Wie kritisiert Theodor von Mopsuestia Appolinaris?

Hallo liebes Forum,

ich befinde mich gerade in Prüfungsvorbereitungen und stelle mir hypothetische Fragen zur Vor-Chalzedonischen Christologie. Ok… diese Frage ist vielleicht ein bisschen „hardcore“, aber vielleicht kennt sich jemand ja genug aus. Sie lautet
Wie lässt sich Theodor von Mopsuestias Kritik an Apolinaris von Laodicea zusammenfassen?
Apollinaris glaubt ja, dass der Logos in Christus wirkt und deshalb der Mensch untergeordnet ist. Theodor hingegen (so wie ich ihn verstanden habe) hat keine richtige Christologie sondern enthält sich mehr oder weniger einer Definition über Christi Natur. Demnach gibt es dann eigentlich keine richtige Kritik - ist das richtig?

Hallo holowachuk,

vorausgeschickt sei: Mir sind die genauen Texte nicht bekannt.
Es gibt aber einen vermittelbaren theoretischen Hintergrund.

Es stehen sich die beiden Strömungen Arianismus und Nestorianismus gegenüber. Beide haben Mühe mit dem Glauben, dass Christus 100% Mensch und zugleich 100% Gott ist, dass sich dies beides nicht sauber trennen lässt und dass doch beides je für sich betrachtet werden kann.

In etwa könnte man einen Kurzabriss wie folgt darstellen, wobei es an jeder argumentativen Stelle noch viele Nuancen und Verästelungen gäbe.

Der Arianismus neigt eher dazu, an der Gottheit Christi zu kratzen (im extremen Einzelfall wird Christus sogar als Geschöpf Gottes bezeichnet, und es werden Göttlichkeit und Menschlichkeit völlig vermischt). Jesus Christus erhält dann eine Bedeutung erst durch die relative Schlechtigkeit anderer Geschöpfe, welche auch dementsprechend betont wird bis hin zur Behauptung, der Mensch wäre von Natur aus schlecht (Monophysitismus als Radikalform), und Gott müsse ihn eigentlich immer gegen seinen Willen erlösen.

Der Nestorianismus demgegenüber neigt eher dazu, an der Menschheit Christi zu kratzen (im extremen Einzelfall wird Christus sogar als zweipersonig dargestellt, und es werden eine göttliche und eine menschliche Person völlig getrennt). Jesus Christus erhält dann eine Bedeutung erst als Vorbild für die ohnehin guten Menschen, die mit der Kraft ihres freien Willens allein schon alles vermögen (Pelagianismus als Radikalform), und der Mensch könne sich letzten Endes selber zu Gott hochringen.

Die beiden Lehren sind zwar von ihren Vertretern nicht so extrem formuliert worden, wie es die Konzilien behaupteten, laufen aber auf diesen Hingergrund hinaus; Konsequenz aus der Sicht der Kirche war es, beiden abzusprechen, dass sie eine Erlösungsbedürftigkeit des Menschen lehren, der sich durch seinen freien Willen für diese Erlösung öffnen kann. Beide Lehren wurden scharf verurteilt.

Theodor und Apollinaris lebten zu der Zeit, als zwar der Arianismus, noch nicht aber der Mono- bzw. Miaphysitismus und der Nestorianismus durch die Kirche benannt und verurteilt war. Theodor ist somit in der Lage, sich mit der Lehre Apollinaris’ dann als mit einer verurteilten Lehre auseinanderzusetzen, wenn er sie als arianisch bezeichnen kann. Allerdings mag er dabei Argumente präsentieren, welche das Menschsein ein wenig verklären und nicht sehr scharf die Zweinaturenlehre definieren, denn diese wurde in ganzer Schärfe erst in Chalcedon als verbindlich erklärt.

