Bezieht sich aufs Ruhrgebiet.
Dort hilft - zumindest im Kerngebiet der früheren Montanindustrie, etwa einem Dreieck Duisburg - Recklinghausen - Dortmund - eigentlich nur Wegziehen, zumal die Nachfrage nach Konsumgütern und einigen Dienstleistungen, die derzeit noch von gewesenen Bergleuten und Stahlkochern mit recht komfortablen Rentenbezügen getragen wird, im Lauf der kommenden Jahre auch noch wegbröseln wird und derzeit keine Aussicht besteht, dass irgendwas an die Stelle der früheren Industrien im Pott treten wird.
Schöne Grüße
MM
Hallo MM,
ich hoffe sehr, dass Du den Aufruf zur Entvölkerung des Ruhrgebiets nicht ernst gemeint hast! Soooooo toll ist der manchmal sehr engstirnige Süden Deutschlands ja auch nicht.
Relaxte Grüße aus dem Norden. Im totalen Ernstfall schlage ich mich aber auf die Seite des Ruhrgebiets und haue Dir dann Deine Ansammlung vermischten Fakten - und Glaubenswissens rechts und links um die Ohren.
Mit fröhlichen Grüßen
Amokoma1
Servus,
welche Alternative für einen Arbeitsuchenden mittlerer Qualifikation gäbe es denn zum Wegziehen?
Im beschriebenen Dreieck liegen die Arbeitslosenquoten in der Gegend von 9 - 10 Prozent, und wie beschrieben gibt es keinerlei Aussicht darauf, dass sich das mittelfristig ändern wird - eher im Gegenteil, weil wie beschrieben eine ganze Menge lokaler Kaufkraft von Jahr zu Jahr durch Ableben weniger wird.
Derartige Arbeitslosenquoten sind messbar und keine Glaubensfragen. Sie sind unabhängig von der Attraktivität einer Region, allerdings in dieser Höhe bei derzeitiger Wirtschaftslage in D ziemlich regelmäßig an den Orten zu finden, wo eine einst blühende wirtschaftliche Monokultur seit ihrem Verschwinden durch nichts ersetzt worden ist. Vgl. z.B. auch die Schuhstadt Pirmasens mit etwa 11 Prozent Arbeitslosigkeit, aber etwa auf dem 49. Breitengrad gelegen. Nicht im Norden, aber doch in nördlicher Richtung gelegen sind Wilhelmshaven mit etwa 12 und Bremerhaven mit etwa 16 Prozent Arbeitslosigkeit - bei beiden ebenfalls das Phänomen, dass nicht mehr konkurrenzfähige Wirtschaftszweige an sehr teuren Infusionen höngend zu Ende gepflegt wurden und die dafür aufgewendeten Mittel fehlten, um etwas Neues an deren Stelle zu fördern. Die Lage im Dreieck Duisburg - Recklinghausen - Dortmund ist allerdings viel dramatischer als zwischen Pirmasens und Landau, weil es bei dieser Frage nicht bloß um relative Zahlen, sondern auch um absolute geht, und das Ruhrgebiet nach wie vor ziemlich dicht besiedelt ist: D.h. die in diesem Dreieck ohne brauchbare Perspektive lebenden jungen bis mittelalten Leute sind ganz schlicht enorm viele. Übrigens: Wir werden es vermutlich beide noch erleben, dass auch in Schwelgern (Duisburg-Marxloh) der Ofen aus sein wird. Dann ist nicht nur Schicht im Schacht, sondern auch der letzte Hochofen Geschichte.
