Wie erklärt sich das?

Hallo,

traurigerweise fällt mir auf, dass die Presse gerade in letzter Zeit wieder sehr häufig über Misshandlungen und Tötungsdelikte an Kleinkindern berichtet. Meistens kommt der Täter anscheinend aus dem direkten Umfeld des Kindes.
Wie erklärt sich so etwas? Sehen die Täter das Kind als Sache an? Woher kommt dieses ungeheure Gewaltpotential? Sind diese Menschen vielleicht selbst als Kind Gewalttaten ausgesetzt gewesen? Haben sie keine Werte kennengelernt?
Welche Chancen hat ein überlebendes Kind, als Erwachsener ein normales Leben zu führen?
Ich hoffe, das richtige Brett gewählt zu haben und aufschlussreiche Antworten zu bekommen.

Viele Grüße,

Annette.

Hallo,

aus kriminalsoziologischer Sicht kann ich nur zu einer Frage etwas beitragen.

Der Mißbrauch findet tatsächlich ganz überwiegend im familiären Umfeld statt.
Hierzu muss allerdings angemerkt werden, dass Sexualdelikte überhaupt fast nur in diesem Umfeld stattfinden. Die Vergewaltigung der „Joggerin im Wald“ oder auch des Kindes auf dem Schulweg gibt es zwar, kommt aber im Vergleich zu familiären Delikten fast gar nicht vor. Hierfür gibt es aus kriminalsoziologischer Sicht verschiedene Gründe:

  1. Der Überfall einer fremden Frau, eines Kindes, im Wald in Verbindung mit hieraus resultierender Gewaltanwendung ist eine völlig andere Geschichte als der „Onkel“, der mal eben im Bad der kleinen über den Hintern streicht. Obwohl für das Opfer hier wenig Unterschied besteht, ergeben sich also für die Täter im familiären Bereich ganz andere und weniger „aufwendige“ Möglichkeiten.

  2. Mißbrauch setzt meist vorherigen häufigen Kontakt voraus, der ein Verlangen steigert oder weckt. Das ist im privaten Umfeld natürlich leicht zu haben. Ganz selten geht jemand einfach so los und sucht ein unbekanntes Opfer.

  3. Und nun noch etwas zur Vergewaltigung, was die meisten wohl nur schwer verstehen werden:
    Die Vergewaltigung (nicht der Mißbrauch, insb. von Kindern) ist an sich kein Sexualdelikt. Das klingt widersinnig, liegt aber darin begründet, dass es sich in den allerhäufigsten Fällen um reine Machtausübung handelt, deren Mittel der erzwungene Sex darstellt.
    Will heißen: Das Hauptziel von Vergewaltigern liegt an sich darin, die Frau zu demütigen, zu erniedrigen, Macht über sie auszuüben. Hiervon ausgenommen sind einzig die, die unter Gewalt erzwungenen Beischlag tatsächlich erotisch finden und das ist eine eher seltene sexuelle Abart.
    Die Vergewaltigung stellt hierzu das wohl wirkungsvollste Mittel dar. Ist es doch an gewalttätiger Herrschaft über die Person des Opfers nicht (selbst nicht durch deren Tötung) zu übertreffen.
    Hieraus ergibt sich auch, dass die ganz ganz überwiegenden Fälle der Vergewaltigung in Beziehungen, bzw. gerade beendeten Beziehungen geschehen. Meist hat der Mann hier ein riesen Problem, weil er der Frau in bestimmten Belangen/Situationen nicht gewachsen ist, oder weil er es nicht hinnehmen kann, dass sie ihn verlassen hat. Als Zeichen des „Du gehörst mir“ und „Ich stehe über Dir“ wird die Frau dann häufig vergewaltigt.
    Das korreliert auch mit dem Phänomen der Massenvergewaltigungen in Kriegszeiten. Auch hier spielt das sexuelle Verlangen der Soldaten nur eine ganz untergeordnete Rolle, vielmehr geht es um Sieg über und Demütigung des Feindes. Die Männer werden erschossen, die Frauen vergewaltigt.
    Gruß,
    Dea

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Und in diesen Fällen?
Hallo Dea,

erst einmal vielen Dank für die ausführliche Antwort.

