Herausfordernder Diskurs…
Hallo Meister Chan,
…dann müsste auf Platz 1 die Sexualität stehen, was in […]
…egal was es auch sei. Sexualität wird in diesem Thread auch mit keiner anderen Kategorie verknüpft.
Dem letzten Satz stimme ich zu. Ansonsten halte ich dem entgegen, dass mich diese Argumentation stark an Sigmund Freud erinnert, der davon ausgegangen war, dass die Sexualität das Wichtigste im Leben überhaupt wäre . Dieses sexuelle Menschenbild, auch in seiner ganzen negativen Freud’schen Weltanschauung, war stark von Schopenhauer beeinflusst. Aber auch vom „Eros“ durch Platon, dessen Schriften Freud studiert hatte. Und besonders von La Mettrie, der als Arzt und Philosoph den Menschen als „Maschine“ definierte. Mit der Lehre Platons und der La Mettries konzipierte Freud seinen „seelischen Apparat“-
Hätte aber Freud die Philosophie Schopenhauers „gänzlich“ übernommen, und Freud den Menschen nicht nur auf seine Sexualität reduziert, hätte er auf die Frage stoßen müssen: Was ist denn eigentlich vor der Sexualität, wenn es die noch gar nicht gibt? Diese Frage berührt eine sehr viel grundsätzlichere Frage, die sich auch Schopenhauer sozusagen als „erster Philosoph überhaupt“ stellte, nämlich die um die gesamte EXISTENZ. Es gibt in der Natur viele Existenzarten („real existierende Einzelwesen“, wie Whitehead lehrt), die eindeutig ohne Sexualität auskommen. Sex wird erst auf einer höheren Evolutionsstufe ausgebildet.
Ich streite mich mit meinem Freund aus Bonn ständig (für ihn ist Schopenhauer der Größte), was die Natur denn überhaupt will? Und wenn es die EXISTENZ selber ist, wie kann dann etwas je außerhalb dieser „sein“, außer ein Wunschdenken außerhalb der EXISTENZ, weil diese - im religiösen Sinne - als so grausam empfunden wird, dass jede Art von Weltflucht (auch durch permanente Unterhaltung) als Bedürfnis nach Befriedigung begehrt…
Mein Freund denkt Schopenhauer sozusagen konsequent bis zu Ende durch, wenn er behauptet, dass Sexualität der Grund sei, mit dem die Natur sich fortwährend selber Leid zufügt, was „total sinnlos“ sei. So dachte auch Schopenhauer, inspiriert durch die östliche Vedanta-Lehre, dass die Welt nichts anderes sei als „Maya“ (Illusion), das heißt bloße Täuschung.
Über diesen zentralen Punkt habe ich schon stundenlang mit meinem Freund aus Bonn telefonisch philosophiert, bis mir die Ohren schmerzten. Er fühlt sich als GEFANGENER in seinem Körper. Für ihn gibt es nur zwei „realistische“ Lösungen: Entweder Suizid oder bewusst darauf verzichten, sich durch instinktive Sexualität weiter fortzupflanzen, um die leidvolle Menschheitsgeschichte mit philosophischer VERNUNFT zu durchbrechen, das hat Schopenhauer so radikal zwar nicht gelehrt, dazu fehlte ihm entweder der Blick oder der Mut, deshalb kann Schopenhauer mit seiner „Lösung“ meines Erachtens nicht wirklich überzeugen.
Das größte Problem ist meines Erachtens auch nicht die „Lösung“ meines Freundes aus Bonn, sondern die Tatsache, dass Menschen von Natur aus fühlende Wesen sind und wie alle Menschen instinktiv Angst haben vor dem Tod, vor Schmerzen, Krankheit und Leiden.
