Wer ist kreativ?

Werbeagenturen haben für die Einstellung besonders kreativer Mitarbeiter einen verblüffend einfachen Kreativitätstest entwickelt. Der Personalchef gibt einem Bewerber auf die Stelle eines „creativ directors“ ein leeres Blatt und bittet den Probanden anzugeben, nach welchen Kriterien er selbst seine Kreativität einschätzen würde: Von niedrig über mittel bis besonders hoch. Auch alle differenzierteren Beschreibungen der eigenen Kreativität können genannt werden.

Wer ist kreativ? Derjenige, der sich selbstbewusst selbst bestimmt? Wenig kreativ, mittel kreativ oder besonders kreativ? Der Bewerber sagt genau, wie er sich selbst einschätzt. Und das Verblüffende: der Test stimmt immer, vor allem bei einer besonders verantwortungsvollen Stelle, wo man nicht blufft (keiner weiß die Lösung, nur wenigen kennen sie).

Mit dem Thema Kreativität beschäftigt sich auch der deutsche Philosoph Heiner Hastedt, Professor für Praktische Philosophie an der Universität Rostock und wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Universität Hamburg, der fragt: „Was ist Kreativität? Eine alte Stilisierung von SOKRATES (…) Gemäß der bekannten… Definition ‚Intelligenz ist das, was ein Intelligenztest misst‘ lautet die Definition von Kreativität: ‚Kreativität ist das, was ein Kreativtest misst.‘ Ebenso wenig wie die erste Definition wirklich klärt, was Intelligenz ist, hilft die zweite im Falle der Kreativität weiter.“

Wer ist kreativ???

Hallo Claus!

Wer ist kreativ???

Ich denke, die Frage ist nicht eindeutig zu beantworten und hängt auch im Wesentlichen vom eigenen Begriff ab, den man sich von Kreativität macht.

Nehmen wir mal den `common sense´: da wird mit Kreativität meist etwas verbunden, was im weitesten Sinne mit einer künstlerischen Tätigkeit zu tun hat. Jeder Bastelladen, der etwas auf sich hält, trägt eine Abwandlung des Begriffs im Namen oder zumindest im Slogan.

Ich persönlich halte auch geistige Tätigkeiten für höchst kreativ (wobei sich natürlich künstlerisch´ und geistig´ mitnichten gegenseitig ausschließen). Und zwar dann, wenn man dabei von typischen Mustern abweicht und durch Kombination von Ungewöhnlichem oder Ungewohntem etwas Neues schafft. Das kann bereits bei ganz profanen Dingen beginnen. Nimm eine Bibliothekarin, die sich ein neues Katalogisierungssystem ausdenkt. Das läuft jedoch heute, glaube ich, nicht mehr unter dem Begriff Kreativität, sondern Optimierung. Schade eigentlich.

Hinzu kommt, dass der Begriff kreativ heutzutage auch zunehmend auch pejorative Bedeutung erhält. Hier ein Beispiel:http://konsumpf.de/wp-content/uploads/2008/12/sany01…

Das wird dann als kreatives Parken bezeichnet.

Vielleicht sollte man sich beim Begriff kreativ an dessen Etymologie halten. Creare bedeutet doch soviel wie „etwas neu schöpfen, etwas erfinden, etwas erzeugen, herstellen“. Wenn wir auf diese Grundbedeutung zurückgehen, gibt es wahrscheinlich nur noch wenige Menschen, die nicht kreativ sind.

Gruß
Dine

Hi,
ich weiß nur, dass das Wort „Kreativität“ inzwischen inflationäre Ausmaße in seiner Verwendung gewonnen hat und für mich mittlerweile nur noch eine ähnliche Bedeutung wie der Ausdruck „Fleisch-Boutique“ für eine mittelmäßige Metzgerei assoziiert.

Gruß,
Anja

Hach, danke Anja für das erholsam deutliche Statement.

ich weiß nur, dass das Wort „Kreativität“ inzwischen
inflationäre Ausmaße in seiner Verwendung gewonnen hat

Dasselbe gilt für den revolutionär-naive Plattitüde „innovativ“.

und für mich mittlerweile nur noch eine ähnliche Bedeutung wie der
Ausdruck „Fleisch-Boutique“ für eine mittelmäßige Metzgerei assoziiert.