Dann müsste es meiner Schlussfolgerung nach in Fällen wie Carolina, oder jetzt aktuell Tim, in erster Linie um den krankhaften Wunsch nach Machtausübung gegangen sein? So wie das durch Dich angeführte Beispiel mit den Soldaten? Vielleicht war zusätzlich Eifersucht im Spiel? Das Kind war dem Mann im Wege, es störte?
In diesen Fällen schien mir auf den ersten Blick kein Motiv erkennbar. Wahrscheinlich unterscheidet sich dieses auch noch wieder, wenn der leibliche Vater der Täter ist?
In den beiden von mir genannten Fällen war es ja der Freund der Mutter.
Und sexuelle Motive waren meiner Meinung nach in beiden Fällen nicht im Spiel.
Ich habe selbst nach wie vor nur Vermutungen, was das Motiv dieser Männer angeht.

Viele Grüße,

Annette.

Wie erklärt sich so etwas? Sehen die Täter das Kind als Sache

an? Woher kommt dieses ungeheure Gewaltpotential? Sind diese
Menschen vielleicht selbst als Kind Gewalttaten ausgesetzt
gewesen? Haben sie keine Werte kennengelernt?
Welche Chancen hat ein überlebendes Kind, als Erwachsener ein
normales Leben zu führen?

Hallo Annette,
mich beschäftigen diese Fragen auch. Manchmal kann ich schon dergleichen Nachrichten nicht ertragen. Vermutlich häufen sie sich in den letzten Jahren auch deshalb, weil das Schweigetabu solchen Taten gegenüber, das in früheren Jahrzehnten anscheinend bestand, nicht mehr so wirksam ist? Denn die Statistiken melden einen Rückgang solcher Taten an Kindern,soweit ich hörte.
Ich kann auch nur vermuten und mich auf gewisse wegweisende Erfahrungen mit der Menschenseele beziehen. Ich glaube, Du hast recht zu vermuten, daß viele solche Täter selbst Gewalt erfahren mußten als Kinder und keinerlei Chance hatten, diese Erfahrungen zu verarbeiten und für sich selbst durchfühlen zu lernen.Aber das erklärt nicht alles. Bei manchen Fällen denke ich auch, daß Männer vielleicht genervter sind vom Geschrei eines Kindes, das - noch dazu - nicht ihr eigenes ist? Wenn man sich das Schreien eines kleinen Kindes mal so anhört, bricht sich darin ja in archaischer Wucht Bedürfnis, Mangel, Not, geradezu oft wütende Forderung nach Befriedigung Bahn. Das mag schon in manchem eigene Wünsche und nie gestillte Bedürfnisse wachrufen. Und sowas geht oft an die Grenzen des Erträglichen für viele Menschen. Du erfährst schon von den liebevollsten Müttern, wie heftig sie das ewige Schreien eines entsprechend reagierenden Säuglings mitnimmt.

Was die sexuellen Aspekte vieler solcher Taten angeht, bleibe ich ziemlich ratlos. Man müßte einen forensischen Psychiater oder Psychologen fragen, der viele solcher Menschen getroffen ( und begutachtet) hat. Aber ich stimme der Betrachtung oben zu, daß sehr wesentlich die Machtausübung gesucht wird, und das geht bei Kindern ja noch leichter als bei Erwachsenen.Aber man hört ja inzwischen auch schon von Säuglingen…Neugeborenen… das bleibt auch mir ein Rätsel. Zur Machtausübung gehört doch zumindest, denke ich, ein Gegenüber, das imstande ist, die eigene Ohnmacht wahrzunehmen?

Was die Chancen für ein „normales, friedliches usw.“ Erwachsenenleben dieser Opfer-Kinder angeht, dürfte es entscheidend sein, in welchem Alter welche Art Gewalttat in welcher Weise und Dauer ausgeübt wurden. Ich glaub, je nachdem resultieren schreckliche Zerstörungen oder tiefere und differenzierte Einsicht in das Leben, die Seele und und ihre Gesetze. Aber insgesamt - ratlos I.Rüber

Hallo,

nicht ganz. Diese Machttheorie bezieht sich an sich nur auf Vergewaltigungen in Beziehungen, bzw. Frauen, die Männer für eine solche sehen.