Dass Wegzug bis hin zur zumindest örtlichen Entvölkerung eine Besserung leichter bringen kann als die artifizielle Ansiedlung einer Art von Retortenindustrie, zeigen die schlimm von der Deindustrialisierung der DDR betroffenen Ober- und Niederlausitz, die heute deutlich bessere Arbeitslosenquoten aufweisen als der beschriebene Teil des Ruhrgebiets - dabei gab es z.B. in den Leineweberdörfern Eibau, Walddorf und Oberoderwitz nach dem plötzlichen Zusammenklappen der Textilindustrie Anfang der 1990er Jahre zeitweise Arbeitslosenquoden in der Gegend von 70 - 80 Prozent. Richtig gut geht es nicht seither, aber immerhin bewegen sich die Arbeitslosenquoten heute bei 6 - 7 Prozent, was zwar nicht besonders schön ist, aber doch nicht so völlig hoffnungslos wie im Ruhrgebiet. Vor allem in der Niederlausitz steht der Rückgang der Arbeitslosigkeit in ziemlich direktem Zusammenhang mit Wegzug von Arbeitskräften, schau Dir mal z.B. die Entwicklung in Senftenberg an.
Schöne Grüße
MM
Hallo,
[quote=„Amokoma1, post:23, topic:9459235, full:true“]
ich hoffe sehr, dass Du den Aufruf zur Entvölkerung des Ruhrgebiets nicht ernst gemeint hast! [/quote]
ergänzend zu Martins völlig richtigen Ausführungen: mit einer dauerhaft hohen Arbeitslosenquote geht auch eine allgemeine Verlumpung einher. Eine Staat mit vielen Arbeitslosen hat hohe verpflichtende Ausgaben für Bedürftige und gleichzeitig geringere Einnahmen. Das führt zu einer maroden Infrastruktur, schlecht ausgestatteten Schulen, brachliegender Kulturlandschaft und einem sterbenden Einzelhandel, weil die verbleibende Klientel noch viel mehr schauen muß, daß sie die billigsten Preise abgreift. Selbst wer bei ThyssenKrupp, RWE, Klöckner & Co. oder den Duisburger Häfen arbeitet, überlegt es sich ab einer gewissen Gehaltsstufe sehr genau, ob er in Duisburg, Essen, Gelsenkirchen oder Dortmund wohnen bleibt.
Die Städte verfallen seit 20 Jahren zusehends. Das gilt übrigens auch z.B. für Mönchengladbach seit dem großen Textilsterben, das zwar eigentlich schon seit rd. 100 Jahren anhält, aber in den letzten 30 Jahren so richtig Fahrt aufgenommen hat. Natürlich gibt es in Essen, Duisburg oder Recklinghausen auch nette Ecken, aber eine nette Wohnlage verführt nicht zwangsläufig zum Einkaufen oder gar Arbeiten in einer heruntergekommenen Innenstadt. Insofern laufen der Region die Leute weg und zwar vor allem die jungen, gut ausgebildeten - zumal die es gar nicht so weit zu laufen haben: Düsseldorf liegt nur einen Steinwurf entfernt. Und weil die Staat so attraktiv ist, lohnt es sich immer weniger zu pendeln, d.h. die Leute arbeiten nicht nur woanders, sondern ziehen auch weg.
Gruß
C.
Das kann ich so nicht verstehen und auch nicht stehen lassen.
Anstelle der früheren Industrien und Zechen entstehen hier sehr wohl diverse Dinge.
Nehmen wir Oberhausen als Beispiel. Das CentrO ist ein Ort den fast jeder in Deutschland kennt. Hier entsteht auf altem Industriegelände ein Einkaufszentrum mit rund 250 Geschäften, Freizeit Anlagen und Gastronomie. Es werden dadurch Tausende Arbeitsplätze geschaffen in allen bereichen. Vom Hausmeister über Köche in der Gastro, Verkäufer im Einzelhandel bis zu den Leuten im Büro hinter den Kulissen. Nicht zu vergessen die zahlreichen Handwerker.
Auf dem Gegenüberliegenden Gelände (lange leerstehend) entstehen mittlerweile zig Einzelhandel Geschäfte, bei denen das selbe wie für das CentrO gilt.
Auf Flächen alter Zechen, im Beispiel Zeche Hugo Haniel, entsteht nun das neue Edeka Zentrallager mit tausenden Arbeitsplätzen.
Ich könnte noch viele weitere Beispiele hier nennen. Aber wenn man keine Lust hat sich mit dem Thema „Strukturwandel im Ruhrgebiet“ zu beschäftigen wird es eh nichts bringen.
