Hi!
Dein Selbstwertgefühl ist abhängig von deinem Selbstbild, also
wie du selber über dich denkst. Wenn du nun denkst, dass du in
bestimmten Bereichen Defizite hast, dann kann es sinnvoll
sein, an diesen zu arbeiten.
Ich denke nicht.
Der Beginn einer hoffentlich anregenden und spannenden Diskussion.
Jeder Mensch darf Fehler haben. Woran sie
arbeiten sollte, ist ihr Selbstwertgefühl.
Ich gebe dir recht, dass der Hauptpunkt nicht ihre (echten oder vermeintlichen) Schwächen sind. Wahrscheinlich sind ihre Fähigkeiten oder Eigenschaften nicht besser oder schlechter als bei Gleichaltrigen, sondern ihr Selbstbild verzerrt, weil man es sie so gelehrt hat. Es wäre also schön, wenn man sagen könnte, ändere dein Selbstwertgefühl, lieb dich, wie du bist, und alles ist gut. Aber so einfach ist es nicht. Man muss sich das ja auch selbst glauben. Wann fällt es einem einfacher zu glauben, dass man nicht der Blödeste, Häßlichste, Uncoolste ist? Wenn man normal ist oder wenn man
a) Bill Gates
b) Model
c) Popstar
d) etc.
ist?
Natürlich sind das Extrem-Beispiele, und man hat nicht erst dann einen Wert, wenn man in irgendwas herausragend ist. Aber es kann helfen, das Bild „ich bin schlecht in diesem Bereich“ loszuwerden, wenn man in diesem Bereich einfach unübersehbar gut ist. (Gut im Sinne von erfolgreich, fähig oder kompetent.)
Anderes Beispiel: Wer kann besser mit Mobbing umgehen? Eine normale Jugendliche oder eine, die in Karate, Schlagfertigkeit und Körpersprache trainiert wurde?
Dieser Gedanke, den ich formuliert habe, ist nicht von mir, sondern aus dem Buch „Die 6 Säulen des Selbstwertgefühls“. Wahrscheinlich ist er dort verständlicher formuliert, aber ich gebe ihn in meinen Worten wieder:
Dein Selbstwertgefühl ist die Art und Weise, wie du über dich denkst.
Die Art und Weise, wie du über dich denkst, ist zum Teil davon abhängig, wie du bist.
Ich glaube, in dem Buch ist mehr von Integrität die Rede, dann ist es verständlicher. (Ich hab es auf andere Bereiche ausgedehnt.) Also wenn du ein mieser Verbrecher bist und dich dafür selber hasst, dann solltest du vielleicht aufhören, ein Verbrecher zu sein. Und auch sonst nichts tun, wofür du dich insgeheim selbst verachtest (zum Beispiel alle möglichen Formen von Korruption und Tricksereien.) Denn du gewinnst sonst nur oberflächlich betrachtet, aber in Wirklichkeit verlierst du.
Also wenn du dir häßlich
vorkommst, dann ändere deine Kleidung, speck ggf. ab, wechsel
den Friseur, lerne Auftreten (z.B. mithilfe eines
Schauspielers oder Rhetoriktrainers). Wenn du dir dumm
vorkommst, dann streng dich an in der Schule, lese viel, eigne
dir ein breites Allgemeinwissen an, besuche Rhetorikkurse usw.
Du verstehst das Prinzip. Allerdings hat es seine Grenzen.
Das heißt doch im Umkehrschluss, dass jemand, der tatsächlich
hässlich ist, keinen Geschmack in Kleiderfragen hat, nicht
redegewandt ist und auch nicht sehr gebildet, tatsächlich
keinen „Wert“ hat, aus dem er ein "Selbstwert"Gefühl ableiten
kann - und sich deshalb erstmal verändern muss, um einen Wert
zu bekommen.
Nein, das heißt es nicht. Ich will es an einem Beispiel erklären, vermutlich dem Lieblingsbeispiel der meisten Menschen: mir selbst. Ich neige selber dazu, mich nachlässig zu kleiden, fühle mich dann aber nicht wohl damit. Wenn ich mich also für meine Kleidung schäme, dann sollte ich mir einen anderen Kleidungsstil zulegen, auch wenn sich das im ersten Moment ungewohnt und vielleicht „nicht zu mir gehörend“ anfühlt.
