Wie lange dauert eine Sekunde?

Hallo!

Sicher. Unser Gehirn ist nicht dazu gemacht, das Universum zu
verstehen. Es ist dazu gemacht, die Wahrscheinlichkeit für den
Fortbestand der Gene zu erhöhen, die für seine Ontogenese
zuständig sind.

Wow! Was für eine geile Diskussion! (Ich meine das ernst!)

Ja, das stimmt. Die ist echt mal erfrischend!

Du hast dafür plädiert, in der Zeit nur einen
Ordnungsparameter von bestimmten raumzeitlichen Ereignissen zu
sehen und ihr das „Vergehen“ abgesprochen. Das sei nur eine
Illusion.

Ja.

Nun aber sprichst Du von Phylogenese und Ontogenese (beides im
biologischen Sinne). Und jetzt wird es komplex und
selbstbezüglich: Was ist die Evolution von Entwicklungsgenen,
wenn man versucht, es ohne einen fließenden Zeitbegriff zu
erklären?

Ja, da hast du recht. Hier war ich in der Wortwahl flapsig. Es ist aber auch verdammt schwer (bis möglich), ohne Verwendung des Zeitbegriffes etwas zu sagen.

Ich versuch’s mal: Das Kladogramm ist eine „zeit-lose“ […]

Gefällt mir gut! Man kann das im Sinne des schon gesagten noch erweitern um das Ordnungsprinzip im Kladogramm, wonach jede Schnittebene als inherente Eigenschaft einen „Verweis“ auf die benachbarte Ebene enthält (erst das macht es möglich, die Schnitte „zeitlich“ anzuordnen. Daraus folgt die Ableitbarkeit einer Kausalität (Punkte in einer Schnittebene tauchen bis auf Mutation und Selektion nicht spontan auf, sondern liegen da, wo in der „vorigen“ und der „folgenden“ Ebene auch ein Punkt ist). Unterstellt man, dass unser Gehirn in diesen „Verweisketten“ denkt (ja, wieder ein Verb und notgedrungen Zeit implizierend - aber Du weißt, wie ich das meine!) kann es Ebenen nicht „wahrnehmen“ bzw. erkennen, die nicht in der selben „Verweiskette“ liegen. Das heißt aber eben nicht, dass es keine weiteren Ebenen geben muss, bei denen die Punkte ganz anders liegen. Das ist ein wie ich finde etwas paralleler Denkansatz zur „Viele-Welten-Theorie“. Darin spalten sich die Welten in der Zeit aber auf, während hier alle Welten existieren und jede „Schittebene“ Teil einer „Verweiskette“ (oder „Kausalkette“) ist.

Das Bild, das ich hier versucht habe zu zeichnen (Stammbaum,
horizontale Schnittebenen), verkörpert also das anthropische
Prinzip

Kannst du mir das nochmal erklären?

VG
Jochen

1 Like

Hallo!

Ehrlich gesagt nicht viel, außer dass man auf dem Kandel mit
seinen anderthalbtausend Seiten sehr schlecht schläft :wink:

Musst 'n dickes Kopfkissen drüberlegen…

Spaß beiseite: Leider konnte ich nur herausfinden, dass das
episodische Gedächtnis seinen Sitz wohl im Frontallappen hat,
und dass es eine „episodische Amnesie“ gibt, bei der Menschen
zwar Inhalte lernen können, sich aber nicht mehr daran
erinnern können, WANN und WIE sie etwas gelernt haben.

Ich könnte noch beitragen, dass die Erfahrung von Gegenwart üblicherweise Eindrücke aus einer Zeitspanne von etwa 3 Sekunden integriert. In Wikipedia finden sich dann auch noch Anhaltspunkte für die Gehirnstrukturen, die für die Wahrnehmung von „Zeit“ und „Augenblicklichkeit“ verantwortlich sind:
This is a highly distributed system including the cerebral cortex, cerebellum and basal ganglia as its components. One particular component, the suprachiasmatic nuclei, is responsible for the circadian (or daily) rhythm, while other cell clusters appear to be capable of shorter-range (ultradian) timekeeping. (http://en.wikipedia.org/wiki/Sense_of_time)

Ich werde mal im Psychologie-Brett eine entsprechende Frage
starten. Mal sehen, was da rauskommt…

Hoffentlich weniger Verspannungen als beim „Schlafen-mit-Kandel-Kissen“ :wink:

VG
Jochen

Hallo!

Das Bild, das ich hier versucht habe zu zeichnen (Stammbaum,
horizontale Schnittebenen), verkörpert also das anthropische
Prinzip

Kannst du mir das nochmal erklären?

Ja. Das anthropische Prinzip besagt ja, dass in unserer „Vergangenheit“ a posteriori keine zufälligen Dinge stattgefunden haben, sondern jene, die zu unserer Existenz geführt haben.

Wenn wir da den Zeitbegriff wieder tilgen, dann ist damit gemeint: Keiner von uns befindet sich an einer beliebigen Stelle der Schnittebene AD2010, sondern an einem Punkt, der durch eine lückenlose Verweiskette mit dem Ursprung verbunden ist. Wenn wir umgekehrt über die „Verweiskette“ (also im Beispiel der Evolution: die Phylogenese) sprechen, dann ist es keine zufällige Kette, sondern genau jene, die den Ursprung mit unserer Existenz verbindet.