Sowohl der einen als auch der anderen Richtung geht das Problem des (damals schon längst verurteilten) Doketismus voraus, „Gott ist nur zum Schein Mensch geworden“. Dieser gälte, wenn einerseits der Mensch nichts Gutes von Geburt auf in sich hätte oder wenn andererseits Gott nicht leiden könnte - beides Irrtümer, welche durch diese Lehren zwar kaum je so genau ausgesprochen wurden, welche aber aus der Sicht der Kirche bei diesen Lehren überhand zu nehmen drohen.

Als sehr versierter und weitherum geachteter Theologielehrer dürfte Theodor diese Fragestellungen letzlich schon recht gut kennen, wenn er auch recht unbekümmert in die Richtung des „guten, freien, selbsterlösenden“ Menschen argumentiert. Aber wie gesagt, dies ist eher im allgemeinen seine Ansicht, den genauen Schriftwechsel zwischen den beiden kenne ich leider überhaupt nicht. Ich wäre froh, wenn Du evtl. einen Link auf die Texte hast, dann kann man Genaueres sagen.

Gruss,
Mike

Theodorus vs. Appollinaris
Hi,

Wie lässt sich Theodor von Mopsuestias Kritik an Apolinaris
von Laodicea zusammenfassen?

Ich kann mir nicht vorstellen, daß sich eine Prüfer erlaubt, so eine komplexe Frage zu stellen. Denn wie ich dir /t/apollinaris-und-cyrill-von-alexandrien-ein-fan/68…

Und mit dem Apollinarianismus sieht es nicht anders aus. Hast du denn eine Schrift von Theodoros, in der er sich unmittelbar und explizit auf Apollinaris bezieht?

Apollinaris glaubt ja, dass der Logos in Christus wirkt und deshalb der Mensch untergeordnet ist.

Besser gesagt: daß Jesus weder seelisch noch körperlich Mensch sei. Er sieht das im Begriff der Homoousia impliziert.

Theodor hingegen (so wie ich ihn verstanden habe) hat keine richtige Christologie

Zumindest liegt in den nicht verlorenen Schriften von ihm keine explizite Christologie vor. Er war ja auch vorwiegend Schriftkommentator und weniger Theologie-Theoretiker. Seine christologische Position war aber eindeutig eine Zweinaturenlehre. Nestorius bezog sich ja auf ihn.

Genaueres kann ich aktuell nicht überprüfen. Aber vielleicht findest du in dieser Abhandlung etwas für dich Brauchbares.

Gruß
Metapher

Ergänzend
… zu Metapher, dem ich als deutlich Kompetenteren zu diesem Thema gerne erst einmal den Vortritt gelassen habe - ich will nicht den Eindruck erwecken, ich könnte die Frage erschöpfend beantworten (das wäre ja auch nicht die Aufgabe der Experten hier), aber ich wüsste zumindest schon einmal, wo ich suchen müsste.

Hast
du denn eine Schrift von Theodoros, in der er sich unmittelbar
und explizit auf Apollinaris bezieht?

Da gibt es nur eine :wink: - Nr. 13,9 der katechetischen Homilien, wo er ihn „Satansengel“ schimpft. Dort wird auch schon deutlich, dass der Kern des Dissenses die Rolle des Geistes (νοῦς) ist.

Eher von Bedeutung für die christologische Position Theodoros gegenüber Apollinaris sind hier jedoch natürlich die Fragmente von de incarnatione - und das aktuelle Standardwerk dazu dürfte die gestellte Frage auch erschöpfend beantworten:

Jansen, Till
Theodor von Mopsuestia, De incarnatione
Überlieferung und Christologie der griechischen und lateinischen Fragmente einschließlich Textausgabe
Reihe Patristische Texte und Studien 65
De Gruyter 2009
ISBN 978-3-11-021862-6 Buch anschauen

Zur Ausgangsfrage insbesondere der Abschnitt 4.2 „Die Auseinandersetzung des Theodor mit Eunomius und Apollinaris in de incarnatione (Bücher I - VI und X - XV)“, S. 169 ff.

