Hier wurde ein ziemliches Durcheinander veranstaltet.
Zunächst: Das „absolute Gehör“ hat nichts mit Musikalität zu tun; es ist eine Erinnerungsfunktion. Es heißt so, weil es losgelöst (lat. absolvere=ablösen) vom musikalischen Zusammenhang festgelegte Tonhöhen erinnert.
Das „absolute Gehör“ ist trainierbar. Wer es von Geburt an hat, ist als Musikerin oder Musiker ziemlich arm dran. Warum? Die Stimmung des Kammertons a reicht von 438 Hz bei Palestrina bis 444 Hz bei Karajan. Die „absoluten Tonhöhen“ sind also im Laufe der Jahrhunderte immer höher geworden. Eine Freundin (Sopranistin) hat ein absolutes Gehör, das den Kammerton immer auf 438 Hz hört. Jede (heute übliche) Stimmung kommt ihr „falsch“ vor. De Folge davon ist, daß sie streßfrei nur noch in Renaissance- und Barockensembles singen kann. Man kann durchaus sagen, daß das absolute Gehör - bedenkt man diesen Umstand - eine besondere Form einer Körperbehinderung darstellt.
Entscheidend für „Musikalität“ ist ein gutes relatives Gehör, das heißt, zu hören, wie zusammenklingende oder nacheinanderklingende Töne sich aufeinander beziehen (von lat. relatio=Verhältnis). Viel nützlicher und auch viel trainierbarer als das sog. „absolute Gehör“. Es macht unglaublich Spaß, diese Fähigkeit zu trainieren, zu hören, was in einem spätromantischen Stück (z.B. von Anton Bruckner) harmonisch geschieht.
Zum Stimmen eines Instruments brauche ich selber einen Referenzton, danach stimme ich „nach Gehör“. Meist stimmt der Referenzton mit dem erinnerten Ton ungefähr überein; dies wäre das erinnerte absolute Gehör, das bei mir sehr ungenau ist. Zu tief, wenn deprimiert, zu hoch, wenn heiter. Ich finde das ganz ok so.