Bleiben wir bei Oberhausen. Aktuelle Arbeitslosenzahl liegt inkl. SGB2 bei rund 16 Tausend Arbeitslosen / Suchenden.
Aktuell sind alleine über die Jobbörse der Arbeitsagentur im Umkreis 15 km (und das ist ja wohl mehr als zumutbar) rund 14000 offene Stellen / Jobangebote gelistet.
Sicherlich ist es nicht möglich hier alle 1 zu 1 zu besetzen. Aber da ist doch sicherlich Luft nach oben?!
Hier läuft es vielleicht nicht ganz so einfach ab wie in manchen anderen Teilen Deutschlands. Dafür herrscht hier noch immer eine Mentalität die anders wo seines gleichen sucht.
Aber wie gesagt. Wenn man es nicht wissen WILL dann kann man auch Romane schreiben und es ist am Ende egal.
Nun die Laussitz hatte ja noch den Vorteil, dass dort was Touristisch zu erschließen war, sodass einige auch in er unterbezahlten Gastronomie ihre Stelle gefunden haben.
Der Ruhrpott, da bin ich zwar regelmäßig, aber so ganz schlecht ist es dort auch nicht wie dargestellt. Durch die Dichte könnte im Zuge des Fachkräftemangels und der 3d-Drucktechnik es interssant werden, da dadurch eine Zusammenballung der Industrie nciht mehr zwingende Notwendig ist, da Teile Ausgedruckt werden können, die früher von Spezialisten in Werken hergestellt wurden und von A nach b mussten. Da war es interessant alles nahe beisammen zu haben. Der 3 D-Druck könnte zum wiedererstarken von Manufakturen führen.
Servus,
wenn
abläuft wie Du an den hübschen 2 Beispielen beschreibst, wird daraus genau so viel wie aus den „blühenden Landschaften“, die Helmut Kohl in den 1990er Jahren u.a. in Sachsen-Anhalt, Mecklenburg-Vorpommern und der Niederlausitz einrichten wollte. Nebbich ist aus den innerhalb von zwei bis drei Jahren mit riesigen ESt-Subventionen aus dem Boden gestampften Baumärkten, Gebrauchtwagenhandlungen und Fitness-Studios nicht mehr geworden als eben aus planlos in die Landschaft betonierten Bauruinen so werden kann.
Wenn Du jetzt dem Montan-Kern des Ruhrgebiets das gleiche Schicksal prophezeist, macht das alles andere als Hoffnung auf ein menschenwürdiges Arbeitsleben für die Leute, die - vergiss das nicht - all die hübschen Dinge machen, die sich einer wie Du von seinem mittelprächtigen Gehalt käufen kann.
Kurzer Sinn: Beschreibe doch mal grob mit ein paar Worten, weshalb und wie in Herne aus dem Ersatz der gewesenen Industrie durch Handel was anderes werden sollte als daraus in Sachsen-Anhalt, Thüringen und Mecklenburg-Vorpommern geworden ist.
Mir scheint nämlich, dass die im Handel üblichen Margen nicht dafür ausreichen, sowas wie den Schacht Prosper-Haniel oder auch nur eine einzelne ‚mickerige‘ Walzstraße mal eben zu ersetzen.
Und wo Deine Tausende von Arbeitsplätzen im Einzelhandel herkommen, wenn die Nachfrage nach Konsumgütern eher nachlässt als zunimmt, könntest Du vielleicht auch kurz erläutern. Es ist mir nämlich noch keine Werbung für Butterfahrten von Stuttgart nach Bottrop oder von Ingolstadt nach Wanne-Eickel begegnet. Gibt es die tatsächlich?