Bei Kindern liegt der Fall etwas anders. Hier ist im Mißbrauchsbereich tatsächlich das sexuelle Verlangen der Haupttrieb. Daher gelten diese Täter ja als einerseits krank, andererseits unheilbar und daher erheblich rückfallgefährdet. Das familiäre oder freundschaftliche Umfeld begünstigt hier nur die Tat, was zur Häufung der Vorfälle wie von Dir angeführt in diesem Bereich führt.

Eine andere Situation ist die Tötung von Kindern, die die Frau von einem früheren Mann hat, durch den neuen Freund.
Dies kommt auch immer wieder vor und begründet sich wiederum ebenfalls in reiner Machtausübung. Das Tierreich, insb. bei Affen, kennt hier zahlreiche Vorbilder, in denen das neue Alpha-Tier als aller erstes die Jungen der schon begatteten Weibchen tötet.
Allerdings ist in diesen Fällen nie ein Mißbrauch gegenüber dem Kind im Spiel. Denn die Täter üben einzig Macht gegenüber der Mutter aus.
So es hier zu Sexualdelikten kommt (der leider wirklich nicht seltene Mißbrauch der Stieftochter), geht das wieder auf krankhafte sexuelle Störungen zurück. Hier wird wiederum das Verlangen durch die Nähesituation geweckt und die Ausführung erleichtert.

Die entscheidende Frage ist nun wiederum: Wie geht man eigentlich mit diesen Erkenntnissen um? Wie verhindert man diese Delikte?
Denn die Erkenntnis, dass Mißbrauch als sexuelles und Vergewaltigung als Machtdelikt eben nur in geringen Fällen durch „Unbekannte im Wald“ oder den „Schokoladeverschenker“ geschehen, zeigt, dass eine entsprechende Erziehung von Kindern (also „geh mit keinem mit“, etc.) zwar hochnotwendig ist, jedoch keineswegs Schutz gewährt. Ebenso wenig, dass sich Frauen unauffällig kleiden und vom „dunklen Park“ wegbleiben.
Und schließlich ergibt sich aus dem zwanghaften Krankheitsbild des Missbrauchs einerseits und der Eigenschaft der Vergewaltigung als Machtdelikt, das nun völlig andere und tiefere Ursachen als den Wunsch nach Geschlechtsverkehr hat, dass Strafandrohungen nur ganz eingeschränkt bis gar nicht der Abschreckung dienen.

Nun, die sexualdeliktische Seite, also der Mssbrauch von Kindern und die Vergewaltigung, die wirklich aus Lust ausgeführt wird, stellt einen hier vor riesige Probleme.
Denn einerseits ist diese Störung ja nicht erkennbar. Die Täter leben völlig unauffällig und führen (bis zum ersten Delikt) ein normales Leben. Zudem lässt sich diese Störung und das zwanghafte Verlangen kaum bis nicht heilen (man muss sich mal Interviews mit denen ansehen um einen Eindruck zu bekommen, wie sehr diese Menschen unter Zwang stehen. Insb. dann, wenn die kleine Enkelin die ganze Zeit vor ihrer Nase rumläuft). Hier stehe auch ich aus strafrechtlicher Sicht vor einem unlösbaren Problem. An sich vertrete ich eine eher liberale Strafpolitik, die insb. die Resozialiszierung im Vordergrund sieht. Aber genau das ist hier nicht möglich. Es wird wohl über kurz oder lang nicht zu vermeiden sein, krankhafte Sexualtäter vor die Entscheidung „Kastraton oder lebenslang eingesperrt“ zu stellen. Ich verabscheue das zutiefst, mir fällt aber im Hinblick auf die Rückfallquoten und die krankhafte/zwanghafte Ausprägung der Abartigkeit derzeit nichts besseres ein.