Vor allem, ja sogar ausschließlich in Werbe- und Designer-Branchen. Dort werden ja auch seit Jahrzehnten sog. Creativity-Trainings *lächel* veranstaltet. Nach dem Prinzip „Mach dich mal locker, dann wirst du von allein kreativ“.

Gruß
Metapher

Danke für alle Kommentare. Eine Bemerkung noch speziell zu Metaphers Kommentar: Kreativität ist inzwischen tatsächlich ebenso inflationär geworden als Begriff wie „Innovation“. Die Begriffe beziehen sich heute nicht nur auf die Kunst, sondern auch auf die Wirtschaft und Politik.

Reinhard Höhn kritisiert die Wirtschaft: „… jede Kreativität (ist) dem Untergebenen vom Prinzip her untersagt. Kreativ darf nur die Spitze sein. Die Untergebenen haben deren kreative Ideen weisungsgemäß umzusetzen.“ Trotzdem Sprechen Manager und Unternehmer gerne vom „kreativen Mitarbeiter“.

Und noch ein kritischer Kommentar: „Es ist also nicht ausgeschlossen, dass die unkreativste Bedeutungsvariante des vieldeutigen Wortes ‚Kreativität‘ sich als die offizielle durchsetzt: Kreativität als Arbeitsproduktivität.“ (Hervorhebungen durch mich, zitiert aus „Historisches Wörterbuch der Philosophie“).

Gruß
C.

Kreativität und Philosophie
In der (wahren) KUNST ist Kreativität im Gegensatz zu Wirtschaft und Politik ein eben gerade nicht zweckgebundenes Streben, wenn man sich die Anfänge der Menschheitsgeschichte vorstellt: In der Zeit des Urmenschen betrieb man das, was wir heute Wirtschaft nennen, durch die Jagd. Und was wir Politik nennen, war eine Auseinandersetzung darüber, wie die Beute verteilt wurde, während die KUNST sich z. B. mit schöner Höhlenmalerei befasste, ohne einen direkten Zweck zu erfüllen (soeben wurden geheime Informationen der US-Botschaft bekannt, worin die deutsche Bundeskanzlerin so charakterisiert wird: «Merkel… ist selten kreativ.»).

Welche Bedeutung hat die Philosophie in Bezug auf die Kunst? Wäre eine Philosophie gegenüber der Jagd (Wirtschaft) und den Machtkämpfen (Politik) nützlich, als reine Ästhetik?

Wenn wir die Anfänge der Philosophie nicht nur von der griechischen Antike aus, sondern von den Anfängen einer Ur-Rotte oder Ur-Sippe betrachten, muss man schon das „Totem“ als eine Ur-Philosophie der Menschheitsgeschichte interpretieren, die sich dadurch von allen Tieren unterscheidet, dass Menschen scheinbar unbedingt wissen wollen, wer sie selbst sind. Zum Zwecke des Überlebens war es wichtig zu wissen, dass man selbst zur besseren Gruppe gehört und die „Feinde“ zur schlechteren Gruppe gehören. Aus dieser Sicht war die Ur-Philosophie ein konkreter, existenzieller Nutzen, obwohl dieser existenzielle Nutzen weitgehend unbewusst ist, aber immer mehr individualisierter und differenzierter wird.

So gesehen war die Erkenntnis des Sokrates eine Erweiterung des Bewusstseins, als ein wesentlicher Fortschritt für die Selbsterkenntnis in der Menschheitsentwicklung und dem Selbstverständnis, wonach es nur ein Übel gibt, die Unwissenheit, und nur ein Gutes, das Wissen.

Wenn aber Wissenschaft und Technik als Nutzen für das Überleben selbst zum Problem wird (vgl. Adornos „Dialektik der Aufklärung“), in einem dogmatischen Anspruch auf die einzige und absolute Kreativität? Wäre es dann nicht kreativer, sich nicht nur ausschließlich damit zu identifizieren?

Wäre dann die Kreativität der Philosophie in Bezug auf einen Fortschritt in der Menschheit nicht auch zusätzlich denkbar, dass Philosophie einfach nur KUNST ist, ohne überhaupt einen Zweck erfüllen zu wollen? Einfach nur als freies Spiel der Evolution? Sowohl mechanistisch im Sinne von Jacques Derridas „Differenz der Zeichen“ oder, was mir sinnvoller erscheint, als Entwicklung des eigenen Wesens?