Und was du über Wert und Selbstwert schreibst, ist eine interessante Frage, die mich auch schon länger beschäftigt. Ich denke, dass der Wert, den wir uns selbst geben, stark abhängig ist von dem Wert, den uns die andern geben. Das hat auch mal ein Psychologe in einem Interview folgendermaßen gesagt:
Alles, was wir mit Selbst-Begriffen beschreiben, wie Selbstgefühl, Selbstwahrnehmung, Selbstwertgefühl sind eigentlich Abhängigkeiten von der Anerkennung anderer. Erst recht in unserer Gesellschaft, wo man überhaupt keinen sozialen Wert mehr hat aufgrund von Klassenzugehörigkeit, aufgrund der Tatsache, dass man ein Geschöpf Gottes ist oder dass man einer Nation angehört. Den einzigen Wert, den wir noch haben, ist der Wert, den uns das Du in einer Beziehung verleiht.
Ich stimme dir zu, dass objektiv der Wert eines Menschen nicht gleich dem ist, den die Gesellschaft ihm gibt. Aber ich denke, dass es wohl sehr wenige Menschen gibt, die den Selbstwert völlig unabhängig von dem „Wert“ entwickeln können, den man für die anderen hat. Und völlig unabhängig von Erfolgen und Misserfolgen im Leben. Vielleicht können das ein paar buddhistische Mönche, die jahrelang meditiert haben. Und ein paar Menschen, die da völlig schmerzfrei sind. Aber nicht die Mehrheit.
Zwei Aspekte dazu noch, die mich beschäftigen:
-
Das mit dem Wert erinnert mich an die Wert-Begriffe bei Marx. Ich kenne mich mit diesen Begriffen nicht aus, aber da gab es, wenn ich es richtig weiss, ja auch zwei Werte: einen, der die reingesteckte Arbeit berücksichtigt, und einen Markt-Wert, der halt sagt, was Käufer zu zahlen bereit sind.
-
Kann man überhaupt von einem objektiven Wert eines Menschen reden? Wenn ja, ist der dann bei allen Menschen gleich? (Wäre Hitler soviel wert wie Gandhi?) Wenn nicht, an welchen Kriterien soll man es festmachen? Oder landet man mit solchen Überlegungen ganz schnell bei einer Art Rassismus oder Faschismus?
Diese Tipps finde ich überhaupt nicht hilfreich.
Immerhin hab ich überhaupt mal einen Tipp gegeben außer „Geh in eine Therapie“.
Jeder Mensch hat das Recht so zu sein, wie er ist.
Also auch ein Kindermörder? Ist es nicht okay, wenn er sich schämt?
Auch ungebildete Menschen haben einen Wert, auch hässliche
Menschen haben einen Wert, und mein bester Freund hat sowas
von überhaupt keine Ahnung von Kleidung und Farben, aber ich
mag ihn, weil er so ist, wie er ist.
Kein Widerspruch von meiner Seite. Nur wenn dein Freund darunter leiden würde, dass ihn z.B. keine Frau als Partner will oder dass er eine erwünschte Führungsposition nicht erhält, dann sollte er vielleicht an seinem Äußeren arbeiten. Oder wenn sein Selbstwertgefühl darunter leidet.
Es
gibt auch superschöne Frauen, die sich trotzdem für häßlich
halten.
Also hast du gerade bewiesen, dass Schönheit gar nicht zum
gewünschten Selbstbewusstsein führen muss.