Die andere Seite, die Vergewaltigung als Machtausübung, ist hingegen lösbar, wenn auch nur langfristig. Hier liegen die Ursachen ausschließlich im erzieherischen/gesellschaftlichen Bereich.
Denn einerseits ist die Grundidee: „Frau gehört Mann“ eine typisch männliche und basiert auf überkommenen, aber noch immer vorhandenen Geschlechterbildern. Auch die Ansicht, die Frau muss zum Mann „aufschauen“, darf nicht mehr Geld verdienen als er (ja, auch hieraus folgen solche Delikte), etc., ist noch immer Teil der Erziehung und als Idee fest in unserer Gesellschaft verankert (das kann man in jeder Werbung, jedem Film sehen, jedem Buch lesen, etc.). Wer ein Kind so erzieht, bringt es natürlich in erhebliche Problem- und Angst-/Zwangsituationen, wenn eben dieses Gefüge ins Wanken gerät. Die Störung von Alltagsroutinen und -Vorstellungen führt immer zu aggressivem Verhalten. Das sind die Momente, in denen Männer „körperlich“ (Schlagen/Vergewaltigung) werden. Und dann muss es nicht mal die eigene Beziehung sein. Hier werden dann diese Verletzungen auch an anderen Frauen ausgelassen, die Selbstbewusstsein ausstrahlen („um ihnen mal zu zeigen, wer hier der Mann ist“).

Man muss natürlich sehen, dass wir in einer Umbruchszeit sind, die dieses Delikt geradezu heraufbeschwört. Für die jetzigen Jugendlichen mag das nicht mehr so schwer sein. Die Generationen aber, die in den 70er jahren jung waren, haben sehr gestörte Männer hervorgebracht, die noch im alten Geist und Geschlechterbild erzogen wurden, sich aber mit einer völlig anderen Realität konfrontiert sahen (ähnlich ist jetzt auch das Problem der Migrantenkinder aus südeuropäischen Ländern, die in ihren alten Traditionen erzogen sind aber einen westlichen Umfeld aufwachsen). Viele haben das nie verarbeiten können.

Wie auch immer, es bleibt zu hoffen, dass letzteres Problem durch die Entwicklung zu einer selbstverständlichen (nicht nur wie jetzt rechtlichen oder im Geiste ansatzweisen) Gleichwertigkeit der Geschlechter auch die Vergewaltigung als Machtdelikt stark eindemmen wird.
Gruß,
Dea

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Hallo dea,

der Ausgangsposterin geht es wohl eher um die Hintergründe für Kindes mißhandlung , weniger um Kindes mißbrauch.

Viele Grüße
Diana

Und sexuelle Motive waren meiner Meinung nach in beiden Fällen nicht im Spiel.
Viele Grüße,
Annette.

Hallo,

ohja, tatsächlich! Da sollte ich genauer lesen. Naja, hoffe dennoch niemanden gelangweilt zu haben :wink:
Gruß,
Dea

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Noch etwas
Hallo noch einmal,

stimmt, ich bezog mich auf Kindesmisshandlung und die vorsätzliche Tötung von Kindern.
Ich könnte mir vorstellen, dass dieser Alphatier- Instinkt zu früheren Zeiten (Steinzeit) vielleicht auch bei uns Menschen eine Rolle spielte. So könnte es vielleicht in Notzeiten oder nach der Geburt eines kranken Kindes zu einer solchen Handlung gekommen sein.
Aber ich denke, diese Zeiten sind vorbei, und wer so etwas heute tut, kann sich darauf wohl nicht mehr berufen.

Besonders schlimm finde ich, wenn Mütter, offenbar aus Angst vor dem gewalttätigen Mann, nicht einschreiten. So soll es im Falle des kleinen Mädchens aus Oberbayern, welches erschlagen in einer Krankenhaustoilette gefunden wurde, gewesen sein.
Wenn dieses Mädchen überlebt hätte und sich von den körperlichen Verletzungen erholt hätte, wie wäre wohl ihre Zukunftsperspektive gewesen? Ich fürchte, sie hätte große Probleme gehabt, anderen Menschen noch einmal wieder vertrauen zu können.

Über Missbrauch und die Folgen liest man ja ziemlich viel, aber zu diesem Thema scheint es nur wenig Informationen zu geben. Oder kennt da jemand Quellen?

Viele Grüße,

Annette.

Hallo Irmtraut,

vielen Dank für die ausführliche Antwort.

Mir geht es auch so, ich möchte manchmal keine Nachrichten mehr ansehen. Selbst wenn die Statistik rückläufig ist, jeder Fall ist einer zu viel.

Viele Grüße,

Annette.

