So, nun kommen wir den Zeilen auf deinem Holzbecher doch noch näher:
Von dem Tang-Dichter Zhang Ji, 張繼 (715-779) ist ein Gedicht überliefert in einer Sammlung von Tang-Gedichten aus dem 18. Jhdt. Es zählt dort in die Stil-Kategorie „7-Zeichen-Quartett“ („seven-character quatrain“), d.h es besteht aus 4 mal 7 Zeichen und hat dort den Titel „Maple Bridge Night Mooring“. Das Gedicht, von dem dein Becher die ersten 2 Zeilen enthält, heißt komplett:
月落烏啼霜満天
江楓漁火對愁眠
姑蘇城外寒山寺
夜半鐘聲到客船
Und wenn man dann eben findet, daß es in der 2. Zeile nicht, wie auf deinem Becher graviert 魚火, „Fisch Feuer“, sondern 漁火 „Fischer Feuer“ heißt (das ist nämlich die Fackel auf den Fischerbooten, mit der sie nachts Fische anlocken), und ferner, daß 對 auch „gegen/entgegen“ heißen kann (und, wie schon gesagt, nicht der Sonnenuntergang am Abend, sondern der Monduntergang am Morgen gemeint ist), dann findet sich auch eine nachvollziehbare Übersetzung.
Hier ist eine englische:
The moon descends, crows caw, frostiness fills the sky;
Riverside maples, fishermen’s lights, facing me in my worried sleep.
Outside Gusu city lies Cold Mountain Temple;
At midnight, the sound of bells reaches the ferries.
Und hier ist eine deutsche:
Mond geht unter, Krähen krächzen, Frost am ganzen Himmel,
Ahorn-Bucht, Fischfangfeuer gegen Kummer-Schlaf,
Soushu, außerhalb davon der Hanshan-Tempel,
Mitternacht und Einhalb Glocken-Ton kommt bis zum Boot.
Diese → Ahorn-Brücke (hier auch eine weitere englische Übersetzung) gibt es wirklich, und den Hanshan-Tempel bei Soushu (= Gusu) ebenfalls. Man vermutet, daß er Han Shan (寒山 = kalter Berg) heißt, weil das der Name eines einst dort lebenden Mönches war.
Das Gedicht von Zhang Ji ist jedenfalls traditionell fest mit diesem Ort verbunden, und dein Becher ist dann wohl ein touristisches Mitbringsel von ebendort.
Schönen Gruß
Metapher