Bleiben wir aber mal bei den Tatsachen: Methodisch ist es mehr als zweifelhaft, wenn Du aus der Anzahl der bei der Jobbörse geschalteten Stellenanzeigen (von denen, wie Du ja auch weißt, etwa ein Drittel Lockvogel-Fakes aus der ehrenwerten Branche der Arbeitnehmerüberlasser sind) auf die Anzahl der offenen Stellen schließen willst. Vielleicht wäre es da doch ein klein wenig seriöser, die Zahl der von der Bundesagentur fA veröffentlichten dort gemeldeten offenen Stellen zu Rate zu ziehen - auch diesen natürlich mit den notwendigen Korrekturen.
Und vor allem: Zusammen mit der von Dir in diesem Thread an anderer Stelle veröffentlichten ziemlich steilen These, dass es in Wahrheit überhaupt keine Arbeitslosen gibt, sondern nur Arbeitsunwillige, drängt Dein Gemälde von der alsbald ins Haus stehenden goldenen Zukunft des Potts die Frage auf, weshalb es wohl in Herne ungefähr sieben Mal so viele Leute gibt, die lieber von dem staatlich verordneten Existenzminimum zu leben versuchen als zu arbeiten, als in Günzburg? Fällt Dir dazu eine plausible Erklärung ein? Liegt es vielleicht an der
und nach etwa fünf Generationen Knochenarbeit haben Schimanskis, Ohibskys und Bojanowskis einfach keinen Bock mehr, sich das Kreuz krummzuschuften, und mögen einfach mal ein paar Generationen lang ausruhen?
Weisste was? Das glaub ich nicht. Ich glaube, Du hast noch nie in Deinem Leben einen Arbeiter aus der Nähe gesehen, weil Du meinst, da müsste man sich hinterher mit Sagrotan einsprühen.
Iss aber nich. Dein Auto hat sich nicht von selber zusammengebaut.
So ist das nehmlich.
Schöne Grüße
MM
Welche Städte sind das denn, und kann man dort (oder im Umfeld) auch vom gezahlten Lohn leben (d.h. seine Miete zahlen)? Vielleicht auch noch ohne zwei bis drei Stunden Fahrtzeit am Tag?
Servus,
mit
habe ich geschrieben, dass genau das der Knackpunkt an der viel bejammerten „mangelnden Mobilität“ ist: Man kann eben nicht einfach mal nach Donauwörth oder Eichstädt ziehen, wenn die dortige Miete so viel vom Lohn in Anspruch nimmt, dass man sich vom Rest nicht mehr die Socken, Rasierseife und Rindswürste käufen kann, die man halt so braucht. Hier liegt dann insbesondere der Haken an den (teils vollkommen irrational und sinnlos) „outgesourcten Probezeiten“ per Arbeitnehmerüberlassung: Mit einem Brutto von 1.900 € im Monat läuft man halt in Regionen mit einem hübscheren Arbeitsmarkt schnell in die Situation rein, dass vom Lohn nicht mehr viel bleibt, wenn die Miete bezahlt ist.
Zu Deiner konkreten Frage: Nur auf Verdacht (d.h. ohne Anstellungsvertrag) würde ich niemals in irgendeine bestimmte Region ziehen, nur weil da vielleicht eine Eins vor dem Komma steht - wenn andere dort mühelos Arbeit finden, muss das ja nicht automatisch für jeden gelten. Es kann aber schon ein Kriterium sein, ob es an einem Ort mit gutem Arbeitsmarkt und hohen Mieten wenigstens möglich ist, ohne die Kosten für ein Auto am Bein zu leben. Das geht in Baden-Württemberg besser als in Bayern, wo außerhalb des Ballungsraums München der Nahverkehr gegendweise ziemlich verwahrlost ist.
In Rheinland-Pfalz, wo man seit der Ära Brüderle mühelos ohne Auto leben kann, sind die hübschen Zahlen aus der Statistik mit allergrößter Vorsicht zu genießen: Da gibt es auch Ecken mit ganz schlimmer Situation und vor allem schlimmer Prognose - es hilft nichts, da einen Durchschnitt über Äpfel und Birnen zu bilden.
Schöne Grüße
MM
Danke, aber das hat sich hier für mich erledigt. Sachliche Diskussion funktioniert in meinen Augen anders.