Hallo Annette,

hier ist eine Quelle, allerdings englischsprachig: „Long-term Consequences of Child Abuse and Neglect“ von 2005: http://nccanch.acf.hhs.gov/pubs/factsheets/long_term…

Viele Grüße
Diana

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My English…

…is leider very dürftig, I´m sorry!

Liebe Diana,

das ist wirklich nett gemeint, aber ich fürchte, meine Englischkenntnisse sind nicht mehr die besten.
Ich habe gerade einmal versucht, da durchzusteigen. Gerade bei wissenschaftlichen Texten ist mein englischer Wortschatz nicht ausreichend.

Lacht mich bitte nicht aus, aber ich bräuchte etwas auf Deutsch. Hast Du da noch etwas, oder sonst jemand?

Trotzdem, Danke!

Annette.

Hallo Annette,

im englischsprachigem Raum wird das Thema Kindesmißhandlung schon sehr lange untersucht, deshalb sind viele Texte dazu in Englisch erschienen. Hier findest Du ein paar Links und Texte, die sich mit den gesundheitlichen Folgen von (früh-)kindlicher Gewalterfahrung und Vernachlässigung befassen:

http://dggkv.de/internetlinks.html (Runterscrollen bis Literaturdatenbank)
http://www.kindesmisshandlung.de/pageID_2813949.html

Zu den Langzeitfolgen liefert diese Zusammenfassung einer Tagung sehr interessante Hinweise: http://www.agsp.de/html/n183.html

Viele Grüße
Diana

2 Like

Hallo Diana,

vielen Dank, das hat mir jetzt ein gehöriges Stück weiter heholfen.

Viele Grüße,

Annette.

Hallo,

Hi Annette,

es heißt, die Statistiken seien rückläufig und parallel dass die Medien heute mehr berichten würden als früher. Dennoch beschleichen mich mulmige ungute Gefühle, wenn Gewalttaten früher in den Staaten waren und heute in der Nachbarschaft.

traurigerweise fällt mir auf, dass die Presse gerade in
letzter Zeit wieder sehr häufig über Misshandlungen und
Tötungsdelikte an Kleinkindern berichtet. Meistens kommt der
Täter anscheinend aus dem direkten Umfeld des Kindes.
Wie erklärt sich so etwas? Sehen die Täter das Kind als Sache
an?

Manche Eltern mögen Kinder als Besitz ansehen. Es gibt u.a. Sprüche wie „Du gehörst mir.“ bzw. ein Ausdruck von Macht „Solange Du deine Füße unter meinen Tisch stellst, tust Du was ich dir sage.“.

Woher kommt dieses ungeheure Gewaltpotential?

Meines Erachtens hat jeder Mensch die Geschichte seiner Ahnen in den Genen. Alles was nicht aufgearbeitet wird, wird immer höher potenziert an die Umwelt, insbesondere Nachkommen im nahen Umfeld, weitergegeben.

Sind diese

Menschen vielleicht selbst als Kind Gewalttaten ausgesetzt
gewesen?

Teils sicherlich. Teils haben Menschen auch nicht das an Förderung, Liebe… erhalten was sie für ihre eigene bio-psycho-soziale Entwicklung bedurft hätten.

Haben sie keine Werte kennengelernt?

Wohl teils, teils. Doch Wert sind relativ, auch relativ viele Werte werden weitergegeben / entwickelt.

Welche Chancen hat ein überlebendes Kind, als Erwachsener ein
normales Leben zu führen?

Das hängt wohl sicherlich auch davon ab, wie das Kind das Traumata erebt hat, wie robust es ist und wie behutsam und erfolgreich
die Therapie vonstatten geht.

Ich hoffe, das richtige Brett gewählt zu haben und
aufschlussreiche Antworten zu bekommen.

Vorstellen kann ich mir, dass an Kindern Gewalt ausgeübt wird, schlichtweg weil sie das schwächste Glied der Kette sind. Es tritt sich einfacher nach unten als nach oben. Mag auch sein, dass Kinder die als störend / nervend erlebt werden, die eigene Bedürfnisse anmelden wollen, die mögliche problematische Situation des gewalttätigen Erwachsenen noch weiter zuspitzen läßt. Jemand der mit sich, seinen Sorgen und Wünschen nicht gut zurecht kommt, ist bei einem gewalttätigen Potenzial auch nicht offen für die Bedürfnisse anderer. Mag auch sein, dass da der Mensch ja dazu neigt die Eigenverantwortung als Sündenbockfunktion auf andere zu schieben, dem Kind diese Funktion zugedacht wird. So nach dem Motto: wärst du nicht geboren worden, hätte ich dich nur nie bekommen, so ginge es mir heute richtig gut. Du bist Schuld an meinem beschissenen Leben, könnte jemand irriger Weise annehmen.

