Wie hieße das heute?

Hallo,

ich interessiere mich für die Geschichte der deutschen Sprache und bin auf ein Gedicht gestoßen, das vom Einfluss des Französischen auf die deutsche Sprache im 17. Jht zeugt.
Es handelt sich eigentlich um ein Spottgedicht, in dem der Verfasser alle damals üblichen Gallizismen gesammelt hat. Obwohl ich Franzose bin, bereitet mir das Verständnis einige Schwierigkeiten. Wer kann mir sagen, wie der Text heute ohne Gallizismen lauten würde?
Den Anfang verstehe ich mehr oder weniger (abgesehen von"Euer Gunst Meriten/machen zu Falliten/ meine Patienz" : die Vorzüge Eurer Gunst strapazieren meine Geduld?). Unverständlich wird es für mich ab „Ich admiriere…“. Ich errate den Sinn der einzelnen Wörter, aber einen Sinn ergibt das Ganze nicht.

Reverierte Dame

Phönix meiner Ame

Gebt mir Audienz

Euer Gunst Meriten

Machen zu Falliten

Meine Patienz

Ach, ich admirire (bewundere)

Und considerire (betrachte)

Eure Violenz (wörtlich: Gewalt - hier : Unbarmherzigkeit?)

Wie die Liebesflamme

Auch brennt, sondern blasme (blâme = Vorwurf? > ohne Vorwurf)

Gleich der Pestilenz ( = Pest).

Ich frage mich, ob der Verfasser auf den Sinn der Wörter Wert gelegt hat, oder ganz einfach Gallizismen aneinandergereiht hat. Was meint Ihr?

lg

Benoît

Salut Benoît,

Tout ce que tu énumères ici a une signification - mais on ne peut juger de l’importance que l’auteur a accordée à cette signification que dans le contexte de l’ensemble du texte.

Pourrais-tu présenter ou mettre en lien ce texte dans son intégralité ?

Cordialement

MM

Hallo Aprilfisch,

schön, dass jemand bereit ist, sich den Kopf zu zerbrechen über dieses Gedicht. Hier ist der ungekürzte Text::

Reverierte Dame

Phönix meiner Ame

Gebt mir Audienz

Eurer Gunst Meriten

Machen zum Falliten

Meine Patienz

Ach, ich admiriere

Und consideriere

Eure Violenz

Wie die Liebesflamme

Mich brennt sonder blasme (blâme ?)

Wie die Pestilenz

Ihr seid sehr capable

Ich bin peu valable

In der Eloquenz,

Aber mein Servieren

Pflegt zu dependieren

Von der Influenz.

Anonymer Verfasser.
Entstanden gegen Ende des Dreißigjährigen Krieges.

nach Georg Winter, Das deutsche Volkslied (1906), cité d’après l’éd. Verone Publishing, 2016, p. 15.

liebe Grüße

Benoît

Hallo Benoît,

das Gedicht (jetzt sehe ich, dass es ja ein Text am Stück ist - die Leerzeilen hatten meinen Blick verwirrt) ist sicherlich nicht mit einem Sinn oder einer Aussage „für sich selbst“ verfasst, sondern als Persiflage auf die barocke „Frankreichmode“ der Zeit. Von heute aus nur mit Holpern zu verstehen, weil die heute noch vorhandenen Gallizismen wie Trottoir, Perron, Portemonnaie usw. eher aus der späteren Frankreichmode des 19. Jahrhunderts stammen. Das einzige, was man unmittelbar im heutigen Deutsch wiederfindet, ist die zur Zeit der Entstehung noch kaum übliche Dame.

Ich probier es mal:

Hoch verehrte Dame,
Phönix meiner Seele,
Erlauben Sie mir, Sie unter vier Augen zu sprechen -
Der Preis Ihrer Zuneigung
Macht meine Geduld
Völlig zunichte.
Ach, ich bewundere
und finde bemerkenswert
Ihren Schwung (oder auch sowas wie „Impetus“, kommt mir hier passender vor als Gewalt) -
wie die Liebesflamme
auch brennt, ohne Schande,
und so heftig wie ein Pestzug.

Die Violenz kann gut in ihrer Bedeutung bei der Übernahme ins Deutsche verrutscht sein - für das dazugehörige Adjektiv violent führt der Robert gleich am Anfang seines Artikels als Synonym impétueux an. Bei blâme bin ich ziemlich sicher, dass die Bedeutung im Deutschen in die Richtung „Schande“ verschoben ist, die heute noch in der Blamage mitklingt.