Nein, muss es nicht, ist weder notwendig noch hinreichend, aber vielleicht hilfreich. In der Praxis ist es doch so, dass das Selbstbewusstsein oft gerade auch vom „Ankommen“ beim anderen (bzw. beim begehrten) Geschlecht abhängig ist. Wenn man sich selber als graue Maus wahrnimmt, die keiner will, dann kann es helfen, wenn man sich so herausputzt, dass kein Mensch mehr auf den Gedanken „graue Maus“ käme. Nein, du bist kein besserer Mensch, wenn du attraktiver auf andere wirkst. Aber mal ehrlich, wer hat bessere Chancen auf ein gesundes Selbstwertgefühl: ein Mädel, das öfter mal „fette Kuh“ hört, oder eins, das ständig Komplimente kriegt oder angebaggert wird? Ich würde dem ersten von beiden auch sagen, dass sie okay ist, so, wie sie ist. Aber dass sie halt besser ankommt, wenn sie nicht mehr übergewichtig ist, und dass das vieles einfacher macht. Das Leben ist halt nicht fair. Man ist auch kein besserer Mensch, wenn man sich für den Beruf bestimmte Soft skills aneignet, aber eventuell steigt man damit schneller auf. Ich erinnere an die Aussage einer Frau in den Medien, die erst nach einer Entstellung kapiert hat, wieviel von der Freundlichkeit, die ihr vorher entgegengebracht wurde, ihrer Schönheit galt. Gleichzeitig ist das, was du sagst, auch sehr richtig, und auch gut, dass du es sagst. Wir können nicht alle schön sein, und wir sollten uns auch nicht abhängig davon machen. Ich finde nur, man kann es sich einfacher machen, wenn man mit angemessenen Mitteln an dem Bereich arbeitet, der einem was ausmacht. Ich weiß ja gar nicht genau, was die Fragestellerin an sich selbst nicht mag/kritisiert, und ob sie daran überhaupt etwas ändern kann. Aber wenn man es kann, dann geht das vielleicht schneller, als sich abzugewöhnen, sich von Schwächen in diesem Bereich runterziehen zu lassen.
Trotzdem gibt es bestimmt Bereiche, in denen du dir
selbst beweisen kannst, dass du nicht so schlecht bist, wie du
glaubst.
Nein, sie muss überhaupt nichts beweisen. Sie ist super, so
wie sie ist!
Das einzige, was sie tun „muss“ ist, sich selbst so zu mögen,
wie sie ist
Ja, das ist der Hauptpunkt. Wenn sie das so einfach erreicht, super. Wenn nicht, dann ist der von mir ins Spiel gebrachte Punkt vielleicht eine Abkürzung auf dem Weg dorthin, oder eine Umleitung. Es ist EIN Faktor, EIN Puzzlestein, nicht die Lösung für alles.
Übrigens ist ein weiterer Puzzlestein, dass man vielleicht erkennt mit der Zeit, dass die Dinge, die andere an einem kritisieren, völlig unwichtig, geradezu sinnfrei sind. Also wenn zum Beispiel ein Vater sein Kind ständig für schlechtes Tennisspielen oder Klavierspielen kritisiert, weil er es gerne zum Star machen würde. Oder wenn in der Schule bestimmte Sachen angesagt sind, die außerhalb dieses Mikrokosmos kein Mensch braucht (z.B. Markenkleidung). Wenn man erkennt, dass die Weltsicht des Kritikers sehr beschränkt ist.
(Als Friseurin muss ich allerdings einräumen: Eine tolle
Frisur, ein schönes Make up, ein paar tolle neue Klamotten
können sehr dabei helfen, sich selbst schöner zu finden.
Insofern darf sie das ruhig alles versuchen. Nur sollte sie
ihren Wert nicht am äußeren Erscheinungsbild festmachen.)
Nein, sag ich auch nicht. Aber der „Wert“, den sie z.B. für Klassenkameraden hat, der hängt auch am äußeren Erscheinungsbild, und den bekommt sie zurückgespiegelt. Das ist nicht fair, aber so ist das Leben.
Da inzwischen bekannt ist, dass ihre Depression ärztlich
diagnostiziert wurde, sollte sie tatsächlich eine Therapie in
Betracht ziehen. Das ist das, was ihr wirklich helfen wird.
Ja, das sollte sie auf jeden Fall machen. Ob es wirklich helfen wird - hoffen wir es. Man sollte sich keine Wunder von einer Therapie erwarten. Es ist ein langsamer Prozess. Daher denke ich, dass nach einem stationären Aufenthalt auch eine ambulante Therapie anschließen sollte.
Hinter dem geringen Selbstwertgefühl verbergen sich meist
Berge an unverarbeiteten Dingen, die sie allein gar nicht
aufarbeiten könnte.
Und mit einem Therapeuten kann man die alle einzeln aufarbeiten? So lange dauern doch die Sitzungen gar nicht. Ich glaube auch nicht, dass es nötig ist, viele Einzel-Szenen eines Lebens zu besprechen, sondern es handelt sich immer wieder um die gleichen Abläufe. Oder was meintest du mit Dinge?
nichts für ungut
Kein Problem.
Beste Grüße
Mike