Daraus resultiert für mich noch ein Nebenaspekt. Wenn auch biologische Eltern ihre Kinder erziehen, so erziehen auch immer mehr soziale Väter und Mütter die biologischen Kinder anderer Eltern. Auch Großeltern übernehmen vermehrt Erziehung, wenn Eltern arbeiten müssen. Von daher wäre eine Überlegung, ob darin nicht auch die Möglichkeit zu erkennen ist, dass wir Alle mehr Eltern werden sollten. Damit meine ich, wieviele Leute sehen weg, wenn Kinder mißhandet werden?! Viele Leute argumentieren damit, dass sie in nichts hineingezogen werden wollen, keinen Ärger bekommen wollen. Dabei scheint es gleich zu sein, dass Menschenkinder leiden müssen. Wenn Nachbarn oder das soziale Umfeld mitbekommt, dass Kinder oder Menschen die sich nicht bzw. schlecht wehren können, mißhandelt werden, wäre es angesagt, mehr Zivilcourage zu entwickeln. Doch wie gesagt, das ist nur ein kleiner Nebenaspekt.

Viele Grüße,

Annette.

Ciao,
Romana

Hi,

Du hast die Frage etwas abgewandelt und beantwortet. :smile:

Einer der Menschen der mir am nächsten in meinem Leben war, saß einige Jahre im Gefängnis wegen Mißbrauch von Schutzbefohlenen.

Kennengelernt hatte ich ihn bevor er in den Knast eingefahren ist. Er sagte mal, er habe was gemacht, was früher gut gewesen sei und wofür er heute verurteilt werden würde. Doch er stritt später immer ab die Kinder / Jugendlichen mißbraucht zu haben.

Nun, ich war nie dabei. Und so ich ihn kennenlernte, originell, humorvoll, geistreich, wortgewandt, konnte bzw. wollte ich mir diese andere Seite nicht vorstellen. War und bin ihm heute gegenüber auch noch sehr ambivalent. Dennoch hat er mir, ohne dass er viel konkret in Worten dazu beigetragen hätte, viel für mich und meine Entwicklung getan.

Nun, er hatte beruflich Teenager um sich, was ja noch kein Indiz für Päderasterie sein muß. Als ihn mal ein jugendlicher Freund besuchte, balgte er sich mit diesem auf dem Bett rum. Einerseits fand ich es lustig und war auch etwas traurig, denn ich hätte gerne mitgemacht. Doch dann kamen bei mir sehr eigenartige, mulmige Gefühle hoch. Und zwar als er den Jungen fragte, ob er ihn ins Ohr beißen dürfe. Das fand ich sehr befremdend. Ich sah seinen suchenden Blick, den er auf den Jungen richtete. Dieser war schüchtern, wirkte in dem Moment nahezu erstarrt. Ich wußte nicht zu reagieren, ein Teil in mir wollte dazwischen gehen, ein anderer meinte, ich würde mir da was einbilden. Als ich ihn später damit konfrontierte, blockte er ab, er müsse da mal drüber nachdenken. Ein oder zwei Tage vorher hatte er noch zu mir gesagt, wie geil ihn das machen würde, wenn ihn jemand ins Ohr beißen würde. Und dann will er in das Ohr dieses jugendlichen Freundes beißen? Very mixed emotions.

Einmal meinte er, eine seiner Freundinnen habe gesagt, sie hätte den besten Sex ihres Lebens mit ihrem Vater gehabt. Na, vielleicht bin ich trotz aller Offenheit doch etwas zu konservativ. Doch da sind bei mir einfach Grenzen erreicht. Selbst wenn der Akt als solches theoretisch als schön empfunden werden könnte, woran ich schon zweifle, wie sollte das klappen bei diesem Ausnutzen von Macht und Vertrauen? Er tat so, als ob der Freier, der Ältere, das Opfer wäre, den die Jugendlichen finanziell sehr ausbeuten würden. Klar, hier ging es um Stricher. Er sah es halt immer aus seiner sehr eigenen Sicht.