Ach, weil es so hübsch ist, an dieser Stelle noch die schönste Verschiebung der Bedeutung bei der Einwanderung eines französischen Wortes ins Deutsche - Du hast Dich ja schon hie und da mit Gallizismen im Deutschen beschäftigt. Ist das schon zu lange aus der Mode, oder ist Dir dabei noch begegnet, dass im Deutschen in den 1950er - 1970er Jahren vor allem bei Kleidung für lässig, ungezwungen, sportlich ein Adjektiv verwendet wurde, das man tunlichst nicht verwenden sollte, wenn man einer Französin Komplimente machen möchte: ausgerechnet salopp!

Schöne Grüße

MM

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Hallo Aprilfisch,

iChapeau! Ich bewundere sowohl deine Französischkenntnisse als auch dein literarisches Feingefühl. Deine Vorschläge finde ich recht überzeugend, Deine Übersetzung von „blâme“ finde ich sehr gelungen. Es fiel mir schwer, mich von der heutigen Bedeutung des französischen Wortes zu distanzieren - aus mangelnder Vertrautheit mit der frz. Sprache aus dem 17. Jht.
Ich teile deine Ansicht über die Intention des Verfassers. Ich glaube, der Spott ist ihm wichtiger als der Sinn.
Vielen Dank für deine Hilfe! Woher kannst du so gut Französisch?
Liebe Grüße

Benoît

In diesem Kontext würde ich vorschlagen:

„Eure Violenz“ → „Ihre umwerfende Erscheinung“.
Analog zum englischen „she’s a knockout“

,Gruß
Metapher

hab ich ganz überlesen. Da wird es dann (meine ich) von Sinn und Inhalt her ziemlich krude und ist nur noch konstruiert, um die gewünschten Begriffe unterzubringen:

Ihr seid sehr eloquent,
ich verstehe davon nicht viel.
Aber wie ich jemandem zu Diensten bin
hängt davon ab
welchen Einfluss er auf mich hat.

Das habe ich den in der gewesenen französischen Besatzungszone in den 1960er-1970er Jahren sehr aktiven Städtepartnerschaften zu verdanken, in deren Rahmen wir im geeigneten Alter ca. 14 - 18 (die heutigen „Erasmus“-Programme setzen zu spät im Leben an) ohne organisatorischen und mit sehr geringem finanziellen Aufwand im Schüleraustausch nach Frankreich reisen konnten: Auf diese Weise wurde Frankreich nicht nur für mich eine Art „Fenster nach draußen“, elternfreie Zone und Sehnsuchtsort. Ich glaube, wenn man sich mit dem Zusammenbauen des dann später ein bisselchen sehr schnell gewachsenen EU-ropas ähnliche Mühe gegeben hätte wie mit dem Zusammenbringen von Deutschen und Franzosen, würde es der EU heute in einiger Hinsicht besser gehen. Natürlich war das zwischen diesen beiden Ländern besonders wichtig - es gibt sonst in Europa wohl kein anderes Paar, das sich seit immerhin fast 1.200 Jahren in derartig ausgeprägter Hassliebe begegnet und sich pro Jahrhundert mindestens einmal, eher mehrfach übel gerauft hat und selbst dann nicht aufhören konnte, als man hätte glauben können, dass es nach Verdun keine Steigerung der Barbarei mehr geben könnte. Aber es könnte an anderen Grenzen, wie etwa der Oder, schon auch gut tun, wenn die Leute möglichst bereits in der Jugend mehr miteinander zu tun hätten, und wenn es nur ist, um zu sehen „Der ist ja wie ich!“…

In diesem Sinne

MM

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Hallo Metapher,

danke für deinen Vorschlag. Von selbst wäre ich nicht darauf gekommen, denn der englische Ausdruck war mir nicht bekannt.
lg
Benoît

Hallo Aprilfisch,

danke für diese Erinnerungen und die Reflexionen, die sie begleiten. Ich stimme dir völlig zu. Ich habe selbst Deutschland im Rahmen eines Scüleraustauschs entdeckt. Das war 1977 in Osnabrück. Unvergessliche Erinnerungen: die ersten Mohn- u. Sesambrötchen, das deutsche Abendbrot, Mettwurst (schade, dass man in Frankreich keine findet!), Königsberger Klöpse, Marzipan, Eierlikör, üppige Torten mit Sahne, die ZDF-Hitparade mit Dieter-Thomas Heck…
Ich bedauere es (ohne politische Hintergedanken), dass ich die DDR vor der Wende nicht gekannt habe. Ich war erst 1991 in Köthen. Manches hatte sich bereits geändert. Es gab noch ein paar Trabis und Wartburgs, aber das DDR-Flair war schon größtenteils verflogen.
Schade, dass heute so wenige frz. Schüler Deutsch lernen. Jahrzehntelang haben linke Lehrer Deutsch eine elitäre Sprache genannt. Das hat Spuren hinterlassen.
Ich wünsche dir einen schönen Sonntag!
Benoît