Übrigens halte ich die Verweiskette nicht für einen zeitlichen Begriff (Du hast Dich also unnötigerweise entschuldigt).

In der Aussagenlogik gilt ja auch

A ⇒ B bedeutet: A ist eine hinreichende Bedingung für B, B ist eine notwendige Bedingung für A

Physik, Philosophie, Psychologie, Aussagenlogik, Evolutionsbiologie, …

Das ist einer der interdisziplinärstne Threads, die ich hier gelesen habe.

Michael

Ich glaub ich habs.

Ja, diesmal hört sichs schon eher danach an.

Ich bin einfach davon ausgegangen, dass das Ereignis „Photon
trifft Atom“ und „Elektron wechselt das Orbital“ definitive
Ereignisse sind welche nacheinander direkt und unmittelbar
folgen ohne, dass sich das Elektron dabei kontinuierlich einen
„Weg“ zurück legt, also es springt direkt von einem zum
anderen Ort ohne Zwischenweg.

Du musst versuchen deinen Blick noch ein bißchen weiter zu fassen, dann wirds noch einfacher. Das Photon das dein Atom trifft muss ja auch irgendwo her kommen. Und von der Sonne wird es nicht direkt bis zu deinem Atom hier auf der Erde gesprungen sein, sondern es hat 8min gebraucht um diese Strecke zurück zu legen, oder 4min für die Hälfte, 2 min für ein Viertel usw usf…

In einer kontinuierlichen Raumzeit könntest du das beliebig herunterbrechen, in einer gequantelten Raumzeit würde das Photon dagegen lauter kleinste Hüpfer machen, um den gesamten Weg zurückzulegen.

Einerseits können wir modellhaft davon ausgehen, dass Zeit
unendlich teilbar ist, aber ob das in Wirklichkeit auch der
Fall ist wissen wir schlichtweg nicht.

Auf jeden Fall würde eine Sekunde trotzdem eine Sekunde dauern, egal ob die Zeit gequantelt ist oder nicht :wink: Die Quantelung von Raum und Zeit ist nichts, was zwingend so sein müsste, sondern etwas das eingeführt wurde im Rahmen der Suche nach einer Vereinigung von Relativitätstheorie und Quantenmechanik. Allerdings ist diese Suche noch lange nicht abgeschlossen und die Frage nach der Quantelung von Raum und Zeit daher noch offen.

vg,
d.

Hallo,

Wenn wir da den Zeitbegriff wieder tilgen, dann ist damit
gemeint: Keiner von uns befindet sich an einer beliebigen
Stelle der Schnittebene AD2010, sondern an einem Punkt, der
durch eine lückenlose Verweiskette mit dem Ursprung verbunden
ist. Wenn wir umgekehrt über die „Verweiskette“ (also im
Beispiel der Evolution: die Phylogenese) sprechen, dann ist es
keine zufällige Kette, sondern genau jene, die den Ursprung
mit unserer Existenz verbindet.

Hier geht eure Diskussion aber ins Leere. Wir dürfen doch den Zeitbegriff nicht aus der Phylogenie tilgen !
Gerade evolutive Entwicklungen (ganz allgemein, und im speziellen in der Biologie) bauen doch basal auf diesem Begriff auf. Der Betrag an Abstraktion, der eurer Diskussion innewohnt, ist entschieden zu viel, finde ich. Selbst wenn man die Zeit physikalisch gesehen eliminieren würde, könnte doch das Ganze mehr als die Summe seiner Teile sein und so vielleicht durch´s Hintertürchen eine (zeitliche) Kausalkette wieder einführen.

Ich hoffe, ihr versteht, daß ich mich dagegen verwehre, einer Wissenschaft die Existenzgrundlage abzusprechen.

Grüße
Peter

Hallo!

Da hast Du was missverstanden. Die Zeit als Ordnungsparameter will gar niemand aus der Wissenschaft tilgen (ich jedenfalls nicht, und ich glaube auch nicht, dass es Jochen so gemeint hat).

Es geht vielmehr darum: Die Vorstellung, dass die Gegenwart die einzige Wirklichkeit ist, dass die Vergangenheit „vorbei“ ist, und dass die Zukunft erst noch kommt, diese Vorstellung entstammt nur unseren Gehirnen. Tatsächlich gibt es keinen Grund, die Gegenwart vor allen anderen Zeitpunkten zu bevorzugen. Sinnvoller erscheint eine Betrachtungsweise, wo alle Zeitpunkte nebeneinander existiert. In einer solchen Betrachtungsweise gibt es keinen fortschreitenden Lauf der Zeit. Es gibt nur Ereignisse, die näher am Urknall liegen oder weiter von ihm entfernt sind.

Michael

Hi, ich wollte Allen nur mal für die ganzen Interessanten Antworten und Beiträgen danken. Hätte nicht gedacht, dass meine Spinnerei so tiefgreifend ist, auch wenn ich nicht wirklich aus dem Bereich der Naturwissenschaften entspringe, habe ich eine Menge gelernt. Thx

Hallo Michael!

Das hab ich falsch verstanden. Ich dachte schon, ihr wolltet der Phylogenetik die Lebensgrundlage entziehen.
Jetzt bin ich ja richtig erleichtert. :wink:

schöne Grüße
Peter