Ich hörte mal wie ein paar Frauen über ihn sprachen und sich darüber belustigten, dass er ja kein Mann sei, dass er asexuell sei. Und das wo Sex sein Lieblingsthema war. :smile: Er mußte sogar seinem Anwalt schreiben, dass er sich am Morgen einen runtergeholt hat. An seinem Sexleben hatten mehr Leute teil als denen teils wohl lieb war.

Erst war ich ärgerlich über die Aussagen der Frauen. Wie konnte sie so über einen Menschen reden. Doch dann schaute ich ihn mir genauer an. Und ich denke, sicherlich umgab er sich gerne mit Jugendlichen, da diese nicht nur lebendiger waren (was für ihn der Grund war) als Erwachsene sondern sie ihm auch noch nicht so gewachsen waren. Sie himmelten ihn an und er ein seltenes Exemplar an Narzisst genoss es. Einmal meinte er zu mir, natürlich nur im Scherz, der Sinn / Wert meines Lebens wäre der ihn kennen und huldigen zu dürfen. Klar, ich lachte darüber. Doch von ihm kamen halt viele solcher Sprüche, die seine Grandiosität ausdrückten.

Sollte er tatsächlich auch mit diesen Jugendlichen Sex gehabt haben, so wohl deshalb weil seine Sexualität einen auf mich recht unschuldigen / kindlichen Eindruck machte. Ich kann das nicht gut erklären, doch ich hörte mal wie er onanierte (mei, dünne Wände) und das klang mehr wie ein Seufzen. Da war keine Leidenschaft, das klang wie unschuldige Säuglingsonanie. Natürlich ist nicht jeder der keinen leidenschaftlichen Sex hat ein Sexualstraftäter. Nur ich denke einfach, er wäre einer Frau oder einem anderen Mann (bisexuell) nicht gewachsen gewesen.

Auch wuchs er unter Frauen auf, hatte nie eine Vaterfigur kennenlernen dürfen. Und die Frauen waren dann auch noch recht dominant.

Ich kann mir vorstellen, dass eben dieses Unschuldige, dass sie noch keine Frau sind die einen Mann „verschlingen“ kann, ein Grund für sexuelle Übergriffe ist. Wobei natürlich auch leider Jungen sexuelle Übergriffe erleben müssen. Und wenn der Mißbrauch primär im familiären Umfeld stattfindet, dann wohl deshalb auch, nicht nur wegen der Gelegenheit, der „Nähe“, sondern dass teils Tochter mit Mutter ausgetauscht wird. Sprich man(n) holt sich von (Stief-)Tochter, was er nicht von Ehefrau bekommt. Es ist beides Familie, die „ihm“ gehört.

Die Rückfallquote mag sehr hoch sein, doch ich weiß nicht ob das an der Therapieresistenz der Sexualstraftäter liegt (und ich erlebte das Leugnen bei diesem Mann auch bzw. kenne auch aus Interviews Aussagen, dass das Kind / der Jugendliche / die Frau es ja gewollt habe) oder nicht auch eher daran, dass es dafür noch nicht viele gut ausgebildete Fachkräfte gibt bzw. dass hier greifende Therapiemethoden noch gar nicht so sehr erfolgreich entwickelt worden sind.

So ich aus dieser Zeit weiß, wollten viele Therapeuten nicht mit Sexualstraftätern arbeiten, teils weil sie sich überfordert fühlen und teils aber auch, weil sie Angst um ihren Ruf haben, wenn sie „so jemanden“ helfen. Es ist ja scheinbar auch so, dass ein Mörder im Knast mehr respektiert wird als ein Vergewaltiger oder „Kinderficker“. Die sind nach Aussagen eines anderen Ex-Knackis (Drogenkonsum) noch weit unter den Mördern angesiedelt, die wären nur noch Abschaum, das Allerletzte. Sie bleiben auch zumeist in ihren Zellen, um Vergewaltigungen, Pöbeleien und Schlägen aus dem Weg zu gehen.

