeweils Anspruch auf politische Vormacht im Nahen und Mittleren Osten erheben. Die Taktiken in Bezug auf den israelisch-palästinensischen Konflikt unterschieden sich dabei deutlich: Die einen setzen auf eine gewisse Form der (pragmatischen) Koexistenz mit Israel. So haben sich Ägypten und die Türkei beispielsweise in der Vergangenheit mehrfach als Vermittler zwischen den Konfliktparteien betätigt. Der Iran und andere Staaten hingegen versuchen, dieses Ziel durch Säbelrasseln (siehe die Hasstiraden Ahmadinejads) zu erreichen.
Ohne zu stark verallgemeinern zu wollen: Vielen Staaten ist letztlich daran gelegen, den Konflikt aufrecht zu erhalten. Israel eignet sich für sie perfekt als Feindbild (Stichwort „jüdisch-zionistisch-imperialistisch-kolonialistische Weltverschwörung“); die Palästinenser geben auch gute Opfer ab, für deren Schicksal man kämpfen muss – während die Millionen palästinensischer Flüchtlinge in den arabischen Nachbarstaaten alles andere als einen guten Stand haben. Mit anderen Worten: Mit anti-israelischen und pro-palästinensischen Parolen lassen sich zwar gut Stimmen fangen. Ich wage es jedoch zu bezweifeln, dass auch nur einer der Staaten (heute noch) ernsthaft „alle Juden ins Meer schmeißen“ bzw. die „Befreiung Palästinas“ vorantreiben würde.
g) Die Interessen der USA, Russlands, der EU(-Staaten) sowie der UNO: Vordergründig mag man ihnen (mal mehr, mal weniger) glauben, dass es ihnen darum geht, die Region dauerhaft zu befrieden. Gleichzeitig verfolg(t)en sie aber auch Machtinteressen. So wurde der Konflikt zur Zeit des Kalten Kriegs teilweise zum Stellvertreterkrieg zwischen West und Ost. Die meisten US-Präsidenten der letzten Jahre und Jahrzehnte haben sich außerdem (meist vergeblich) als Friedensbringer versucht. Auch dem Ruf der EU und ihrem außenpolitischen Profil würde es wohl gut tun, wenn sie sich einen dauerhaften Frieden in Nahost auf ihre Fahnen schreiben könnten.
h) Die meisten NGOs wollen – auf ihre Weise – den Menschen vor Ort helfen. Wie ernstgemeint, sinnvoll und uneigennützig diese Hilfe dann im Einzelfall tatsächlich ist, ist eine andere Frage.
- Wirkt sich der Konflikt auf andere Regionen aus? ( Ich
denke auf jedenfall die Streitkräfte die in den Regionen
Stationiert sind)
In Israel sind nur israelische Soldaten/Polizisten/Sicherheitskräfte stationiert, in den Palästinensergebieten (je nach Gegend) palästinensische Polizisten/Sicherheitskräfte und die israelische Besatzungsarmee. An den Grenzen zum Libanon und Syrien gibt es kleinere UNO-Truppen. Natürlich gibt es u.a. amerikanische Stützpunkte in der Türkei, im Irak und in verschiedenen Golfstaaten sowie eine russische Basis in Syrien, die rein theoretisch für einen möglichen militärischen Einsatz in Israel/Palästina genutzt werden könnten. Praktisch spielen diese aber keine wirkliche Rolle in dem Konflikt.
- Welche Auswrikungen hat der Konflikt auf die dort lebenden
Menschen? ( Ist bestimmt nicht angenehem in Kiregführenden
Ländern zu leben, aber vielleicht auch Hass auf die anderen
Religionen und Menschen?!!
Es ist nicht ganz so leicht, diese Frage einem Außenstehenden zu beantworten, der noch nie in der Gegend war. Am besten lässt sich das Leben auf beiden Seiten vermutlich mit dem Begriff „Alltag in der Ausnahmesituation“ erklären. Will sagen: Die meisten Menschen auf beiden Seiten haben sich auf ihre Weise mit der Situation abgefunden – wenn sie sich tagtäglich aktiv Gedanken über die potentiell ständige Bedrohung durch Terroranschläge bzw. die fatalen Folgen der Besatzung machen würden, würden sie wohl nicht lange überleben.
Auf israelischer Seite ist es z.B. für die meisten Menschen völlig normal, einen drei- (für junge Männer) bzw. zwei- (für junge Frauen) jährigen Wehrdienst zu leisten; Taschenkontrollen gehören selbstverständlich zu den meisten Restaurants, Geschäften, Behörden usw. Man könnte auch spekulieren, inwiefern die sehr ausgeprägte (und mittlerweile international bekannte) Partyszene Tel Avivs letztendlich eine Reaktion auf den Konflikt ist: Feiern um den Konflikt zu vergessen.
Auch auf palästinensischer Seite haben sich die meisten Menschen auf ihre Weise mit der Besatzung arrangiert. Wo direkte Verkehrswege vom israelischen Militär von einem Tag auf den nächsten gesperrt wurden, haben sich die Fahrer der Sammeltaxis (bis vor ein paar Jahren der einzige ÖPNV) auf Teilstrecken bzw. Umgehungen ebendieser Blockaden spezialisiert. In dörflichen Gegenden, denen der Zugang zu größeren Städten teilweise vorrübergehend, teilweise dauerhaft abgeschnitten wurde, entstanden z.B. viele neue Geschäfte; viele Einheimische haben auch Arbeit bei Vertretungen internationaler Hilfsorganisationen gefunden.
Um eines klarzustellen: Einen „normalen“ Alltag wie in Europa gibt es weder auf der israelischen noch auf der palästinensischen Seite und sicherlich herrschen hüben wie drüben oft Verbitterung und Verzweiflung ob des jeweils erlittenen/zugefügten Leids sowie Ängste und Vorurteile, die man als Außenstehender nur schwer nachvollziehen kann. Dennoch haben die Menschen sich im Laufe der letzten Jahrzehnte irgendwie mit der Situation abgefunden. Wenn man von den Neueinwanderern in Israel absieht, wurden sie schließlich in diese Situation hineingeboren und sind so selbstverständlich mit ihr aufgewachsen wie z.B. die Generation Deiner Eltern mit der deutschen Teilung bzw. Deine Generation mit dem wiedervereinigten Deutschland.
So, ich hoffe, mit dieser ausführlichen Antwort noch einmal geholfen zu haben.
Gruß,
Stefan