Da sollte mit Rücksicht auf FAQ:3138 genügen …

Freundliche Grüße,
Ralf

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Ergänzung ergänzend

Hast du denn eine Schrift von Theodoros, in der er sich unmittelbar und explizit auf Apollinaris bezieht?

Da gibt es nur eine :wink: - Nr. 13,9 der katechetischen Homilien,

So ist es. Und es ist, zumindest in dem noch vorhandenen Fundus von Theodor-Fragmenten auch die einzige Stelle, wo der Name ausdrücklich auftaucht.

Und das wäre, wenn es sich um eine reale Prüfungsfrage handeln würde, ein Punkt, der erwähnt werden müßte. Aber ich wollte dem UP nicht vorgreifen :wink:

wo er ihn „Satansengel“ schimpft.

Und umgekehrt müssen sich Theodor und analog Argumentierende „Menschenanbeter“ nennen lassen, was btw. auch nicht ohne Weiteres von der Hand zu weisen ist …

Dort wird auch schon deutlich, dass der Kern des Dissenses die Rolle des Geistes (νοῦς) ist.

Dazu zweierlei: νοῦς entspricht dem lat. ratio und intellectus, was im damaligen Konsens dem dt. „Vernunft“ bzw ggf. „Verstand“ entsprach. „Geist“ dagegen ist seit Stoa und Joh.-Ev. πνευμα, pneuma, lat. spiritus, in der theologischen Debatte. Apollinaris spricht dem Menschen Jesus aus bestimmten Gründen (die mit dem Begriff der homoousia, der Wesengleichheit des „Sohnes“ mit dem „Vater“, bzw. des logos mit dem theos, zusammenhängen) einen menschlichen nous ab.

Das ist aber nicht der Kern der Kritik am Apollinarianismus, sondern eher die Folgerung daraus, daß Jesus eben gar nicht Mensch sei. Jedenfalls nicht so wie du und ich und der UP und FraLang usw.

Im Grunde basiert der gesamte christologische Anteil an der Trinitätsdebatte zwischen Nicäa und Chaledon auf der Interpretation des „egeneto“ in dem johanneischen Satz (Joh.1.14) „ho logos sarx egeneto“, „und der Logos wurde Fleisch“ - weil eigentlich ja dem absoluten (= ewigen = unveränderlichen) Gott kein Werden, keine Verwandlung, keine Metamorphose zugeordnet werden könnte. Und daraus resultiert die im einzelnen so schwierig nachvollziehbare Diskussion um die Grundbegriffe griech. hypostasis, prosopon, physis, ousia, lat. persona (doppeldeutig), natura, substantia. Das machte (und macht) die Ein- oder Zwei-Naturen Lehre in der Christologie und (später einsetzend) in der Pneumatologie so kompliziert.

Eher von Bedeutung für die christologische Position Theodoros gegenüber Apollinaris sind hier jedoch natürlich die Fragmente von de incarnatione - und das aktuelle Standardwerk dazu dürfte die gestellte Frage auch erschöpfend beantworten:

Till Jansen

Theodor von Mopsuestia, De incarnatione
Überlieferung und Christologie der griechischen und lateinischen Fragmente

ist tatsächlich für diesen Teil der Debatten unverzichtbar.

Zur Ausgangsfrage insbesondere der Abschnitt 4.2 „Die
Auseinandersetzung des Theodor mit Eunomius und Apollinaris in
de incarnatione (Bücher I - VI und X - XV)“, S. 169 ff.

Da sollte mit Rücksicht auf FAQ:3138 genügen …

Immerhin war es ja ein vom UP selbst hypstasiertes Beispiel einer möglichen Prüfungsfrage :wink:

Gruß
Metapher

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Danke Metapher für die hilfreiche Antwort. Und ich kann Dir sagen: DOCH! Genau solche Fragen stellt er. (K