Ich verstehe das trotzdem nicht. Was hat das mit Olaf Scholz tun? Warum sollte man ihm gegenüber missgünstig sein,weil er Urlaub in Bayern macht?
Von Anna Clauß weniger ist mehr
Z u heiß, zu voll, zu teuer.
Sommerurlaub war
schon immer die Hölle.
Dieses Jahr aber ist es
be sonders schlimm. Eine Art
Bermudadreieck aus Ukrainekrise,
Klimakrise und Coronakrise
sorgt für einen perfekten
Sturm auf dem Reisemarkt.
Alle wollen weg, kaum jemand
kommt mitsamt Koffern
an einem bezahlbaren Ort an.
Wer es doch geschafft hat, den
plagt das schlechte Gewissen:
Hätte man die dreistellige
Summe für das mittelmäßige
Hotel in Kroatien nicht zurücklegen
sollen zur Begleichung
der nächsten Gasrechnung?
Tragen die Emissionen
des Charterflugs nach Mallorca
zur nächsten Jahrhundertflut
oder Rekord-Hitzewelle
bei? Finanziert die Gaskartusche
des Campingkochers
Putins Krieg? Und darf man
es sich überhaupt in der Fremde
gut gehen lassen, wenn
an Europas Rand Menschen
um ihre Heimat und um ihr
Leben fürchten?
Der Kanzler hat in der Not
die Tugend der Genügsamkeit
erkannt. Statt in die Ferne zu
reisen, brach Olaf Scholz diese
Woche zur Sommerfrische
ins beschauliche Allgäu auf.
Verzicht lautet schließlich das
Gebot der Stunde. Weniger
statt Meer! Die »Bild« jubelte:
»Nach 40 Jahren hat Deutschland
wieder einen Kanzler,
der die großen Ferien in der
deutschen Heimat verbringt!«
Die grünen Wiesen des Allgäus
halten ohne jeden Zweifel
mit Hollywoods Hügeln
und denen des Auenlandes
mit. Die Allgäuer Kässpätzle
jeder mittelmäßigen Dorfkneipe
können es locker mit
der Sylter Sterneküche aufnehmen.
Dennoch wäre ein
deutscher Kanzler, der auf
bayerische Bodenständigkeit
steht, in anderen Zeiten wohl
für seine fehlende Abenteuerlust
oder die Liebe zur
Provinz belächelt worden.
Gerhard Schröder verbrachte
seinen Sommerurlaub gern
am Strand in Italien. Dolce
vita aber ist außer Mode.
Eigentlich ist das schade.
Wollen wir wirklich in einer
Gesellschaft leben, in der sich
niemand mehr etwas gönnen
darf? In der Ministerpräsidenten
sich nur noch in der Heimat
entspannen dürfen und
für Aufsehen sorgen, wenn
sie, wie Brandenburgs Regierungschef
Dietmar Woidke,
Sommerurlaub an der Nordsee
statt an der Ostsee planen?
Möchten wir, dass deutsche
Finanzminister künftig
mit Birkenstocksandalen und
Mettigel-Torte an der Autobahnraststätte
heiraten?
Der Jubel über Scholz’ bodenständig
wirkenden Sommerurlaub
hat auch etwas Beängstigendes.
Weil er nämlich
die Renaissance einer gewissen
Blockwartmentalität
ankündigt. Freude über die
Disziplin der anderen ist ein
sonderbares, typisch deutsches
Hochgefühl, das nach
dem Zweiten Weltkrieg gern
hätte aussterben dürfen.
Sicher wäre dem Klima,
der Pandemiebekämpfung
und der lokalen Wirtschaft
geholfen, würden wir alle die
Krise des Sommerurlaubs
dazu nutzen, daheimzubleiben.
Wir können aber auch
Verzicht üben, indem wir
unserem Neid, unserer Missgunst
und unserem schlechten
Gewissen ein paar Wochen
lang Hitzefrei geben.
Kanzler Schröder
verbrachte den
Sommerurlaub gern
am Strand in Italien.
Dolce vita aber
ist außer Mode.