Wer vorhat, von der Brücke zu springen, wird durch sein Fühlen in seinem Willen der Natur instinktiv daran gehindert. Wäre das nicht der Fall, würden sich sehr viel mehr Menschen selber töten. Wer hat nicht schon in seinem Leben einmal heimlich gedacht: Was für ne Scheiße ist doch dieses Leben??? Wer so noch nie in seinem Leben gedacht hat, der bezeuge es. Gerade die Religionen sind doch nur deshalb so erfolgreich, weil sie für diese „Wahrheit“ eine „Endlösung“ konstruieren, mit ähnlich falschen Verlockungen, wie im Märchen von Hänsel und Gretel die Hexe mit ihren Lebkuchen. Oder mit der Negativität von Zwerg Nase, dem beim Lügen seine Nase in die Länge wächst. Das hat mich als Kind sehr viel mehr beeindruckt als die Religionslehren, die ich als Doppelmoral erahnte…
Mein Argument gegen Sigmund Freud und auch gegen dich, verehrter Meister Chan, ist dieses: Sexualität ist auch nach Schopenhauer ein ausschlaggebender Grund, dass wir UNGEWOLLT in diese Welt hineingeworfen wurden. Aber es ist nicht der WILLE, der bereits schon VOR der Sexualität durch die Natur ursächlich war. Wenn ich als Embryo noch keine eigene Sexualität besitze, mein Körper aber schon von Anfang seiner Zeugung UNBEWUSST überleben will, ist der Selbsterhaltungstrieb bis zur sexuellen Reife ja viel grundsätzlicher als die erst später folgende Sexualität. Außerdem stimme ich Schopenhauer zu, wenn er lehrt, dass für die Natur das Individuum weniger wichtig sei als die Menschheit als Ganzes… was mich als Individuum aber nicht hindert, dem zu widersprechen.
Politik, Religion, Wirtschaft, Wissenschaft (darunter
Philosophie!!!), Kunst. Ich möchte noch die Kategorie ´Recht´
hinzufügen.
Für mich ist das ganz eindeutig ebenfalls Politik. Das Recht hat zum Teil zwar eine höhere Macht als die Politik, aber die Verfassung und damit das Recht ist ebenfalls Politik. Deshalb ist nach meiner Weltanschauung das Recht keine eigene, grundsätzliche Kategorie.
Insagi erwähnt auch die Spiritualität. Sie kann allerdings
nicht grundsätzlich vom Religionsbegriff getrennt werden
WESHALB kann man das nicht „grundsätzlich“ trennen??? Es gibt heutzutage eine sogenannte „säkulare Spiritualität“, das ist das genaue Gegenteil zu deiner religiösen Beweisführung…
Habermas kommt, angeregt durch Weber, zu einer Aufteilung der
Wertsphären in Wissenschaft, Recht/Moral und Kunst.
Was den Weber Maxl betrifft, den Habermas in seinem Hauptwerk am MEISTEN zitiert von allen geistigen Orientierungspersonen, dem stelle ich die Aussage des Papstes gegenüber, dem „Papst des Managements“ und Berater mehrerer US-Regierungen und der größten Wirtschaftskonzerne, dem Philosophie-Professor Peter F. Drucker, der dem Weber Maxl seine „Religionssoziologie“ als nicht beweisbar und spekulativ beurteilt, weil der Kapitalismus nicht allein nur aus dem Protestantismus zu erklären ist, sondern dem Bedürfnis der EXISTENZ des Überlebens zugrundeliegt. Und zu Habermas sei gesagt, dass er von Ökonomie wenig versteht. Anders dagegen sein Vordenker Marx, der nicht nur Philosoph, sondern auch studierter Ökonom war. Die Kategorien von Habermas auf die EXISTENZ bezogen sind meiner Ansicht nach nicht realistisch, sondern viel zu idealistisch, im „außermusikalischen“ Sinne, wenn Habermas sagt, er sei religiös ziemlich „unmusikalisch“.
Die Frage stellt sich nun, ob die Kategorien „Politik,
Religion, Wirtschaft, Wissenschaft, Kunst und Recht“ (welche
ich für verbindlich halte) alle auf eine gleicheestellt werden können
VERBINDLICH ist die Religion für alle Individuen und für die demokratische Gesellschaft ganz sicher schon längst nicht mehr, das ist auch gut so. Fraglich ist aber, ob die Religion heute noch für die Gegenwartsphilosophie (außer Robert Spaemann und Ken Wilber sehe ich unter den einflussreichsten lebenden Philosophen weit und breit niemand sonst) als vorherrschendes Thema relevant ist. Das Gegenteil scheint mir eher der Fall, wobei eine „Rückkehr der Religion“ von Fundamentalisten mit Eifer betrieben wird, wie ich allein in diesem Brett bemerke, was die Gegner der Religion aber, wie ich meine, eher noch bestärkt…
Jetzt aber will ich den herausfordernden Diskurs hiermit kurzerhand beenden, welchen ich ein andermal weiter mit dir, Meister Chan, gerne fortsetze.
CJW