Ich bin mit folgender Strategie ganz gut gefahren:
Es gibt Dinge, die sind nicht verhandelbar. Dazu gehören Dinge wie Tattoos oder Piercings. Hier war die klare Ansage: Mein Einverständnis kriegst du dazu nicht. Tust du es trotzdem, wäre das für mich ein Vertrauensbruch, der auch einen entsprechenden Vertrauensverlust meinerseits zur Folge hätte. Wie die Konsequenzen aussähen, kann ich nicht sagen, wünsche mir aber, dass ich es nicht rausfinden muss.
Dann gibt es Dinge, über die man reden kann. Das sind die, die nicht irreversibel sind (und nein: die Entfernung von Tattoos durch Laser und die Herausnahmemöglichkeit von Piercings zählen nicht dazu, weil beides einen Eingriff in den Körper darstellt), wie z.B. Haarfarbe, Haarschnitt, Kleidung, Make-Up.
In diesem Alter ist das Bedürfnis, seine eigene Persönlichkeit zu finden, enorm groß. Und mangels Lebenserfahrung sind die Jugendlichen zunächst auf die Dinge angewiesen, mit denen sie sich sichtbar nach außen zeigen und abgrenzen können. Bunte Haare haben oder extrem geschminkt sein sind mögliche Ausdrucksformen.
Hier kann man dann verhandeln, etwa: Du kriegst meine Erlaubnis zum Haarefärben, aber im Gegenzug möchte ich, dass du in der Schule nur dezent geschminkt bist und dich nicht aufreizend kleidest. Wenn es sein muss, kannst du das außerhalb der Schule tun.
Ein guter Anlass übrigens, um über Absicht und Wirkungen zu sprechen. Den Jugendlichen fehlen Erfahrung und Gespür dafür, welchen Eindruck sie vermitteln. Kein weiblicher Teenager möchte wie eine Nutte aussehen, tut es aber ungewollt trotzdem manchmal, weil er im Bestreben, attraktiv zu erscheinen, übers Ziel hinaus schießt.
Hier brauchen die Mädchen immer wieder wohlwollendes(!) Feedback. Etwa die Rückmeldung, dass die Kleidung wirklich sexy ist - etwas, was eine Dreizehnjährige nicht von den Eltern - und schon gar nicht vom Vater - hören will. Den entsprechenden Protest hat mein Mann z.B. so kommentiert, dass es ganz offensichtlich Leute gibt, auf die sie nicht sexy wirken möchte. Und dass sie genau das nicht verhindern kann, wenn sie so außer Haus geht: Dass nicht nur die Jungs, denen sie gefallen möchte, sie sehen, sondern auch all die, die sie zum Erbrechen findet.
Ich selbst habe mal für ein Aha-Erlebnis beim rebellischen Tochterkind gesorgt, als ich mich zum Elternabend in der Schule in das gleiche heftige Make-up samt kurzem Stretchkleid und High-Heels geworfen habe. Für den Fall der Fälle hatte ich Ersatzkleidung und Abschminkzeug im Auto deponiert, aber soweit kam ich gar nicht. Mein Mädchen war derartig entsetzt, dass ich „so(!!)“ zu ihren Lehrern gehen wollte, dass sie regelrecht ausgeflippt ist.
Nach einigen Diskussionen - ich vertrat u.a. die Ansicht, dass mein Aussehen doch nichts mit meinem Charakter zu tun hätte - stimmte ich einem Umstylen unter der Bedingung zu, dass wir auch in Sachen Aussehen von Tochterkind ein paar Vereinbarungen treffen könnten.
Das einige Tage später folgende Gespräch nahm einen sehr positiven Verlauf, als ich sie danach fragte, was sie an meinem Aussehen so sehr gestört hatte, dass sie mich keinesfalls ihren Lehrern so präsentieren wollte. Sie konnte sehr klar benennen, dass sie sich für mich geschämt hat und dass sie nicht wollte, dass die Lehrer mich falsch einschätzen.
Wie auch immer: Der Versuch, wertschätzend und wohlwollend zu bleiben, auch wenn man am liebsten aufs Taschentuch spucken und die schlimmste Farbe aus dem Gesicht der Tochter wischen möchte, lohnt sich immer.
Jule