Es stellt sich also die Frage, sind diese Täter tatsächlich schwer bis nicht therapierbar oder gibt es zu wenig gute Therapeuten / Ärzte und Methoden bislang?

Ciao,
Romana

Hi,

hab eben erst gesehen, dass noch jemand antwortete…:wink:

Nur einige kurze Anmerkungen:

Ich kann mir vorstellen, dass eben dieses Unschuldige, dass
sie noch keine Frau sind die einen Mann „verschlingen“ kann,
ein Grund für sexuelle Übergriffe ist. Wobei natürlich auch
leider Jungen sexuelle Übergriffe erleben müssen. Und wenn der
Mißbrauch primär im familiären Umfeld stattfindet, dann wohl
deshalb auch, nicht nur wegen der Gelegenheit, der „Nähe“,
sondern dass teils Tochter mit Mutter ausgetauscht wird.
Sprich man(n) holt sich von (Stief-)Tochter, was er nicht von
Ehefrau bekommt. Es ist beides Familie, die „ihm“ gehört.

Das ist sicher möglich und korrespondiert auch zT. mit meinen Aussagen.
Insg. geht es hier aber letztlich wieder um sexuelle Handlungen und weniger um Machtausübung durch Vergewaltigung, also Bruch der anderen Persönlichkeit. Insofern ist das auch ein sehr interessantes, aber etwas anders gelagertes Thema.

Die Rückfallquote mag sehr hoch sein, doch ich weiß nicht ob
das an der Therapieresistenz der Sexualstraftäter liegt (und
ich erlebte das Leugnen bei diesem Mann auch bzw. kenne auch
aus Interviews Aussagen, dass das Kind / der Jugendliche / die
Frau es ja gewollt habe) oder nicht auch eher daran, dass es
dafür noch nicht viele gut ausgebildete Fachkräfte gibt bzw.
dass hier greifende Therapiemethoden noch gar nicht so sehr
erfolgreich entwickelt worden sind.

Die Rückfallquote ist so hoch, weil es sich um eine Krankheit handelt, die derzeit praktisch nicht therapierbar ist. Hierin liegt auch das große Dilemma dieser Menschen, welches in der Öffentlichkeit nicht verstanden wird/werden will. Es geht nicht nur um das Ausleben von Neigungen, es ist krankhafter Zwang. Wer Beschreibungen derjenigen hört, die darunter und unter den Taten leiden, sieht ein Bild des Schreckens, aus dem sie nicht heraus kommen. Viele wollen daher sogar weggesperrt werden.
Das hat nichts mit Entschuldigung zu tun sondern ist einfach eine Analyse der Mechanismen. Insofern stellt sich hier wirklich die Frage, wie die Gesellschaft mit ihnen umgeht. Ein sehr heikles Thema.

So ich aus dieser Zeit weiß, wollten viele Therapeuten nicht
mit Sexualstraftätern arbeiten, teils weil sie sich
überfordert fühlen und teils aber auch, weil sie Angst um
ihren Ruf haben, wenn sie „so jemanden“ helfen.

Ja, die sind gesellschaftlich nur verachtet. Die Taten sind auch das verachtenswerteste, was es gibt, nur handelt es sich eben um eine kranhafte Störung.

Es ist ja
scheinbar auch so, dass ein Mörder im Knast mehr respektiert
wird als ein Vergewaltiger oder „Kinderficker“. Die sind nach
Aussagen eines anderen Ex-Knackis (Drogenkonsum) noch weit
unter den Mördern angesiedelt, die wären nur noch Abschaum,
das Allerletzte. Sie bleiben auch zumeist in ihren Zellen, um
Vergewaltigungen, Pöbeleien und Schlägen aus dem Weg zu gehen.

Das stimmt. Gefängnis ist die Hölle für die. Aber ich dachte immer, Mörder hätte da recht hohes Ansehen.

Es stellt sich also die Frage, sind diese Täter tatsächlich
schwer bis nicht therapierbar oder gibt es zu wenig gute
Therapeuten / Ärzte und Methoden bislang?

Wie gesagt, es gibt derzeit praktisch keine funktionierende Therapie und es sind auch keine vorübergehenden Störungen. Das ist das Problem.
Gruß,
Dea