"Wesen" und "Sosein"

Hallo zusammen,
nach mehrmaligem Durchlesen

kann ich immernocht nicht den Sinn des Begriffs „Sosein“ fassen und zwar, wie es sich vom „Wesen“ unterscheidet.

Der Begriff „So-sein“ ist in der Philosophie nicht eindeutig definiert. Manche bezeichnen damit das Wesen eines Dings, andere dessen Dasein, wieder andere eine Kombination von beidem. Sein systematischer Gebrauchswert ist also gering. Die buddhistische Entsprechung ist „tathata“, das wahre Wesen der Dinge. Damit ist aber nicht die Art von Wesen gemeint, welche die abendländische Philosophie im Blick hat, wenn sie von den partikularen Eigenschaften eines Dings abstrahiert und das Übrigbleibende als Essenz des Dings definiert. Vielmehr bezeichnet „tathata“ das Sein eines Dings unabhängig von seiner Perzeption durch ein kategorisierendes Bewusstsein. Das entspricht, zumindest cum grano salis, dem „Ansichsein“ eines Dinges, wie es Kant als das vom kategorialen Bewusstsein nicht erfassbare „Ding-an-sich“ konzipiert hat,

Chan

Ich danke für eine ausfühliche Antwort! Verstehe ich es richtig, dass nur Nichtlebewesen dieses Sosein besitzen? Oder soll nam den Menschen auc als Ding im philosophischen Sinne verstehen? Besitzt also ein Mensch auch ein Sosein?

Ich schrieb ja schon, dass der Begriff „Sosein“ von verschiedenen Autoren unterschiedlich gebraucht wird. Von daher ist deine Frage nicht generell zu beantworten, sondern nur in Bezug auf einzelne Theorien.

Einen interessanten Gebrauch des Begriffs macht Nicolai Hartmann, wenn er zwischen Dasein und Sosein unterscheidet und beides dialektisch aufeinander bezieht. Jedes Ding (bzw. der Mensch als Ding=Leib und Bewusstsein=Seele) hat beide Aspekte: Es ist da (es existiert) und es ist auf eine bestimmte Weise da (es ist „so“). Das Sosein ist aber keine Eigenschaft von ihm selbst, sondern wird durch das Dasein eines anderen Dings bestimmt (charakterisiert). Beispiel: Ein Ast hat dreißig Blätter. Jedes dieser Blätter hat ein Dasein (es existiert) und bestimmt zugleich das Sosein des Astes (nämlich seine Eigenschaft, Blätter zu tragen, und zwar dreißig an der Zahl). Der Ast selbst bestimmt durch sein Dasein das Sosein des Baumes, der Baum durch sein Dasein das Sosein des Waldes und dieser durch sein Dasein das Sosein der Landschaft.

Meister Eckhart unterscheidet zwischen dem ens absolute eines Menschen und seinem ens hoc et hoc (das Eckhart´sche Sosein). Das ens absolute ist das Sein des Menschen, wenn er von seiner seelischen und intellektuellen Individualität abstrahiert (d.h. von seinem ens hoc et hoc). Dieses Abstrahieren, die Negation der personalen Ichheit, führt dazu, dass das Göttliche (das ens absolute = Gott als unpersonale Kraft) in die Seele eingeht.

Für Kant ist der Mensch als „Seele“ auch ein Ding-an-sich, da diese empirisch nicht fassbar ist, ebenso wie das Ding-an-sich aller anderen Dinge unerkennbar ist.

Chan

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Vielen Dank und Guten Rutsch!